Kletterblog & Berggeschichten
Parstleswand (3096m) via Ostgrat (IV)
Parstleswand (3096m) via Ostgrat (IV)

Parstleswand (3096m) via Ostgrat (IV)

Den unscheinbaren aber überraschend feinen Ostgrat der Parstleswand habe ich im Sommer 2023 bereits mit Ben gemacht. Dieser Beitrag wird also nur ein kleines Update mit einigen Ergänzungen – dürfte aber wesentlich schlanker und spartanischer ausfallen, als das Original. Ein paar interessante Erkenntnisse gibt es dennoch. Denn diesmal konnte ich mit Hannah tatsächlich ein paar unbeabsichtigte Verhauer aus der ersten Begehung korrigieren und damit auf NOCH mehr schöne Klettermeter kommen. Bleibt nur weiterhin das Problem, dass der Grat bei all seiner Schönheit einen Hauch zu kurz geraten ist.

Den ausführlicheren (wenn auch nicht überall korrekten) Bericht aus 2023 findest du hier:

Es ist ein lauer Herbsttag, wie er im Moment keine große Überraschung mehr ist. Der November 2024 hat uns mit einer beinahe überfordernden Salve an Schönwettertagen beschenkt und einen regelrechten Run auf die Südwände des Wettersteingebirges ausgelöst. Auch in den hohen Bergen sieht es mindestens interessant aus:

Zwar hält sich der Schnee aus dem kurzen, heftigen Wintereinbruch im September auf den Nordseiten – er schafft dort aber ziemlich gute Verhältnisse für die großen Nordwände der Alpen. Im Südosten hingegen ist vieles bis über die 3000 Meter wieder aper und genau diesen Zustand wollen wir heute ausnutzen.

Warmer Granit, Sonne pur und einsame Kraxelei im stillen Kaunergrat.

Zustieg

Wir wählen den Zustieg, den Ben und ich bereits vor einem Jahr als den logischeren und hübscheren auserkoren haben. Von Plangeross in steilen Serpentinen zur Plangerossalpe. Dann weiter in Richtung Kaunergrathütte, wobei wir am Karlesegg auf den Pfad nach Norden abbiegen und bald den kleinen Mainzer See links liegen lassen. Dann steigen wir zu einem kleinen Unterstand auf dem Grat zwischen Parstleswand und Parstleskogel auf und folgen dem breiten, blockigen Rücken zum Ostgrat der Parstleswand.

Fenster zum Berg

Die meisten Beschreibungen im Netz empfehlen durch eine Geröll / Blockrinne in die bereits sichtbare Scharte unmittelbar vor dem Ostgrat. Das mag von der Kaunergrathütte kommend naheliegend sein. Aus dem Tal kommend ist die Variante über den breiten Rücken aber wesentlich angenehmer und logischer.

Auf den letzten Metern baut sich die Parstleswand doch noch zu einer hübschen Pyramide auf

Parstleswand Ostgrat (bis IV)

Wir erreichen die kleine Scharte in welche linkerhand auch die besagte Geröllrinne mündet und steigen noch einige Meter auf einen Absatz am Ostgrat. Hier ist das Gelände noch relativ unübersichtlich und es würden sich zahlreiche Varianten anbieten – wer genau hinschaut dürfte aber relativ weit oben und etwas rechts vom Grat über den ersten „richtigen“ Klettermetern einen ersten Haken erspähen können.

Anders als im Vorjahr steigen wir heute direkt am (laufenden) Seil ein und werden das auch nicht mehr ändern. Denn ich erinnere mich noch, dass die ersten Meter des Grates die Schwierigsten sind und wir ohnehin ein paar einfache Züge später das Seil rausholen würden. Hier also im Schnelldurchlauf die markanten Einzelstellen, für die ich mich diesmal sogar um ein schemenhaftes Topo bemüht habe:

Auf einen einfachen aber etwas unübersichtlichen Aufschwung (ca. III) mit Rechts-Links-Schleife folgt ein kurzer, horizontaler Gratabschnitt und mündet vor dem markanten Spreizschritt. Hier bietet sich ein massiver Ringhaken als Standplatz an – der Spreizschritt ist vermutlich die unangenehmste Einzelstelle des gesamten Grates. Von einem Block lässt sich zwar ganz gut in die vage Verschneidung springen – die Kletterei ist hier aber etwas kräftiger und kleingriffiger. Einen Meter höher wartet ein kniffliges Eck, an dem die Verschneidung nach rechts verlassen werden kann.

Es folgt die brachial schöne und steile Einstiegswand. Leicht rechtshaltend wird durch unbeschreiblich henkligen und festen Fels eine kühne, kleine Felsnadel am rechten Ende der Wand angesteuert. Der Standplatz findet sich links davon unter einem Dach. Hier geht es über die Felsnadel rechts aus der Wand und auf den Grat.

Wir wechseln die Führung. Begeisternde und flowige Kletterei in wärmender Herbstsonne – mit Wind oder Schnee haben wir bisher keinerlei Schwierigkeiten und hoffen auch, dass das so bleibt. Hannah hat sich inzwischen auch in den grandiosen Fels an der Parstleswand schockverliebt und führt den nächsten langen Abschnitt mit zwei markanten Aufschwüngen an.

In dichter Abfolge geht es über zwei schwierige, kleine Wändchen. Das erste beinhaltet etwas technischere, kleingriffige Kletterei an feinen Leisten. Ich habe es in meinem letzten Beitrag als Schlüsselstelle beschrieben – obgleich mir heute der Spreizschritt zu Beginn des Grates beinahe härter vorkam. Das darauf folgende, zweite Wändchen mutet beinahe ein wenig überhängend an, lässt sich rechts aber ganz gut und wesentlich einfacher angehen. Dann lehnt sich der Grat spürbar zurück und wird für einige Meter richtig breit und weitläufig. Hier haben wir bei der letzten Begehung das Seil aufgenommen – nur um es in den scharfen Passagen direkt wieder auszupacken. Heute bleiben wir angeseilt und im Flow.

Geil oder??

Wir wechseln in einer kleinen Scharte die Führung. Die Bohrhaken scheinen unter angepressten, kleinen Schneefelder verborgen zu sein – zumindest meine ich mich zu erinnern, dass wir hier letztes Mal ein Stück in die Nordseite gequert und dann auf den Grat aufgestiegen sind. Ich entscheide mich stattdessen für eine Verschneidung auf der Gratkante, welche ich mit zwei kleinen Friends ganz brauchbar abgesichert kriege.

Dann zieht sich der Grat zusammen und führt über geschlossene Platten und kurze, verschneidungsartige Aufschwünge zu der markanten und exponierten Abkletterstelle, die Ben und mich 2023 ziemlich aus dem Konzept gebracht hat. Ich steige diese frontal an der Kante ab – was wahrscheinlich kräftiger aber ein bisschen weniger exponiert ist. Hannah nimmt sich der glatten Nordseite an und kriegt die Stelle auch schnell gelöst.

Ich habe inzwischen die Haken erspäht, die wir letztes Mal übersehen haben müssen. Oder sie waren damals noch nicht da. Denn auch der Ringhaken nach der Abkletterstelle an dem ich Hannah gerade nachsichere entzieht sich komplett meiner Erinnerung:

(…) und ich schließe zu Ben auf, der einen netten, kleinen Köpflstand hinter der Stelle organisiert hat.

Statt nun also nach rechts auszuweichen bleiben wir hart am Grat. Ein kleines, griffiges Wändchen löst sich wunderbar ab und ist brauchbar mit Haken bestückt. Dann stehen wir bereits im flachen und nach links sehr offenen und gangbaren Gelände. Vor einem Jahr haben wir den Grat hier für beendet erklärt und sind linkshaltend durch einfaches Blockgelände seilfrei zum Gipfel ausgestiegen. Auch damals müssen wir die direkte und abgesicherte Variante an den Gratzacken übersehen haben. Auf jeden Fall haben wir uns dabei um ein paar richtig tolle Klettermeter gebracht. Hannah bleibt in Führung und legt hier nochmal eine richtig spaßige Passage über die mächtig luftigen und scharfen Türmchen vor. Im regen Auf- und Ab, welches kurzweilig wirklich an die Kletterei in Chamonix erinnert, erreichen wir die Gipfelmadonna des Ostgipfels.

Die Überschreitung machen wir auch noch, oder?

Am Ostgipfel der Parstleswand – im Hintergrund die mächtige Verpeilspitze

Es bestünde offenbar auch die Möglichkeit vom Ostgipfel direkt nach Süden auf das Geröllplateau vor dem Steinbockjoch abzusteigen. Dieser „Normalweg“ ist aber mit dem 2. Schwierigkeitsgrad gar nicht so viel einfacher, als die Überschreitung zum Westgipfel. Richtig angelächelt hat mich der Blick hinab auch noch nicht.

Überschreitung zum Westgipfel (II+)

Während der Ostgrat für das alpine Ambiente und den freundlich (absicherbaren) Fels schon recht gut mit Haken ausgestattet ist, so sind die zahlreichen Haken und Sanduhren hier nun wirklich nicht mehr zu verfehlen. Wir gehen die Überschreitung seilfrei an – das spart Zeit und ist im festen Fels vertretbar. Denn auch wenn es nicht so aussieht – die knapp 400 Meter Grat lassen sich in diesem Stil leicht in 15-20 Minuten laufen. Wer nicht zu 120% schwindelfrei ist, mag das Seil aber wahrscheinlich mindestens in Griffweite behalten und wird sich damit auch keinen Zacken aus der Krone brechen. Vor allem für das – vom Ostgipfel kommend – erste Drittel der hübschen Überschreitung, welches die zwei psychischen und tatsächlichen Schlüsselstellen birgt. Obwohl es fast nur horizontal dahin geht sind zwingende Einzelstellen der Überschreitung vielfach ausgesetzter als alles, was man bisher am Ostgrat gesehen hat.

Das „Problem“ lauert dabei nur auf der rechten Seite. Die Nordwand der Parstleswand ist milde gesagt beeindruckend. Absolut strukturlos und düster bricht sie senkrecht bis überhängend rund 200 – 300 Meter in die düsteren Kare ab. Als Referenz – eine derartige Steilheit wird man auch am Jubiläumsgrat oder legendären Watzmann lange suchen. Gefühlt vermag es Kalkgestein kaum oder nur sehr selten solche Abgründe zu Formen. Immer ist irgendwas im Weg. Ein Band, ein wenig Schotter, Türmchen. Irgendetwas, das den Tiefblick ein wenig abfängt.

Nach einem kurzen Aufschwung, welcher direkt am Grat oder durch ein Wändchen in der zahmeren Südflanke angegangen werden kann folgt ein plattiges aber gut gangbares Gratstück. Sobald dieses sich absenkt wird es ernst. Zunächst ist auf einen sehr schmalen und plattigen Grat abzuklettern – welcher dann rechterhand auf einem vielleicht 10 Zentimeter messenden Band über der Nordwand gequert wird. Klettertechnisch einfach – psychisch gewaltig. Und selbst Hannah, die normalerweise der robuste Part in unserer Seilschaft ist zögert kurz.

Echt da runter?!

Chamonix für Arme

Die kurze Querung ist rasch überwunden. Es geht weiterhin gestuft abwärts. Neben einem markanten Felsfinger wartet dann nochmal eine steile und exponierte Abkletterstelle, welche sich auf der Sonnenseite des Grates aber mit einem kühlen Kopf doch ganz gut auflöst. Im Zweifel: Seil auspacken. Man hat es ja ohnehin dabei.

Dann wird der Grat genüsslicher und einfacher und dümpelt homogen im I. und ganz selten vielleicht kurz im II. Grad vor sich hin. Bereits im Aufschwung zum marginal höheren Westgipfel stellt sich nochmal ein kleines, kühn geschwungenes Türmchen in den Weg, welches man kühn frontal ansteigt. Was für den zweiten in der Draufsicht reichlich absurd aussieht löst sich oben herrlich in griffigen Platten auf und kommt mit weit weniger Exposition aus als die vorherigen Abkletterstellen.

Wenig später und nun im weitläufigen und einfachen Blockgelände erreichen wir den Westgipfel der Parstleswand und nehmen nochmal die Ruhe und die majestätische Bergwelt auf. Es ist fast nichts mehr los am Kaunergrat. Zwei Bergsteiger, die wir am Zustieg überholt hatten, sind an der Verpeilspitze unterwegs. Ansonsten Stille. Die Watzespitze präsentiert sich bereits im abweisenden Winterkleid und dient allenfalls als Zugang zu den Erinnerungen meiner Tour über den Nordpfeiler vor wenigen Wochen.

Abstieg

Der Abstieg geht sich gänzlich im Autopilot aus. Durch grobe Blöcke hinab zum Steinbockjoch – dann linkshaltend zur der brüchigen Rinne und Klettersteigpassage, welche hier wieder zum Mainzer See hinab führt. Bereits im Zustieg haben wir erspäht, dass wir hier keinerlei Schneekontakt befürchten müssen. Der im schatten immer noch tiefgefrorene Sand hält sogar besser, als es im Sommer 2023 der Fall war.

Und schon spazieren wir dem noch verborgenen Talboden entgegen und bewundern die massiven Berggestalten des Geigenkamms im Abendlicht. Die gefrorenen Wiesen und Bäche stimmen auf den nahenden Winter ein. Das nächste Mal wenn wir ins Pitztal fahren werden wir wahrscheinlich mit Steigeisen und Eisgeräten bewaffnet sein. Und ohne es an diesem Punkt schon zu wissen: der flowige Lauf über die beiden Parstleswand-Gipfel wird die letzte sommerliche Unternehmung in dieser Saison gewesen sein. Ab jetzt kommt nur noch Schnee und Eis. Bis wir 2025 hoffentlich dort ansetzen können, wo wir heute aufgehört haben.

Denn im Kaunergrat ist noch mindestens eine größere Rechnung offen. Und die hat heute ganz aufdringlich zu uns rüber gelacht.


Schwierigkeit, Versicherung und Material

Die Schwierigkeit ist moderat, die Absicherung mit Bohrhaken (Ostgrat + Überschreitung) und Sanduhren (Überschreitung) ist für das auf langer Strecke einfache Gelände recht gut. Eine alpinere Grattour bleibt’s allemal – die Hakendichte einer Sportkletterroute an der Martinswand darf natürlich nicht erwartet werden. Speziell um ins zügige Begehen abwechslungsreicher Granitgrate reinzukommen ist die Parstleswand aber ein kleiner und erschwinglicher Geheimtipp in grandioser Landschaft. Wobei „klein“ mit Vorsicht zu genießen ist – sichert man den kompletten Ostgrat und die Überschreitung von Stand zu Stand bringt man es leicht auf 1300 Meter Kletterstrecken die in diesem Stil reichlich Zeit fressen werden. Standplätze im klassischen Sinne (2 Haken) gibt es nicht oder nur sehr vereinzelt. Meist bieten solide Felsblöcke oder Ringhaken Möglichkeit zum Sichern.Die Schwierigkeiten überschreiten kaum den 4. Grad – an zwei, drei Stellen darf aber schon sauber geklettert werden.

Neben der guten Absicherung mit Bohrhaken bietet sich die Mitnahme einiger Friends und Köpflschlingen an. Der Fels ist enorm aufnahmefreudig – und die Möglichkeit mal für 50 Meter vom Weg abzukommen ist auch immer wieder gegeben.

Zusammenfassung

Unverändert eine herrliche und oft einsame Grattour über einen interessanten Vorgipfel der großen Kaunergrat-Berge.

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