Werden die Fragen jemals weniger?

Die Einleitung ist hier ein wenig länger geraten und soll bei Bedarf gerne übersprungen werden.
Prolog
Lange habe ich gegrübelt, wie ich mit diesem speziellen Ausflug umgehen soll. Er fällt aus dem Raster. In vielerlei Hinsicht.
Und er lässt mich Vieles hinterfragen, was ich sonst ganz gut beiseite schieben kann. Da wäre die Frage, warum wir überhaupt Teilen. Warum wir speziell Erlebnisse und Momente teilen. Üblicherweise gehört es fast schon zur Routine nach einer Tour eine Story auf Instagram zu laden oder einen Status in Whatsapp einzustellen. Man hat sich daran gewöhnt. Nur ganz selten schrecke ich kurz zurück unter hinterfrage mein Tun. Wofür eigentlich? Braucht’s das? Wen interessiert’s?
Auf diesem Blog ist die Frage für mich aktuell ein wenig leichter beantwortet. Das „teilen“ ist mühsamer. In einem Standartbeitrag stecken jeweils 6 – 8 Stunden Arbeitszeit. Es ist kein schneller Klick, der irgendeinen Content in irgendeine App schiebt. Ohne ehrliche Motivation funktioniert das nicht. Hier kann ich die Frage insofern beantworten, dass ich meist teile um in (hoffentlich) ausgewogenen Anteilen zu inspirieren und informieren. Gleichzeitig hilft die erneute und intensive Auseinandersetzung mit Touren und Momenten mir selbst nicht selten dabei die gemachten Erfahrungen vernünftig einzuordnen. Und der dadurch entstehende gelegentliche Austausch mit Lesern und anderen Bloggern bringt auch mir neue Inspiration und Input für meine Zeit in der Natur.
’ne runde Sache

Inzwischen glaube ich auch verstanden zu haben, dass das für mich so gut funktioniert, weil ich mich hier nicht mit den auf Schnelllebigkeit ausgelegten Gesetzen einer Plattform wie Instagram arrangieren muss. Die Beiträge sind insofern wild & frei, als dass ich sie nach Belieben gestalten, veröffentlichen und löschen kann. Eine Zeichenbegrenzung gibt es nicht. Einen Algorithmus auch nicht. Es ist bequem hier. Der Blog ist ein sperriges und träges Medium in dem ich zwar auf der einen Seite relativ viel preisgebe – mich aber gleichzeitig in der kleinen Reichweite und dem übergroßen Kontext vieler Beiträge verstecken kann. Der ständige und blitzschnelle Vergleich mit anderen fehlt.
Mit einem Schnitt von 3000 Wörtern und 10 – 20 Minuten Lesezeit fordere ich von einem Leser einiges ein und biete nur wenige Abkürzungen an. Natürlich kann man den Text auch überfliegen oder ganz runter scrollen, wo es immer ein kurzes, technisches Résumé gibt. Aber die Übersichtlichkeit und Einheitlichkeit eines Tourenportals fehlt. Der GPS-Track und die Zeitangaben auch. Und die wirklich relevanten Details sind in ausladenden Texten versteckt. Mir gefällt’s. Es muss nicht immer alles sofort für jedermann erreichbar sein.
Der Bogen zur Rippe
Auf der hier dokumentierten Tour ist mir etwas aufgefallen, was ich so nicht auf dem Schirm hatte. Bisher war es für mich nie ein Problem zu kommunizieren, wenn ich eine Stelle in einer Tour nicht klettern konnte oder wollte. Oder wenn ich Angst hatte. Oder körperlich oder mental am Ende war. Das gehört zu unserem Sport dazu und macht wahrscheinlich sogar einen großen Teil der Faszination aus. Das ständige arbeiten an und erfahren seiner selbst wird zu einer ganz wunderbaren Freizeitbeschäftigung und einer langen, intensiven Reise.
Bloß hatte ich mich dabei bisher auf bestehenden Skalen bewegt und gemessen. Das kennen wir – das ist komfortabel. Noten in der Schule, ETCs im Studium, Gehalt und Arbeitszeugnisse im Job. Der 6. Grad im Fels. Der 7. Grad im Fels. Ein roter Bergweg, eine stramme T5-Tour und die Zeit, die dafür notwendig wird. Alles schon da. Alles beschrieben und dokumentiert. Was wäre nun, wenn wir uns für einen kurzen Moment entschließen die bestehenden Wege, Skalen und Regeln zu verlassen. Woran messen wir uns dann? Und was sagt unsere Wahl im Weg- und Maßlosen über uns aus. Ich für meinen Teil habe eine Gefühl von Intimität und Verletzlichkeit erfahren.
Ist das Freiheit?
Neuland
Im Winter 2022 ist mir beim winterlichen Abstieg vom Wank nach Norden zur Esterbergalm die markante und seltsam plattig geschichtete Gratrippe in der Südflanke des Hohen Fricken aufgefallen. Genau genommen ist es die Südflanke des Ochsenbergs, der eine sehr unsignifikante, südlich vorgelagerte Erhebung am Hohen Fricken darstellt. Hier wandern täglich hunderte Bergsportler vorbei. Die Rippe ist keinesfalls versteckt, geheim oder in irgendeiner Form exklusiv. Am Abend habe ich das Internet und die Online-Bibliothek mit den ganz alten AV-Führern durchforstet ohne irgendeine Erwähnung dieser kleinen aber bei genauer Betrachtung mindestens interessanten Formation gefunden.

Sie gehört da nicht hin. Sie ragt ein bisschen fehlplatziert aus der sonst bewaldeten Bergflanke heraus. Ihr aus der Ferne kompakter Fels und die ausladend gestapelten Platten scheinen von feinen Rissen durchzogen zu sein. Sie hebt sich damit auch ziemlich vom würfelig-löchrigen Voralpenkalk ab, den man aus den raren Kletterspots im Estergebirge kennt.
Ich habe der Neugier zwei Jahre lang widerstanden. Es gab auch so viel anderes zu tun. Aber an einem planlosen Freitagnachmittag im dauersonnigen November 2024 habe ich diese alte Idee aus der Kiste geholt, abgestaubt und mich mit leichtem Gepäck und allein durch die steile Südflanke des Ochsenbergs geschlagen um mir besagte Rippe einmal aus der Nähe anzusehen.
- Links die Plattenflucht über die wir einsteigen
- Spannend – also für Kalk
Was ich vorzufinden meine ist interessantes und weitläufiges Terrain. Viel unübersichtlicher als erwartet. Die großen Platten, welche ich aus der Ferne gesehen hatte entpuppen sich als recht geneigt. Die Risse sind für Kalk ungewöhnlich symmetrisch, der Fels stellenweise so blockig und flächig, dass er eher an Granit erinnert. Inzwischen weiß ich, dass die Südrippe am Ochsenberg sich in einem entscheidenden Detail von Granit unterscheidet. Sie ist alles andere als fest. Sie schält sich und fällt förmlich auseinander. Sie ist kaum mehr als ein übergroßer Scherbenhaufen.
Ich begeistere mit Hannah die einzige Person, die ich überhaupt zu sowas begeistern wollen würde und eine Woche nach meinem Erkundungsausflug ziehen wir mit einem groben Plan, reichlich Klemmzeug, Schlingen und Halbseilen los in Richtung Esterbergalm. Wohlwissend, dass wir ein ziemlich komisches Bild abgeben. Die nächste lohnende Kletterei ist kilometerweit entfernt. Und auch wenn wir auf unserer Route keinerlei Begehungsspuren finden:
Nennen wir es bitte nicht Erstbegehung. Nennen wir es Neuland hinterm Haus. Mit wenig Wiederholungsbedarf und vielen, wertvollen Erfahrungen.

Zustieg zur Wand
Die Rippe lässt sich auch direkt vom Frauenmahdsattel ansteigen – das sind dann aber rund 150 – 200 Höhenmeter in steilen Schrofen und Wiesen. Wir machen das ein wenig subtiler – nachdem ich den Weg ein paar Tage zuvor bereits ausgetestet und für einigermaßen angenehm empfunden habe. Auf 1200 Metern zweigt noch vor dem Frauenmahdsattel links ein breiter Fahrweg ab, welcher rasch an eine Trinkwasseranlage führt und dort weiter nach Norden unter die Westflanke des Hohen Fricken führt. Hier gibt es einen kleinen, schwach markierten Steig, welcher die gesamte Fricken Westflanke quert und relativ weit oben auf den Normalweg über die Kuhfluchtfälle leitet. Von unten – also vom Wank kommend – ist der Beginn dieses Steigs ziemlich schwer zu erkennen. Weiter oben entwickelt er sich zu einem regelrechten Wanderweg und ist mit Nähe zum Kuhflucht-Aufstieg sogar mit Punkten markiert. So lange bleiben wir aber ohnehin nicht auf dem Steig. Auf 1300 Metern verlassen wir den Steig nach rechts und queren ansteigend auf die Südseite des Ochsenbergs und unter die Rippe, welche auf 1450 Metern ansetzt.
Wir bestücken unsere Gurte am Fuß der markanten Platten, stimmen einen groben Plan ab und versuchen die Tour so zu behandeln wie jede andere. Wohlwissend, dass wir keinerlei Infos zur Hand haben und kein fixes Material erwarten dürfen.
1. Seillänge (III+)
Ich steige in die Platten ein. Kletterbar. Auf jeden Fall. Keine Überraschung. Aber es braucht nur wenige Meter bis mir auffällt, dass die großen Blöcke und feinen Risse extrem lose sind. Die Platte präsentiert sich wie ein Puzzle, welches nicht richtig zusammengesteckt wurde. Ich bin bereits 10 Meter von meinem Ausgangspunkt weg, bis ich überhaupt ein Placement finde, bei dem ich nicht das Gefühl habe die halbe Wand abzuräumen und auf Hannah hinabzuwerfen.

Ich steuere eine kleine Latsche an, die wir uns zur Orientierung gemerkt haben und quere auf einem Band nach links. Ein schwieriges Eck (ca. III+) überwinde ich mit einem weiten Tritt auf eine kleine Wurzel und schiebe mich dann in eine einfache aber extrem splittrige Rinne, welche in wenigen Metern auf ein Band führt. Eigentlich war mein Plan gewesen hier direkt weiter nach rechts aus der Platte und auf die Kante zu klettern. Ich probiere es sogar kurz. Muss aber feststellen, dass die ungünstige Seilführung und die riesigen, losen Blöcke ein solches Manöver nicht zulassen. Hannah steht absolut exponiert gegenüber jedem Fehler, den ich hier oben machen könnte. Die Lösung: der erste Latschenstand. Und die andere Person aus der Schusslinie kriegen.

Beim zurückklettern bricht mir dann doch ein großer Block unter den Füßen weg und fällt so ungünstig auf eines meiner Halbseile, dass es bis auf den Kern beschädigt ist. Diese Kletterei wird seine letzte gewesen sein. Wir hoffen, dass es für uns anders läuft und bewegen uns wie ein Elefant im Porzellanladen. Hannah schließt zu mir auf und ist von der „Qualität“ der Kletterei auch nur mäßig beeindruckt. Beruhigend ist allerdings, dass sehr solide Latschen unseren Weg ebnen und wir jederzeit an einer solchen mit einem Zug auf sicheren Boden abseilen können. Die Neugier überwiegt erneut. Hannah steigt in das ansteigende Band ein und in damit auch in unsere zweite Seillänge.
2. Seillänge (IV-)
Ich hoffe meine Bemühungen diese Linie als unlohnende und gefährliche Unternehmung darzustellen treffen auf einigermaßen fruchtbaren Boden. Aber bei den Bildern aus Hannah’s Quergang, welcher gleichzeitig in der ersten klettertechnischen „Schlüsselstelle“ mündet, dürfte selbst weniger kletteraffinen Lesern auffallen, wie fragil der Fels aufgebaut ist. Schuppen – teilweise körpergroß – stehen angelehnt oder einige Zentimeter in der Botanik versenkt in der Wand. Auch wenn sie auf den ersten Blick ein paar gute Tritte und Griffe anbietet – wir trauen uns nicht irgendeine Last auf die äußerste Schicht dieser übergroßen Zwiebel zu geben. Entsprechend wenig trivial gestaltet sich der Vorstieg. Risse gibt es wie Sand am Meer. Nur die allerwenigsten von ihnen würden aber nicht in einem Absprengen der Schuppe und anschließenden Felssturz resultieren.
- Hannah in der enorm splittrigen, ansteigenden Rampe. Die äußersten Platten sollten auf keinen Fall belastet werden.
- Am Ausstieg aus der kleinen Verschneidung (ca. IV-)
Sehr zaghaft steigt Hannah das Band empor und erreicht an seinem Ende eine kurze, steile Verschneidung. Könnte man jeden Griff verwenden, wäre diese wahrscheinlich irgendwo im II. Grad anzusiedeln. Mit der reduzierten Auswahl klettert es sich – so finden wir – aber kurz wie im unteren IV. Grad. Eine solide Latsche am Ende des Aufschwungs bietet die Möglichkeit für eine gute Schlinge, dann dreht Hannah nach links ab, steigt über einen kleinen Klemmblock, Wurzeln, steiles Gras und einen weiteren felsigen Aufschwung auf die eigentliche Kante hinaus.
- Rückblick auf die Rampe in der 2. Seillänge
- Linkshaltend über gestuftes Gelände zum Standplatz unter der „Nase“.
Einen Standplatz findet Hannah mit einem Wechsel auf die linke Seite der Kante. Unter einen markanten Felsnase hindurch, deren Beständigkeit nach den bisherigen Erfahrungen anzuzweifeln ist, und ran an die Latsche. Hier schaut auch der Weiterweg ganz gut aus. Ziemlich intuitiv hat sich unser kollektives Verständnis für den besten Weg von „ui cooler Fels“ zu „leichtester Weg“ gewandelt, was sich den Umständen angemessen anfühlt.
- Nicht täuschen lassen – nix is fix
- Die markante Nase hinter der Hannah einen geeigneten Standplatz und Weiterweg findet.
- Schön ist’s im Loisachtal.
3. Seillänge (III-)
Links von der Nase führt eine kurze, blockige Rampe an dem geschlossenen Fels vorbei und leitet in wenigen Metern leichter aber brüchiger Kletterei (II-III) in gangbareres Gelände. Unsere Rippe hat sich hier bereits ein Stückchen zurückgelegt und ist wieder breiter und übersichtlicher geworden. Es gibt weiterhin steile Aufschwünge und Latschendschungel – es gibt aber auch stets kleine Schlupflöcher.

Ich finde ein solches mit einem kurzen Schwenk nach rechts auf hübsche, leichte Platten. Dann umgehe ich den nächsten, vegetationsreichen Aufschwung linkerhand durch eine enge Latschenrinne. Diese spuckt mit auf einem Absatz aus, an dem ich einen Standplatz an zwei Friends gebastelt bekomme.
- Auch hier traue ich dem oberen Block nur bedingt
- Schaut lohnend aus – aufgrund der gigantischen, losen Blöcke suchen wir aber rechterhand einen konservativeren Weg
Hannah schließt zu mir auf und wir beratschlagen uns kurz. Der Aufschwung an dessen Fuße ich den Standplatz gebastelt habe sieht „schön“ aus. Also so schön, wie ein Aufschwung auf dieser rustikalen Kante überhaupt aussehen kann. Er hat aber auch die Tücken, die uns hier seit unserem Einstieg beschäftigen und fordern. Falls sich einer der großen Blöcke lösen würde, so läge mein Standplatz erneut genau in der Falllinie. Wenn wir heute ein Ziel verfolgen, dann den Partner nicht mit Steinen zu bewerfen. Was meinem Halbseil nicht gut getan hat muss nicht am Menschen erprobt werden.
Da das Wändchen aber äußerst sperrend auf der Rippe sitzt, müssen wir uns etwas überlegen. Ich habe beim Ausstieg aus der Latschengasse links eine Rampe entdeckt – die aber sehr luftig und mit unklarem Ausgang an dem Aufschwung vorbei zu führen scheint.
4. Seillänge (IV-)
Hannah zieht es instinktiv nach rechts und sie landet damit einen ziemlichen Volltreffer. 5 Meter rechts von meinem Standplatz gibt es ein Weiterkommen. Eine Latschenrinne führt – zunächst noch sehr erdig und rustikal – zu erstmals und einmalig kompaktem und festen Fels. Davor lässt sich an großen Wurzeln dankbare Absicherung schaffen.
- Der Grat lehnt sich zurück
- Am Ende der Schwierigkeiten
- Kurz feiner Fels in einer Verschneidung
Als ich Hannah folge bin ich begeistert von der hübschen Kletterei ein einer kurzen, plattigen Verschneidung. Richtig Spreizen. Treten. Halten. Für einen kurzen Moment könnte man glatt vergessen, dass man nicht in einer etablierten Kantenkletterei in Oberammergau hängt. Die kurze Passage wird vielleicht zwischen III+ und IV- pendeln.
Der danach flachere, überwucherte Grat holt uns dann doch rasch wieder in die Realität zurück. Hannah hat die ihr zur Verfügung stehenden 60 Meter fast vollständig ausgenutzt und ordentlich Strecke auf der nun einfachen und fast horizontalen Gratschneide gemacht.
5. Seillänge (I-II)
Hey das kenn ich!
Mir kommt das Gelände langsam aber sicher bekannter vor. Bei meiner Entdeckungsreise vor einigen Tagen war ich nämlich bereits auf der Rippe. Ich bin sie nur nicht von unten geklettert sondern weiter oben seitlich eingequert. Damit habe ich uns für heute aber auch direkt schon zwei mögliche und recht gangbare Abstiege von der Südrippe organisiert, sodass am Ende unserer Kletterei kein großes Fragezeichen mehr steht. Interessant war nur die Strecke vom Fuße der Rippe bis hier – auf das grüne (oder im Herbst wohl eher goldene) Flachstück.
Die eigentliche Rippe würde zwar noch weiter hinauf ziehen und der Gipfel des Ochsenbergs ist noch nicht erreicht. Aber ab hier wird die Kante so bewachsen und brüchig, dass ein Versuch weiter auf ihr zu bleiben purer Masochismus wäre. Und das nachdem wir nun 4 Seillängen in einem Gelände unterwegs waren, welches den gemeinen Plaisirkletterer in Angst und Schrecken versetzen dürfte. Aber da oben ist dann definitiv Schluss.

Ich bleibe kurz am Seil und steige noch eine Seillänge vor. Auf den ersten 20 Metern gilt es nochmal – leicht links von der Gratschneide – einen heiklen Geröllhaufen zu ersteigen und sich dann etwas luftig durch die Äste einer großen Latschenkiefer zu hangeln. An einem Block steige ich hart rechts durch steiles Gras und sandige Schrofen auf den Grat aus und erreiche den Punkt, an dem ich vor wenigen Tagen bereits gestanden bin.
Und abgesehen von den zerkratzen Armen, dem halbierten Seil und den 20.000 Zecken, die sich auf uns tummeln müssen ist es wunderschön hier oben. Eine völlig fremde und neue Perspektive auf den Wank und unsere Hausberge. Hinter der Zugspitze versinkt langsam die Sonne in den abendlichen Dunst über dem Loisachtal. Obwohl die Tour in ihren Zahlen sehr klein war ist der Moment der Stille im Abendlicht an diesem herrlichen und wilden Fleck einer meiner intensivsten Bergmomente des Jahres – vielleicht sogar des Lebens. Und ich glaube inzwischen auch verstanden zu haben woran das liegt.
- Abendlicht
- Ammergauer Alpen und Kramer
- Oben – am Wank ist es schon reichlich schattig
- Ganz links die kompakten Pfeiler (davor erster Abstieg) – oben die wahrscheinlich wirklich unlohnend bis unmögliche Fortsetzung zum Ochsenberg
Für ein Gefühl von Freiheit und Abenteuer braucht es nicht die Eiswand der Superlative oder den 4000er den Alle wollen und Viele kriegen. Für einen winzigen Moment waren wir noch einen Schritt weiter. Ein wenig näher an dem, was ich als pures Erleben beschreiben würde. In einem Moment, der nur uns gehört. Auf einer Rippe, die niemanden interessiert. Es reichen also 5 Seillängen Bruch und Gemüse, damit ich zum Kalenderspruch-Autor mutiere.
Abstieg (I-II)
Nach dem Flachstück fallen links (westlich) ein paar sehr plattige, kompakte Felspfeiler auf. Entweder vor diesen links hinab. Oben kurz II und etwas heikel – dann gutmütiger und unten durch eine recht gemütliche, kurze Rinne (I-II) auf den weichen Waldboden. Alternativ ca. 50 Meter weiter dem Grat folgen und vor dem nächsten steilen und buschigen Aufschwung links kürzer aber wesentlich steiler an einigen Wurzeln und Latschen absteigen. Links von der Südrippe verläuft eine breite und relativ gangbare Rinne im Wald, welcher man nun entweder nach oben (Latschenkampf, Ausstieg auf den Ochsenberg bzw. Weg zum Hohen Fricken) oder unten (Frauenmahd-Sattel) folgen kann.
- Rückblick zum Abstieg von der Südrippe
- Abstieg im steilen Bergwald
Wir entscheiden uns für den Abstieg – oben ist nicht mehr viel zu holen und die Sonne steht schon tief. Aus einer vagen Idee wurde eine Tat und wir haben uns heute nach bestem Wissen und Gewissen über das kleine Stückchen Fels geschlagen. Es gibt nun also ein Fragezeichen weniger.
Direkt im Abstieg tauchen 1000 neue Fragezeichen auf.
Epilog
Erzähle ich jemandem davon? Male ich ein Topo? Schreibe ich einen Bericht? Veröffentliche ich den dann? Darf ich überhaupt ein Topo malen?
Im Klartext habe ich mich für einen Mittelweg entschieden. Ich möchte die Infos und das Erlebte teilen – zumal ich, wenn ich bei der Suche nach der interessanten Rippe auf der Südseite des Hohen Fricken fündig geworden wäre, vielleicht anders gehandelt hätte. Genau das möchte ich niemandem vorenthalten. Eigentlich – so rede ich mir ein – ist dieser Beitrag vielleicht sogar viel wertvoller und interessanter als die x-te Wiederholung einer bekannten und in 10 Kletterführern beschriebenen Route. Ich möchte aber auch kein Interesse wecken, welches zuvor nicht bestand. Zumal ich diese Tour niemandem empfehlen möchte. Deshalb ist dieser Beitrag in der Übersicht und per Stöbern auf meiner Seite nicht auffindbar. Nur eine passende Schlagwortsuche führt hier her – oder eben eine E-Mail, welche der kleine Kreis meiner Abonnenten erhält. Merkst du was?
Schon sind die Fesseln unserer Zeit wieder an Ort und Stelle. Aber für einen kurzen Moment waren wir draußen. Ein kostbares Gut.
Schwierigkeit, Versicherung und Material
Alles was ich oben gesagt habe. Sehr sehr heikler Fels – aufgrund der Größe der losen Blöcke / Trümmer und der oft nur sehr zweifelhaften Verankerung am Berg wahrscheinlich sogar auch schlicht gefährlich. Die Rippe lässt sich auf verschiedenste Wege ersteigen und das wurde bestimmt auch schonmal irgendwie gemacht. Auf unserer Wegführung begegnet man nur einzelnen lohnenden Klettermetern inmitten sehr rustikaler Geländetypen. Viel Erde, Sand, Latschen und Steilgras. Die Schwierigkeiten übersteigen den oberen 3. oder unteren 4. Grad nicht – allerdings ist dieser sehr vorausschauend und vorsichtig zu klettern.
Die Absicherung gestaltet sich an regelmäßigen und soliden Latschen relativ gut, speziell die Standplätze lassen sich oft überraschend fein errichten. Dazwischen gibt es aber auch mal Leerlauf und längere Strecken, die zwar einfach aber nicht wirklich mobil absicherbar sind. Speziell Klemmzeug ist mit Vorsicht zu genießen – es hilft hier oft eher dabei Berge zu versetzen als Sicherheit zu schaffen. Ich würde rückblickend behaupten, dass das aus all meinen bisherigen Klettertouren diejenige mit dem mit Abstand größten und schwer kontrollierbaren Risiko war.
Und eher als Formalität – denn ich hoffe, dass hier niemand einsteigen möchte: mindestens Halbseile, Friends bis #2, viele Schlingen. Ob man irgendwo einen soliden Haken untergebracht hätte – ich weiß es nicht. Ehrlich gesagt kann ich es mir aber nicht vorstellen. Wir haben keinerlei Material oder Spuren hinterlassen.
Zusammenfassung
Abenteuer pur hinter’m Haus – und ein allenfalls intensiver Ausflug in eine Idee, ihre Umsetzung und deren Folgen.
Topo
