Kletterblog & Berggeschichten
Parstleswand (3096m) via Ostgrat (IV)
Parstleswand (3096m) via Ostgrat (IV)

Parstleswand (3096m) via Ostgrat (IV)

Was für ’ne Wand?

Und damit hat Ben ja sogar Recht. Also wenn man nicht zufällig nach Tourenideen auf der Website der Kaunergrathütte sucht oder schlaflose Nächte durch irgendwelche Bergwelten googlet wird man im täglichen Leben wohl kaum über diesen Berg stolpern. Bei mir hat aber letzteres dazu geführt, dass ich diesen unscheinbaren und vor allem in seiner Felsqualität hochgelobten Gratanstieg in irgendeine Liste geschrieben habe. Und nachdem im August 2023 anschließend and den Nordostgrat am Acherkogel sowieso die Mottowoche „Gneisgrate“ ausgebrochen ist, fällt die Parstleswand ganz plötzlich ganz arg ins Beuteschema.

Inzwischen gibt es übrigens einen aktuellen Bericht von meiner zweiten Begehung im Herbst 2024. Mit etwas optimierter Wegwahl, gefestigteren Impressionen und einem kleinen, schemenhaften Topo meinerseits:

Die Parstleswand ist ein zweigipfliger Ausläufer des Ostkamms der wesentlich höheren Verpeilspitze (3423m) und gibt zwischen den massiven und wilden Bergen des Kaunergrats ein sehr schmächtiges Bild ab. Mit ihren 3096 Metern wird sie im Süden von der imposanten Watzespitze flankiert, während im Norden unweit die Rofelewand dominiert. Von der Kaunergrathütte, dem Ausgangspunkt für Touren auf die Watzespitze und Verpeilspitze könnte man den kleinen, schrofigen Buckel fast übersehen.

Nur vom kleinen Mittelberglessee stiehlt sie laut Wikipedia der Verpeilspitze die Schau. Aber wer wandert schon zum Mittelberglessee? Ich zumindest nicht, weshalb ich auch kein Bild aus dieser Perspektive habe. Müsst ihr mir einfach glauben. Aus irgendeiner Perspektive wird das Ding schon krass aussehen. Und wenn nicht, ist auch nicht so schlimm. Denn dieser Hügel ist wirklich verboten schön.

Zustieg zum Zustieg

Wir starten nach einer frühen Anfahrt kurz vor Sonnenaufgang in Plangeroß im Pitztal in Richtung Kaunergrathütte. Gute 1100 Höhenmeter liegen vor uns, bevor wir in den Bereich des Einstiegs gelangen. Das ist deutlich mehr als beim letzten Mal. Dafür ist der Zustieg aber gut ausgebaut und relativ angenehm. Nachdem es noch kurz in flotten Serpentinen steil im Wald hinauf geht, tritt man schon über die Baumgrenze und in ein schroffes Hochtal. Der Weg – eben ein Hüttenzustieg – ist entsprechend hübsch angelegt und führt zwischen weidenden Kühen und plärrenden Murmeltieren an der Plangeroßalm vorbei.

Irgendwann taucht im ersten Sonnenlicht die dunkle, wilde Watzespitze vor uns auf. Das ist mal ein Berg. Ben’s Augen leuchten. Umso mehr wird mir Angst und Bange, als wenig später rechterhand auch unser Tagesziel auszumachen ist. Ganz vorsichtig zeig ich drauf.

Achso…okay

Korb. Also nicht der schlimmste meines Lebens, aber es schmerzt trotzdem. Der Parstleswand-Ostgrat stand auf meinem Zettel und wurde von mir vermarktet. Und macht aus der Aufstiegsrichtung wirklich wenig bis nichts her. Wir erreichen das Karlesegg, einen Absatz mit Weggabelung nach einer etwas zäheren Stufe im Tal. Von links kommt hier der Cottbuser Höhenweg rein, geradeaus geht es zur Kaunergrathütte und unübersehbaren Watzespitze. Wir halten uns auf einem Pfad nach rechts auf den Mainzer See und den bereits (über)sehbaren Ostgipfel der Parstleswand zu.

Fast alle bei einer flüchtigen Recherche verfügbaren Zustiegsbeschreibungen lesen sich von der Hütte aus, landen irgendwie im Steinbockjoch und kloppen sich dann eine Schuttrinne zum Ostgrat hinauf. Als wir die Schotterflanke unter dem Ostgrat sehen, ist die Idee dort hinüber zu queren direkt gestorben. Das muss eleganter gehen. Tut es auch:

Wir halten uns auf Pfadspuren rechts und umgehen den Mainzer See um stattdessen den Punkt auf ca. 2700 Höhenmetern zwischen Saß und Parstleswand anzusteuern. Hier hin führt ein kurz nochmal etwas steilerer aber markierter und ausgetretener Pfad, der normalerweise den Übergang zum Mittelberglessee darstellt.

Breiter Blockgrat zum eigentlichen Einstieg (I)

Wir landen auf einem breiten, grünen Grat welcher mit Blick nach Westen zur Parstleswand in ein breites Trümmerfeld aus gigantischen Gneisblöcken zerfällt. Gangbares und spaßiges Kraxelgelände. Genau die richtige Aufwärmübung. Und so geht es nahezu ohne Höhenverlust und und ohne steilen Schotter super genüsslich auf der Verlängerung in Richtung Einstieg. Und von hier sieht die Parstleswand schon gar nicht mehr so fad aus. Ein kühnes, kleines Matterhörnchen mit rotem Fels und gigantischen Blöcken. Ben’s Augen leuchten gewiss nicht so wie beim Anblick der Watzespitze. Aber ein bisschen was tut sich.

Und die Kraxelei macht brutal Spaß. Wir suchen uns unsere Wege durch das grobe Blockwerk und steigen etwas versetzt wie es uns gefällt mal leichtere und mal schwerer Stellen. Immer ansehnlicher baut sich die Parstleswand vor uns auf, immer wilder funkeln die Seen auf beiden Seiten und immer bizarrer wird die Felswelt.

Am Einstieg sehen wir eine andere Seilschaft einsteigen – die beiden werden gerade in der ersten Seillänge sein. Gefunden hätten wir das aber auch ohne die beiden – das ausgetretene Fleckchen muss beinahe zwingend begangen werden und die ersten Bohrhaken liegen im einzig intuitiv sinnvollem Weiterweg leicht rechts. Wir entscheiden uns, erstmal seilfrei einzusteigen und bei Bedarf ans laufende Seil zu gehen. Und auch neben der (nicht vorhandenen) Sicherungstechnik bleiben wir dem Stil vom Acherkogel treu: ich in gemütlichen Kletterlatschen, Ben in dicken Bergstiefeln.

1. Seillänge (II-III)

Gutmütig und griffig geht es los. Über kleinere Stufen, Verschneidungen und Blöcke hinauf auf einen Absatz. Nicht nur der kühle Fels erinnert an die doch alpinere Umgebung – auch der Tiefblick wird immer imposanter und mit jedem Meter wird deutlicher, dass das heute landschaftlich ein absoluter Genuss wird. Im Bild unten ist auch nochmal unser Zustieg über den zerbrochenen, breiten Plattengrat zu sehen, den ich immer der komischen Schotterrinne vorziehen würde.

Die Stände sind offenbar immer an großen Ringen einzurichten. Mangels Seil und Standplatzsicherung ist das aber ein Detail, dem wir nicht mehr allzu viel Beachtung schenken. So wird es hier auch keine Aufschlüsselung in einzelne Seillängen geben wird sondern ein paar Bilder, wuide Wege und Beschreibungen zu den markantesten Wegpunkten.

Spreizschritt und Einstiegswandl (IV-)

Die Seilschaft vor uns ist inzwischen in der zweiten Seillänge beschäftigt und hat am Vortag den Watze Ostgrat geklettert. Wir tauschen uns kurz aus und bekommen angeboten, bei nächster Gelegenheit zu überholen. Da die Kletterei in der Draufsicht etwas schärfer aussieht holen wir hier zwar auch das Seil raus – von Stand zu Stand sichern werden wir aber dennoch nicht und würden so rasch auflaufen. Also alles easy, alles geklärt, alles entspannt. Wobei die beiden den Blicken zufolge schon nicht allzu begeistert von unserer (auch mit Seil nicht vorhandenen) Sicherungstechnik sind.

Ich kenne das Argument, dass das laufende Seil eigentlich das schlechteste aus beiden Welten ist. Ganz offiziell gibt es das ja eh nicht. Warum nicht normal sichern, wenn man doch gar keinen Stress hat? Oder einfach seilfrei gehen, wenn man sich in dem Gelände garantiert sturzfrei bewegen kann? Und doch schiele ich, wie viele andere, auf Touren die sehr zügiges Vorankommen im leichteren Fels erfordern um die gesamte Tour in einer annehmbaren Zeit zu schaffen. Je dicker die Tour, je filigraner die Bergwelt, desto wichtiger die Zeit. Dann bin ich froh, wenn ich dort nicht das erste Mal über laufende Seile nachdenke. Und auch, wenn ich bei Bruch, objektiven Gefahren oder schweren Einzelstellen ein Seil habe, das einen Totalabsturz (ausreichende Zwischensicherungen vorausgesetzt) verhindern kann. Diese Touren grundsätzlich seilfrei anzugehen ist ein Risiko, das ich nicht bereit bin einzugehen.

Und die Parstleswand, so unser Eindruck, ist das perfekte Übungsterrain um sich schnell und „sicher“ im überwiegend leichten Gelände zu bewegen und dabei seltene aber sehr gute Zwischensicherungen in Form von Bohrhaken vorzufinden.

Ich nehme Ben kurz in einen Halbmastwurf am Ring, als er den Spreizschritt in eine kleine Verschneidung angeht. Ganz offiziell steigt man wohl in die kleine Nische ab und klettert dann rechterhand die Verschneidung empor. Aber warum einfach, wenn es auch kompliziert geht. Danach folgen tatsächlich auch nochmal ein paar interessante Züge und ein etwas kniffliger Aufschwung in einer vagen Rinne. Das wird schon irgendwie im oberen III. oder unteren IV. Grad unterwegs sein. Allerdings viel griffiger und entspannter als vorgestern am Acherkogel.

Eine deutliche, schmale Rampe führt an genialen Rissen und Schuppen entlang schräg rechts in die gutmütige Wand, wo wir die andere Seilschaft überholen und dabei auch noch kurz in Sachen Wegfindung aushelfen. Ich hatte zwar selbst wenig bis keine detailierten Infos zu der Tour, erinnere mich aber zufällig noch, dass man hier nach rechts zu dem markanten Zacken quert und hinter diesem einen Quergang findet. Die direkte Variante wäre wohl etwas kühner. Ben verschwindet ums Eck. Ich folge rund 15 Meter hinter ihm.

Querung & Verschneidung (II+)

Und tatsächlich. Rechts vom Grat findet sich eine Querung, die in einer hübschen, flachen Verschneidung mündet. Der Fels ist bombenfest. Kunterbunt. Dunkel mit roten und neongrünen Flechten. Dazwischen rote Blöcke, perfekte Kanten und raue Platten. Ich liebe es jetzt schon.

Am Grat angekommen übernehme ich die Führung über nur wenig exponiertes, verwinkeltes Gelände. Mal geht es an einer genüsslichen Kante empor, dann weicht man wieder nach rechts in eine kleine Verschneidung aus. Zwischendurch verliere ich zunächst ein Pflaster und dann Blut, was eine kurze, medizinische Pause veranlasst. Ich habe mir am Vorabend beim Aubergine schnippeln sauber in die Fingerkuppe geschnitten. Jetzt ist der Grat halt noch etwas bunter.

Und wieder zurück auf den Grat

Griffige, steile Wand (IV)

Ich gehe weiter vor und lande prompt in der vermutlich schwierigsten Einzelstelle des Grates. Zumindest wenn man die reine Kletterei als Maß nimmt. Eine kurze und gut abgesicherte Wand wird mit etwas weiteren Zügen an ordentlichen Leisten und Kanten überwunden. Sieht schwieriger aus als es ist und löst sich in einer fast schon kletterhallentauglichen Griffabfolge auf. Genuss pur – nicht wirklich schwer und wenn überhaupt im IV. Grad, dann recht dankbar. Der Tiefblick ist inzwischen wirklich eindrucksvoll geworden und die beiden Seen liegen weit unter uns. Dabei sind wir doch gerade erst eingestiegen?

Breiter Grat (I-II)

Relativ direkt hinter dem markanten Wändchen lehnt sich der Grat ordentlich zurück und wird spürbar breiter. In der Annahme, dass das erstmal so bleibt verstauen wir das Seil. Interessant ist dieser Weg auf die Parstleswand schon. Gefühlt klettert man stets eher eine Wand als einen Grat. Es ist weitläufig, verwinkelt und unübersichtlich. Die Bohrhaken sind oft in so großen Abständen angebracht, dass dazwischen viele Varianten möglich werden und man bei einer anderen Wegwahl bestimmt auch mal die Chance hat einiges an fixem Material zu umgehen, ohne jemals etwas davon mitzubekommen. Ein richtiger Blick auf die Linie vor oder hinter einem lässt sich nur selten erhaschen. Und doch geht es zwischendurch bestechend scharf und gratig zur Sache. Wie wir schon bald feststellen dürfen.

Wir weichen nochmal plattig-luftig nach rechts aus und umgehen einen steileren Aufschwung. Dann erreichen wir über eine schöne, feste Verschneidung wieder die Gratschneide. Sieh mal einer an. Das schaut jetzt dann doch bisschen anders aus hier. Nach der Wand im Grat kommt also der Grat in der Wand. Ein Fall für’s Poesiealbum.

Scharfer Plattengrat (III+)

Der Grat zieht sich merklich zusammen und führt über ein paar kühne Zacken auf einen nach links geneigten, horizontalen und plattigen Abschnitt. Wenn die Kante nicht gar so griffig wäre, könnte das eine ziemlich gruselige Querung sein. Denn neben den paar Metern Genis auf denen man rumspaziert scheint es auf beiden Seiten ins Bodenlose wegzubrechen. So queren wir konzentriert auf kleinen Rissen und Bändern die Platte zu einem kurzen, verschneidungsartigen Block. Hier geht es einige Meter luftig höher, bis man auf ein zweites, schmales und horizontales Gratstück trifft.

Dieses ist angenehmer zu gehen – wenn auch spektakulär geformt und exponiert. Das Licht und Wetter erledigt den Rest – wir haben heute eine wilde Mischung aus Sonne und rauer, abweisender Wolkenstimmung. Immer wieder brechen Sonnenstrahlen durch die bleierne Wolkendecke und schaffen eine mystische Atmosphäre. So auch, als wir hier zwischen den bizarren, dunklen Felsblöcken umherkraxeln. Irgendwo finden wir sogar einen scharfen Reitgrat – ich kriege seine Lage in dem Felsenmeer aber nicht mehr richtig rekonstruiert. Zum Glück bin ich kein Tourenportal und muss keine Topo malen.

Kurzweiliges Gehgelände (etwas Balance vorausgesetzt) landet vor einem weiteren Block. Wir sehen keine andere Variante und erklettern ihn. Volltreffer. Haken. Und die Sache hat noch einen weiteren Haken. Der Block – oben ohnehin schon luftig und plattig – bricht nach wenigen Metern sehr steil und luftig 2-3 Meter auf einen weiteren scharfen Reitgrat ab.

Schwere Abkletterstelle & Reitgrat (III-IV)

Eine winzige Stelle. Im Kontext der gesamten Tour nur eine Nadel im Heuhaufen. Wir zücken trotzdem das Seil – sicher ist sicher. Links scheint es keine Möglichkeit zu geben, der Block auf dem wir stehen bricht dort überhängend ab. Die direkte Kante scheint auch eher abdrängend und griffarm. Bleibt nur eine luftige Platte auf der rechten Seite des Grates.

Ben geht vor und tüftelt kurz rum – findet aber keine guten Tritte um das kurze Stück zu einem kleinen Band in der Platte zu überbrücken. Von dort scheint es leichter und griffiger zum schmalen Reitgrat zu gehen und dieser ist dann auch nur ein paar Meter lang. Alles tutti. Müsste man nur vom Block runterkommen. Ben macht kurzen Prozess und rutscht die Platte auf dem Hintern mehr schlecht als recht ab und landet irgendwie auf dem schmalen Band wo er sich festkrallt und stehen bleibt. Kann man so machen, wenn man von oben gesichert wird. Seilfrei wäre das bestimmt keine angemessene Lösung gewesen.

Mir ist klar, dass ich als Seilzweiter Ben’s Manöver nicht nachahmen kann. Die Stelle lässt sich dann beim genaueren Hinsehen auch total schön und ruhig abklettern und löst sich einfacher auf als erwartet. Hübsch. Der zweite Reitgrat – sofern er überhaupt als solcher durchgeht – ist auch schnell überwunden und ich schließe zu Ben auf, der einen netten, kleinen Köpflstand hinter der Stelle organisiert hat.

Im Rückblick sieht der eben abgerutschte und abgekletterte Block dann doch ziemlich verrückt aus. Wilde Weiten hier oben. Als Zwischenfazit lässt sich durchaus sagen, dass wir hier traumhaften Fels anfassen durften, der in bizarren Formen für sehr abwechslungsreiche und vielseitige Kletterstellen sorgt. Vieles ist Genuss und leicht – dazwischen warten aber auch ein paar luftigere und kniffligere Momente.

Ein Traumgrat

Querung und langer Kamin (II-III)

Es folgt ein äußerst langes Stück, in dem wir keinerlei fixes Sicherungsmaterial finden. Also…üppige Absicherung ist hier ohnehin nicht zu erwarten. Aber das völlige Ausbleiben von den Standplatzringen und den gelegentlichen Bohrhaken ist ein starkes Indiz dafür, dass wir hier einmal falsch abgebogen sind. Wir bleiben am Seil und Ben umgeht auf dem nun plötzlich wieder breiteren und weitläufigen Grat den nächsten steilen Aufschwung rechts über eine große Platte. Dieses Vorgehen – irgendwas rechts queren und dann eine Verschneidung zurück zum Grat zu finden – hat heute schon ein paar Mal zum Erfolg geführt. Auch hier ist es nicht anders. Um’s Eck wird es zwar für einen kurzen Moment etwas brüchiger und rustikaler, die Umgehung mündet aber unweigerlich in einen langen, griffigen und breiten Kamin. Wir gehen ihn an, Ben verteilt zwei Friends im Gneis und kurze Zeit und ein paar lächerlich geniale Griffe später stehen wir auch schon wieder auf dem Grat.

Der Grat ist hier nochmal scharf aber nahezu waagerecht. Allgemein wird das Gelände plötzlich spürbar einfacher und der nächste breite Aufschwung spuckt uns wenige Höhenmeter später ganz überraschend am Ostgipfel der Parstleswand aus. Mangels Topo und Plan, hatten wir nie so eine richtige Idee wo wir gerade sind und ich habe auch nicht allzu akribisch auf die Uhr geschaut. Es waren „nur“ knapp über 200 Höhenmetern am Ostgrat und eine Kletterstrecke von vielleicht 700 Metern aber mit dem ständigen Wechsel des Geländes und den brachialen Tiefblicken hat es sich bis hier schon ein gutes Stückchen größer angefühlt.

Die Gipfelrast ist eine der Schönsten bisher. In absoluter Ruhe auf einem einsamen 3000er irgendwo zwischen den beeindruckenden Fels- und Gletscherwelten des Kaunergrates. Besonders interessant sieht hier auch die Verlängerung zur Verpeilspitze aus. Irgendwo liest sich „total brüchig und nicht lohnend“. Aber eindrucksvoll ist das durchaus – wir befinden uns hier ja allerhöchstens auf einem Grattürmchen oder Vorgipfel der Verpeilspitze. Auf halbem Weg übrigens auch der Westgipfel mit kleinem Gipfelkreuz. Unser nächstes Ziel, das mit weiteren 400 Metern Gratkletterei bis II+ erreicht werden kann. Aber erstmal einen Apfel essen, Berge (vor allem Watze) angucken und die Ruhe genießen.

Überschreitung zum Westgipfel (II+)

Der Kraxelspaß geht in die zweite Runde. Direkt hinter dem Gipfel gilt es ein kleines Türmchen zu erklettern, welches den Blick auf den Weiterweg freigibt. Plötzlich ist auch der Name Parstleswand einleuchtend: auf der gesamten Länge zwischen den beiden Gipfeln fällt nach Norden eine brutal kompakte, plattige und beinahe überschlagend vertikale Wand ab. Der Grat gleicht stellenweise einem Rasiermesser – zackig, scharf und kühn. Entspannend wirkt allerdings die wesentlich weichere Flanke auf der Südseite bzw. linkerhand. Hier ließe sich einige Meter tiefer in übersichtlichem und nicht allzu steilem Gelände wohl vieles umgehen. Da wir gerade warmgeklettert sind und keine Lust auf die etwas brüchiger anmutende Flanke haben, bleiben wir aber konsequent am Grat.

Der klettertechnische Anspruch ist etwas reduzierter, die Exposition in meiner Wahrnehmung aber um ein vielfaches höher als am Ostgrat. Die Überschreitung ähnelt auf ihren 400 Metern Wegstrecke relativ durchgehend den Schlüsselmomenten am zuvor begangenen Ostgrat und ich bin mir plötzlich gar nicht mehr so sicher, was jetzt eigentlich das Highlight des Tages ist.

Auffällig ist, dass die Absicherung in der Überschreitung ziemlich gut ist. Es gibt eine Menge Haken und gefädelte Schlingen – die uns mangels Seil nur als Wegweiser dienen. Letzterer ist aber auch schnell gefunden – man folgt immer intuitiv den Schwachstellen über den abenteuerlichen und festen Grat. Völliges, flüssiges und freies Genussklettern.

Ein paar Stellen sind Aufgrund ihrer wahnsinnigen Ausgesetztheit dennoch hervorzuheben – es gibt zwei durchaus luftige Abkletterstellen im oberen II. Grad, die einen kühlen Kopf verlangen. Außerdem ist mir eine kurze, plattige Querung über die Nordwand in Erinnerung geblieben, die in ihrer Steilheit eine Sogwirkung hat, die ich immer seltener verspüre. Hier schon. Aber wir sind im perfekten Flow und arbeiten uns schnell und konzentriert durch die wahnsinnigen Formen und Zacken.

Angenehm ist, dass es hier stets geradeaus geht und kaum Höhenmeter verloren werden. So hat man das Ziel stets vor Augen und muss wenig tun, als sich durch den fabelhaften Gneis zu schwingen und die raue Umgebung aufzusaugen.

Irgendwann wird das Gelände wieder etwas leichter und weitläufiger und 30 Minuten nach Aufbruch am Ostgipfel stehen wir schon an dem minimal höheren Westgipfel, den ein kleines Gipfelkreuz schmückt. Der Blick zurück ist eindrucksvoll – von dieser Perspektive und vor dem tief abfallenden Pitztal sieht der eben begangene Grat wesentlich heftiger aus. Links unter der dunklen und steilen Nordwand taucht auch der Türkise Mittelberglessee wieder auf.

Nach einer weiteren, kurzen Gipfelrast – diesmal wirklich vis-a-vis mit der Watzespitze. Geht es nach Süden durch grobes Blockwerk einer vagen Spur von Steinmännern folgend zum Steinbockjoch. Dort unten im rötlichen Schotter ist bereits ein Weg zu erkennen, den wir anpeilen. Ein letzter Blick zur Watzespitze. Wir kommen wieder.

Und dann geht es zügig und entspannt gen Tal. Eine kurze, etwas brüchige Flanke mit Stahlseilversicherung führt uns an den Mainzer See, vor dem wir uns heute Morgen für einen etwas anderen Zustieg zum Grat entschieden haben. Ein Blick links hoch in die Schotterrinne, die wir uns dadurch gespart haben, bestätigt die Vermutung, dass unsere Variante die schönere war. Dann befinden wir uns schon wieder auf bekannten Pfaden und stapfen auf Pfaden, Almen und Brücken über rauschende Wassermassen der steilen Stufe ins Pitztal entgegen.


Schwierigkeit, Versicherung und Material

Für meinen Geschmack sehr vereinzeltes und dann stets humanes Gelände im IV. Grad. Mir fallen rückblickend nur zwei kurze Stellen ein, die ich auch so bewertet hätte. Eine III+ würde es aber eigentlich auch tun. Dazwischen stellenweise III und meistens leichter. Mir fehlt im Gneis ein wenig der Vergleich – die Stellen im auf dem Papier ähnlich schwierigen Acherkogel Nordostgrat kamen mir aber durchweg wesentlich(!) härter und kühner vor. Meistens sehr fester und genial griffiger Gneis – dazu ein stetiger Wechsel aus wandartigen, breiten Stufen, luftigen Gratschneiden und einigen Verschneidungen. Richtig anhaltend exponiert wird es mMn. erst ab dem Ostgipfel mit der Überschreitung. Dass die Tour hier bereits sehr einfach nach links abgebrochen und abgestiegen werden kann nimmt der Sache ein bisschen den Ernst. Auch der Abstieg vom Westgipfel ist vergleichsweise schnell, direkt und unproblematisch. Damit hat man hinten raus in jedem Fall eine Sorge weniger.

Dazwischen muss aber doch ein gutes Stückchen etwas unübersichtliches Gelände überwunden werden – welches sich ganz definitiv im Hochgebirge befindet. Mit mangelnder Sicht oder Wetterumschwung kann die Tour bestimmt rasch zu einem Abenteuer der anderen Art werden. Die Fluchtmöglichkeiten vom Ostgrat weg sind begrenzt bis nicht vorhanden. Im Zweifel immer Letzteres. Der Grat ist keineswegs völlig trivial zu lesen und lädt hier und da zu Verhauern ein, welche mobile Absicherung und Improvisation erfordern können.

Die Absicherung mit Ringhaken an den Standplätzen und recht frischen (aber nicht allzu zahlreichen) Bohrhaken ist für eine so einsame und einfache Linie ziemlich gut. Da wir, wenn wir das Seil verwendet haben, keine Standplätze gebaut haben, kann es sein, dass ich ein etwas verzerrtes Bild habe. Im Internet lesen sich Kommentare aus beiden Lagern: top Absicherung für die Schwierigkeit versus überraschend dünn versichert und zwingend mobil zu ergänzen. Am Ende wahrscheinlich wie so oft eine Sache der Erwartungshaltung und individuellen Geländegängigkeit. Spätestens die Überschreitung von Ost- zu Westgipfel ist dann aber ziemlich gut mit fixem Material versehen.

Zusammenfassung

Ein Traumtag am Traumgrat! Aus den drei (Zwölferkante, Acherkogel, Parstleswand) in dieser Woche mit Ben gelaufenen Runden definitiv die genüsslichste. Wundervolle Landschaft, toller Fels und wilde Kraxelei – wäre da nicht die lange Anfahrt und der (proportional zur Tour) relativ lange Zustieg. Für uns hat das heute trotzdem perfekt gepasst und ich hab mal eine Ecke gesehen, die schon lange auf dem Wunschzettel stand. Ich würde auch mal vorsichtig behaupten, dass der Ostgrat und die Überschreitung der Parstleswand auch ein gutes Testgelände für längere und schärfere Grate im Gneis abgibt. Strategie und alpine Erfahrung vorausgesetzt – ein Selbstläufer sieht anders aus.

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