Unsere Stauvermeidungsstrategie für das Osterwochenende in Arco hat bereits vorab für Kopfschütteln gesorgt – selbst in DAV-Kletterkreisen. Zu kalt würde es in der Route sein. Übertrieben früh und absolut unentspannt. War es so abwegig, mitten in der Nacht loszufahren um zum Sonnenaufgang und vor dem erwarteten Trubel am Einstieg der ersten Route zu stehen?
Vielleicht.
Haben wir es trotzdem so gemacht?
Möglich.
Würde ich es wieder tun?
Absolut.
Die erste Route, die wir uns für’s erste Mal Klettern im Sarcatal ausgesucht haben ist die “La Bellezza della Venere”. Zu deutsch “die Schönheit der Venus”. Wie schön diese Venus dann wirklich ist gilt herauszufinden – auf jeden Fall versprechen wir uns hier einige leichte Klettermeter in einer eher kleinen und unscheinbaren Wand vor dem Örtchen Dro. Mich haben vor allem die Bilder überzeugt – coole, plattige Rippen im unteren Teil, eine glatte Verschneidung und ein Quergang unter einem imposanten, gelben Dach im oberen Teil. Einfach eine abwechslungsreiche, kurzweilige Kletterei in toller Landschaft.
Ursprünglich als IV+ geführt, liest man mittlerweile auch von höheren Schwierigkeiten aufgrund der starken Politur. Die Route gilt als beliebt bis akut überlaufen und eher alpin abgesichert. Da wir keine wirkliche Referenz haben und noch nie in der Region klettern waren sind wir gespannt was auf uns zu kommt und haben durchaus vor, von den Erfahrungen aus dieser Tour auf die Machbarkeit unserer Pläne für die Folgetage zu schließen. Immerhin waren wir eine gute Weile nicht mehr richtig am Fels.
Nach einer reibungslosen aber dunklen und müden Anfahrt geraten wir hinter Bozen in die Dämmerung. Und staunen neben den Pistazien-Croissants auch über die wilden Wände, die sich rechts und links erheben. Ich war hier schon einige Male in meiner Kindheit – wo die Priorität aber eher auf dem Wasser des Gardasees lag. Ein paar Jahre später und mit den Augen eines Kletterers fühlt es sich an wie das erste Eintauchen in eine fremde Welt. Es sind halt die kleinen Dinge im Leben. Oder die großen Wände. Oder beides.
Zustieg
Nach unserem radikal frühen Start im nassen und kalten Garmisch stehen wir mit den ersten Sonnenstrahlen um 7:20 am kostenlosen Parkplatz vor dem kleinen Sportplatz nördlich von Dro. Auf dem Parkplatz stehen zwar einige Camper und vor einem sitzen auch ganz offensichtlich Kletterer – wir sind dennoch die ersten, die es so früh schon in die Wände zieht. Der Zustieg ist minimalistisch, zu kalt ist es auch nicht. Erst ein paar Minuten dem Wanderweg nach Pietramurata folgen und dann – nicht zu früh und ungeduldig – an einer Weggabelung mit Steinmann links abbiegen und leicht rechtshaltend an die Wand heranlaufen. In meinem Fall war die Route sogar auf der Karte am Handy markiert – luxuriöser kann man es fast nicht haben. Wir erreichen den noch menschenleeren Einstieg und als die ersten Sonnenstrahlen durch die Bäume funkeln sind wir bereit in die “Venere” einzusteigen. Dank blauer Markierung ist man sich an diesem Punkt seiner Sache auch (noch) relativ sicher.
1. Seillänge (III)
Hannah startet in die erste Seillänge und stellt schnell fest, dass wir diese auch getrost seilfrei hätten gehen können. Durch eine leichte Rinne geht es zwischen Bäumen hindurch und an großen, festen Kalkblöcken entlang aufwärts. Dabei kann man sich an den Blöcken zwar durchaus die eine oder andere Schwierigkeit suchen – falls man zu früh aufgestanden ist wäre nebenan aber auch fast immer ein erdiger Pfad der nur von kleinen Stufen unterbrochen wird. Es ist Schrofen- oder Zustiegsgelände aus dem Bilderbuch und die mit 55 Metern eigentlich sehr lange Seillänge ist schnell und ereignislos überwunden. Mit Bohrhaken und Baumschlingen vermisst man auch keinerlei Absicherung.
Ich begeistere mich auf dem Weg also stattdessen für die andersartige Natur, den nach einigen Metern bereits offeneren und hübschen Blick ins Sarcatal und die vielen Eidechsen auf den Felsen. Am ersten Stand fällt direkt die Jacke. Von wegen zu kalt 😉
2. Seillänge (IV-)
Es geht weiter. Ich steige vor und freue mich über die freie Wegwahl zwischen den wenigen (und kaum benötigten) Zwischensicherungen. Die Bäume treten allmählich in den Hintergrund und die Platten werden kompakter und größer. Weiterhin gilt, dass sich alles worauf man keine Lust hat leicht umgehen lässt und man in keine tatsächliche Kletterei gezwungen wird. Auf der anderen Seite – ein paar raue Platten kann man schon antreten. Ein bisschen ausprobieren, wie das mit der Reibung und wenigen Griffen funktioniert. Könnte ja sein, dass man sowas noch braucht.
3. Seillänge (IV-)
Hannah steigt wieder vor und erreicht über weiterhin leichte und schöne Platten in der Morgensonne den nächsten, gebohrten Standplatz. Bisher sind wir völlig alleine und nun auch schon hoch genug um den Blick ins Tal schweifen zu lassen. Besonders beeindruckend das unter uns liegende “Marroche di Dro ” Naturschutzgebiet mit seinen – einem gewaltigen Bergsturz entstammenden – teils haushohen Felsblöcken. Ringsum die gigantischen und teils deutlich über 1000 Meter aufragenden Felswände. Eine Watzmann-Ostwand wäre hier wohl nur eine von vielen.
4. Seillänge (IV+)
Bisher sind wir absolut reibungslos vorangekommen. Die nächste Seillänge fällt wieder mir zu und jetzt wird gefühlt zum ersten Mal geklettert. Die Landschaft ändert sich und vor uns steilt das Gelände langsam aber sicher auf. Unsere Route führt hier über eine subtile Rippe auf einen kompakten, griffarmen Wulst, der dann in eine kurze Verschneidung führt. Und tatsächlich – noch vor der Verschneidung ist eine kurzer Plattenabschnitt etwas kniffliger zu überwinden und die Wertschätzung für die vorhandenen Bohrhaken wächst. Hätte man jetzt nur genug Exen dabei um diese auch zu verwenden.
Tatsächlich haben wir am Stand kein Material getauscht, da jeder mit 6-7 Expressen am Gürtel bei der bisherigen Dichte an Sicherungspunkten mindestens 2 Seillängen klettern könnte. Da hier aber enorm viele gefädelte Sanduhren zum absichern einladen, bin ich trotzdem mit ein oder zwei Expressschlingen zu wenig in die Seillänge gestartet. Mir fällt das am Übergang in die Verschneidung auf – zu spät um noch etwas zu ändern. Aber früh genug um die folgenden Meter etwas spannender zu gestalten. Ich lasse einen Bohrhaken und eine Sanduhr aus und stemme mich in der Verschneidung zu einer Sanduhr, an der ich meine letzte Alpinexe einhänge. Eine wunderschöne Seillänge mit einer Brise Reibung auf den griffarmen Platten zu Beginn und einem kurzen Finale in einer hübschen, festen aber im Vergleich zu den ersten Seillängen auch deutlich schwereren Verschneidung. Mit etwas stemmen und treten ist die Stelle aber rasch überwunden.
Den Standplatz übersieht man fast. Zumindest bleibe ich links in der Verschneidung und merke erst bei einem zufälligen Blick nach rechts auf einen Absatz über einen glatten Platte, dass ich bereits fast am Standplatz vorbeigeflitzt bin. Von unten ist er wirklich nicht zu erkennen. Er liegt aber sehr logisch und lässt sich am Ende der Verschneidung auch kaum wirklich verfehlen. Mein kurzes Abklettern kann man also nicht als Verhauer bezeichnen. Der kommt jetzt.
5. Seillänge (IV+ / Verhauer V+)
Eine Eigenart die ich mehr und mehr an mir selbst entdecke: Wenn ich das Gefühl habe, dass es meinen Kletterpartnern gerade nicht ganz gut geht mit der Situation, beginne ich zu plaudern. Möglichst positiv. Irgendwas mit singenden Vögeln, dem tollen Wetter, springenden Delfinen. Das funktioniert sogar meistens. Heute aber nicht. Hannah’s Stimmung kippt so schnell wie die Seilreibung zunimmt.
Die 5. Seillänge kommt nach einer kurzen, etwas glatten IV+ Stufe mit einem längeren Quergang daher. Nur wo endet dieser? Hannah ist bereits auf einem relativ breiten und deutlichen Band nach rechts gelaufen und hat auf dem Weg einige Sicherungspunkte mitgenommen. Zwei gefädelte Sanduhren gehören auf jeden Fall zu unserer Route doch dann wird es etwas unübersichtlich und wir nutzen die Rufweite um Topos zu checken und uns abzusprechen. Direkt über dem Band und Quergang ist ein kleines aber steiles Wändchen. Dieses lässt sich an verschiedenen Stellen bezwingen – das sehen wir sofort. Über eine nach links geneigte Rampe etwa. Aber das plötzliche Fehlen von erkennbaren Sicherungsmitteln lässt uns zögern. Laut Topo sollten wir mindestens einige Sanduhren und auch Schlaghaken vorfinden. Die Tour war bisher üppig und weit über unserer Erwartung abgesichert und wir halten es für recht unrealistisch, dass sich das nun schlagartig ändert. Zumal das Gelände hier viel schwerer ist als die ersten drei Seillängen.
Etwa 10 Meter weiter entdeckt Hannah einen Bohrhaken an einer Verschneidung. Vielleicht wurde die Route ja saniert und unsere Topo mit den Schlaghaken ist veraltet? Da wir nichts anderes entdecken soll es also diese Variante werden.
Was wir im Eifer des Gefechts übersehen ist der mehr als ungünstige Seilverlauf den Hannah bald durch massive Seilreibung zu spüren bekommt. Es wird so heftig, dass sie kaum vorwärts kommt und vor jedem Klettermeter am Fels blockieren und Seil nachrupfen muss. An dem kleinen Pfeiler über den die Bohrhaken aus der Verschneidung heraus führen wird die Kletterei wieder schwieriger. All meine gute Laune vermag es nicht Hannah’s offensichtliche Frustration auszugleichen und so wird es mal wieder Zeit für Sicherungstechniken aus der Hölle. Zum Glück spare ich mir den folgenden Kommentar, als ich unten im Schrofengelände die nächsten Seilschaften (jep…plural) anrauschen sehe:
Irgendwie ist schnell klar, dass wir so nicht weiterkommen. Ein gesichertes Abklettern ist nicht wirklich möglich, da die eh schon grobe Seilreibung um einen weiteren 180° Knick im Seil erhöht würde. Das Abenteuer findet also seinen Weg zu mir. Hannah hängt sich an einem der sehr soliden Bohrhaken ein und baut einen provisorischen, wenn auch nicht ganz lehrbuchkonformen Standplatz während ich das Restseil aufnehme. Nachdem ich das Seil verkürzt habe steige ich nach – in der Hoffnung schnell und problemlos die 2-3 Sicherungspunkte zu erreichen, die uns gerade das Leben schwer machen. Wenn ich diese aushänge kann Hannah wieder Seil einholen, mich zumindest grob sichern und ich werde an einer ziemlich üppigen Sanduhren im Quergang einen Standplatz einrichten von dem sie mit weniger Seilreibung aus dem kleinen Pfeiler aussteigen kann.
Der Plan geht natürlich auf. Wir beherrschen das Gelände mit ausreichend Puffer und schnell sind wir umgebaut, mein Standplatz 20 Meter höher gelegt und Hannah auf dem Weg über den kleinen Absatz und zum Standplatz. Ein kleiner Dämpfer für’s Selbstbewusstsein ist es trotzdem. In einer leichten Route kann man sowas schon mal machen aber in meinem Kopf spukt es kurz ein wenig. Eine solche Situation möchte ich nicht haben, wenn ich näher am Limit meines Kletterkönnens bin. Wir lernen – ein oder zwei Blicke mehr in die Topo können nicht schaden. Denn wenn wir uns etwas vorwerfen können, dann dass wir uns hier schon treiben lassen haben und abseits von “Jaja irgendwas mit Quergang” einfach dem Material gefolgt sind. Spätestens bei den glänzenden Bohrhaken um’s Eck hätten wir misstrauisch werden müssen. Die gehören nämlich zu einer anderen Route. Wir sind zu weit rechts. Und versehentlich über einen verdächtig rutschigen Meter im vertrockneten Gras in die 5. Seillänge der “Te lo do io il Colorado” gequert und hier noch ein Stückchen V+ zum Standplatz geklettert. Im Falle von Hannah ein einarmiger und seilziehender Vorstieg. Respektabel. Und trotzdem doof.
Am Stand angelangt sehen wir wenige Meter links von uns den unverkennbaren Standplatz der Venere im leichten, flachen Gelände. An welcher Stelle die Route die kleine Wand nun aber genau durchquert hat um hier hinauf zu gelangen erkennen wir von oben auch nicht. Vielleicht müssen wir die Tour also doch nochmal gehen.
6. Seillänge (III)
Eine kurze Stufe führt auf einen fast schon bewaldeten und weitläufigen Absatz in der Wand. Auf einem deutlich erkennbaren Pfad geht es im Gehgelände auf die kleine Rissverschneidung zu. Eine reine Brücken-Seillänge.
7. Seillänge (IV+)
Die Rissverschneidung sieht schwerer aus als sie ist – tatsächlich finden wir hier aber zum ersten Mal abgegriffenen und polierteren Fels vor. Auch diesen hatten wir uns von den Beschreibungen her schlimmer vorgestellt. Bisher war der Speck, sofern überhaupt vorhanden, leicht zu umgehen. Hier zwingt der Riss einem zwar ein paar etwas glattere Griffe auf, die Platten ringsum bieten aber noch ausreichend Tritte ohne deutliche Begehungsspuren. Hannah spreizt sich im Vorstieg ordentlich in die Verschneidung und verschwindet schon bald über den Rand. Als ich nachsteige halte ich mich eher auf der linken Begrenzung der Verschneidung und greife den Riss nur mit der rechten Hand. Geht sich auch gut aus.
Danach führt ein kurzer Schwenk nach rechts auf eine Rampe, die dann nach links unter den markanten, gelben Überhang führt. Hier gibt es auch nochmal ein paar schöne, etwas längere Züge über die kleinen Stufen und bombenfesten Kalk. Definitiv eine der hübschesten Seillängen und sehr abwechslungsreich. Unser Chaos aus der 5. Seillänge ist schon fast wieder vergessen.
Ich löse die Stelle relativ tief und steige nach dem Bohrhaken im Speck nicht voll in den glatten Quergang zum Absatz mit Baum auf sondern bleibe ein oder zwei Meter tiefer aber auch ausgesetzter an der Wand. Hier finde ich verlässlichere Tritte und erreiche Hannah am Stand.
8. Seillänge (IV+)
Ich folge dem Band unter den Überhang. Erst geht es über ein exponiertes Bäumchen und dann auf eine sehr schmale Schuppe, auf der man einen Meter an der abdrängenden Wand entlang balancieren darf. Bislang ohne fixen Sicherungspunkt. Ist ja im weitesten Sinne auch nur Gehgelände.
Hier würde auch ein alter, schwerer Originalausstieg abzweigen und rechts des Daches entlangführen. Ich übersehe ihn nicht nur – ich habe ihn überhaupt nicht auf dem Schirm. Eine rustikale VI steht heute auch überhaupt nicht auf unserem Wunschzettel. Also weiter geradeaus.
Dann steht man vor der flächigen Rampe, die unter dem gelben Dach absolviert wird und der erste Bohrhaken taucht auf. Hier treffen Welten aufeinander. In dieser Seillänge trifft der schärfste Fels der Tour auf den poliertesten. Zu Beginn bewegt man sich über große Blöcke und durch teils an eine Koralle erinnernden, raue und scharfen Fels. Wenige Meter später trifft man auf das absolute Gegenteil mit gnadenlos glatten und geschliffenen Tritten und Griffen. In einer Boulderhalle würde das getrost als Dualtex Sloper durchgehen.
Am Ende der Rampe und nach dem zweiten Bohrhaken halte ich mich ein oder zwei Meter tiefer und steige ausgesetzter aber weniger rutschig nach links unter den Absatz. Hier gelangt man mit kaum größerer Schwierigkeit auf den Absatz mit Baum an dem Stand gemacht wird und entschärft sich einen spiegelglatten und etwas abdrängenden Quergang am Ende der Rampe. So zumindest mein Empfinden. Hannah ist hier höher geblieben, hat ziemlich lang für die Stelle gebraucht und sich gefühlt etwas schwerer getan. Es bleibt dabei – jedem das seine. Die meisten abgegriffenen Passagen sind nicht zwingend zu klettern. Wenn man jetzt noch Topo lesen würde.
Ich erreiche den Absatz mit dem Baum und steige ein kleines kniffliges Wändchen auf einen zweiten Absatz hinauf. Hmm…nur eine Sanduhr? Ich gucke auf die Topo. Prima, am Baum wäre Stand gewesen. Es hätte so einfach sein können. Ich richte einen Stand an der Sanduhr und einem #1 Friend (sein erster Einsatz am Fels) ein und hole Hannah nach. Der Stand am Baum wäre sicher etwas komfortabler gewesen, hier oben geht sich das aber auch gut aus und die Seilreibung hält sich in Grenzen. Das kleine Wändchen nach dem Baum stellt die letzte wirkliche Schwierigkeit dar und beinhaltet einen kräftigeren Zug, nachdem man auf einer nach rechts ansteigenden Leiste für die Füße so viel Höhe wie möglich gewonnen hat.
9. Seillänge (III)
Beraubt um die kleine Schlüsselstelle in ihrer Seillänge durch meinen späten Stand geht es für Hannah in die letzte, kurze Seillänge. Über ein in der Draufsicht sehr interessantes, plattiges Band geht es leicht ansteigend und relativ exponiert über dem Dach entlang. Der Tiefblick kann sich sehen lassen und die leichte aber luftige Reibunskletterei macht nochmal richtig Spaß. Dann eine kurze, griffige Kante hinauf und schon erreicht man den Ausstieg aus der Wand.
Ein letzter Blick hinab in die Route zeigt nochmal alle Stellen. Die leichten Platten am Einstieg, die schöne Rippe in die Verschneidung, der Quergang mitsamt Verhauer, die Rissverschneidung und die Rampe unter dem Dach. Wirklich eine schöne und vor allem abwechslungsreiche Venus. Und entsprechend beliebt. Denn unten tummeln sich nun teils mehrere Seilschaften um die Standplätze und ich bin froh, dass wir hingegen aller Empfehlungen früh aufgestanden, angereist und eingestiegen sind.
Abstieg
Nach einer kurzen Rast auf den großen Blöcken über der Route (und dem mittlerweile sonnengefluteten Sarcatal) geht es linkshaltend über einen deutlichen aber an kurzen Stellen ausgesetzten Pfad zurück nach Dro. Am Ende einige Stahlseile hinab und nach diesen passiert man noch ein für den Aufstieg angebrachtes Schild, welches wohl frei übersetzt “Blablah Ferrata only with Klettersteigset” sagt. Das wenn wir mal früher gewusst hätten.
Und so spuckt uns die Wand noch vor Mittag wieder aus, sodass wir an dem Tag noch eine zweite Mehrseillänge anhängen werden. Aber dazu später mehr.
Schwierigkeit, Versicherung und Material
Wenn ich mal Revue passieren lasse, was wir von der Bellezza della Venere erwartet haben: super speckig und deshalb schwerer, überlaufen, alpin abgesichert. Tatsächlich wird die Route nämlich auch in den Führern die wir studiert hatten nicht als Sportklettertour gelistet sondern als gutmütiges, aber alpin angehauchtes Unternehmen. Was wir bekommen haben ist ein sehr gut abgesichertes und durchweg einfaches Erlebnis in einer schönen, sonnigen Wand über Dro, welches wir vor allem einsam und abwechslungsreich erlebt haben. Die Bellezza della Venere führt wirklich hübsch durch die Landschaft und verknüpft einige tolle Kletterstellen in einer recht eleganten Linie. Die Wegfindung ist damit meist sehr deutlich – unseren Verhauer in der 5. Seillänge kann man bei Bedarf aber durchaus vermeiden.
Die Absicherung geschieht über viele und brauchbar gefädelte Sanduhren durchsetzt von einigen Bohrhaken. Die Stände sind dazu mit zwei unverbundenen Bohrhaken eingerichtet. Wir haben für unser Empfinden Keile und Friends (natürlich) und auch Schlingenmaterial (abseits von einer Standplatzschlinge) umsonst mitgenommen – zumindest haben wir keine Sanduhr selbst gefädelt und nirgends eine mobile Zwischensicherung benötigt. Die Abstände sind stellenweise weit – das leichte Gelände rechtfertigt aber auch nicht mehr. An den wenigen schweren Stellen ist immer mit brauchbarer Absicherung zu rechnen. Mit 60 Meter Doppelseil waren wir bestens ausgerüstet.
Ich tu mir ein bisschen schwer mit dem Argument “poliert und deswegen schwerer”. Das mag stimmen, wenn man gezwungen ist diese Stellen zu verwenden. Speziell in dieser Linie findet das Problem in meinen Augen aber nicht statt. In fast allen Seillängen sind die Abstände zwischen den Sicherung so weit gefasst, dass man nach links und rechts leicht mal 5 Meter von der eigentlichen Linie abweichen kann. Das Gelände ändert sich dadurch kaum und bleibt im selben Schwierigkeitsgrad. Die Schwierigkeiten bündeln sich auf wenige Meter in den beiden Verschneidungen, auf der oberen Rampe und nach dem Standplatz am Baum. Dort sogar auf einzelne Züge, die man sich entweder mit den glatten Tritten und Griffen geben kann oder in einer vegetarischen Lösung umgeht. Dabei reicht es oft schon einige Zentimeter nach links und rechts zu gucken. Es schadet bestimmt nicht, wenn IV+ nicht das absolute Limit eines Venus-Aspiranten ist. Aber in welcher Route ist das schon eine gute Idee? Am Ende des Tages bleibt es aber eine (für mich) typische und durchweg recht einfache 4er-Kletterei, die durch die eine oder andere Begehungsspur nicht an Schwierigkeit gewinnt oder Charakter verliert.
Zusammenfassung
Die Route ist überlaufen. Ganz bestimmt sogar. Und alleine dieser Faktor wird wohl über Genuss oder Stress in der Wand entscheiden. In allen anderen Aspekten ist die Venus in meinen Augen nämlich durchweg schön. Tolle Landschaft, absolut ausreichende und gute Absicherung und anregende, nicht zu speckige und sehr abwechslungsreiche Klettermeter. Hat man nun aber mehrere Seilschaften am Stand, Druck von hinten oder grundsätzlich Chaos und Anarchie in der Tour wird man schnell die Aussicht übersehen. Und sich auch nicht die Zeit nehmen die wenigen polierten Griffe und Tritte zu umklettern. Wenn ich ausschließen kann, dass ich andere Seilschaften in der Route habe, würde ich sie aber auf jeden Fall wieder klettern. Etwa in den ersten Sonnenstrahlen oder zum Sonnenuntergang. Zum Glück scheinen Kletterer hier nämlich ebenso gemütlich und berechenbar zu sein, wie Wanderer daheim an der Zugspitze. Für uns so also wirklich der perfekte Einstieg in die Kletterei in und um Arco.