Es ist schon etwas länger her, dass ich in einer abendlichen Suche nach Touren über die Delagokante gestolpert bin. Zu einer Zeit, als Alpinklettern und Mehrseillängen noch absolut nicht zu meinem Repertoire gehörten definitiv lesenswert. Mehr aber nicht. Problem anderer Leute. Irgendwas mit super ausgesetzt, schwindelerregende Bilder, wilde Topos und Hinweise auf schlechte Versicherung. Ja nett. Verrückt was Manche so machen.
Dass ich nichtmal ein Jahr nach meinen ersten längeren Klettersteigen und nur 4 Monate nach einem Grundkurs Felsklettern im Klettergarten an diesem wilden Türmchen hänge, hab ich nicht kommen sehen. Aber der Reihe nach.
Seit der Plan mit dem kurzen Klettertrip nach Italien und in verschiedene Ecken der Dolomiten bestand, war auch die Delagokante oder Spigolo Piaz am Torre Delago auf der Liste gelandet. Die Route wurde 1911 von Giovanni Batista Piaz, Irma Glaser und Francesco Jori erstbegangen und hat sich seitdem mit ihrer schwindelerregenden Kühnheit zu einem absoluten Klassiker entwickelt. Sie sollte das Finale der drei Tage und drei exponierten Türmchentouren bilden, da sie in der Recherche am wenigsten trivial schien und die gebündelte Erfahrung der vorherigen Kletterrouten erfordern würde. So zumindest die Theorie. Zusätzlich gepaart mit einem großen Vorbehalt. Man kann sich die Ecke ja mal anschauen. Der Rosengarten ist ja auch sonst ganz schön. Man müsse das ja nicht so machen.
Am Delagoturm führt die Spigolo Piaz oder Delagokante etwa 100 Höhenmeter in vier homogen relativ kurzen Seillängen von etwa 30 Metern auf den Gipfel. Dazwischen wird nochmal sehr homogen der vierte Schwierigkeitsgrad abverlangt. Es ist selten deutlich leichter, aber auch nie schwerer.
Wir kommen im Rifugio Vajolet – gute 400hm unter dem Delagoturm und 700hm über dem Talort unter. Mit der kurzen Vorlaufzeit von einer Woche eh eine ganz gute Sache. Das Wetter am Folgetag lässt aber keine entspannte Tour am Morgen zu und fordert einen Alternativplan: Hüttenzustieg, ein paar Sachen ablegen, Zustieg zum Turm, Klettern. In Summe keine ganz große Unternehmung, aber doch mehr als man morgens vom Rifugio ausgehend hätte haben können – und damit auch ein kleines Maß an Ungewissheit. Weil den klettert man ja eigentlich eh nicht wirklich. Der Rosengarten ist ja auch sonst ganz schön.
Bereits im Zustieg von Municon qualifiziert sich nach jeder Kurve eine neue Felsnadel als potentieller erster Blick auf den Torre Delago. Tatsächlich braucht es trotz kombiniertem alpinen Spürsinn bedenklich viele Kurven, bis wir all unsere Torri auf ein paar wenige Kandidaten runtergebrochen haben.
Nach 1h 30 Minuten erreichen wir mit einer beträchtlichen Flut an Menschen das Rifugio Vajolet. Bestimmt wollen die auch alle klettern. Wir schmeißen unnötigen Ballast ins Rifugio und starten am frühen Nachmittag mit 10423978327896 Anderen in Richtung Santnerpass. Das Bild dazu ist unnötig dynamisch – so hat es sich nicht angefühlt. Nach den sehr heißen 700 Höhenmetern Zustieg zum Zustieg sind die ebenfalls heißen 400 Höhenmeter Zustieg nach dem Zustieg zum Zustieg auch irgendwie nicht so toll. Der steile, schottrige und hoffnungslos überfüllte Weg tut den Rest. Unsere allermeisten Mitstreiter rupfen sich überfordert an den Drahtseilsicherungen hoch. Oder runter. Oder in Richtungen, die jetzt auf den ersten Blick auch gar nicht so sinnvoll sind. Wird schon passen.
An der Hütte angekommen bin ich noch nicht überzeugt von dem Vorhaben. Irgendwie bisschen kaputt. Es ist laut und voll. Das Wetter ist etwas unübersichtlich und Hunger hab ich auch. Letzteres wird mit einer kurzen Brotzeit und gerade noch so vertretbarem Nudelsalat vom Vortag behoben. Und dann geht’s auch schon die kurzen Schwünge durchs Schrofengelände an die Kante. Kann man sich ja mal anschauen.
Den ersten Stand erreicht man zunächst noch mit Steinmännern und schwachen roten Punkten markiert, später dann über den Weg des geringsten Widerstandes in unproblematischer IIer Kraxelei. Wir sind hinter dem Torre Piaz (die kleine Felsnadel zwischen Rifugio Re Alberto und den Vajolettürmen) zunächst noch gerade einige Höhenmeter auf den Torre Delago zugestiegen und dann auf einem erkennbaren Band unter der eigentlichen Wand nach links an den Abbruch gequert. Den hübschen, mit Kette eingerichteten Standplatz kann man fast nicht verfehlen.
1. Seillänge (IV+)
Die erste Seillänge ist wohl auf dem Papier am schwierigsten bewertet. Und tatsächlich – eine relativ knackige IV+ in super Fels, die aber auch als einzige Seillänge zwar steil aber kaum exponiert ist. Im oberen Drittel der Seillänge muss man aber tatsächlich mal kurz innehalten und nachdenken – was wir beim Aufstieg auch schon bei vorangehenden Seilschaften beobachtet haben. Hinter einem sehr schmalen Band folgt ein kurzer, etwas kleingriffigerer und steiler Aufschwung, der auch etwas abdrängend daherkommt. Nachdem Hannah die mit nur wenigen Normalhaken versicherte Seillänge souverän vorgestiegen war, bekomme ich dort direkt Tipps vom 2 Meter höher liegenden Stand. Und ignoriere sie. Und gehe weiter rechts. Dolomitenfels – alle Wege führen zum Stand.
2. Seillänge (IV)
Nun bin ich dran mit dem Vorstieg und darf mir die von uns zuvor definierte Schlüsselseillänge genauer ansehen. Direkt hinter dem 1. Stand steigt man links um die Kante herum und steht ab diesem Moment mit einem doch sehr eindrucksvollen Abgrund unter den Füßen entweder direkt auf der Kante oder auf einer der beiden, nicht wesentlich entspannenderen Seiten. Auf YouTube sieht diese Stelle komplett irrsinnig aus, der typische GoPro Effekt tut seinen Rest und man sieht die Kletterer in schwindelerregenden Höhen Sicherungen legen und sich die schmale Kante hocharbeiten. Tatsächlich möchte ich ein etwas anderes Bild malen. Aber vor allem hatte ich erstmal Glück.
Denn exakt als ich um die Ecke bin und einen kurzen Moment der doch eindrucksvollen Exposition mitgenommen habe zieht eine große Wolke rein und reduziert die Sicht sofort auf angenehme 10 Meter. Nun geht es steil an der Kante hoch, wobei gerade mit einem kühlen Kopf (zum Beispiel weil man den Boden nicht sieht höhö) einige sehr gute Tritte exakt auf der Kante liegen. Auch die Absicherung ist relativ dankbar, die ersten zwei Schlaghaken sind vom Stand aus zu sehen und max. 5 Meter auseinander. Im ersten steilen Aufschwung gibt es zudem noch eine Sanduhr, die ich auslasse weil sie nicht genau in meiner Spur liegt. Weiter oben finde ich eine weitere, sehr große Sanduhr auf / leicht links der Kante. Das Gelände wird kurz leichter (II), es bietet sich Gelegenheit für eine große Schlinge an einem Kopf, bevor eine letzte, aber im Vergleich wenig ausgesetzte, Stufe einige Meter rechts der Kante zum Stand führt. Hier sind nochmal auf einem Meter objektiv ein wenig schwierigere Klettermoves dabei – es steckt aber zumindest bei unserer Begehung ein fixer Friend in einem markanten Riss, in dem man sonst eben irgendwas von seinem Gurt versenkt.
3. Seillänge (IV)
Am Stand angekommen steht für mich fest, dass wir hier genau richtig sind. Ich kann zwar nur von mir sprechen, aber sowohl im Kopf als auch im Klettern sind massig Reserven vorhanden. Hannah kraxelt hinterher und steigt die Verschneidung vor, die wir auch schon vom Wandfuß aus gesehen hatten. Weil die Tour bisher nicht schon perfekt genug war reißt der Wolkenstrom ab, und die surreale Landschaft tritt aus dem Nebel hervor. Von irgendwo erwischt mich ein kurzer, etwas melancholischer “was tust du hier eigentlich” Moment, in dem man kurz aus der Routine gerissen wird und wie von außen auf die Szenerie blickt und erschrocken feststellt: Das ist echt. Das passiert gerade wirklich.
Aber auch nüchtern betrachtet ein sehr eindrucksvolles Schauspiel. Vor allem der mittlerweile weit unter uns liegende Torre Piaz macht eine gute Figur, wie er aus dem Grau herausragt. Aus dem Talboden schallen die Stimmen der unzähligen Wanderer und Hüttengäste zu uns hoch – sehen tun wir nichts. So nah und doch so fern. Denn die Route haben wir für uns alleine. Und das Naturschauspiel auch.
4. Seillänge (IV)
Am Stand flitz ich weiter und führe die letzte ernsthafte Seillänge an, die im Rückblick vermutlich mit den wenigsten Haken ausgestattet ist. Ich weiß zwar wo ganz oben theoretisch etwas hängt – aber das ist auch noch ein gutes Stück weg. Auf dem ersten Vorsprung basteln ich eine etwas gewollte Köpflschlinge, die mir ein paar Meter später schon wieder abhaut. Der gute Wille war da. Ein Klemmkeil in einem großen Riss hält auch nicht. Aber das Gelände ist auch eigentlich unproblematisch. Etwas weiter oben geht eine Sanduhr um einen Klemmblock und der kleine Pfeiler, an dem ich mich hocharbeite entpuppt sich beinahe als die für mich schönste Kletterstelle mit tollen Griffen in leichtem aber interessanten Gelände. Am Übergang vom Mini-Pfeiler auf die Wand steckt auch der Haken, 2 Meter drüber ist schon Stand.
5. Seillänge (III)
Die letzte Seillänge ist dann nur noch irgendwie so Gipfelzeug und zum Abseilstand rüberqueren. Es geht etwas ausgesetzt (im Vergleich zum Rest der Route könnte man auch von einer Forststraße sprechen) über ein kurzes Gratstück. Hier hat man auch erstmals Blick hinter den Torre Delago und auf die andere Vajolet-Türme. Komplett bizarre Säulen – und selbst mittendrin. Und man stellt hier endgültig fest: Der Rosengarten ist ja auch sonst ganz schön. Das Wetter ist wieder ziemlich stabil und wir verbringen fast 30 Minuten alleine am Gipfel, futtern ein paar Riegel und wiederholen uns mit “das war jetzt richtig geil” und “des lief jetzt richtig guad”. Endlich sagt’s mal wer.
Abstieg
Das Abseilen ist nochmal etwas Action und ein bisschen was zum Lernen gibt es sogar auch. Wir entscheiden uns für 3 lange, teilweise freihängende Abseiler. 60m Doppelseil macht’s möglich. Zuerst geht es runter auf einen großen Klemmblock zwischen Torre Delago und Torre Stabeler. Bis dahin alles cool. Hätte ich das Seil nicht so saudoof in den Abseilring eingelegt, dass man durch das Abziehen den Abseilring auf das Seil presst und ein beachtliches Stückchen Reibung erzeugt. Ich mache den Glöckner von Notre Dame und und rupfe das Seil Meter für Meter runter. Andere gehen dafür ins Fitnesscenter. Tatsächlich gut, dass das geklappt hat – hier zu stranden wäre peinlich gewesen. Es sei mir eine Lehre. Und es soll nicht die einzige bleiben.
Wir wechseln Seite. Den Tipp haben wir von einer anderen Seilschaft bekommen, die bei unserem Zustieg gerade aus der Abseilpiste gekommen ist. Wird schon passen. Vielleicht reicht das sogar und man kann den Rest abklettern?
Den dritten Abseiler vergeige ich nochmal ein bisschen und seile sehr gerade und die vollen 60 Meter ab. Es wäre wahrscheinlich geschickter gewesen, sich weiter links zu halten und in mutmaßlich festerem Fels unterwegs zu sein. Wahrscheinlich wäre dort auch die eigentliche Abseilpiste gewesen. Wer weiß. Was ich weiß ist, dass ich beim, wegen dem unübersichtlichen Gelände, sehr schwungvollen Abziehen eine gute Ladung Steine auf uns loslasse. Ein paar der Geschosse doch groß genug für die zweite Lehre des Tages.
Nach wir einem fußballgroßen Felsen ausweichen, den ich mitsamt Seil aus einer Rinne geangelt habe packen wir zusammen und kraxeln noch wenige Meter retour zum Aufstiegsweg. Hinab zum Rifugio Vajolet geht es eher laufend als gehend, die Dusche ruft, wir haben Hunger und bei all den Trailrunnern auf Instagram gilt es natürlich auch mitzuhalten.
Für den nächsten Tag ist Gewitter vorhergesagt – allerdings erst gegen 9:00 Uhr. Einem entspannten, urigen Hüttenfrühstück steht also nichts im
Von Blitz und Donner geweckt ändern wir spontan den Plan, schmeißen unser Zeug zusammen und stehen um 7:00 Uhr, in dem was wir als Regenpause identifizieren, vor der Hütte. Der Abstieg über den bekannten Weg und die breite Straße nach Monzon ist mit nur einer Stunde zwar kurzweilig, aber lang genug um einige Fragen aufzuwerfen. War die Hälfte vom Weg hier schon weggebrochen? Das sah doch gestern noch anders aus, oder? Und überhaupt, der Murenabgang da drüben ist doch auch neu? Mangels Kaffee und Frühstück geht unsere Kreativität so weit, sich auszumalen, dass der Passat, den wir schon relativ geneigt und mit viel Graskontakt geparkt hatten, mit eben einer solchen Mure ins Tal gegangen sein könnte. Als wir nach einer Stunde Abstieg in Angst und Schrecken in Monzon um’s Eck kommen und den Ortseingang und die Straße am Hang einsehen können steht da kein Passat. Sag ich doch. Tragisch.
50 Meter weiter sehen wir ihn dann aber doch und als wir von dem Hang weggekommen sind und die schmalen Serpentinenweg Bäcker entgegen ins Tal hinabrollen, ist das Abenteuer Delagokante vorbei und wir dürfen uns den Titel “Delagotante” (Name der Whatsappgruppe mit der Tourenplanung) offiziell in den Lebenslauf schreiben.
Schwierigkeit, Versicherung & Material
Deutlich besser als erwartet, wenn nicht sogar nahezu ausreichend. Natürlich keine Plaisirkletterei, die Abstände sind groß und man findet zwischen den Ständen nur betagte Normalhaken, dennoch lässt sich mit Schlingen, Sanduhren und (eigentlich nicht) Keilen eine absolut angenehme Kletterei zaubern. Die sehr guten Stände, nehmen wirklich äußerst viel Anspannung raus, die psychische Schlüsselseillänge (2) folgt einer erkennbaren Linie an Sicherungspunkten, die klettertechnisch schwierigsten Ecken (1) sind wenig ausgesetzt, mit zahlreichen Varianten möglich und meiner Meinung nach auch nicht überbewertet.
60 Meter Seile waren gut, die Abseiler sind wirklich lang wenn man schnell runterkommen will. Es gibt aber auch die Möglichkeit mit Einfachseil und deutlich mehr Ständen wieder auf den Boden zu kommen, die Piste ist gut und (Gerüchten zufolge) neu eingerichtet. Schlingen machen Sinn, pro Seillänge haben etwa 2-3 ihren Weg an den Fels gefunden, es schadet nicht ein bisschen Auswahl zu haben. Klemmkeile hatten wir dabei, haben sie aber bis auf einen sehr traurigen Versuch nicht weiter verwendet. Würde ich beim nächsten Mal wahrscheinlich komplett weglassen und nur mit Schlingen und dem fixen Material arbeiten.
Zusammenfassung
Ich würde es wieder tun. Ich glaube die Magie unserer Begehung bestand definitiv darin, komplett alleine zu sein – was hier wohl eher selten ist. Durch den kurzen Zustieg, die generell kurze Kletterzeit und die gute Einsicht in die Route lässt sich eine Begehung gut planen und in ein “günstiges” Fenster legen. Gerade in der Nebensaison, zum Sonnenaufgang oder zum Sonnenuntergang reizt mich diese Route nochmal enorm. Die Kletterei ist sehr homogen und – so mein persönliches Fazit – mit zu vielen Superlativen belegt. Zumindest kann ich von “super abgegriffen” wenig berichten – wer die Kampenwand kennt ist weit schlimmeres gewohnt. Auch die Absicherung fühlte sich vor Ort wesentlich gemütlicher an, als in vielen anderen “gut abgesicherten” Kletterrouten. Und “super exponiert” – ja meinetwegen. Aber auch nur in der zweiten Seillänge und dort auch nicht wilder als an anderen Kanten. Ich komme auf jeden Fall wieder. Und dann stehen da ja auch noch ein paar andere Terrortürmchen rum…
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