Es gibt Touren, die begleiten eine ganze Weile und laden sich dadurch ganz selbstständig mit Emotionen auf. Für mich war der Jubiläumsgrat ein solcher Kandidat. Auf der einen Seite ist da der Mythos, der sich um die felsige Skyline von Garmisch-Partenkirchen rankt. Kaum ein Wanderer oder Bergsportler hat nicht schonmal von ihm gehört und die kollektive Faszination für den Grat ist in den richtigen Kreisen allgegenwärtig. Gleichzeitig wird kaum eine Bergtour so inhomogen beschrieben und aufgenommen. Für den Wanderer ein ferner Traum, für viele Bergsteiger das höchste denkbare Ziel. Für “Alpinisten” und Kletterer eine entspannte und genüssliche Runde. Für Trailrunner ein weiterer Lauf zwischen den Wolken?
Aber was bin ich in all dem. Auch wenn ich es vermutlich nicht mehr bin, sehe ich mich nach wie vor am liebsten als Wanderer. Für einen Bergsteiger sind mir die Gipfel zu egal. Für einen Alpinisten fasziniert mich das Ungewisse zu wenig und ein richtiger Kletterer bin ich auch nicht. Trailrunner werde ich mit geringfügigen körperlichen Baustellen bestimmt auch nicht mehr.
Ich bin vor allem der Typ, dem Panikattacken schon sehr früh im Bergsport einen Strich durch die Rechnung zu machen drohten. Ich bin der Typ, der oft an sich zweifelt und sich das Allermeiste nicht zutraut. Ich bin Perfektionist und Sicherheitsfanatiker. Ich habe keinen Spaß an Risiko und suche Kontrolle in einem Gelände, das sich kaum kontrollieren lässt. Ich trainiere viel in Form von stumpfen, abendlichen Höhenmetern und habe das Gefühl, dass dieses Training nie so richtig anschlägt oder Effekte zeigt. Also was wird der Jubiläumsgrat für mich sein…
Ich hatte mir über die letzten Jahre immer wieder Gedanken gemacht. Natürlich stand der Jubiläumsgrat schon früh und sehr selbstverständlich auf der Liste. Bei wem ist das nicht so? Zunächst hatte ich 2021 Pläne geschmiedet den Grat in Teilen auszukundschaften und beispielsweise über den Brunnsteingrat auf die Mitte des Grates zu stoßen und dann den “leichteren” Teil zur Alpspitze zu versuchen. Oder von der Zugspitze bis zur ersten nominellen Schlüsselstelle (Glatte Rinne, III-) zu gehen und dort umzudrehen.
Mit der ersten Kletterei in höheren Graden kam 2022 ein solider Größenwahn auf. Ich war mir ziemlich sicher, den Grat zu überschätzen und ihn leicht mal nebenbei abspulen zu können. Eine nette Übung für Alpinisten. Genusskraxeln für Kletterer. Sowas bin ich ja nun schließlich. Das Hochgefühl hält nicht lange, da mich einige Blockaden und Probleme im viel leichteren Gelände wieder zurück auf den Boden der Tatsachen holen. Sei es nun das “Gehgelände” am Kopftörlgrat, eine unscheinbare Stufe an der Hochplatte oder kleinere Krisen in den unzähligen unscheinbaren Feierabendtouren und grundsätzlich reduzierter Spaß an seilfreien Graten. Und so behält auch der Jubiläumsgrat sein Fragezeichen. Zumindest ein paar Punkte bildeten aber die Grundlage für all jene Überlegungen:
- Beim ersten Mal auf jeden Fall mit Seilbahnunterstützung oder Nacht auf der Zugspitze
- Auf jeden Fall zu zweit
- Auf jeden Fall ein kleines Seil mitnehmen um im Notfall sichern oder abseilen zu können
Am 03.10.2023 stapfe ich um 3:18 in den dunklen Wald in Ehrwald. Die Seilbahn fährt noch lange nicht. Ich bin alleine. Ein Seil habe ich nicht dabei.
Zugspitze via Stopselzieher
Der Plan den Jubiläumsgrat von Tal zu Tal zu laufen stammt fairerweise nicht ganz von mir. Ich hätte ihn mit oben erwähnter Vorsicht eher mit Biwak oder ähnlichem entschärft. Dass man nicht mit 100 anderen Aspiranten in der ersten Gondel hocheiert, sollte dennoch klar sein. War es auch stets für mich. Dafür ist das hier der falsche Blog und das falsche Bergmärchen.
Aber der ganz puristische Ansatz stammt von Hannah, die sich einige Wochen zuvor für einen Heimweg über den Jubiläumsgrat entschieden hat, nachdem ihre Begleiter sich spontan nach einer Tour über den Stopselzieher mit der Gondel ins Tal verabschieden. Sie war damals nicht nur alleine sondern auch brachial schnell und hinterher brachial begeistert. Und obwohl ich von unseren vielen wilden Touren weiß, dass ich gerade im Fels und der Psyche etwas schlechter aufgestellt bin, reizt es mich dieses Abenteuer für mich auch zu erleben und nachvollziehen zu können. Den einzigen Teil, den ich dabei nicht reproduzieren kann, sind dämliche Sprüche irgendwelcher Alpinmännerz, wenn sie von einer Dame gnadenlos überholt werden. Darum beneide ich Hannah wirklich nicht. Es gibt eben noch viel zu lernen für das oft recht einschlägige Publikum in den “großen” Touren. Aber es ist auch herrlich fair. Denn ein praller Bizeps kauft einem im Gebirge gar nichts.
Als ich zwischen röhrenden Hirschen in Ehrwald starte bin ich mir meiner Sache nicht mehr allzu sicher. Ich habe schlecht geschlafen und am Vortag eine Tour mit Marcel am Gimpel unternommen. Generell bin ich jetzt den 4. Tag in Folge auf Achse und in den Bergen. In meinem Kopf lege ich mir schon zurecht, dass ich wahrscheinlich einfach zum Sonnenaufgang auf die Zugspitze laufe und es dabei belasse. Ist auch ‘ne schöne Tour. Für andere sind alleine diese 1700 Höhenmeter auf das Dach Deutschlands eine riesige Unternehmung. Der Jubiläumsgrat ist im Moment noch so fern, dass er kaum eine Rolle spielt als ich mich in der stillen und dunklen Nacht durch die Latschen schlängel.
Den direkten Anstieg ins Gamskar von Ehrwald gehe ich zum ersten Mal. Die letzten Male bin ich immer vom Eibsee gekommen und unter den Westwänden des Wettersteingebirges auf die österreicherische Seite gequert. Definitiv die hübschere Variante – aber eben auch ein gutes Stück länger und höher, da der Eibsee tiefer liegt. Ich habe heute etwas mehr vor, womit sich nur die Variante von Ehrwald anbietet. Und ich bin überrascht. Hier geht es wirklich super schnell und direkt in das Gamskar, ein großes Schotterfeld über den Dächern von Ehrwald. Ich hatte auch erwartet, dass es sich im Schotter viel mühsamer und zäher aufsteigt – stattdessen bietet die ausgetretene Spur feste Tritte und angenehmes Steigen. Am Lostplace der alten Mittelstation mache ich eine kurze Trinkpause und schau auf die Uhr. Ich bin weit vor meinem Zeitplan und kurz vor der Hälfte des Anstiegs. Bisher – so das subjektive Empfinden – habe ich noch nicht einmal den Ruhepuls verlassen.
Ich bin eingepackt in die Nacht und rausche wie in Trance durch die nun bekannte Bergwelt. 300 Meter hinter mir tanzt nun über der Baumgrenze eine weitere Stirnlampe durch das Gamskar. Ansonsten ist es still und dunkel. Und ich muss weiter.
Rückblickend habe ich vielleicht auch einfach auf Grund der Müdigkeit geschlafwandelt. Wobei ich mir in dem Zustand nicht allzu viel Trittsicherheit zumuten würde. Zumindest fühlt es sich etwas eigenartig an, an diesen Aufstieg zurück zu denken. Ich erinnere mich nur an die kurzen, rastlosen Momente in denen die markanten Wegpunkte im Schein meiner Stirnlampe auftauchen und dann wieder verschwinden. Der Mast der Tiroler Zugspitzbahn. Die Wiener-Neustädter-Hütte. Der Einstieg in den Stopselzieher. Die Höhle, die Sprossen, die Gedenktafel in der Wand. Das Flussbecken, in dem man im Dunkeln recht gut den Weg verlieren kann. Wegpunkte, die bei meinen bisherigen Touren auf die Zugspitze jeweils mit Mühen und Zeit abgearbeitet werden mussten. Heute tauchen sie auf und verschwinden wieder. Dazwischen ist nichts als Dunkelheit. Kein schneller Atem, kein Schweiß, kein Abrutschen.
Kurz vor Ende des Stopselzieher-Klettersteigs wache ich zum ersten Mal aus diesem Zustand auf und sehe mich um. Wenn ich den Weg nicht kennen würde, würde ich mich durchaus fragen, wie ich hier hergekommen bin. Ich führe eine Perlenkette von Lichtern an, die inzwischen zahlreich aus der Hütte ploppen. Sie sind allesamt eine gute Stunde unter mir. Nur die einzelne Stirnlampe, die mich mit etwas Abstand von Ehrwald an verfolgt hat arbeitet sich hinter mir den Steig hinauf. Der Wind heult durch das Gestänge um die Zugspitze und ein Blick auf die Uhr bestätigt ein Gefühl, dass mich den ganzen Weg über begleitet hat. Irgendwas ist heute anders. Irgendwie spielt dieser Tag nach anderen Regeln. Obwohl ich die ganze Zeit sehr entspannt unterwegs war, bin ich viel schneller als ich geplant oder erwartet hatte. Egal was ich jetzt anstelle – ich werde deutlich vor Sonnenaufgang auf der Zugspitze stehen. Für einen kurzen Moment schießen mir Tränen in die Augen. Keine Ahnung wo die Emotionen plötzlich herkommen – aber weit über den funkelnden Lichtern der Stadt ist es vor allem eine tiefgreifende Dankbarkeit solche Momente erleben zu dürfen.
Als ich den Grat erreiche mache ich die erste kurze Pause, krame einen Apfel raus und werfe noch einen Windbreaker über. Die Stirnlampe hinter mir kommt auch aus der Wand und nimmt die Gestalt einer Bergsteigerin aus Schongau an. Mit sehr leichtem Gepäck und Trailrunningweste – alles andere hätte mich auch überrascht.
Ich erwidere, dass sie mir dafür aber ganz ordentlich im Nacken gesessen hat. Wir quatschen ein wenig, als wir uns auf den Weg in Richtung Gipfelplateau machen. Dabei stellt sich raus, dass sie die Tour nur mal kurz vorm Frühstück läuft und gleich nach Sonnenaufgang wieder über den Stopselzieher absteigen will. Zu den richtigen Zeiten trifft man scheinbar auch die richtigen Leute. Ich erwähne, dass ich noch weiter über den Jubiläumsgrat will und sie gerät ins Schwärmen. Sie habe den Grat vor ein paar Wochen gemacht und fand ihn wunderschön. Es fallen Wörter wie Genussklettern & Traumtag. Bei so einem perfekten Wetter sei sie ganz schön neidisch auf meinen Plan. Eine Tür geht zu. Wenn ich mit ihr gleich am Gipfel der Zugspitze stehe, werde ich nicht umdrehen und wieder runterlaufen wie ich es mir beim Start vorgenommen habe.
Am Gipfel tummeln sich selbst zu früher Stunde schon einige Menschen aus dem Münchner Haus oder von rustikalen Gipfelbiwaks. Sie alle stehen vor der verschlossenen Tür zum Treppenhaus, das zum Gipfelkreuz führt. Ich scheine als einziger den “Bergsteigerzugang” – eine luftige Leiter am nördlichen Eck der Plattform zu kennen und stelle beim kurzen Abklettern über der Nordwand fest, dass ich immer noch den Apfel im Mund habe und nicht wirklich weiter gekommen bin ihn zu essen. War der Grat vom Ausstieg des Stopselziehers zur Zugspitze immer schon so kurz?
Gipfel Zugspitze
Ich bin nicht wirklich talentiert, wenn es um Gipfelrast geht. Am liebsten bleibe ich ständig in Bewegung – der Gipfel eines Berges war für mich noch nie ein wirklich erstrebenswerter oder gemütlicher Ort. Viel mehr empfinde ich ihn einfach als einen Punkt in einem langen Weg. So richtig genießen kann ich dort oben auch nicht wirklich. Dafür beschäftigt mich der Abstieg und der Weiterweg zu sehr und das Ziel ist stets das Ende der Tour im Tal. Keine Ahnung warum ich so bin. Heute ist es natürlich ganz besonders ausgeprägt, denn anders als sonst habe ich heute wirklich noch einen Großteil der Tour vor mir liegen.
Mehr aus Anstand verweile ich kurz am Gipfel und verabschiede mich dann in Richtung Morgenröte. Ob ich ohne ihre Begeisterung einen Fuß auf den Grat gesetzt hätte? Wahrscheinlich. Aber nicht sicher. Ich sehe es gerne so, dass meine kurze und flüchtige Bekannschaft mir hier unwissentlich genau den kleinen Schubs verpasst hat, den es gebraucht hat.
Einstieg Jubiläumsgrat
Vom Gipfel der Zugspitze folge ich dem Pfad auf der Gratschneide zu dem weißen Schild mit der Aufschrift Jubiläumsgrat. Direkt dahinter leiste ich mir den einzigen “gröberen” Versteiger der Tour, indem ich mich etwas links unter der Kante durch eine brüchige Nische über dem Höllental hangel. Keine Ahnung was mich da geritten hat – der dahinter liegende Grat sah so greifbar aus. Korrekterweise wäre es aber direkt über das kleine Türmchen gegangen, das ich damit heikler als notwendig umgangen bin. Dann erreiche ich die hier meist noch relativ breite, schotterige Pfadspur auf dem Kamm und folge ihr direkt auf die tiefrote Sonne zu, welche sich nun langsam hinter Hochblassen und Alpspitze hervorschiebt.
Und plötzlich bin ich allein und mitten im Alpenglühen auf einem der begehrtesten Grate Deutschlands. Der Zugspitzgipfel ist bereits hinter den Erhebungen verschwunden, folgen tut mir heute niemand. Vor mir liegt der knallrote und verwinkelte Gratverlauf zur Alpspitze, welcher Mal ganz kurz und mal unendlich lang und kompliziert erscheint. Perfektes Timing und vielleicht sogar ein perfekter Tag? Zwar liegt noch so ziemlich alles vor mir, aber ich merke bereits an den ersten schmaleren Kraxelstellen und bröseligen Querungen, dass ich mich heute auf mich verlassen kann. Jeder Tritt sitzt, jeder Griff passt, der Kopf ruht und der Fokus liegt völlig auf dem gelben Wettersteinkalk.
Als hätte ich plötzlich alles, was ich in den letzten Jahren gelernt habe parat. Mir kommen wieder die Tränen. Die fragile Schönheit des Moments mischt sich mit einem Schwall aus Selbstvertrauen und Stolz. Weil es für mich nicht selbstverständlich ist in diesem Stil hier zu sein. Die Zeiten, als ich ohne konkrete Bedrohung mit Panik in diesem Gelände blockiert hätte sind noch nicht so lange her. Und auch die Zeiten in denen ich aus Sorge und Zweifel definitiv keine Freude an dieser Tour gehabt hätte. Und jetzt?
Das erste Stück bis zur glatten Rinne läuft sich sehr entspannt, da der Grat hier relativ gleichmäßig und übersichtlich ist. Häufig balanciert man direkt auf der Schneide zwischen Zugspitzplatt und dem wesentlich bedrohlicheren Höllental, manchmal weicht man aber auch ein Stückchen auf die Südseite aus. Die Orientierung ist hier dank deutlicher Pfadspur einigermaßen einfach. Viel früher als erwartet – immer noch mitten im Sonnenaufgang – spaziere ich also an dem großen Abseilring vorbei, der den Abbruch in die glatte Rinne markiert. Mit Seil könnte man hier auch abseilen – dass das so richtig viel Sinn hat, wage ich aber zu bezweifeln.
Glatte Rinne / Schlüsselstelle Jubiläumsgrat
Die glatte Rinne ist im allgemeinen Konsens die Schlüsselstelle des Jubiläumsgrates. Zumindest wenn man potentiell ungesicherte Kletterei als den schwierigsten Aspekt ansieht. Kurz vor Ende des Grates wartet an der Vollkarspitze noch eine Klettersteigpassage der Schwierigkeit “D” – die bei Mitnahme eines Klettersteigsets aber natürlich deutlich entschärft ist. Bei einer Tour in diesem Umfang einzelne Schlüsselstellen zu benennen ist aber ohnehin Quatsch – weder die glatte Rinne noch die Vollkarspitze sollten den Aspiranten nennenswert beeindrucken.
Ich habe – perfektionistisch wie ich bin – viele Videos dieser Stelle gesehen und noch mehr Berichte gelesen. Fast alle waren sich einig, dass es sich hier um keine III- handelt. Ich werfe einen Blick in den kurzen, mit Trittstiften entschärften Spalt. Direkt in der Draufsicht steht fest, dass es hier heute überhaupt keine Probleme geben wird. Das Gelände ist nach Süden zwar steil – Absturzgelände würde die Fachliteratur sagen – aber definitiv nicht senkrecht oder nennenswert ausgesetzt. So lässt sich hier ziemlich entspannt und konzentriert abklettern. Viel spannender als die Rinne ist dann eine kurze, etwas unübersichtliche Querung, die sich ohne Hektik aber auch angenehm auflöst und ziemlich festen Fels mit nicht allzu großen aber soliden Griffen und Tritten bietet. Wenig später stehe ich schon wieder auf dem scharfen Grat und gucke zurück. Easy.
Wer abseilt verliert – subjektive Einschätzung – viel zu viel Zeit und darf danach auf einem viel schmaleren und exponierteren Gratstück sein Seil abziehen und verstauen. Hier ginge sich zwar bestimmt irgendwo ein Köpflstand aus, so richtig “sicher” oder praktisch ist das Manöver aber nicht. Das Niveau der glatten Rinne wird im weiteren Verlauf immer wieder gefordert werden – meist aber ohne Abseilmöglichkeit. Und so bleibt bei mir der Eindruck, dass man sich an der glatten Rinne die Eintrittskarte für den Jubiläumsgrat zieht. Sollte es dabei zu Schwierigkeiten kommen, muss man sich sehr gut überlegen, ob man weitergehen will. Denn obwohl bis hier auf dem Papier schon einige Strecke gemacht wurde – die Komplexität des Grates nimmt ab der glatten Rinne relativ schlagartig zu und das Vorankommen wird durch ein reges Auf und Ab erschwert. Der Abschnitt bis zur glatten Rinne dürfte beinahe der schnellste, direkteste und einfachste sein.
Direkt hinter der glatten Rinne wird ein schmaler, brüchig anmutender Gratabschnitt überwunden, der zu einer bizarr geformten und nach Süden überhängenden Erhebung führt. Diese wird – mit roten Punkten schwach markiert – frontal im II. Grad erklettert und führt nochmal kurz auf eine etwas breitere und angenehme Passage. Bereits hier fällt auf, dass viele der ganz verrückten Türme südseitig gequert werden. Im Zweifel macht es also immer Sinn mal zu gucken, ob nicht etwas tiefer rechterhand eine Spur oder Steinmänner zu erkennen sind. Der Jubiläumsgrat ist an den meisten Stellen mit Steinmännern markiert – viele und auch längere Abschnitte im leichten Gelände müssen aber auch frei und logisch interpretiert werden. Hin und wieder lassen sich auch schwache rote Punkte ausmachen. Ganz oft – so scheint es – gibt es mehrere Varianten und man hat die auf normalen Wanderungen rare Freiheit, Schmied seines eigenen Glückes zu sein. Und auch die üppigen Steigeisenspuren lassen einen häufig zumindest darauf schließen, ob man gerade auf dem rechten Weg oder inmitten einer Erstbegehung ist.
Dann wird’s scharf. Relativ rasch zieht sich der Grat merklich zusammen und bietet weniger Möglichkeiten zum ausweichen. Noch vor dem ersten nennenswerten Aufschwung gibt es ein paar sehr exponierte (aber leichte) Gratabschnitte und die Wegführung wird kühner und verwinkelter. Dann tauchen die ersten Drahtseilversicherungen auf, welche kurze Stellen überbrücken. Dazwischen liegt ähnlich schweres Gelände ohne jegliche Versicherung.
In Erinnerung geblieben ist mir eine schmale Kante, die etwas exponierter und kniffliger auf der rechten Seite abgeklettert werden musste. Eine andere Kante, welche Hannah wohl frontal und luftig durchaus beeindruckend fand umgehe ich viel leichter nordseitig. Es ist eines der ganz wenigen Ausweichmanöver nach Norden – lohnt sich an der Stelle aber durchaus und wäre auch markiert. Grundsätzlich würde ich behaupten, dass der Abschnitt zwischen glatter Rinne und innerer Höllentalspitze relativ komprimiert für die meisten und kühnsten Kletterstellen auf engem Raum sorgt und wahrscheinlich als anspruchsvollster Abschnitt durchgeht.
Irgendwann verliert man – und ich meine gehört zu haben, dass es vielen so geht – ein wenig den Blick auf’s große Ganze. Das kann natürlich auch daran liegen, dass man in den teils tiefen Scharten zwischen den unzähligen Türmchen und Windungen tatsächlich nicht mehr allzu viel sieht. Und wenn sich dann Pt. 2625, die erste brauchbare Erhebung mit Gegenanstieg vor einem aufbaut ist man geneigt, diesen für die innere Höllentalspitze zu halten. Großer Fehler. Ich falle natürlich auch drauf rein. Zumal bereits aus der ferne links des Aufschwungs ein Klettersteig auszumachen ist. So ähnelt dieser Aufschwung auf dem Papier ziemlich exakt dem der inneren Höllentalspitze. Nur halt in Miniatur. Was einem aber erst beim erreichen des “Gipfels” auffällt.
Denn dann baut sich – bei meiner Begehung durch Licht und Schatten verstärkt – die innere Höllentalspitze unverkennbar, abweisend und hoch vor einem auf.
Innere Höllentalspitze
Der Anstieg auf die innere Höllentalspitze entfaltet sich als noch länger, als in der Draufsicht abzuschätzen. Wie so oft manifestieren sich die Details des Gratverlaufs erst kurz vorher und so stellt man nach einigen scharfen Abkletterpassagen fest, dass nun nochmal ein weiter, brüchiger Abstieg nach rechts wartet und die Scharte zur inneren Hölle ein gutes Stück tiefer liegt als erhofft. Ungefähr 60 Höhenmeter verliert man um dann knapp über 100 Höhenmeter Gegenanstieg an der inneren Höllentalspitze zu absolvieren. Auf Wanderwegen sind das kleine Dimensionen, im verwobenen Kraxelgelände durchaus eine markante Stelle, die es in der Größenordnung nur einmal am Jubiläumsgrat gibt.
Kurz gestuft und griffig im Fels anklettern, kleiner plattiger Schwenk nach rechts, markante schiefe Verschneidung nach links. Dann beginnt die Drahtseilpassage, die auf den Gipfel der inneren Höllentalspitze führt. Der erste wirkliche Meilenstein. Und was für ein Flow das heute ist. Nichts tut weh.
Ich bin so im Fluss, dass ich den Gipfel überrenne und mich direkt in den nun wieder breiteren und leichteren Abschnitt zur mittleren Höllentalspitze schwinge. Ein richtiges Frühstück gab es neben dem Apfel auf der Zugspitze noch nicht, irgendwie fehlt mir dafür aber gerade auch die Ruhe und der Hunger. Und da ich mit meiner Performance noch relativ zufrieden bin tragen mich nur ein paar Schlücke Wasser über den Grat. Viel zu spät fällt mir ein, dass ich Hannah ja mein Vorankommen wissen lassen wollte. Einen kleinen Spaß kann ich mir nicht verkneifen. Sie wusste, wie unsicher ich mir mit der Aktion war.
Ein paar Querungen später – in diesem Abschnitt dominiert die schotterige Südseite das Geschehen – hänge ich schon in den Drahtseilen zur mittleren Höllentalspitze, wo ich zwei Bergsteiger einhole.
Mittlere Höllentalspitze
Die beiden (ich habe eure Namen leider vergessen) sind total freundlich und überschütten mich erstmal mit Komplimenten zu meinem Vorankommen im Gelände. Wenn mein Selbstvertrauen bis jetzt nicht schon ausreichend gestärkt war – spätestens jetzt tragen mich auch die Worte der beiden über den Grat. Als wir ein bisschen quatschen, erzählen mir die beiden ihre durchaus wilde Geschichte. Denn irgendwie hätten sie sich wohl mit jemandem treffen wollen, der beim Weg auf die Zugspitze in der Riffelscharte gelandet ist. Und irgendwie haben die beiden dann mangels Zeit auch die Biwakschachtel nicht mehr erreicht und etwas unfreiwilliger unter freiem Himmel früher am Grat biwakiert. Vermutlich auf dem Biwakplatz auf der Erhebung vor der inneren Höllentalspitze. Auch seien sie etwas am Limit, was Schwierigkeit und Wasservorräte angeht und hätten für heute aber noch die Flucht nach vorne und zur Alpspitzbahn vor.
Ich denke kurz nach und erinnere mich an die etwas abwegigen 5 Liter (und damit 5 Kilo) Wasser, die ich seit Ehrwald im Rucksack herumtrage. Eine 1l Flasche wechselt kurzerhand den Besitzer. Ich hab weniger Gewicht und immer noch genug Wasser für den Rest des Tages. Und die beiden hoffentlich ein Problem weniger. Es gibt nichts Übleres als dehydriert am Berg zu sein. Ich wünsche ihnen einen guten und sicheren Weiterweg und gebe mich wieder der Rastlosigkeit hin.
Ich habe auch zu danken. Für den Motivationsschub, der mich bestimmt bis zur Vollkarspitze in meinem heute nahezu irrwitzigen Flow gehalten hat. Das wissen die beiden aber natürlich nicht. Für sie war ich wahrscheinlich irgendein Local, der mal kurz über den Jubi läuft. Wahrhaben will ich das noch nicht. Ich bin der mit den Panikattacken. Ich bin der, bei dem das Training nicht wirklich anschlägt. Ich bin der, der zweifelt.
Biwakschachtel am Jubiläumsgrat
Landschaftlich ein Traum. Ich hoffe das geht nicht unter zwischen all dem Innenleben und Wegbeschreibung. Der Jubiläumsgrat ist vielseitig, spektakulär und in vielen Abschnitten auch schlicht traumhaft schön. Glücklich ist, wer sich in dem Gelände so wohl fühlt, dass er die wilde Gebirgslandschaft noch voll wahrnehmen kann. Die Biwakschachtel ist schnell erreicht, ich werfe den kurzen und obligatorischen Blick hinein und nehme den kurzen und einfachen Aufschwung zur äußeren Höllentalspitze in Angriff.
Äußere Höllentalspitze
Hinter der äußeren Höllentalspitze wird der Grat wieder schärfer und verwinkelter. Das Stück bis zur Vollkarspitze – dem wilden Haifischzahn im Gratverlauf – ähnelt im gröbsten dem zwischen glatter Rinne und innerer Höllentalspitze. Allerdings gibt es hier einen Hauch mehr Stahlseile und die Höhenunterschiede fallen kleine aus. Dennoch – wer im leichteren Gelände um die Biwakschachtel ein wenig den Fokus verloren hat, sollte ihn hier schnell wiedergewinnen. Ein paar kurze Passagen sind nochmal massiv ausgesetzt und auch die speckigen, steilen Kanten mit Stahlseilen sind kein absoluter Selbstläufer. Es sind nur 700 Meter bis zum Gipfel der Vollkarspitze – diese sind aber wieder anspruchsvoll und damit etwas zeitintensiver.
Gleichzeitig rückt hier aber auch erstmals das Ziel, die Alpspitze, in sehr greifbare Nähe. Vom Gratverlauf her erinnere ich mich an diesen Abschnitt als einen der schönsten. Leider habe ich dafür relativ wenige Bilder gemacht. Es gibt durchaus nochmal ein paar eindrucksvolle Stecken zum Klettern – ich erinnere mich an eine scharfe, luftige aber herrliche griffige Kante. Und zwischen dem gelben Bruch führt oft eine plattige, feste und messerscharfe Gratkante durch das Gelände. Wenn man hier bereits müder wird kann ich mir aber vorstellen, dass dieser Abschnitt nochmal gnadenlos zäh sein kann. Denn so nah wie sie aussieht ist die Alpspitze noch nicht. Dann wird aus herrlich schnell sch***e und aus luftig schnell gruselig. Ich spüre immer noch keine Anstrengung und habe den Spaß und die Tour meines Lebens. Keine Ahnung was heute los ist. Diese Tour ist eine von ganz wenigen. Es sind die Momente, die man immer jagt und dennoch nur selten bekommt. Die Momente in denen alles stimmt. Völlig hier, völlig jetzt, ehrlich wach. Das letzte Mal, dass ich sowas empfunden habe war an der Delagokante. Das ist über ein Jahr her. Und auch bei fast schon inflationärer Betätigung am Berg sind solche Tage das heiligste und seltenste Gut, welches sich niemals planen oder erahnen lässt.
Genau das treibt mich an, genau das lockt mich vor die Tür. Du weißt nicht, wann dieser Tag ist. Aber er kommt bestimmt nicht mit Netflix im Bett.
Vollkarspitze
Ich hatte ein Klettersteigset dabei. Wenn ich mich mit der Tour für mein defensives Ich schon derart aus dem Fenster lehne, dann wenigstens mit Klettersteigset für die D-Passage an der Vollkarspitze. Und ich bin ganz ehrlich – ich bin auch relativ froh drum. Die Stelle ist nicht “schwer”. Zumindest nicht im Sinne eines Sportklettersteigs. Wer am Fingersteig, Pidinger oder ähnlichen unterwegs war, hat schon andere D-Stellen gesehen. Dennoch ist der Aufschwung sehr exponiert, sehr speckig und einigermaßen ausdauernd. Die ersten Meter zu den Sprossen sind die technisch schwierigsten, einmal darf ordentlich angezogen werden. Aber auch danach geht es teils kräftig und glatt an der Kante entlang. Jedem, der sich seiner Sache nicht 100% sicher ist, würde ich die Mitnahme bei aller Gewichtsreduktion empfehlen. Auch wenn man es sonst nirgends benötigt und der Jubiläumsgrat (natürlich) kein Klettersteig ist. Denn bei einer so beliebten Tour – was ist mit nicht unwahrscheinlichem Gegenverkehr in der Stelle? Ich bin froh, mir diesen Stress einfach grundsätzlich gespart zu haben. Der Gipfel der Vollkarspitze ist dann tatsächlich auch einigermaßen schnell und sicher erreicht – neben dem steilen Klettersteig der genau so ist wie er aussieht, gibt es nämlich keine nennenswerten Überraschungen mehr.
Der Abstieg von dem exponierten und schmalen Gipfel ist dann wieder wesentlich spannender und erfordert bis zum nächsten Stahlseil ein wenig konzentrierte Kletterei auf Platten mit leichtem Geröllbelag. Einfach bestes Gelände. Schockieren dürfte einen hier aber wirklich nichts mehr.
Ende Jubiläumsgrat
Auch hier gilt es nochmal ein wenig mit seinen Erwartungshaltungen zu spielen. Auf der einen Seite – das Schild am “Ende” des Grates ist nun mit einem kurzen Aufschwung schnell erreicht. Auf der anderen Seite – bis zur Alpspitze ist noch einiges zu tun und obwohl die beidseitige Exposition in der Flanke unter dem Gipfelaufbau des Hochblassen erstmal nachlässt wird das Gelände nur unwesentlich einfacher.
Dennoch – von mir fällt einige Anspannung ab, als ich an dem Schild, dessen Zwilling ich vor einigen Stunden an der Zugspitze passiert habe, vorbeikomme. Im abfallenden Schottergelände bin ich lustigerweise ziemlich schnell. Wenn ich was kann, dann geneigten Schotterschrott abklettern. Und so hole ich relativ schnell eine Gruppe ein, die ich auch auf dem Grat gesehen habe. Die beiden Stellen sich als Benni und Sara vor und sind heute zum Sonnenaufgang aus der Biwakschachtel gestartet. Als sie hören, wo ich herkomme, erkundigen sie sich nach den beiden Männern, die ich an der mittleren Höllentalspitze überholt hatte. Am Vortag waren sie sich begegnet und hatten sich bei ihrer Nacht in der gemütlichen Biwakschachtel durchaus auch Gedanken über die beiden am Grat gemacht.
Wir gehen ein Stück gemeinsam und wieder sind es Worte, die mich weitertragen. Zum einen Lob für meine spontane Wasserspende. Zum anderen Respekt für mein Tagwerk. Auch für sie bin ich der schnelle, hüpfende Local. Ich weise natürlich darauf hin, dass es ganz andere schnelle und hüpfende Locals gibt. Die beiden glauben mir nicht.
Und so waren es am Ende aber die drei Begegnungen, die mich auf diesem Tag begleitet haben. Die Bergsteigerin im Stopselzieher und auf der Zugspitze, die mich nicht nur durch den Zustieg gejagt hat sondern dann auch den ersten Stoß in Richtung Jubi gegeben hat, den ich mir Nachts im Auto nichtmal erträumt hätte. Die beiden auf dem Grat, die mich an der richtigen Stelle daran erinnert haben, dass wir hier in wildem, fragilen und für viele auch schlicht schwerem Gelände unterwegs sind. Und deren Tag ich mit einer Wasserflasche auch im kleinen Stil erleichtern konnte. Und am Ende Sara und Benni, die mich zwischen den Zeilen auch daran erinnert haben, dass man einfach mal stolz sein darf. Dass man sich nicht immer vergleichen muss und nicht jede Leistung geschmälert werden muss. Ich glaube keiner von ihnen hat mitbekommen, wie wertvoll diese kleinen Begegnungen in der ziemlich sensiblen Stimmung des Tages für mich waren. Für sie alle war ich ein kleiner, hüpfender Punkt im Felsenmeer. Für mich waren sie Puzzlestücke im allerschönsten Tag, an dem ihre positive Stimmung auf mich abgefärbt hat.
Später – im Trubel, Gedränge, Lärm und Geplärre der Alpspitze wird mir erst klar, wie respektvoll und intim die kurzen Begegnungen am Jubiläumsgrat im Vergleich zu dem Wahnsinn der hier herrscht waren.
Alpspitze Südgrat
Aus dem Schotterfeld unter dem Hochblassen geht es zeitnah nochmal nach rechts an eine Engstelle unter den gewaltigen Nordabbrüchen. Hier führt eine kurze, ansteigende Rinne über die Erhebung, die den Ausläufer des Südgrats der Alpspitze bildet. Am tiefsten Punkt sinkt dieser zur Grieskarscharte ab. Hier bietet sich nach links über das Mathaisenkar auch die erste Möglichkeit einen Abstieg anzutreten, wenn man den Gegenanstieg zur Alpspitze nicht mehr auf sich nehmen will.
Und jetzt – ganz langsam – kriecht auch eine gewisse Erschöpfung in meine Beine. Zumindest könnte man auf der Alpspitze mal was essen. Nur so als unverbindliche Idee. Den Südgrat auf die Alpspitze habe ich etwas unterschätzt. Er ist zwar an vielen Stellen mit Stahlseilen entschärft, hat aber auch nochmal ein paar luftige, speckige und kraxelige Ecken. Vor allem aber gilt es nochmal einige Höhenmeter zu überwinden. Ich hatte mit etwas weniger gerechnet. Ich habe hier aber bisher auch nur einige Male im Winter runtergeguckt. Da wirkte die Grieskarscharte zum Greifen nah. Naja. Passiert.
Nur ganz wenig später ist die Alpspitz und der mit ihr verbundene Zirkus erreicht. Der Blick über die Schulter und zur fernen Zugspitze lässt Alles anzweifeln, was in den letzten Stunden passiert ist. Zumal die Tour ja nicht auf der Zugspitze begonnen hat.
Ich will gar nicht wissen, wie viele den perfekten Herbst- und Feiertag nutzen um nun mit Gondelunterstützung über den Jubi zu stürmen. Stets den Druck im Nacken die letzte Talfahrt der Alpspitzbahn zu erwischen. So einen Jubi würde ich nichtmal geschenkt wollen. Mein Jubi war anders. Ich würde es nie anders machen. Dankbarkeit für jede Entscheidung, die zu diesem perfekten Tag am Berg geführt hat.
Alpspitze Ostgrat
Ich knabber an meinem ordentlich in Mitleidenschaft gezogenen Brot, während Salven von Klettersteiggehern aus der Alpspitz-Ferrata ploppen. Eigentlich wollte ich sie als Abstieg nehmen. Schon vom Südgrat konnte ich aber einen Blick in die Querung erhaschen und sofort sehen, dass das nichts wird. Ich habe keine Lust gegen den Strom durch den völlig überlaufenen Steig zu kraxeln. Dann lieber mit dem Strom schwimmen – in einem Gelände das Überholmanöver unterstützt. Ich rausche den oben weitläufigen und schotterigen Ostgrat hinab. Eh interessant – kenne ich noch nicht. Zum Beispiel wusste ich nicht, dass der Weg unten nochmal hübsch und schmal auf ein scharfes Gratstück führt. Eigentlich hübsch, interessiert mich auch im Winter als Skitour.
Die untere Stufe klettere ich dann im Gelände neben dem Weg ab, da dort ziemlich ernster Stau ist. Ich hab’s zwar nicht mehr sonderlich eilig bin aber immer noch im Fluss und die schönen, festen und griffigen Kalkplatten bieten einen schönen Kontrast zum eher würfeligen und nicht immer vertrauenserweckenden Jubiläumsgrat. Als ich an den Abzweig zum Nordwandsteig gelange, lacht mich dieser nicht wirklich an. Auch Stau. Und überhaupt, was will ich denn am Osterfelderkopf. Mein Lieblingsabstieg von der Alpspitze (und dem gesamten umliegenden Terrain) führt definitiv über den Jägersteig, welcher kurz vor dem Kreuzeck aus dem Skigebiet abzweigt und in Hammersbach endet. Auch heute will ich ihn nehmen. Da macht ein Abstieg über die Schöngänge, einem leichten Klettersteig neben der Bernadein-Nordwand wesentlich mehr Sinn.
Bernadeinkopf
Nachdem ich eh schon da bin, nehme ich den kurzen Gegenanstieg zum Bernadeinkopf mit. Es ist ein wenig pervers – aber ich funktioniere sowohl im Abstieg wie im Aufstieg weiterhin einwandfrei. Und das Ding liegt wirklich auf dem Weg. Irgendwie fasziniert es mich auch. Keine Ahnung was es heute bräuchte, damit ich keine Lust mehr habe. Einmal kurz runtergucken. Hier kommt der Mauerläufer-Steig also raus. Vor zwei Jahren wäre das das höchste der Gefühle gewesen. Inzwischen habe ich so viel Zeug im Kopf, dass dieser schwere Klettersteig fast nicht mehr in meinen Listen auftaucht.
Schöngänge Klettersteig
Ich hole den Helm nochmal kurz aus dem Rucksack und steig in den Schöngänge-Klettersteig ein. Auch dieser ist neu für mich – und auch dieser ist im Winter bestimmt ganz lustig. Auf jeden Fall kommt er mir ein wenig schwieriger vor als die Alpspitz-Ferrata und ist neben den beeindruckenden Nordwänden bestimmt eine ziemlich tolle Tour um in die Kunst des Klettersteigens hineinzuschnuppern. Ein paar Gruppen kommen mir entgegen – zwei von ihnen Fragen mich ob es noch weit sei und ob sie die Gondel ins Tal schaffen würden. Ersteres kann ich beantworten.
Ich verliere schnell an Höhe in dem schrägen Band mit Stahlseilen und Trittbügeln. Dann führt der Steig kurz nach rechts und über eine letzte Stufe in die grüne Wiese, die im Winter eine Skipiste ist. Das war er also. Nach 14 Kilometern und 2500 Höhenmetern der letzte Felskontakt.
Abstieg
Ich mache mich an den Abstieg. Zum Glück habe ich Stöcke dabei. Ein kurzer Blick zurück auf die tollen Wände ringsum. Der Jubiläumsgrat ist lange nicht mehr zu sehen. Die Zugspitze erst recht nicht. Ehrwald gleich gar nicht. Völlig wild. Dann geht es gemütlich auf der breiten Forststraße zur Hochalm. Dann weiter in Richtung Kreuzeckhaus, wobei ich an der Liftstation der Längenfelderbahn auf den kleinen, nicht wirklich markierten und etwas versteckten Jägersteig abbiege.
Hier geht es genüsslich in Serpentinen ins Tal. Es ist ruhig, Blätter rascheln, Vögel singen, Delfine springen. Wenig später stehe ich in Hammersbach am Eingang ins Höllental, wo schon viele große Touren begonnen und geendet haben. Die heute wird allerdings einen ganz besonderen Platz einnehmen. Versprochen.
Schwierigkeit, Versicherung und Material
Offizieller Teil: Der Jubiläumsgrat ist kein Klettersteig, ganz schlimm, ganz pfui, ganz anspruchsvoll, nimm dir einen Bergführer.
Inoffizieller Teil: Was soll ich groß sagen. Da ich hier einen persönlichen Blog verfasse und keinen Tourentipp anbiete oder ein Wanderportal bin, muss ich zu keinem neutralen und für jeden gültigen Urteil kommen. Ich denke die Gedanken aus meiner Einleitung treffen das Gebotene durchaus. Wer sich sonst auf beschrifteten Wegen oder versicherten Klettersteigen (egal welcher “Schwierigkeit”) aufhält, für den ist der Jubiläumsgrat ein extrem strammes bis riskantes Ziel. Wer Bergsteiger oder Alpinkletterer ist – und ich meine damit wirklich Bergsteiger im Sinne von T6 und anhaltend wegloses, exponiertes Gelände (nicht die Watzmannüberschreitung) – hat hier eine leichte Idealkraxelei mit Suchtfaktor. Die Wahrheit für die meisten wird dazwischen liegen und es ist an jedem selbst, sich entsprechend einzuschätzen. Klar sein muss dabei nur, dass der Jubiläumsgrat mit schlechter Laune oder anschleichender Erschöpfung gnadenlos anhaltend und trostlos sein muss. Ich hab mir auf dem Weg immer wieder Gedanken gemacht, wie es wohl wäre hier in einer Überforderung oder einen Schwächeanfall zu laufen. Der Notabstieg ist keiner. Der Weg in beide Richtungen lang und kompliziert. Es gibt am Jubiläumsgrat keinen Plan B außer das Gelände wirklich und mit ausreichend Puffer zu beherrschen.
Das heißt in meinen Augen, dass der der III. bis IV. Grad im Fels auf jeden Fall geklettert werden sollte. Nicht, weil man diesen in der Ideallinie braucht, sondern weil das die notwendigen Reserven sind um auch mal einen Versteiger zu korrigieren oder bei Zeitdruck aufs Gas zu drücken. Entscheidend ist vor allem intuitive Wegwahl im sehr alpinen Gelände und ständig wechselnde Geländetypen, die ohne Zögern abgespult werden müssen. Wer an einem luftigeren Gratabschnitt ohne Stahlseil ein Kletterseil auspackt, abseilt oder Umgehungen sucht wird zu viel Zeit verschwenden. Wer im leichten Schotter und Bruchgequere der Südflanken eine Markierung oder einen Steinmann sucht um seine Wegwahl zu bestätigen wird zu viel Zeit verschwenden.
Für mich persönlich – mit den Touren, die ich bisher gegangen bin – war der Jubiläumsgrat leichter als erwartet. Ich hatte mich auf durchgehende Exposition eingestellt und überraschend viel “weiches” Gelände und komfortable Querungen rechts des Grates vorgefunden. Gerade im Mittelteil gab es für mich überraschend viel Geh- und Laufgelände. Die wirklichen Kletterstellen würde ich auf ungefähr 8 Stück beziffern. Also Stellen die wirklich ein paar Züge an Griffen und etwas Umsicht erfordern. Davon waren in meinen Augen nur 2-3 exponiert und auch diese weniger als befürchtet. Dazwischen wird sehr konstant durch Absturzgelände gequert und der I-II. Grad ziemlich regelmäßig weggedrückt. Die Länge hatte ich – die vielen Berichte im Hinterkopf – eher überschätzt als unterschätzt. Lediglich der Abschnitt bis zur inneren Höllentalspitze ist trickreich und länger als vermutet. Danach löst sich der Grat – genug Ausdauer und gleichbleibendes Tempo vorausgesetzt – für mein Empfinden vergleichsweise rasch auf. Der Gegenanstieg auf die Alpspitze zieht sich dann aber nochmal.
Am ehesten vergleichbar finde ich die Tour mit der Überschreitung der Dreitorspitzen. Die Arnspitzen-Überschreitung (oft als Jubiläumsgrat-Alternative gehandelt) ist nach einer etwas dämlichen Markierungsaktion keine wirklich würdige Vorbereitung mehr, den Watzmann habe ich viel einfacher in Erinnerung.
Fazit
Ich war heute durchaus überwältigt von mir selbst. Aber vor allem war ich überwältigt von der Schönheit dieser Gratlinie und der surrealen Einsamkeit in der ich sie erleben durfte. Der Jubiläumsgrat war die Summe vieler, vieler Tourentage im Gebirge und war für mich zwar stets innerhalb der Komfortzone – wohlwissend, dass aber wirklich jeder Aspekt gefordert wurde. Schmale Grate, steile Aufschwünge, konzentriertes Abklettern, glatte Reibungsplatten, brüchiger Fels, teils fordernde Wegfindung, Kamine und Verschneidungen, rupfig-rustikale Klettersteige, brüchige Pfade, Schotter, Stellen mit Schnee und Eis. Wer sich mit all dem – idealerweise gleichzeitig – anfreunden kann, kann hier eine fantastische Kletterei im dann “leichten” Gelände erwarten.