Unter all den Wänden und Ecken im Sarctal ist mir das Klettergebiet “Due Laghi” über dem Örtchen Santa Massenza das allerliebste. Meine schönsten und eindrücklichsten Touren fanden hier statt und die in viele plattige Rampen zergliederte Wand über dem türkisfarbenen See fasziniert mich. Mit dieser Einstellung bin ich nicht zwingend in der Mitte der Gaußkurve – gerade in den leichteren Touren kann man hier scheinbar auch gut im Stau stehen oder vegetationsreichen Schmarrn klettern. Die Erfahrungen mit Kletterrouten am Due Laghi sind ambivalent. Davon weiß ich bloß leider noch nichts.
Die für ihren Schwierigkeitsgrad geniale aber entsprechend beliebte “Lo Spigolo Nascosto” durfte ich schon zweimal einsam und reichlich beschleunigt am laufenden Seil begehen. Die durch eine markante Verschneidung führende “Gran Diedro” war zu ihrer Zeit ein großes Abenteuer und bleibt eine meiner besten Klettertouren. Und auch die “Giubileo” – ein kleines Herzensprojekt – wird an meiner Einstellung nichts ändern.
Die Giubileo gibt es seit 2015 und sie stammt von den Erschließern um Grill / Kluckner. Ihre Klettertouren haben sich mit jedem Besuch im Sarcatal mehr als Maß für ansprechende Kletterei herauskristallisiert. Gut – mit bisher sieben Wiederholungen bin ich bestimmt nicht allwissend. Aber die kreativen Linien mit interessanter wie angemessener Absicherung und einem Blick für kleinräumige Highlights stechen aus den sonst erlebten Mehrseillängen im Sarcatal hervor. Wobei das Highlight der Giubileo eher großräumiger Natur ist: das große, makellose und wenig überwucherte Plattenschild dominiert den nördlichen Teil der Wand und ist schon bei der Anreise gut auszumachen. Von den 8 Seillängen, welche 275 Klettermeter überwinden, entfällt die Hälfte auf den Weg durch die kompakte Kalkplatte und bei jeder Tour am Due Laghi fiel mindestens ein Blick auf diese.
An Respekt mangelt es dabei nicht. Die Absicherung soll eher dünn sein und viel Eigeninitiative erfordern. Auf Platten im oberen V. bis glatten VI. Grad kein alltägliches Unterfangen für uns – zumal aus der Distanz nicht abzuschätzen ist, wie es dann vor Ort wirklich aussieht. Und wie weit Grusel und Genuss voneinander entfernt liegen.
Zustieg
Wir starten früh. Zu früh für den gemeinen Sarcatal-Kraxler. Ein Garant für freie Fahrt, menschenleere Wände und minimalen Steinschlag. Der Zustieg ist kurzweilig und Erinnerungen werden wach, als wir zunächst den Einstieg der “Gran Diedro” und kurz danach die “Lo Spigolo Nascosto” passieren. Zur Giubileo werden nochmal knapp 50 Höhenmeter in einigen Serpentinen gemacht, bevor man den charakteristischen blauen Schriftzug am Fuße einer markanten Plattenrampe erreicht.
1. Seillänge (VI)
Die erste Seillänge ist mit stolzen 50 Metern die Längste in der ganzen Tour. Klassischerweise steigt Hannah vor und arbeitet sich in den ersten Sonnenstrahlen zwischen den Bäumchen auf der fast unnatürlichen Gasse hinauf. Zumindest gibt die rund 2 Meter breite Rampe ein surreales und gleichzeitig sehr beruhigendes Bild ab. Durch die relativ geringe Neigung und den fehlenden Tiefblick gelangt man sorglos hinauf und verbindet dabei einige feine Risssysteme über spannende aber gutmütige Reibungspassagen. Wobei die Risse überwiegen und herrlich griffig sind.
Die zwei Bohrhaken stecken an den rechten Stellen und mit Sanduhren und wenigen Friends ergibt sich eine in Summe gut abgesicherte und absicherbare Länge mit einer relativ mittig aufwartenden Plattencrux. In schnurgerader Linie, befreit von jeglicher Seilreibung, erreicht Hannah rasch und flowig den Standplatz. Ein ziemlich gelungener Start – aber es soll ja auch in dem Stil weitergehen und die Luft unterm Hintern wird bestimmt nicht weniger.
2. Seillänge (V+)
Ich erreiche Hannah am Standplatz, der bereits ein winziges Stück über der von der Wand vorgegebenen Baumgrenze liegt und den Blick auf das lange Plattenmeer vor uns freigibt. Wir wechseln die Führung – tauschen reichlich Material – und ich kraxel rasch in die bereits ein wenig steilere 2. Seillänge. Rund 5 Meter über dem Standplatz lege ich den vermutlich besten Klemmkeil meines jungen Lebens – die häufig schmalen aber tiefen und sich verjüngenden Risse eignen sich perfekt dafür. Would whip!
Wobei. Wenn man sich die immer noch geneigte Platte anschaut – besser nicht. Ansonsten kommt die Länge ohne Bohrhaken aus und mit reichlich Abstand weisen einige Sanduhren unterschiedlicher Qualität und ein Normalhaken den Weg. Man könnte sich bestimmt damit aufhalten seinen Gurt ordentlich zu erleichtern und jeden Riss mit einem Klemmkeil oder Friend bestücken – in mir persönlich kommt dieser Wunsch aber nicht auf. Ich fühle mich hier und heute enorm sicher und folge eher der flüssigen Kletterei über die sehr henklige und nicht wirklich schwierige Platte. Kraft benötige ich nirgends. Kühne Reibung auch nicht. Die Risse werfen so perfekte Ruhepositionen und Griffe ab, dass ich beim Blick zurück doch über den einen oder anderen Runout staune. Oder über die Tatsache, dass mir diese absolut nichts ausgemacht haben.
Vielleicht liegt mir das spezielle Gelände oder ich hatte nur einen sehr guten Tag – ich würde aber behaupten, dass sich die V+ hier so genüsslich, ruhig und besonnen steigen lies, wie ich es sonst vom III. Grad kenne. Was man nicht falsch lesen darf. Die Schwierigkeit passt zum Fels. Mein Flow passt nur nicht zur Schwierigkeit.
Ich erreiche den Standplatz an Haken und Sanduhr auf einem schmalen Band und hole Hannah nach. Während sie höher steigt genieße ich die warme Sonne und den hier bereits berauschenden Tiefblick auf den Lago di Santa Massenza. Immer wieder beeindruckend – schönes Due Laghi.
3. Seillänge (VI)
Hannah steigt das vor, was rückblickend wahrscheinlich die anhaltend schwierigste Plattenlänge ist. Zwar befindet sich der eine Bohrhaken wieder ziemlich günstig unterhalb einer kurzen, kniffligen Rechtsquerung – die Kletterei ist aber durchaus kühn, ausdauernd und vor allem sehr technisch. Mit Hektik oder reiner Kraft bestimmt kaum zu lösen und auch mehr oder weniger zwingend zu Klettern.
Im Nachstieg bin ich ziemlich beeindruckt über Hannah’s ruhigen, sorgfältigen und gleichmäßigen Vorstieg. Die Giubileo erfordert für mich persönlich wie keine andere Route bisher eine unverwüstliche Besonnenheit und ruhige, kontrollierte Züge. Welche ich zu meiner eigenen Überraschung heute sogar ziemlich zahlreich an den Tag lege.
Nach dem kurzen Schwenk nach rechts geht entlang eines einfacheren, ansteigenden Bandes nach links zurück zum Standplatz an zwei Bohrhaken.
4. Seillänge (VI)
Wieder wechseln wir die zahlreichen Friends und Keile und ich steige, beflügelt vom bisher Erlebten, in die wieder etwas längere 4. Seillänge. Ganz oben – man sieht es bereits – wartet ein “Dach”. Als ich näher komme, stelle ich aber auch fest, dass es mit einem solchen Dach reichlich reinregnen würde: “Wulst” wäre wohl die passendere Bezeichnung.
Doch bevor ich mich über die überraschend entspannte Kletterei am Dachwulst freuen kann fordert der Weg dorthin seinen Tribut. Mein souveränes Steigen, über das ich gerade noch ziemlich erfreut war, erhält einen kleinen Knacks. Obwohl die breite und offensichtliche Rissspur recht angenehm, griffig und auf dem Papier nicht wirklich schwierig ist, macht mir die Psyche einen kurzen und unerwarteten Strich durch die Rechnung.
Vielleicht weil der letzte Friend nur so 80% geil sitzt. Vielleicht, weil es hier wirklich zum ersten Mal auf langer Strecke kein wirklich vertrauenswürdiges fixes Material gibt und mich auch eine ranzige Sanduhr nicht vollständig überzeugt. Vielleicht weil ich einmal zu hektisch und aus einer unguten Position versucht habe eine Sicherung zu legen und mich dabei auch mit der Größe des Friends verschätzt habe. Das Ergebnis bleibt das Selbe – und mein plötzlich gewonnenes Sicherheitsbedürfnis wirkt sich gegenteilig auf die Kletterei aus. Die folgenden Meter in der Risspur kommen mir mühsam und wackelig vor und ich ringe kurz mit der aufsteigenden Panik.
Erst am Dach und soliden Bohrhaken übernimmt die Ratio wieder und als sich der kleine Wulst als mit meiner Reichweite sehr dankbares und nervenschonendes Stückchen Fels entpuppt, bin ich schon wieder zurück im Genuss. Ein wenig Achtsamkeit bezüglich der Absicherung ist hier ratsam. Bereits am Ende der Risspur in der Platte macht es Sinn, wenn man die anstehende Kurve und den etwas brüchig anmutenden Quergang erahnt und längere Sicherungen einhängt. Das Potential für unheimliche Seilreibung ist in jedem Fall gegeben.
Der Wulst lässt sich dann über eine gut abgesicherte, kurze verschneidungsartige Delle erklettern, die man rasch nach links ums Eck zu einem Bohrhaken verlässt. Am oberen Ende klemmen einige herrlich griffige und herrlich lockere Blöcke. Idealerweise nicht anfassen. Idealerweise nicht in die Route werfen. Mir war es zumindest wichtig genug, um Hannah im Nachstieg darauf hinzuweisen. Denn obwohl wir vermutlich noch alleine in der Wand sind – die hier lagernden Geschosse könnten dazu führen, dass wir es wirklich sind.
Hat man den Wulst verlassen, so führt eine kurze, erdige Platte zu einem kleinen Aufschwung, der mit einer überraschend harten IV+ ein kurzes, finales Augenzwinkern einer unfassbar abwechslungsreichen Seillänge darstellt. Ich bin froh, dass ich mich wieder so gut gefangen habe und hole Hannah nach. Vor uns tut sich mit einem bewachsenen Band und einigen Metern Gehgelände erstmals eine etwas andere Landschaft auf. Weg von der Platte und rein in die steile, zweite Hälfte. Im Notfall ließe sich die Wand hier übrigens nach rechts verlassen.
5. Seillänge (V-)
Die Ansichten zur Mitbenutzung von Bäumen in Mehrseillängen könnten unterschiedlicher nicht sein. Von “das ist Natur, das fass ich an” zu “Herrjeh das ist doch kein Fels” gibt es Alles. Ich gehöre selbstverständlich zu letzterer Fraktion. Sofern ich den Fels ohne Baum klettern kann. Und wenn nicht? Dann wird der Baum ganz flott zum natürlichen Teil der Route erklärt und alle Prinzipien über Bord geworfen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich damit so alleine bin.
Hier ist die Baumpassage tatsächlich als solche beschrieben und definitiv eine spannende, kombinierte Aufgabe. Denn allzu tragfähig sind die Kollegen nicht und der Übergang vom Baum an den Fels ist entsprechend wackelig. Eine ziemlich lustige Weise an den nächsten Stand am Fuße einer nassen Verschneidung zu gelangen. Mich und die Tortellini vom Vortag hat’s gehoben. Ob das immer und für jeden so läuft wird die Zeit zeigen.
6. Seillänge (V+, abweichender Standplatz)
Eine spannende Länge – bei der ich mir nach einem kurzen Kontrollblick auf’s Topo wenig gedacht habe.
Ein paar nasse Streifen umkletternd geht es für mich in die relativ einfache Plattenkletterei neben der markanten Verschneidung. Bei längeren Trockenperioden ist der Weg entlang des großen Risses bestimmt ein wenig schöner, logischer und mit mittleren Friends auch besser abzusichern. Ich halte mich von dem heute dunklen, tropfenden Spalt fern, werfe bloß einige Meter über dem Stand einen #2 Totem hinein, hänge die reichlich marode Sanduhr ein und bleibe sonst im Trockenen. Rasch erreiche ich das Ende der Platte, die sich hier in undurchdringlichem Buschwerk verliert. Und der Weiterweg – auf dem Zettel irgendwie ganz logisch – ist gar nicht so naheliegend.
Unter Protesten von Hannah, die das Topo genau wie ich ein wenig anders interpretiert hätte, gehe ich testweise den brüchig anmutenden und recht ausgesetzten Aufschwung links von mir an, der auf eine weitere, höher liegende Rampe zu führen scheint. Das mag von der groben Richtung her zwar mit dem Topo d’accord gehen – dort ist aber eine Platte eingezeichnet. Und mit Platte hat der steile, kleingriffige Aufschwung nun wirklich gar nichts gemein. Erst als ich unbeabsichtigt über den Normalhaken stolpere, der hier den zweiten fixen Sicherungspunkt der Länge darstellt, bin ich wieder relativ zufrieden mit meiner Wegwahl. Einfach ist die Stelle aber nicht und neben dem Normalhaken dürften sich auch kaum weitere Sicherungsmöglichkeiten ergeben. In meinem Fall etwas nach links auf gute Tritte querend ist die wenige Meter höher liegende Rampe dann aber doch gut erreicht und das nächste Fragezeichen wartet schon.
Das kleine Wandl spuckt einen im absoluten Gehgelände aus. Das ist schön. Gehen ist immer gut. Nur wo geht man dann hin?
Eigentlich bin ich schon über 30 Meter unterwegs und soll hier vor dem leichten Gelände und Weiterweg durch die Verschneidung einen Standplatz mit zwei Bohrhaken finden. Ich habe inzwischen ein Video gefunden, an dem jemand einen Standplatz hinter dem Wandl und auf dem breiten Band hat. Aber vor Ort sehe ich absolut nichts. Als Hannah die Stelle später nachsteigt, rufe ich ihr zu ob sie einen Standplatz sieht.
Ich geb die kurzweilige Suche auf und latsche die erdige und einfache Rampe rechts einer großen, düsteren Verschneidung hinauf. Ein paar rustikalere Begehungsspuren kommen vorbei. Eine Schlinge, die eine gefühlt nur angelehnte Schuppe einfängt. Einen Bohrhaken inmitten einer nassen Platte unter den tropfenden Überhängen. Naja. Ein gemütlicher Standplatz sieht anders aus. Eigentlich wäre das alles schon Teil der 7. Seillänge, welche am Ende der Rampe scharf links abbiegt und in einen exponierten Quergang mündet.
Nach rund 20 weiteren Metern und mit den letzten Metern des Seils erreiche ich das Ende des gangbaren Geländes und mache Stand an einem soliden Baum – kurz bevor die Rampe in dichtes Buschwerk übergeht. Links von mir, den senkrechten Schenkel der Verschneidung erklimmend, setzt der Aufschwung in den A0-Quergang an und während ich Hannah meinen langen Weg nachsichere, stelle ich fest, dass mein alternativer Standplatz im Sinne der Seilführung für die anstehende Schlüsselstelle ziemlich günstig liegt.
7. Seillänge (VI, A0)
Ab jetzt ist die Wegwahl wieder ganz offensichtlich und Hannah bestimmt nicht allzu traurig, dass ich die Seilreibung und das Gehgelände ihrer 7. Seillänge für mich beansprucht habe. Für sie geht es nun, an Schlingen und Bohrhaken vergleichsweise dicht abgesichert über keinen kleinen Wulst hinauf auf den kompakten und luftigen Plattenpanzer. Der nun folgende Quergang – nur wenige Meter messend – wird laut Topo üblicherweise A0 begangen und auch bei uns reicht es auf Anhieb nicht ganz für die freie Variante, welche vermutlich irgendwo im unteren 7. Grad ist. Hannah gibt der Sache aber einen äußerst fairen Versuch und arbeitet sich mit vielen mutigen Tritten durch das exponierte Plattenschild, welches leicht absteigend überwunden wird und schafft es nach einem Hänger, die Stelle sauber zu klettern.
Ich bin weniger motiviert und greife früher in die Expresschlinge – an einer Stelle die einen nahezu grifflosen, weiten Tritt nach links verlangen würde. Kurz danach ärgere ich mich schon – die Stelle ist absolut kletterbar. Der freie Versuch bietet sich hier aber wirklich an. Die Absicherung ist gut, die Stelle mit ausreichend Nerven nicht allzu abwegig und die Variante mit Hilfsmitteln kaum leichter. Denn selbst mit Zuhilfenahme der Bohrhaken ist die Länge kein Selbstläufer und mit etwas Sog unter den Füßen müssen einige schwindlige Tritte gefunden werden um die Wege zwischen den Haken zu verknüpfen. Am besten geht man die Stelle tief an. Soll ich von Hannah ausrichten.
Ich erreiche den luftigen Standplatz inmitten der Platte und habe auf dem Weg dahin mehrmals gefragt, wie sie das jetzt genau im Vorstieg gelöst hat. Zumal ich mir mit wesentlich mehr Reichweite sehr gute Chancen für den Quergang ausgerechnet hatte. Im Gefecht muss ich aber feststellen, dass Hannah hier eine Form von Plattenzauberei betrieben haben muss, die ich im Nachstieg und Angesicht der plötzlichen Ausgesetztheit noch nicht beherrsche.
8. Seillänge (VI)
Ein wenig gedämpft von meiner für mich persönlich eher mittelmäßigen Performance der letzten Seillänge starte ich in die 8. Seillänge. Sie stellt das Ende der Tour dar und – wie ich gleich erfahren werde – auch das Ende meiner besonnenen Kletterei für den Tag. Direkt vom luftigen Standplatz weg geht es einigermaßen schonungslos über die kompakten Platten. Vermutlich macht es Sinn, hier Platz zu tauschen und den Vorsteiger nach links zu stellen. Ganz praktisch oder naheliegend ist dieses Manöver aber auch nicht und ich bin mir in der Draufsicht auch noch nicht sicher ob ich eher hoch oder nach links will.
Letzteres ist der Fall. Man will definitiv horizontal nach links in die Platte queren. Am Anfang leiste ich mir unwissend also noch einen kurzen Aufstieg an einer Schuppe, um dann wieder ein Stück auf ein paar vage Einbuchtungen in der Platte abzuklettern und den Weg zum ersten, rustikalen Schlaghaken zu verlängern. Etwas zu spät merke ich, dass sich hier ein paar Ameisen angesiedelt haben. Und während ich nach links zu den offensichtlichen Henkeln unter der ebenfalls offensichtlichen Verschneidung krabbel, krabbeln die Ameisen an mir rum. Ideales Teamwork. Und bisher nur von Schlaghaken untermauert – was mir in Abwesenheit von brauchbaren Placements auch nicht komplett gefällt.
Die kurze Verschneidung bringt mich dann endgültig raus. Zwar kriege ich hier wieder gute Absicherungen gelegt – konzentriere mich dabei aber zu sehr auf den Riss und das innere der Verschneidung und verklemme mich dort völlig unnötig mit meinem Rucksack. Das linke Wändchen – oben mit einer gefädelten Sanduhr abgesichert – klettert sich definitiv besser, wie Hannah mir später berichtet. Bei mir ist das Kind schon in den Brunnen gefallen und als ich mich irgendwie wieder entheddert habe, rupfe ich mich aus der nur 5 Meter messenden Verschneidung, die sich rasch wieder in schönen Henkeln auflöst.
Von hier geht es einfach nach rechts entlang der Kante auf einer hübschen Rampe empor – man sollte nur versuchen keine Steine auf seinen Seilpartner und die darunter liegenden Routen zu werfen. Im Gehgelände ist dann das Ende der Route erreicht und es bieten sich mehrere Bäume als Standplätze an. Ich wähle einen der hinteren auf einem breiten Pfad neben dem Wandbuch.
Immerhin müssen wir jetzt noch schnell absteigen, ein paar hundert Kilometer Auto fahren und eine Fähre erwischen, die uns zur nächsten vertikalen Schandtat bringt.
Schwierigkeit, Versicherung und Material
Die Giubileo ist für mein Empfinden (und ähnliches behaupten sogar die Erschließer) eine ideale Route für einen Flirt mit mobiler Absicherung in der sich mit relativ wenig Stress und perfekten Gelegenheiten für Klemmkeile und Friends eine kreative und fast ununterbrochen lohnende Linie wiederholen lässt. Der Weg über das markante Plattenschild und das steilere Finale ist landschaftlich ein Genuss und bietet anhaltende, interessante Kletterstellen. Die Schwierigkeiten empfand ich als recht passend – die Platten im unteren Teil würde ich im Schnitt etwas milder einstufen. Dafür zieht die wahrgenommene Schwierigkeit mit Steilheit und Ausgesetztheit im oberen Teil nochmal merklich an und die etwas reduzierte Möglichkeit für mobile Sicherung gestaltet den Abschluss der Tour psychisch ein wenig fordernder.
Die Absicherung ist gut – ganz im Stile der Erstbegeher aber fordernd. Die Giubileo ist definitiv keine Plaisirkletterei, die hier und da mit zusätzlicher Absicherung ergänzt werden kann. Es verhält sich beinahe andersrum. Eine Kletterei mit überwiegend mobiler Absicherung, in der man sich über den einen oder anderen Haken oder eine der besseren Schlingen freut. In der gesamten Route hängen laut Topo abseits der Standplätze 9 gebohrte Zwischenhaken (ich bin der Meinung, dass es einer mehr ist), von denen knapp die Hälfte auf den A0 Quergang im oberen Teil entfällt. Man kann ganz grob pro Seillänge mit einem guten Fixpunkt (Bohrhaken) an der exakt richtigen Stelle und einigen Schlingen oder Schlaghaken unterschiedlicher Qualität rechnen. Gerade bei den Schlingen sind einige Kandidaten dabei, die keine großartige Erleichterung auslösen. Die Stände sind dafür oft gebohrt oder an Bäumen / üppigen Sanduhren – teils auch mit Ringen für eventuelle Rückzüge.
Der Fels gibt reichlich Möglichkeiten für Friends und Keile her. Gerade die kleinen und mittleren Größen haben einen extrem guten Job gemacht, alles zwischen 0.3 und 1 war Gold wert, alles darüber Luxus mit Daseinsberechtigung. Ein ausgewogenes Grundsortiment sollte auf jeden Fall dabei sein. Der Rest ist bekannt – ein paar Schlingen / Alpinexen und wie immer und überall und jedes Mal: Helm. Gerade wenn man ausschlafen will.
Zusammenfassung
Wem die “Grand Diedro” gefallen hat, der wird auch der Giubileo einen fantastischen Klettertag abgewinnen können. Man könnte fast von Liebe sprechen. Für mich erneut die perfekte Mitte aus einer genüsslichen und an sich wenig “heiklen” Linie, die aber den umsichtigen und alpin erfahreneren Kletterer anspricht und nicht nur am reinen Klettervermögen bemessen werden kann. Wer aber etwas Herausforderung neben puren Kletterzügen mag und im 5. und 6. Grad mit einigen Metern Runout umgehen kann, muss eigentlich nur noch seine Friends und Keile einpacken und ins Sarcatal fahren.