Acherkogel (3007m) via Nordostgrat (IV)
Acherkogel (3007m) via Nordostgrat (IV)

Acherkogel (3007m) via Nordostgrat (IV)

Ben steht auf Gneis, hohe Berge und Blockgrate. Oder noch kürzer – irgendwas mit Österreich und dem Alpenhauptkamm. Das ist kein Geheimnis. Den Nordostgrat auf den Acherkogel war er vor ein paar Jahren schonmal geklettert und da es mir in diesem Fels und dieser Art von Tour noch an Erfahrung (und damit teilweise auch an Motivation) fehlt, steigt er mit mir heute nochmal ein. Lieb von ihm. Der Plan ist recht simpel. Auf den Acherkogel soll es gehen. Den nördlichsten Dreitausender der Alpen. Meinen zweiten überhaupt. Besonders nach Westen hin eigentlich ein ziemlich imposanter Klotz mit 2200 Metern Höhenunterschied zum Talboden.

Der Nordostgrat hat es sogar in Ralf Gantzhorn’s († 2020) und Moritz Attenberger’s “Himmelsleitern” geschafft und reiht sich damit als eine der leichtesten in eine Auswahl der bestechendsten Grattouren der Alpen ein. Vom Mittertal – einem kargen Seitental des Skiortes Kühtai – zieht die deutliche Linie zunächst zum Maningkogel hinauf, der mit seinen 2894 Metern an anderer Stelle ein eigenes Bergziel darstellen würde. So fühlt er sich mehr als Vorgipfel oder Gratturm des Acherkogels an, zu welchem der weitere Gratverlauf hinaufzieht.

Unsere Himmelsleiter – der vorgelagerte Maningkogel scheint den Acherkogel zu überragen

Insgesamt wollen am Grat knapp 600 Höhenmeter überwunden werden. Startet man bei Kühtai auf 2000 Metern ergibt sich eine Tour wie ich sie bisher nur ganz selten vorgefunden habe. Zustieg und Kletterstrecke halten sich genau in Waage. Purer Luxus. 600 Höhenmeter Zustieg, 600 Höhenmeter Kletterei. In wilder und einsamer Landschaft. Herz was willst du mehr.

Wir starten in der Dämmerung am Speicher Längental vor den Toren von Kühtai. Im Rahmen unserer Alpenüberquerung 2022 bin ich hier schonmal vorbeigekommen und habe die Ecke als katastrophal hässlich abgestempelt. Die riesige Baustelle am Längental trägt dazu bei, die ganzen Lifte erledigen den Rest. Dazwischen umkoordinierte, moosige und brüchig anmutende Berge. Von der Dominanz weißer Kalkwände im Wetterstein oder Karwendel keine Spur. Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass ich hier nochmal freiwillig eine Tour gehe. Und dann auch noch so eine brachial schöne.

Als wir startklar sind und ich mich von einem meiner Stöcke verabschiedet habe starten wir über die Staustufe nach Westen auf die dunklen Hänge zu. Mit uns starten noch zwei Bergsteiger und wir vermuten, dass wir das selbe Ziel haben. Der Pfad hinauf ins Mittertal ist schnell gefunden. In Richtung Mittertaler Scharte soll es gehen – wobei wir davor schon auf den Grat abbiegen und dieser erst beim Rückweg passieren. Ein paar schlafende Kühe später hat man die obligatorisch Baum- und Buschgrenze bereits hinter sich gelassen und tritt in das karge und schweigende Tal. Von Kühtai keine Spur mehr. Lifte? Fehlanzeige. Baustellen? Nur mentaler Natur. Eigentlich schön.

Im blassen, blauen Licht thronen am Talschluss schon eine ganze Reihe kühner und schroffer Berge und ein paar Schritte später schält sich auch schon unser Tagesziel ums Eck. Nach dem ersten Aufschwung ins Mittertal zieht sich der Pfad sehr flach und entspannt durch die Wiesen und Blöcke im Talboden. Einen gequerten Fluss später macht man den zweiten Teil der Höhenmeter und steht schon bald auf einer von großen Blöcken bedeckten Ebene im Talschluss.

Als wir in den letztem Zügen des Zustiegs sind, kriecht das heute tiefrote Alpenglühen in die düsteren und schroffen Gipfel. Der Sonnenaufgang scheint heute kaum zu enden und wird uns bis auf den Grat mit wilden Rot-, Orange und später Goldtönen begleiten. Unsere Himmelsleiter präsentiert sich dabei im allerbesten Licht und strahlt in dem einsamen Tal doch eine wahrnehmbare Aura aus. Kaum zu glauben, dass wir vor nichtmal einer Stunde zwischen Skilift und Staumauer gestartet sind. Bereits jetzt bin ich leicht überrannt von den vielen Eindrücken und der für mich recht ungewohnten Umgebung – und der Tag hat noch nichtmal angefangen.

Während wir ins goldene Licht latschen baut sich der Grat auf den Maningkogel auf den letzten Metern nochmal ganz ordentlich auf. Schaut geil aus. Steil, glatt, markant. Der Acherkogel selbst wird aus dieser Perspektive komplett geschluckt. Das ist vollkommen okay – der Grat auf den Maningkogel wird uns nun eine Weile beschäftigen. Der Acherkogel ist dann – auch im Bezug auf Länge und Schwierigkeit – nur noch die Kirsche auf der Sahnehaube.

Wir erreichen den kleinen See (mehr eine alpine Pfütze) und nehmen noch die wenigen Meter zum Einstieg mit. Wirklich nur 5 Minuten vom See. Zeitangaben, die man im Gebirge selten findet und noch seltener einhält. Hier legen wir die erste, kurze Pause ein und bereiten uns für den Grat vor. Wir haben ein Seil, Gurte, Helme und ein wenig Sicherungsmaterial (2-3 Friends, 4-5 Exen) dabei, wollen den Grat aber erstmal seilfrei angehen und dann gucken, wie sich das anfühlt und ausgeht.

Die beiden, die am Parkplatz mit uns gestartet sind haben den Einstiegsbereich inzwischen auch erreicht und stellen sich als Bergführer mit Gästin heraus. Die werden uns wohl schnell überholen. Kommt auch so. Aber der Andrang auf den schönen Grat hält sich abseits davon arg in Grenzen.

Los geht’s

Aufschwung zur Schlüsselstelle (I-II)

Auf deutlichen Pfadspuren erreichen wir den Grat und erklettern diesen über vage, kurze und blockige Rinnen. Schon hier nehmen wir unterschiedliche Wege, das Gelände ist noch ziemlich weitläufig. Es tauchen auch schon erste, einzelne Bohrhaken auf und bestätigen unsere Wegwahl. Ich brauche einen Moment um mich mit dem Fels anzufreunden. Bombenfest und griffig! Schwerer tu ich mir allerdings der Reibung meiner Schuhe zu vertrauen. Im Kalk kann ich das mittlerweile mit jeder Sorte Schuh ganz okay beurteilen und trete so auch gern und sorglos mal irgendeine generische Platte an. Der Gneis wirkt auf mich mit seinem fleckigen Flechtenbewuchs irgendwie rustikaler und weniger vertrauenswürdig. Eigentlich unlogisch – wahrscheinlich ist er sogar rauer. Aber davon muss man sich erstmal überzeugen.

Der Grat klettert sich bereits hier wirklich toll und angenehm. An einer Stelle führt ein ausgetretenes Band rechts der Gratschneide vorbei – sonst bleibt man oft einfach oben drauf oder leicht daneben in der einfachsten Spur. Und von solchen Spuren gibt es hier einige – der Grat ist noch richtig schön breit und weitläufig. Erst einige Höhenmeter später, kurz vor der Schlüsselstelle, taucht ein erstes einfaches aber vergleichsweise scharfes Stück auf. Wir lassen den Bergführer vorbei, der ziemlich auf’s Gas drückt. Wir haben heute nichts mehr vor. Also abgesehen vom Acherkogel. Aber es ist ein perfekter und stabiler Sommertag ohne Gewitterrisiko und so sitzt uns ausnahmsweise mal Nichts im Nacken, weshalb man sich beeilen müsste. Mich beschleicht sogar das Gefühl, dass ich solche Tage viel mehr ehren sollte.

Schlüsselstellen (IV)

Dass so ein langer und homogener Grat in keiner Topo in einzelne Seillängen oder alle Details aufgeschlüsselt wird ist klar. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass ich die Tour mit einem Blick auf das erstbeste Topo massiv unterschätzt hätte und vor allem auf die Länge und Vielseitigkeit der nun folgenden schweren Abschnitte nicht vorbereitet war. Das ist nicht schlimm – genau für sowas haben wir Seil und Kletterschuhe dabei. Ich finde trotzdem, dass einige Details verloren gehen, die durchaus erwähnenswert gewesen wären und es nicht mit einer kurzen Stelle IV getan ist.

Ben vor der ersten Schlüsselstelle (IV)

Es geht los mit einer relativ unscheinbaren Platte rechts des Grates. Mit einer nur wenige Meter tiefer liegenden Schotterrinne ist die Stelle erstmal nicht wirklich exponiert und Ben schiebt sich mit seinen dicken Meindl-Latschen schnell auf die Kante und dort ins leichtere Gelände. Ich wechsel auf Kletterschuhe. Ich habe ein Paar, das beinahe bequemer ist als die meisten Zustiegsschuhe. Tatsächlich bin ich in diesen Kletterschuhen schonmal 600 Höhenmeter Forststraße abgestiegen, weil ein gewisser Kletterpartner (Ben) einen Schuh vom Berg geworfen hat. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ich habe in der Vergangenheit schon ein paar Mal festgestellt, dass mir seilfrei kraxeln nur dann Spaß macht, wenn ich eine halbwegs überzeugende 3-Punkt-Technik anwenden kann. Das heißt eine Hand oder ein Fuß bewegt sich, während alles andere an soliden Griffen und Tritten ruht. Sobald ich ohne Seil irgendwelche Klimmzüge an Leisten machen muss oder der Fels so brüchig ist, dass keiner meiner Punkte verlässlich ist, sinkt die Stimmung schnell in den Keller. Da kickt dann die Ratio. Das fühlt sich für mich im Moment nicht sinnvoll an und ist für mich persönlich auch keine coole Herausforderung sondern vielerorts auch einfach Glück. Ich umgehe solche Situationen recht konsequent und habe trotzdem – oder gerade deshalb – eine Menge Spaß am Berg.

Der plattige Aufschwung ist zwar bombenfest, liegt aber trotzdem am Limit dessen, was ich aktuell seilfrei vertretbar finde. Auf wenigen Metern ist der Aufschwung relativ strukturarm und wirft weder gute Griffe noch üppige Tritte ab. Letzten Endes hätte ich “nur mal kurz” auf Reibung in die Wand treten und etwas schwungvoller zur Kante hochgreifen müssen – mir widerstrebt so eine Bewegung aber gehörig. Und so blockiere ich ein wenig länger als angenehm auf halber Höhe in dem Aufschwung und brauche viele Versuche, bis ich eine für mich angenehme Abfolge über den etwas kniffligeren Aufschwung gefunden habe. In der Draufsicht sah das banaler aus. An der Kante angekommen wird es dann kurz luftig-schmal, dafür aber wieder etwas griffiger und das leichte Gelände ist zum greifen nah.

Gneis-Feuertaufe

Wenige Meter weiter stellt sich ein steiles und sperrendes Wändchen in den Weg und veranlasst uns doch mal das Seil rauszuholen. Wir sichern zwar nur gegen einen Totalabsturz und klettern synchron am laufenden Seil – mit relativ kurzem Abstand und hier überraschend zahlreichen Sicherungsmöglichkeiten in Form von Bohr- und Schlaghaken aber durchaus Balsam für die Seele. Ben, der zwar sehr souverän in seinen dicken Bergschuhen rumrennt, ist nur einen Zug später in einer kleinen, plattigen Verschneidung auch recht froh um das Seil und arbeitet sich merklich angestrengt über den Aufschwung. Ist die Höhe gemacht, gilt es nochmal zwei sehr glatte und luftige Meter nach links auf die Kante zu überwinden. Diesmal mit ordentlich Luft unterm Hintern und nur sehr feinen Rissen. Auch im Nachstieg muss ich feststellen – sportliche IVer hier. Daheim wäre das anders bewertet. Zwar lässt sich mit Prinzip Reibung einiges reißen, so richtig genüßlich finde ich die Abschnitte an kleinen Leisten aber nicht. Vor allem wenn die Schuhe nur auf subtilen Ausbuchtungen in der Platte haften. Vielleicht bin ich aber auch einfach sch***e im Gneis.

Ist der Grat wieder erreicht, geht es kurz genüsslich über grobes, kantiges und festes Blockwerk zu einer abgesprengten Riesenschuppe mit orangenen Wändchen daneben. In meinen Augen ist das eine völlig legitime, dritte Schlüsselstelle – ebenfalls irgendwo im IV. Grad. In Topos taucht diese markante Ecke überhaupt nicht mehr auf. In dem Wändchen animieren einige Schlaghaken zum mittigen Durchstieg, wobei die ganze Stelle dann leicht überhängt. Uns kommt das etwas spanisch vor und wir halten uns rechts eingespreizt zwischen Schuppe und Wändchen. Geniale Kletterei, vielleicht eine der witzigsten Stellen der Tour und mit einem skurrilen Tiefblick auf Bergseen und wilde Gneiszacken gekrönt. Nach oben hin landen wir, wie schon im Aufschwung zuvor, in einer kniffligen und abschüssigen Platte rechts vom Grat und wieder kostet es Mühen und Überwindung die Stelle zu lösen.

Breiter, plattiger Grat (II)

Das Gelände lehnt sich zurück und wird weitläufiger und rasch wechseln wir auf die weitläufige linke Seite des Grates. Wir packen das Seil weg. Aus der Ferne war diese obere Hälfte des Maningkogel Nordostgrates bereits als markantes Plattenschild zu erkennen. Aus der Nähe betrachtet gibt es hier aber zahlreiche Grasbänder, Risse, Kamine und Griffe die eine Vielzahl individueller Wege zulassen. Gerade hier laufen wir auch an unzähligen festgefahrenenund zurückgelassenen Klemmgeräten vorbei – scheint recht gefräßiger Fels zu sein.

Ben macht es sich rechts in Kantennähe etwas schwerer, ich kurve öfter etwas nach links hinaus und suche den entspanntesten Weg. Letzten Endes ist hier wirklich genussreiches Kraxeln geboten, das mit Tiefblicken und gelegentlichen Reibungsstellen aber nie zu langweilig wird. Es ist ein schöner Weg in einer noch schöneren und einsamen Bergwelt.

Und während wir so – hier wieder schnell und flüssig – hinaufcruisen, merken wir gar nicht wie schnell wir an Höhe gewinnen. Den Gipfel bemerkt man trotzdem erst, wenn man direkt in ihn hineinläuft. Kurz vor ihm queren wir nochmal ein kleines Stück auf einer subtilen Pfadspur nach links und steigen dann über einfache Bläcke auf den höchsten Punkt am Maningkogel. Erst hier wird der Weiterweg zum Acherkogel sichtbar.

Was für eine Himmelsleiter

Gipfel Maningkogel

Wir legen eine kurze Rast ein. Wir haben heute allerbestes Bergwetter. Der Blick reicht über die zerklüfteten Kalkmassen der Lechtaler Alpen, die Zugspitze und das Inntal. Im Süden leuchten die ersten Gletscher zwischen den dunklen und scharfen Bergwen der Stubaier Alpen hervor. Vom Bergführer ist nichts mehr zu sehen oder hören und wir haben den Grat gefühlt für uns alleine. Immer wieder wandert der Blick zum Acherkogel – der Verbindungsgrat schaut zwar wesentlich kürzer aus als das was hinter uns liegt. Und trotzdem – eine verblüffende und elegante Linie zwischen senkrechten Flanken.

Und wo wir schon von Flanken sprechen. Die Nordflanke, eine unübersichtliche Felswand rechts der Gipfelfalllinie des Acherkogels sieht alles andere als einladend aus. Hier führt der scheinbar heikle Abstieg später durch. Unvorstellbar aus dieser Perspektive. Aber manche Probleme löst man eben, wenn man sie hat.

Abstieg in die Scharte (III-)

Zunächst gilt es ein paar Höhenmeter in die Scharte zwischen Maningkogel und Acherkogel abzusteigen. In der Draufsicht ist bereits der Kamin zu erkennen, der dann wieder auf den, hier etwas schärferen, Grat vermittelt. Eindrücklich ist vor allem der Kontrast zwischen dem grellen Sonnenschein links und dem finsteren, schattigen Fels rechts der Gratschneide. Die Bilder vermitteln zwar einen sehr vertikalen Eindruck, tatsächlich gibt es hier einigermaßen Flache Rinnen und das Gelände sieht in beide Richtungen halbwegs gangbar aus. Nach rechts, also auf die Nordseite, soll es im Bereich der Scharte sogar einen kurzen Notabstieg mit Abseilstelle geben. Angaben ohne Gewähr.

So lässt sich der scharfe Grat hier aber relativ schön und griffig klettern und auch eine kurze III- Kante zum Abklettern hinab zum tiefsten Punkt der Scharte empfinde ich als relativ gutmütig und griffig.

Kamin (III)

Man landet ganz unweigerlich in einem markanten, breiten und griffigen Kamin. Wir beschließen, hier seilfrei zu gehen. Exponiert ist es nicht und an man kann vielerorts gut und entspannt stehen um sich die nächsten Henkel zu suchen. Ben verlässt den Kamin nach einigen Metern nach rechts. Ich bleibe konsequent drinnen, finde nochmal einen Bohrhaken und komme nach einer kurzebn Runde anregender 360°-Spreizerei auch wieder am Grat raus.

Grat zum Acherkogel (III)

Eine Weile turnen wir noch seilfrei an den scharfen Gneisszacken entlang bis wir an einem sehr luftigen und etwas abdrängenden Türmchen wieder ans laufende Seil gehen. Rückblickend keine Schlechte Idee gewesen, denn danach gibt es für mich und auch für Ben nochmal eine jeweils ganz persönliche Crux zu meistern. Wobei meine Crux und das Seil sich gegenseitig bedingen.

Wir landen nämlich auf einer recht plattigen Platte links des Grates. Die waren ja zuvor schon meine Lieblingsdisziplin und auch diesmal tu ich mir kurz schwer den Schuhen auf dem Flechtenbewuchs zu trauen. Ben ist schon irgendwo über’s Eck verschwunden. Genau als ich über die Platte hinweg bin, merke ich, dass sich ein wenig Schlappseil unter mir zwischen einem Schlaghaken und einem Riss verkeilt hat. Sämtliches Rumziehen nutzt nichts. Zur Strafe und / oder Übung darf ich die Stelle, über deren Überwindung ich relativ erfreut war, direkt nochmal abklettern. Das Seil befreien. Und wieder hoch. Beim zweiten Mal geht es schon viel besser. Ich muss einfach öfter Acherkogeln, hilft nix.

Ben’s Crux wartet ein Stück höher an einer ebenso plattigen und luftigen Kante, die ihn sogar dazu bewegt kurz vorm Gipfel noch auf seine Kletterschuhe zu wechseln. Ich glaube er ist die aber auch ein wenig zu tief angegangen. Ich hab mich oben an der Gratschneide festgehalten und hatte einigermaßen viel Spaß. Es ist halt brutal exponiert, vor allem wenn man einen Blick über den Grat und in die dunkle Nordflanke ke wirft. Ich war aber auch nicht im Vorstieg. Who knows.

Irgendwo gibt es noch eine sehr exponierte Querung auf der Nordseite, die aber mit relativ guten Griffen gesegnet ist und kurz bevor wir das Gehgelände erreichen finden wir uns nochmal auf einer markanten Rampe rechts des Grates wieder. Im Fluss der Felsen sind diese Stellen aber eher untergegangen. Letzten Endes sind wir den überwiegenden Teil des Grates zum Acherkogel am laufenden Seil geklettert.

Oben raus wiederholt sich das Spiel vom Maningkogel: kurz vor dem Gipfel auf Pfadspuren etwas nach links queren und bei geeigneter Stelle am Grat oder im blockigen Gipfelaufbau aussteigen.

Feierabend

Gipfel Acherkogel

Abseits des trashigen Gipfelkreuzes gibt es hier vor allem einen grandiosen Rundblick zu bestaunen. Der Acherkogel steht wirklich relativ isoliert und frei und wird zumindest in näherer Umgebung auch nicht überragt. Total geniale Ecke. Ich war letztes Jahr bei der Alpenüberquerung wohl etwas voreilig mit meinem Urteil über Kühtai und seine Berge. Denn das heute war ein Traumtag and einem Traumberg und Traumgrat. Und der rustikale Abstieg wird daran hoffentlich nichts mehr ändern.

Abstieg Nordflanke (II)

Aaaalso. Ich hab ja Dinge gelesen. Und Erwartungen gehabt. Und das Ding in der Draufsicht bewundert. Das ist so die Art von Flanke, die man sieht und sich denkt “ja ganz bestimmt lauf ich da jetzt durch”.

Aber es ist auch die Art von Flanke, die sich dann ziemlich dankbar auflöst. So zumindest mein ganz bescheidener Eindruck. Klar – volle Konzentration erfordert und Ausrutschen verboten. Aber so richtig heikel hat es sich für mich nie angefühlt. Die Kletterstellen sind meist fest und die roten Punkte führen schon in Form von ziemlich gangbaren Serpentinen durch die Flanke. Dazwischen ist es viel plattige Rinnen abkraxeln, kürzere Stufen abklettern und dazwischen viel über die feste Unterlage zwischen losem Schutt balancieren. Es ist steil aber nicht übertrieben steil und Steinschlag dürfte nur selten wirklich weit kommen. Vorsichtig sein lohnt trotzdem. Gerade bei mehreren Parteien im Abstieg. Auch bei Schnee und Vereisung dürfte das nochmal ein ganz anderer Kaliber sein – dafür soll es ein paar Abseilstellen geben. Gesehen habe ich keine.

Schneller als gedacht flacht die Flanke ab und wir laufen neben dem Schneefeld in den braunen Kies unter der Nordflanke. Der Blick zurück und die Wand hinauf ist schon respektabel. Da sind wir gerade runter? Noch viel wilder sind in meinen Augen aber die Leute, die den Acherkogel über diesen Normalweg im Auf- und Abstieg angehen. Da ist die Variante über den Grat dann doch um einiges schöner.

Rechts neben uns ist es nur ein Katzensprung hinauf zur Scharte am Grat, die wir vorher durchklettert sind. Dort sind jetzt auch nochmal zwei Kletterer unterwegs. Es ist also doch ein bisschen was los heute – ein Modeberg sieht dennoch anders aus. Wir verlieren nicht viel Zeit, denn vor uns liegt noch ein relativ unübersichtlicher Abstieg und Gegenanstieg um wieder ins Mittertal zu gelangen.

Wir folgen Steinmännern und Pfadspuren (es gibt wohl mehrere davon) und behalten dabei grob die Mitterscharte im Blick. Tendentiell geht es aber erstmal ein wenig nach links und an den logischen Schwachstellen vom etwas verschachtelten Vorbau runter. Immer wieder sind Stufen abzuklettern und je nach Wegwahl lassen sich auch nochmal Stellen ähnlich der Nordflanke (II) provozieren. Wenn auch stets kürzer.

Von einem markanten Vorsatz nach Westen, eine Stufe tiefer, biegen wir scharf nach rechts ab um in ein wasserführendes Schotterfeld unter dem Maningkogel zu gelangen. Hier sind bereits Pfadspuren zu erkennen, die im Zickzack gen Tal führen. Ich bin mir relativ sicher, dass es dann an der letzten Stufe zum großen Schotterfeld im Talgrund noch einen leichteren Weg geben muss. Unserer beinhaltet nämlich auf den letzten Metern nochmal eine heikle weil rutschige Querung des Flusses und dann nochmal eine etwas schwerere, geschliffene Abkletterstelle neben dem kleinen Wasserfall. Steinmänner haben wir länger keine mehr gesehen. Dennoch fühlte sich diese Schwachstelle der letzten Stufe einigermaßen intuitiv an und löste sich auch brauchbar auf. Aber irgendwo parallel müsste es eigentlich noch eine Variante im Schotter / Fels geben. Nächstes Mal.

Wir versuchen das große Schotterfeld ohne allzu viel Höhenverlust zu queren und peilen den sichtbaren Steig gegenüber an, der mit einigen Eisenketten und Trittbügeln versichert in die Mitterscharte führt. Anders als der Acherkogel ist dieser Weg gut besucht und ich habe einige Zuschauer, als ich beim Ausziehen meinen Helm runterschmeiße und dann doch die Höhenmeter verliere um ihn wieder aus dem Kies zu fischen. Einmal mit Profis wandern gehen.

Und dann ist es wirklich nur noch ein schöner Hatscher zurück zum Auto. Der Gegenanstieg ist nach dem langen Bergtag zwar zäh, dann aber doch kürzer und entspannter als befürchtet. Dann geht es nur noch bergab. Zunächst in Querungen und an Stahlseilen und dann entlang der bekannten Aufstiegsroute durch das Mittertal. Wir passieren die beiden Seen und genießen immer wieder den Rückblick auf das Tagwerk.


Schwierigkeit, Versicherung und Material

Ich habe versucht die Schwierigkeiten authentisch im Text wiederzugeben. Dazu muss man vielleicht erwähnen, dass ich zuvor noch nicht wirklich im Gneis unterwegs war und die Kletterei deshalb als anspruchsvoller empfunden haben könnte. Im Schnitt würde ich sagen, dass der Grat zum Maningkogel der schwerere Abschnitt ist und in meinen Augen drei Schlüsselstellen im (für mich und verglichen mit den Touren daheim in Garmisch) oberen 4. oder sogar unteren 5. Grad. Diese sind jeweils plattiger Natur und mit Schlaghaken und vereinzelten Bohrhaken brauchbar abzusichern.

Die Verbindung zum Acherkogel ist dann kürzer aber um ein vielfaches exponierter. Der 3. Grad ist hier passender, der Kamin ist mir sogar eher einfach vorgekommen. Zwei plattige Stellen oben haben es aber auch nochmal in sich. Da wir nur am laufenden Seil gegangen sind, kann ich wenig zu Seillängen und Ständen sagen. Einzelne Bohrhaken (wohl die Standplätze) sind recht regelmäßig anzutreffen – ob man mit Sicherung von Stand zu Stand in einer passablen Zeit durchkommt gilt es aber erstmal herauszufinden – das ist dann doch einiges an Strecke und potentieller Seilreibung.

Der Abstieg wird dem Mythos nicht ganz gerecht und kann kontrolliert und selten wirklich schwer abgeklettert werden. Wir hatten Kletterschuhe (ich durchgehend, Ben für eine kurze Stelle) dabei. Daneben ein 50 Meter Einfachseil, ein kleines Sortiment von Cams zwischen 0.5 und 1 und ein paar Schlingen und Alpinexen.

Fazit

In Summe ein alpines und umfangreiches Bergabenteuer, dass wenig mit einer “gewöhnlichen” Mehrseillänge gemein hat und über lange Zeit und durch vielseitiges Terrain hindurch einen gewissen Anspruch behält. Die Bedingungen sollten schon passen und eine gewisse Strategie für zügiges Vorankommen vorliegen – bei einem potentiellen Wetterumschwung ist man auf weiten Teilen definitiv zur falschen Zeit am falschen Ort. Ansonsten eine abwechslungsreiche Traumlinie im Gneis in einer schnell erreichbaren und dafür überraschend wilden und abgelegenen Ecke. Mein erstes Mal im Gneis und ich will mehr! Als Gesamtpaket bestimmt eine der eindrücklichsten Unternehmungen in meinem Bergjahr 2023.

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