Klettern im Sarcatal – auch im November beinahe tropisch und sonnig. Zumindest, wenn man kein Pech mit dem Wetter hat. Hatten wir diesmal aber nicht. Und so zieht es uns wieder einmal in die zerklüfteten Wände, die das Sarcatal umrahmen. Ausgesucht haben wir uns die “La Piccola Piramide”, welche erneut von den Erschließern um Grill / Kluckner stammt.
Nachdem ich nun schon das dritte Mal im Jahr 2023 hier bin, hat sich ein gewisser Trend abgezeichnet. Es ist noch zu früh um von einer Regel zu sprechen. Aber Touren dieser Erstbegeher haben etwas Besonderes an sich und man ist beinahe geneigt, sie bewusst zu suchen. Zumindest kann man sich hier auf viel Verlassen, was man in manch anderer Linie vergebens sucht: gute aber angepasste Absicherung auf einer oft brutal abwechslungsreichen, kreativen und schönen Linie. Gefühlt folgt man hier oft einem sehr intuitiven Fluss durch die Wand, der sich an vielen natürlichen Strukturen orientiert und dabei aber erstaunliche Kletterstellen findet. Die Kletterei wirkte bisher nie gesucht und hangelt sich nicht nur von Bohrhaken zu Bohrhaken. Die Zahl und Qualität der Sicherungen nimmt in einem für meinen Geschmack recht gesunden Maße mit den Schwierigkeiten zu – dazwischen darf aber auch mal richtig geklettert oder sporadisch selbst abgesichert werden. Kurzum – recht zuverlässige und überraschende Abenteuertouren durch faszinierende Wände.
Die Piccola Piramide führt in 12 Seillängen mit knapp 400 Klettermetern durch die recht verwinkelte und botanisch anmutende Ostwand der Coste Dell’ Anglone und startet damit am Sportplatz in Dro, welcher schon Ausgangspunkt für viele andere Klettereien diente. Die Anzahl an Routen in diesem Wandabschnitt ist groß und meine Begehungen von “La Bellezza della Venere“, “Dinosauri” und “La Luna Argentea” sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Dennoch fühlt sich speziell der kleine Parkplatz hinter dem Fußballfeld wie ein zweites Zuhause an. Inzwischen verpasse ich auch die Einfahrt nicht mehr.
Zustieg
Wir starten heute mit 11 Uhr für unsere Verhältnisse fast schon sündig spät – es ist mal wieder der Anreisetag – und rechnen uns aus, dass wir schon durchkommen werden. Man wird ja auch irgendwie älter. Die Tage sind schon ordentlich kurz, das Sarcatal in geniale Farbtöne getaucht und das Wetter perfekt. Vom Parkplatz geht es diesmal nicht nach rechts, sondern nach links auf der breiten Forststraße nach Süden, bis diese auf ein paar Häuser trifft und über eine Brücke in den Ortskern von Dro führen würde. Hier rechts halten und bei eigentlich erster Gelegenheit einem Pfad nach rechts zur Wand folgen. Wie so oft wird es im Dickicht dann recht unübersichtlich. Da wir uns die grobe Position der bereits aus dem Tal erkennbaren Route aber eingeprägt hatten, finden wir den Einstieg ziemlich direkt, nachdem wir uns ansteigend links an der Wand entlang geschlängelt und über die Nachbarroute “Le Scalette Del’ Indria” gestolpert sind.
1. Seillänge (V-)
Nicht abschrecken lassen. Der Routenname ist zwar angeschrieben, der Einstieg in die Tour sieht aber gar nicht so einladend aus. Zumindest ist alles irgendwie etwas brüchiger, etwas buschiger und etwas rustikaler als man es ringsum gewohnt ist. Es wird besser. Der erste Haken ist aber wirklich ein bisschen höher und da die Route rasch über ein etwas abgesenktes Schuttbecken quert, hat man nur wenige Meter nach dem Einstieg schon mehr Luft unterm Hintern, als man bisher an Höhe gewonnen hat.
Hannah hat schon beim Blick ins Topo eine berechtigte Frage gestellt:
Nun. Es sind Sarcatal-Überhänge und im wesentlichen eher etwas senkrechtere Stufen in sonst geneigtem, plattigen Gelände. Hannah steigt souverän vor und an wenigen Ecken muss man kurz anpacken – tatsächlich im unübersichtlichen Pool meiner bisherigen V- Längen in der Region eine der etwas schwierigeren.
2. Seillänge (V+)
Es geht hinein in die markante Platte, die bereits aus dem Tal erkennbar ist und makellos glatt erscheint. Hier verlässt man auch schon das Buschwerk und erhält einen traumhaften Tief- und vor allem Seitenblick nach Arco. Zunächst über ein paar Löcher in die Platte und dann an einem begeisternden, leichten Quergang in die zentrale Platte. Es macht Sinn, an den ersten fixen Punkten (Sanduhr und Bohrhaken) eher längere Expressschlingen einzuhängen. Zumindest vollzieht man ein gewisses Zick-Zack und möchte an der Crux der Seillänge keinen unnötigen Gravitationsverstärker in Form von Seilreibung einbauen. Um die Seilreibung, die ich mir in weiser Voraussicht gespart habe doch noch zu erzeugen, lege ich unter dem Wulst noch einen kleinen Totem in einen hübschen Riss. Notwendig wäre er vermutlich nicht gewesen.
Der kleine, sperrende Wulst oder Bauch geht viel mehr als Überhang durch als alles, was uns die Wand in der 1. Seillänge präsentiert hat. Wahrscheinlich kann man sich hier sogar ganz schön die Zähne ausbeißen. Ich brauche zumindest ein paar Ansätze, bis ich die trittarme und abdrängende Stelle leicht rechts überwunden habe. Es hilft wenig, dass die wenigen entscheidenden Griffe schon recht abgegriffen und speckig sind.
Darüber darf auf einer kurzweiligen Strecke schön auf Reibung geklettert werden, bis man eine griffige Rissspur und den wieder etwas weiter rechts liegenden, gebohrten Standplatz erreicht. Hannah hat auch ihre Freuden den kniffligen Wulst zu überwinden und wir kommen beide zu dem Urteil, dass die Länge für eine V+ im Sarcatal ebenfalls eher auf der spannenden Seite ist.
3. Seillänge (VI-)
Mit den zwei gar nicht so leichten leichten Längen im Nacken sind wir umso gespannter, was nun in der 3. Seillänge mit der ersten VI- auf uns wartet. Diese Länge soll auf ein Band mit Gehgelände führen, bevor die Route richtig anzieht. Wesentlich einfacher wird es heute zumindest nicht mehr wirklich.
Was folgt stellt sich aber als ziemlich lässige und hübsche Seillänge heraus, die zunächst nach einigen leichten Metern über eine griffige, steile Schuppe führt und dann nach einer weiteren Unterbrechung in einem steilen, griffigen Wändchen mündet. Absolut geil zu klettern, gut abgesichert und ein hübscher Kontrast zu den bis eben vorherrschenden Platten.
Durch ihren gestuften Charakter ist die Route bis auf die oberen zwei Seillängen nie wirklich ausgesetzt und in der verwinkelten Wand mit wechselnden Landschaften und Felsformationen kommt keine Langeweile auf. Eigentlich lässt sich jede Seillänge wie eine Route im Klettergarten vom Boden weg angehen und entsprechend unbefangen kraxeln. Ausnahmen bestätigen die Regel, aber dazu später mehr.
4. Seillänge (Gehgelände)
Wir erreichen das breite und bewaldete Band, auf welchem rund 30 Meter nach rechts auf einer deutlichen Pfadspur zur nächsten Wand gequert wird. Wir nehmen das Seil nicht auf – für die kurze Strecke lohnt das auch nicht – und geben lediglich Acht keine kleinen Steine in die unteren Seillängen zu treten. Wie konkret die Gefahr von Steinschlag bei vorauskletternden Seilschaften sein kann wird uns nämlich rasch in Erinnerung gerufen, als ich den Baum unter 5. Seillänge erreiche und mich an diesem sichere.
Ohne “STEIN” von oben tritt eine Seilschaft, die stets 1-2 Seillängen vor uns geklettert ist am Ausstieg aus der roten Verschneidung einen größeren Block los, der mit nichts als Platte über mir ungebremst genau auf den Standplatz zurauscht. Mehr dem Prinzip Hoffnung folgend drehe ich meinen Rucksack zur Wand und verstecke mich hinter dem kleinen Bäumchen. Ich habe einen Elefanten hinter eine Palme im Kopf. Etwa so effizient ist mein Schutzschild.
Was folgt ist der mit Abstand schärfste Kontakt mit Steinschlag, den ich bisher erleben durfte. Ein faustgroßer Block schlägt mit einem scharfen Knall exakt hinter mir in den Baumstamm ein, kleinere Splitter schlagen ringsum von den Felsen ab und kommen dann auf dem erdigen Band rasch zum liegen. Hannah, die in 30 Meter Entfernung außer Gefahr war und das Spektakel beobachtet hat wirkt schockierter als ich, als sie meinen Standplatz erreicht.
Was lernen wir daraus. Nicht ganz so unbedarft einsteigen & die Seilschaft über sich im Blick behalten. Bei unbekannten und häufig frequentierten Routen ist das selten vollständig möglich. In der verwinkelten “La Piccola Piramide” kommt erschwerend dazu, dass man überhaupt keine Ahnung hat, was um einen los ist. Aber hier ganz konkret der Hinweis – der Standplatz am Ende des Bandes strömt eine etwas trügerische Sicherheit aus. Am Stand über der roten Verschneidung liegen einige und vor allem recht grobe Blöcke rum, die schnell losgetreten sind und dann im absolut freien Fall und ohne Vorwarnung auf dem Band einschlagen. Eine Seilschaft in oder am Ende der roten Verschneidung lässt sich aus der 4. Seillänge gut ausmachen und das Risiko lässt sich minimieren oder eben mit Bedacht in Kauf nehmen.
Wir prüfen, ob das neben mir liegende Seil etwas abbekommen hat, dann startet Hannah in die 5. Seillänge.
5. Seillänge (VI-)
Was sich teilweise als “böse Rissspur” liest meint lediglich den allerersten Meter vom Boden weg in die recht kompakte Platte. Dieser Meter ist aber durchaus spannend. Böser als die Risspur, in der am besten Griff ein etwas störender Normalhaken eingeschlagen ist, sind vor allem die fehlenden oder sehr speckigen Tritte. Hannah wurschtelt eine ganze Weile rum und schafft es irgendwann sich auf den Plattenpanzer zu robben. Nicht ohne dabei den Rotpunkt zu ruinieren. Auf der anderen Seite – so kann man sich schonmal langsam darauf einstellen, was uns später erwartet. Denn während der rote Punkt aktuell nur eine kleine Schramme davonträgt, so wird er später von mir noch im großen Stil ausgepeitscht, angezündet und anschließend im Gardasee ertränkt. Klettern ist so ein friedlicher Sport.
Danach wird die Seillänge schlagartig einfach bis sehr einfach und quert leicht ansteigend durch perfekte Henkel und Löcher an den Fuß der markanten Verschneidung.
Als ich nachsteige möchte ich natürlich Hannah’s Manöver wiederholen. Direkt folgt die Schimpfe von da oben:
Dooooch. Ich will aber. Mimimi.
Ich versuche und schaffe es tatsächlich ohne. Flieg aber einmal von der glatten Platte runter und halte mich am Ende irgendwie über dem Schlaghaken fest und rupf mich zu den rettenden Henkeln ein Stück höher. Der Rest läuft flüssig von der Hand und erreiche Hannah am schattigen Standplatz.
6. Seillänge (VI-)
Eine der allertollsten Seillängen überhaupt bisher. Den Doppelriss in der Le Strane Voglie di Amelie toppt sie nicht, schlägt aber in eine ganz ähnliche Kerbe. Landschaftlich begeisternd, absolut anhaltend und im festen und interessanten Fels geht es durch die fantastische Verschneidung hinauf. Die Absicherung ist hier mittels verschiedener Haken und Sanduhren relativ gut und der Fels überraschend andersartig. Sehr scharf und löchrig geht es zur Sache – was für die Hände teilweise nur sehr kleine und scharfe Griffe abwirft hält ziemlich perfekt unter den Füßen und lässt sich mit wenig Kraft klettern. Meist hält man sich dabei rechts der eigentlichen Verschneidung in der löchrigen Wand und ist immer wieder begeistert von der Regelmäßigkeit versteckter aber brachial geiler Griffe. Was in der Draufsicht abenteuerlich und rustikal aussieht entpuppt sich rasch als bombenfeste und absolut genüssliches Klettern.
Ganz oben lege ich einen #1 Cam, der sich wenige Meter später als unnütz herausstellt. Man sieht den Stand aber erst relativ spät und mit zurücklehnen der Verschneidung hat man kurz das Gefühl nun einen leichten aber weiten Runout über eine mittelprächtigen Sanduhr in Kauf zu nehmen. Dem ist dann aber eigentlich nicht so – wenige Meter später stößt man auf den gebohrten Standplatz an einem großen Block.
Hannah folgt souverän und begeistert, während ich mir all die Steine anschaue, die man hier lostreten kann. Ist wirklich schnell passiert.
7. Seillänge (IV+)
Ich hatte vorher mal geschrieben, dass es nicht mehr wirklich einfacher wird. Doch wird es. Hier.
Der Grund dafür ist aber nicht, dass ich kein Topo lesen kann (wer weiß), sondern dass ein recht aktueller und ziemlich grober Felssturz die folgende Seillänge neu frisiert und geglättet hat. Denn wo ein V+ Spalt zwischen den Wand und einem großen Block erklettert werden musste ist jetzt nur noch eine saubere, quadratische Abbruchkante. Wie ein Stück Lasagne hat sich hier sehr punktuell ein großer Fels ins Tal verabschiedet. Doch kein so friedlicher Sport dieses Klettern. Zumindest manchmal. Hannah und ich philosophieren bei einer Rast über dieser Stelle eine ganze Weile über Ursache und Planbarkeit solcher Ereignisse und begutachten die umliegenden Wände extra argwöhnisch. Bitte halten. Danke.
Die Seillänge selbst ist dadurch einfacher geworden – ich würde maximal einen oberen 4. Grad veranschlagen. Man folgt vom Stand weg einer kleinen Kante hinauf und über einen etwas kniffligen Seitenschritt nach rechts gelangt man in eine plattige Rampe. Diese führt schmaler werdend zu einem Eck und direkt unter den frischen und weißen Ausbruch. Die Route wurde hier begradigt und auch im zusätzliche Haken erweitert, sodass es einfach und naheliegend geradeaus auf ein schmales Band geht. Hier ist Stand.
Die nächste Seillänge ist ein kurzer und banaler Quergang nach rechts auf dem Band. Mit geschickter Seilführung und einem etwas längeren Seil lässt sich der Quergang bestimmt noch anhängen. Wir entscheiden uns hier für eine kurze Rast und Brotzeit. Wenn wir gewusst hätten, wie zach der Ausstieg aus der Wand noch werden würde, wären wir hier vermutlich nicht gar so entspannt rumgesessen.
8. Seillänge (Gehgelände)
Ich “steige” vor. Also latsche vor. Rüber zum Stand halt. Und Hannah hat auf die folgende Länge sogar Lust.
9. Seillänge (VI)
Die Ehre des Vorstiegs wird schnell zur Last. Der erste Haken ist reichlich hoch und die winzige Rissspur unter einem glatten Dach extrem speckig und scharfkantig. Tritte gibt es kaum und die verklemmte Körperposition führt nicht gerade zu guter Kletterei. Hannah kämpft sich irgendwie unter dem Dach heraus zu einer recht frischen Sanduhr. Hier gibt es zwei Möglichkeiten. Geradeaus die Wand hinauf…laut Topo eher VI+ und komplett clean. Oder nach rechts in eine gestufte Verschneidung queren und dort wesentlich leichter zum Stand. Auch hier braucht man aber keine fixe Absicherung mehr erwarten. Zu meiner Überraschung schlägt Hannah relativ schnell den Weg in die schwierigere Direktvariante ein. Zumindest kriegt sie den Quergang in die Verschneidung nicht gelöst. Für mich sind die Facetten dieser Seillänge vom Standplatz aus noch nicht zu erkennen.
Kaum ist Hannah aus meinem Blickfeld verschwunden höre ich schon Fluchen. Wenig später legt Hannah ihren ersten Vorstiegssturz in einer Mehrseillänge hin und hängt wieder unter der Sanduhr an der Kreuzung. Irgendwie war es oben wohl machbar. Aber irgendwie auch gruselig. Ich will’s gar nicht beschönigen – die Seillänge stresst uns ziemlich. Hannah sowieso, die letzten Endes doch noch die Verbindung in die leichte Verschneidung hinbekommt und den Standplatz erreicht. Aber auch die Zeit wird langsam knapper, die Finger kälter und unsere Kletterei an diesem Punkt definitiv nicht besser. Die Seillänge ist nicht nur auf dem Papier sondern auch in Realität ein gutes Eckchen schwerer als Bisheriges und der Weg zum Ende der Wand noch halbwegs lang.
Im Nachstieg sitze ich auch im Seil. Genau an der Stelle, in die Hannah gestürzt ist. Die Platte ist irrsinnig abschüssig und rutschig. Man hat – zumindest mit meinem Klettervermögen – gar keine Wahl als sich irgendwie mit voller Gewalt im Riss festzuklammern und selbst dann mit den Füßen wegzufliegen. Keine Ahnung wie ich das im Vorstieg gelöst hätte. Die Verschneidung ist – wenn man sie erreicht – wirklich einfach. Aber genau der Übergang von der letzten Sicherung in die Verschneidung ist die Crux der Länge und punktet mit Speck, kräftigen Zügen und urplötzlich fehlender Absicherung.
Der Stand ist dann wieder auf einem bewachsenen Band und es scheint als wäre nichts gewesen. Von der Höhe und dem steilen Fels unter uns ist nichts mehr zu sehen. Was dafür wieder zu sehen ist, sind die inzwischen goldenen Wolken am Horizont und die letzten Sonnenstrahlen über dem Gardasee.
10. Seillänge (Umgehung, V)
Wir müssen ein ganz kleines bisschen aufs Gaspedal drücken und so mache ich mit der 10. Seillänge einigermaßen kurzen Prozess – sie ist aber auch eine die ereignisloseste der ganzen Route. Nach links über raue, poröse Platten zu einem steilen Aufschwung. Ich umgehe die Hauptschwierigkeiten einen Meter weiter links etwas leichter und quere dann an einem großen Sinter mit Sanduhr wieder in die Route, ohne dabei das Gefühl zu haben etwas zu verpassen. Kurz durch eine Verschneidung und auf einer breiten, einfachen Rampe nach rechts zum Stand. Nur die Seilführung ist interessant – ein ordentliches Zickzack veranstaltet man da. Der Seilzug hält sich dennoch in Grenzen, ich hab an der Kurve aber auch relativ akribisch längere Exen eingehängt und einen Haken mit meiner leichteren Umgehung ausgelassen.
11. Seillänge (V+)
Wir haben das dichte Buschwerk wieder ein wenig verlassen und die hier oben steilere und offenere Wand lässt wieder mehr Licht zu. Das ist gut. So stellen wir etwa fest, dass die Sonne noch nicht untergegangen ist und wir gerade ein ziemlich lässiges Alpenglühen im Nacken sitzen haben. Vor uns liegen noch zwei Seillängen. Die nächste – ein schon in der Draufsicht völlig irrer Quergang über abschüssige Sinter fällt Hannah zu, welche sich in einer irren und einsamen Abendstimmung durch die knifflige Länge arbeitet.
Im Nachstieg habe ich meinen heutigen Tiefpunkt und keine wirkliche Freude. Nachdem ich die letzte Seillänge eher auf Geschwindigkeit gezogen habe fällt es mir hier extrem schwer, die Konzentration oben zu halten und die filigrane Beinarbeit auf winzigen Poren und Unebenheiten zu absolvieren. Dabei ist die Seillänge eine Wucht. In Schönheit, Aussicht, Exposition und Fels. Aber der hier sehr plötzlich einsetzende Tiefblick und die sich langsam anbahnende Erschöpfung tun für mich ihr Übriges und der Genuss hält sich in Grenzen. Mehr schlecht als recht arbeite ich mich jammernd durch den Quergang – dessen Crux definitiv ein sperrender Wulst ist. Hier geht es griffarm und mit meiner Länge auch direkt an der Kante stehend unter der abdrängenden Felsformation entlang. Ein ziemlicher Balanceakt, der dankbar abgesichert ist. Für seinen Schwierigkeitsgrad aber auch durchaus interessante Stellen hat und in einem sehr unbequemen Stand in der Wand mündet.
12. Seillänge (VI)
Nur 25 Meter trennen uns noch vom Ende der Tour. Wahrscheinlich ist es zum leichten Ausstiegsgelände im 4. Grad sogar noch kürzer. Aber passenderweise sind die folgenden Meter die mit Abstand schwersten der ganzen Wand und uns läuft Zeit und Bizeps davon.
Der Standplatz ist eine kleine, logistische Herausforderung. Zwar kann eine Person hier einigermaßen gut auf einer schmalen Leiste stehen – das war’s aber auch schon. Der notwendige Platzwechsel um links in die folgende Seillänge zu gelangen ist – mit wenigen Optionen und dem Arsch über dem Sarcatal – nicht ganz so trivial. Der Zustieg fällt wieder mir zu und es ist ziemlich klar, dass es kein sauberer Vorstieg mehr wird. Ich hangelt mich an dünnen aber guten Untergriffen in die Schlusswand und dort von Sicherung zu Sicherung – und zwar mit absolut allen Mitteln. Die Züge sind unfassbar weit, die Absicherung im Vergleich zu anderen Längen überraschend dünn inclusive. einer sehr maroden Sanduhr, die sich auch nicht mit Bordmitteln ergänzen lässt. Auch wenn wir bisher nahezu keine mobilen Sicherungen verwendet haben – hier knalle ich wirklich alles in die Wand was geht und schiebe mich technisch mit meinen geliebten Totem-Cams (blau, lila und rot) durch den gnadenlos steilen Fels.
Ein ziemliches Trauerspiel auf der einen Seite. Halbwegs effizient auf der anderen. Denn im fahlen Abendlicht kriege ich mit letzter Kraft den ziemlich sportlichen Zug ins leichte Gelände und aus der Wand hin.
Das Licht reicht gerade noch für Hannah’s Nachstieg und ich höre regelmäßig frustriertes Genuschel aus der Wand. Wird schon passen. Im Sarcatal gehen die Lichter an und mit dem letzten bisschen Dämmerung erreicht auch Hannah den Ausstieg. Sie ist ähnlich abgekämpft wie ich und wir kommen einstimmig zu dem Schluss, dass die Seillänge im großen Stil unterbewertet ist. Man muss berücksichtigen, dass wir an dem Punkt schon echt fertig waren und im Fels definitiv nicht allzu weit über dem VI. Grad stehen – aber auch im Vergleich zu den anderen Längen darf man sich hier durchaus auf mindestens auf eine stramme VI+ einstellen. Ich muss ganz ehrlich sagen – zumindest ein paar Stellen VII- im Sarcatal und in den Nordalpen im Gepäck – gerne auch noch etwas mehr.
Die Länge ist wirklich anhaltend, extrem kräftig und vergleichsweise kühn abgesichert. Die Züge sind stellenweise sehr weit und die für mein Empfinden etwas nach unten geschichtete Wand lässt kaum Zwischengriffe zu, die in den aufgerufenen Schwierigkeitsgrad passen. Ich habe irgendwo gelesen, dass es etwas weiter links leichter sein soll – ich hatte nicht die Nerven es auszuprobieren.
Die Erstbegeher geben für die ganze Tour nur V+ obligat an. Das passt für mich nicht. Dafür sind die meisten V+ Stellen, speziell im Sarcatal, viel zu einfach und die Seillängen 9 und 12 tanzen zu sehr aus der Reihe. An den zwei entscheidenden Stellen auch mit etwas interessanteren Umständen in Sachen Absicherung, sodass nach meinem Empfinden ein höherer Grad obligatorisch zu klettern ist. Zumindest muss ich offenbar noch eine ganze Menge Zeug trainieren, bis ich auch nur eine Chance habe die 12. Seillänge frei und ohne Sturz oder Pause zu klettern. Da war ich – und ich glaube ich spreche auch für meine Seilpartnerin – um Welten von entfernt. Und das obwohl uns die von den Erschließern identisch bewerteten Seillängen 3,5 und 6 ziemlich leicht gefallen sind.
Abstieg
Nicht weiter spannend und von vielen anderen Touren bekannt. Nur dass wir diesmal von Süden eine ganze Weile über den Lichtern von Arco queren, bis wir den Klettersteig über dem Sportplatz erreichen, der rasch wieder ins Tal führt. Wir sind auf der einen Seite beflügelt von der geilen Tour, den teils brachial schönen Seillängen und der Tatsache, dass wir in genialer Abendstimmung aus der Wand gekommen sind. Auf der anderen Seite aber auch durchaus gedämpft von der Härte der letzten Seillänge und dem schmalen Grat zwischen Genuss und Frust.
Wir erreichen unser Auto, checken in unsere Unterkunft ein und bewundern den Weihnachtsmarkt in Arco – der ein paar durchaus spannende und drogenverherrlichende Projektionen an die Häuser wirft.
Zumindest hat sich die Mutter Maria in meinen Augen grad ‘ne Fluppe angemacht um auf ihren satanischen Bengel klarzukommen. Und ich komme aufgrund dieser Interpretation bestimmt in die Hölle. Oder in die 12. Seillänge der Piccola Piramide. Ich bin mir noch nicht sicher, was schlimmer wäre.
Schwierigkeit, Versicherung und Material
Für meinen Geschmack und den zarten Überblick, den ich bisher über die Routen im Sarcatal habe schon ein etwas größeres Projekt. Klar – wer besser klettert, wird hier auch reichlich Spaß haben und rasch durchspazieren. Wir haben für den heutigen Tag vielleicht ein bisschen zu hoch gegriffen und uns etwas zu sehr darauf verlassen, dass wir von theoretisch ähnlichen Routen in der Vergangenheit nicht zu sehr beeindruckt waren. Die Route ist herrlichst abwechslungsreich und fühlt sich vielleicht gerade deshalb auch so umfangreich und voluminös an. Mit der roten Verschneidung und dem Sinterquergang sind absolute Traumseillänge gefunden, die ein absolutes Highlight darstellen, begeisternde Kletterei aufweisen und absolut ausreichend abgesichert sind. Der scharfe Riss in die ungesicherte Verschneidung und die Ausstiegslänge kommen dann mit sehr contrairen und gerupften Metern daher, denen man einen Hauch von Speck durchaus ansieht und die zumindest uns schnell wieder auf den gefühlten (und manchmal auch tatsächlichen) Boden geholt haben. Die Route ist relativ gegliedert und kommt sehr lange ohne nennenswerte Exposition aus. Erst in den letzten beiden Seillängen wird dies komplett über’n Zaun geworfen.
Die Versicherung ist durchweg gut und erfordert nicht allzu viel Eigeninitiative – ist aber durchaus alpiner. Im leichten Gelände ist die Absicherung durchaus dünn und erfordert sturzfreies Steigen, die schweren Stellen sind mit einigen guten Bohrhaken, Sanduhren unterschiedlicher Qualität und wenigen Schlaghaken versehen. In meinen Augen macht die Mitnahme von Klemmzeug und Schlingen durchaus Sinn, wenn man nicht ganz wesentlich über den geforderten Schwierigkeiten steht. An einigen Ecken finden sich doch sehr brauchbare Placements. Ein Rückzug dürfte bis über die rote Verschneidung gut machbar sein (Stände teilweise mit Ringhaken) – im oberen, verwinkelten Teil gibt es diese Option vermutlich nicht mehr wirklich oder nur mit viel Arbeit und Steinschlag. Und á propos Steinschlag. Helm sowieso. In meinem Fall auch Halbseile. Jeder wie er mag.
Fazit
Definitiv eine wunderschöne, vielseitige, interessante und überraschend lohnende Wegführung durch einen inhomogen und botanisch anmutenden Wandabschnitt über Dro. Wir waren der Tour mit unserem Klettervermögen zwar theoretisch gewachsen, oben raus wurde es aber relativ knapp mit den Körnern. Der Weg ist lang, die Schwierigkeiten teils recht anhaltend und vor allem nach oben zunehmend und erste Begehungsspuren machen einem an manchen Ecken das Leben schwer. Mit etwas Puffer eine begeisternde Tour. Wir hatten ihn zum Glück in Form von Totem Cams für meinen Techno-Ausstieg und hatten so in Summe auch einen genialen und stimmungsvollen Herbsttag.