Due Laghi – Lo Spigolo Nascosto (IV-)
Due Laghi – Lo Spigolo Nascosto (IV-)

Due Laghi – Lo Spigolo Nascosto (IV-)

Logbuch eines feucht-fröhlichen Besuchs im Sarcatal. Wir haben eigentlich nur am Anreise- und Abreisetag klettern können und auch dieses Klettern wurde oft von der allgegenwärtigen Nässe dominiert. Wir hatten uns zunächst in der Dinosauri aufgearbeitet und auch die etwas dankbarere Via Crucis war nicht ganz einfach. Die Mission für die kleine Abschlussrunde auf dem Heimweg ist also einfach:

Möglichst leicht, möglichst schnell, möglichst trocken

Zum Glück hatte ich irgendwo noch die Lo Spigolo Nascosto auf dem Zettel, über die ich bei meiner Recherche zur Gran Diedro am Due Laghi gestolpert bin. Soll eigentlich hübsch sein – und sehr leicht. Nur einmal wird kurz am unteren IV. Grad gekratzt. 370 Meter lang geht es an einer aus dem Tal nur schwer erkennbaren – in der Wand aber brutal markanten und logischen Kante hinauf, wobei der Tiefblick auf den Lago di Santa Massenza immer eindrucksvoller wird. Entsprechend beliebt bis überrannt ist die Tour an schönen Tagen. Wir rechnen uns heute, bei herbstlichen Temperaturen, drohendem Niederschlag gegen Mittag und einem kalten Wind aber ganz gute Chancen aus nicht allzu lang anstehen zu müssen.

Die Tour wurde vom Duo Kluckner / Grill 2015 erschlossen und folgt für mich den Regeln, die bisher für alle Routen dieser Erschließer gegolten haben. Eine wunderschöne, fast kunstvolle Linie, der man ihre Ästhetik und Logik oftmals aus dem Tal heraus gar nicht ansieht. Und eine recht verlässliche Absicherung mit nicht ganz unumstrittenen gefädelten Sanduhren (welche mit der Zeit und den Witterungseinflüssen natürlich rustikaler werden) und wenigen Bohrhaken.

Und das bringt mich auch schon zu der Idee dieser Begehung. Denn von Stand zu Stand durch nasse, kalte Wände arbeiten – das können wir. Das haben wir die Tage mit Bravour bewiesen. Eigentlich wollen wir uns jetzt aber ein bisschen bewegen. Und der effektivste Weg sich anhaltend zu bewegen und gleichzeitig irgendwas zu kraxeln ist, wenn man nicht zum sichern am Stand rumlungert und den kalten Wind wirken lässt. Free Solo ist für uns keine Option. Bleibt also das laufende Seil. Der österreichische Alpenverein nennt es eine Seiltechnik aus der Grauzone. Beim laufenden Seil klettern beide Seilpartner simultan im stetigen Tempo, wobei der Seilerste Sicherungspunkte einhängt, die der Seilzweite wenige Meter später wieder einsammelt. Die Sicherungspunkte dienen dabei aber nur dafür, einen Komplettabsturz der Seilschaft zu verhindern. Stürzt der Vorsteiger, hat er eine relativ gute Chance bei wenig Schlappseil durch das Gegengewicht des Zweiten gefangen zu werden und einen halbwegs “üblichen” Vorstiegssturz zu erleben. Stürzt der Seilzweite, so wird er mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch den Seilersten aus der Wand kegeln und einen für beide Seiten sehr unschönen Sturz in (hoffentlich mehrere) haltende Fixpunkte riskieren. Mit Rücklaufsperren können die Karten zu solchen Szenarien neu gemischt werden – ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass der entscheidende Faktor Geschwindigkeit dann wieder auf der Strecke bleibt. Seiltechnik aus der Grauzone halt. Auf eigene Gefahr. Und nur für Gelände, dass beide Seilpartner zu 110% beherrschen.

Um der Theorie aber auch noch ein bisschen erläuternde Praxis beizufügen: ich hatte durchaus Situationen am Berg, in denen ich genau eine solche Technik vermisst habe. Eine statistische Häufung tritt bei Graten auf, die alle Zutaten zusammenführen:

  • Ausgesetzte Kletterei (die man ggf. nicht zwingend ungesichert angehen möchte)
  • Kurze Schwere Stellen in sonst leichterem Gelände
  • Auf langen Strecken in alpiner Umgebung
  • Komplexe Seilführung, keine Stände und unübersichtliches Gelände

All diese Punkte profitieren vom laufenden Seil. Die ausgesetzte Kletterei fühlt sich mit Seil (und ein paar guten Fixpunkten) schon gar nicht mehr so schlimm an, die Psyche wird geschont. Die Seilführung ist direkter, da man das Seil üblicherweise deutlich kürzer lässt, die Bewegung schneller und intuitiver ans Gelände angepasst. Auf der anderen Seite ergeben sich immer wieder Situationen mit einer trügerischen Sicherheit und ein Gewisses Chaos / mangelnde Kommunikation wird zur Normalität. Am Ende ist es eine Einzelfallentscheidung, wann man diese Risiken in Kauf nehmen möchte um von den Vorteilen zu profitieren.

Bereits am Westgrat der Gehrenspitze hätte ich diese Technik gut gebrauchen können. Sie hätte uns vermutlich einen recht abenteuerlich-heiklen und vor allem dunklen Abstieg erspart. Am Kraxengrat haben wir versucht mit dem laufenden Seil etwas Zeit reinzuholen – hatten das Seil aber etwas zu lang gefasst. Wir haben uns auf dem ersten Aufschwung der Tour sicher trotzdem knapp 30 Minuten gespart, ironischerweise war das ziemlich genau der Puffer, den wir dann hatten um bei einem unerwarteten Gewitter entspannt ins sichere Tal abzusteigen. Erst an Acherkogel Nordostgrat und Parstleswand Ostgrat, hat das laufende Seil seine wirkliche Magie entfaltet und uns zwei tolle, schnelle und sichere Tourentage im gewitterträchtigen Hochsommer geschenkt.

Um Tami das neu Erlernte auch mal zu zeigen und eine hoffentlich flowige und schnelle Tour vor dem angekündigten Regen mitzunehmen, schlage ich vor, dass wir es heute auch so machen.

Zustieg

Vom Parkplatz am Kraftwerk am Ortseingang geht es kurz in Richtung Häuser und dann ziemlich direkt links unter einem Geröllfang hinauf. Nach einer Rechtskurve passiert man am Wandfuß zunächst den Klettergarten und dann die Einstieg manch namhafter Mehrseillängen am Due Laghi. Nur wenige Meter, nachdem die “Gran Diedro” und die “Due Spigoli” in die Vertikale führen befindet sich auf der linken Seite der markante Ausläufer einer Gratkante, die dem Waldboden entspringt und mit der Aufschrift “Lo Spigolo Nascosto” über die Baumkronen und in die Wand führt.

Wir bereiten uns rasch vor, freuen uns, dass wir heute alleine sind und keine Überholmanöver mit unserem Begehungsstil machen müssen und ich starte in den ersten Abschnitt, der regulär in einer Seillänge á 45 Meter zu einem weiteren Stück Gehgelände führt. Theoretisch ist dieser erste Aufschwung auch umgehbar. Aber wir wollen schließlich Klettern.

1. Kante (III+)

Ich düse los. Wir haben das Seil auf etwa 10 – 15 Meter verkürzt. Genug um mindestens zwei – eher drei bis vier – Sicherungspunkte zwischen uns einzufangen. Übrigens ein Halbseil. Doppelt genommen. Nach einigen Metern auf der rechten Seite der Kante geht es mit einem kurzen, etwas speckigen und kühnen Zug raus auf die Kante, wo sich eine angenehm geneigte Seite auftut. Hier steigt sich auf großen Tritten und perfekten Henkeln sorglos hinauf wobei die Absicherung mit Sanduhren absolut üppig ist. Als ich die Baumkronen hinter mir lasse steigt Tami unten am straffen Seil nach und wir arbeiten uns in einem entspannten und stetigen Tempo durch den tollen Fels.

Wenig später lehnt sich die Kante bereits zurück, ich baue einen Standplatz am Baum und Tami kommt auf ihren letzten Metern noch in den Genuss einer richtigen Sicherung. Purer Luxus für den hier geforderten, durchaus humanen II. Grad.

Gehgelände

Pfadspuren folgend und die Kletterschuhe verdreckend geht es kurz geradeaus den Berg hoch, bis – durch die zahlreichen Sanduhren kaum zu verfehlen – der zweite Aufschwung zwischen den Büschen auftaucht. Aber hier geht es nun ohne Unterbrechung in sehr konstanter Schwierigkeit im perfekten, griffigen – teils sogar lächerlich henkligen – Kalk hinauf.

Zweite Kante (III+)

Da ich noch einige Expressschlingen am Gurt habe, steige ich noch ein Stückchen vor und wir rufen uns abwechselnd unsere Begeisterung für die wunderschöne Kante zu. Kaum zu glauben, dass dieses bizarre Stückchen Fels aus der Ortschaft nur mit geschultem Auge zu erkennen ist – hier oben fühlt sich nichts logischer an, als der weißen Linie nach oben zu folgen. Ich mache Stand und sichere Tami einige Meter als die Tour nach rechts um die Kante führt und mit einem kurzen, etwas kniffligeren Spreizschritt die Bahn wechselt. Hinter dem kleinen Absatz führt wieder die fast schon gewohnte, bis zum Buschwerk 2 Meter breite und überall kletterbare Rampe hinauf. Die Tour ist steil und luftig – aber nirgends wirklich ausgesetzt. Für den Schwierigkeitsgrad wird das aber mit Abstand das schönste und zugänglichste sein, was mir bisher zwischen die Finger gekommen ist.

Tami übernimmt die Führung und überbrückt weitere 100 Meter der zentralen Kante. Die Route wechselt nochmal kurz über einen kleinen Aufschwung nach Links und ist von dort an in ihrer ganzen verbleibenden Länge einsehbar. Die Kletterei wird nach oben nochmal etwas steiler, die Löcher und Tritte aber auch größer und die Kletterei an genialen Kanten gleichbleibend einfach. Wir sind brachial schnell. Als Tami die Expressschlingen ausgehen und ich die Führung wieder übernehme sind wir bereits unter der Schlüsselstelle, die direkt am Ausstieg der Route liegt. Auf dem Papier benötigt man in Wechselführung etwas 2:30h für die Spigolo Nascosto. Wir sind jetzt knapp über 30 Minuten in der Wand und haben fast fertig. Wir haben in der Zeit 200 Höhenmeter zurückgelegt, sind also gar nicht so unwesentlich langsamer als der obligatorische Sonntagswanderer auf einer Forststraße am Tegernsee.

Schon ein Ding, dieses laufende Seil

Schlüsselstelle (IV-)

Ich gehe die letzten Meter an und rasch schwenkt die Route ein letztes Mal nach rechts von der Kante auf ein vorgelagertes Schild, dass durchaus luftig über den Dächern im Tal hängt. Hier ist an einer kurzen Stelle ein etwas filigranerer Riss in die Mitte der Platte zu klettern, welcher dann an einem Bohrhaken mit einem Spreizschritt nach rechts an die Kante aufgelöst wird. Dort nehmen die Schwierigkeiten schlagartig ab und der Ausstieg ist weniger Meter höher an einem Baum erreicht.

Der Heldenepos unserer Highspeedbegehung kriegt hier aber dennoch eine kleine Schramme – denn hier fehlt mir dann doch die innere Ruhe um die Stelle bei mangelhafter Absicherung anzugehen. Stattdessen schlage ich einen brüchigeren, subjektiv aber sicheren Weg links von der Crux durch die Platte und folge dann einem schmalen Band raus an die Kante. Geht auch. Ist auch leichter als die Einzelbewegung am Bohrhaken (die ich inzwischen auch mal geklettert bin). Generiert aber den längeren Runout, da man den Bohrhaken in der Plattenmitte nicht erreicht. Für mich war es im Eifer des Gefechts und der stetigen Bewegung aber der naheliegendere Weg als Tami mit Schlappseil auflaufen zu lassen, falls ich für die Crux doch etwas länger brauche.

Tami folgt, klettert die direkte Platte und kommentiert das Erlebte wie folgt:

Joa muss halt einmal schön raustreten

Nächstes Mal. Wir sind oben, uns ist warm und wir sind nicht mit Wasser in Berührung gekommen. Weder von oben, noch von unten. Damit ist das Tagesziel bereits mehr als erreicht. Was für eine geniale und lohnende Tour – die perfekter zu unserem Plan gepasst hat, als ich mir das hätte ausmalen können.

Abstieg (I-II)

Ein kurzer Gegenanstieg auf kleinen Pfaden ist noch zu leisten, dann geht es nach einer kurzen, luftigen Rampe durch das markante Felsloch, dass einen durchaus subtil an den bevorstehenden Sommer und die anzustrebende Bikinifigur erinnert. Dann queren wir lange durch den herbstlich-wolkigen Bergwald, klettern den kurzen und luftigen Klettersteig ab und landen auf den angenehmen Wanderwegen zurück ins Tal.

Beim erneuten Passieren der Wände im Tal schweift der Blick nochmal nach oben zur Route. Wo ist die jetzt nochmal genau? Aaah…hää…ja doch…oder? Fühlte sich oben einfach kantiger an.


Schwierigkeit, Versicherung und Material

Gutmütige, wunderschöne, feste und griffige Genusskletterei, die sich sehr konstant im II. Grad bewegen dürfte. Stellen bis III/III+ empfand ich als relativ schwer auszumachen oder sehr dankbar bewertet, da findet man in den Nordalpen ganz andere Kletterei in diesem Grad. Die kurze IV- ist dann aber recht authentisch und sticht auf zwei Metern merklich aus der restlichen Kante hervor – löst sich aber bei Erreichen der Kante auch wieder genial auf. Die Kletterei ist konstant steil und luftig aber nie richtig schmal oder exponiert. Es gibt immer Ausweichmöglichkeiten und ein direktes Klettern auf der Kante findet auch beinahe nie statt. Also – außer man steht ganz doll drauf.

Die Absicherung spielt sich überwiegend an Sanduhren ab, die hier durchweg eher guter bis sehr guter Qualität sind. Neben Seil und Expressschlingen wird man – auch bei einer regulären Begehung – kaum weiteres Material anbringen wollen und müssen. Die Stände sind an Bohrhaken oder Bäumen eingerichtet, man findet dazwischen aber auch zahlreiche Sanduhren die die Kriterien für einen Standplatz erfüllen dürften. Ein Rückzug aus der Route ist an Ringen und Sanduhren fast jederzeit problemlos möglich, das Steinschlagrisiko erschien mir relativ gering wobei der Ausstiegsbereich doch einigen Schotter bereithält.

Fazit

Geniale Tour. Wenn man sie leer erwischt – was aufgrund der Schönheit, leichten Erreichbarkeit und Anfängerfreundlichkeit ein seltener Zustand sein dürfte. Wenn ich nun aber einen Neuling vom Klettern überzeugen müsste und dafür nur eine Tour zur Auswahl hätte – es würde wahrscheinlich diese werden.

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