Nachdem wir zu früher Stunde an unserem Anreisetag schon die Bellezza della Venere abgehakt hatten und dort nebst kleineren Katastrophen weitestgehend lebend rausgekommen sind, packte uns am selben Tag nochmal die Kletterlust. Die Claudia 22 an der Parete Pezol hatten wir als neue und schöne Kletterei empfohlen bekommen – wenn man den entsprechenden Andrang ignoriert oder umgeht. 2022 erstbegangen führt sie in relativ leichter Kletterei durch die Südwand der Parete Pezol, in der schon einige Mehrseillängen und Klettergebiete Platz finden.
Die Parete Pezol ist eine kleine Erhebung im Westgrat des wesentlich höheren Monte Stivo. Durch einen großen Strommasten, der eine Art Gipfelkreuz mimt und die Position in vorderster Front östlich von Arco stellt sie aber ein durchaus interessantes Ziel dar. Die steile, plattige Wand ist zwar bereits aus der Ferne zu erkennen, gehört mit rund 200 Metern aber bestimmt nicht zu den Hinguckern im Sarcatal. Auch lässt sich aus der Ferne nur schwer ausmachen, wo all die schönen Routen durch die eher botanisch wirkende Wand führen sollen. Aber gut – ein Blick auf die Topo verspricht 10 Seillängen bis zum oberen 5. Grad, wobei zwei Stufen (zusammen 3 Seillängen) im oberen Teil umgangen werden können. Das passt uns auch ganz gut – wir sind für April-Verhältnisse gar nicht so früh dran und rechnen damit, den Sonnengang in der Wand zu erleben. Es ist 16:00 als wir vom Auto – geparkt an einer Kurve der Localita Gazzi – in Richtung Pezol starten. Direkt nach wenigen Metern auf der Schotterstraße stellt sich das erste, unerwartete Hindernis in den Weg. Baustelle, Durchgang gesperrt. Als wir die Stelle erreichen, schlüpfen gerade ein paar Kletterer von der anderen Seite an der Absperrung vorbei. Ich denke an das unten abmontierte und in der Route angebrachte Schild “Umgang bei Begegnung mit Weidevieh” in der linken Achsel am Kofel. An überkletterte Tore am Puig de Sa Gubia. Und überzeuge den inneren, regelkonformen Deutschen damit, dass Kletterer einfach die süßesten Kriminellen unter der Sonne sind:
Es geht nach links, einem mit roten Punkten markierten Pfad entlang durch das Klettergebiet. Rechts gibt es einige durchaus wilde Überhänge mit Sintern zu bestaunen. Von links oben kommende Pfade ignorieren wir, bis wir nach einiger Zeit an einer Lichtung mit einem bewachsenen Hügel kurz rechts und links blauen Punkten in ein kleines Schotterfeld folgen. Ein bisschen Dschungelfeeling kommt bei den teils verrückten, verwachsenen Bäumen schon auf und der Weg zur Wand zieht sich ein wenig länger als vermutet. Zumindest interpretiere ich auf dem Weg voller Vorfreude so manchen Erdhaufen als unseren Wegpunkt, nur um dann festzustellen, dass wir schon noch ein Stückchen weiter müssen.
Im Schotterfeld führen deutliche Serpentinen schnell an den strukturierten Wandfuß. Und anders als bei gewissen anderen Routen (LG, liebe Rita) ist hier wirklich rot der Routenname angeschrieben.
1. Seillänge (II-III)
Die erste Seillänge gehen wir seilfrei. Oben vor der Wand mit der Schlüsselstelle erspähen wir bereits einen kleinen Absatz zwischen den Bäumen und rechnen uns aus, dass wir locker genug Platz haben werden um dort erst Material auszupacken und Gurt und Kletterschuhe anzuziehen. So ist es auch. Und die erste Seillänge kann nur mit ganz viel Kreativität als solche gezählt werden. Über teils erdige Platten geht unschwer die 15 Meter hinauf zum Standplatz.
2. Seillänge (V+)
Ich bin dran mit Vorstieg, da Hannah in der früh zuerst eingestiegen war. So richtig fair ist das nicht, denn während es heute morgen in der ersten Seillänge recht unspektakuläres Gelände gab, wartet hier die schwierigste Seillänge der Tour auf uns. Auf einer recht griff- und trittarmen Platte geht es leicht ansteigend nach rechts zum Bohrhaken. Von hier arbeite ich mich – sorgfältig Griffe und Tritte zu suchend über einen etwas abdrängenden, kleinen Überhang. Ich bin gefühlt etwas zu weit links unterwegs und überwinde die Schlüsselpassage dort gefühlt etwas leichter, habe dann aber doch einige spannende Klettermomente um über einer großen Schuppe wieder zurück an die Route zu finden. Dank der vielen, vorbereiteten Sanduhren ist ein wirkliches Versteigen aber nicht möglich.
Die Topo spricht im oberen Teil der Seillänge von leichterer Kletterei, ich fühle das noch nicht ganz. Für mich geht es konstant anspruchsvoll über griffige aber steile Platten. Vielleicht bin ich aber auch einfach noch nicht ganz wach. Was mir bereits hier auffällt sind die Kontraste in der Route. Lächerlich gute, kletterhallenartige Griffe und Platten wechseln sich mit bröseligen Blöcken und Erde ab. Das eine oder andere etwas größere Geschoss wartet noch darauf von einem unachtsamen Kletterer gen Helm des Sichernden befördert zu werden. Während man in einem Moment seine Kletterschuhe mit Staub und Erde einreibt, erfordert der nächste Moment wieder Halt und Reibung auf kompakten, makellosen Platten. Interessante Mischung – die wir so noch nicht kennen und die sich mit den Jahren und Begehungen ändern wird.
Die Route ist neu und das sieht man ihr an. Begleitet wird man von gestutzter und gezügelter Botanik neben der Route, die mit einem vermutlich immensen Aufwand beseitigt worden ist um die schönen Platten dieser Linie freizulegen. Über das Ausmaß und die Spuren dieser Säuberung lässt sich streiten.
Ich erreiche den Standplatz auf einem erdigen Vorsprung und hole Hannah nach.
3. Seillänge (V/V+)
Die dritte Seillänge gefällt mir schon besser und führt über einen festen und rauen Plattenpanzer mit griffigen Kanten geradeaus hinauf. An ihrem Ende stellt sich eine kurze, knifflige Platte in den Weg – ansonsten genießt man hier flüssige und schöne Kletterei irgendwo im 5. Grad und bereits hier mit einem tollen Tiefblick auf Arco, Riva und den Gardasee. In der Nachmittagssonne und der trüben Luft sehen wir nur Umrisse von unzähligen Schichten an Bergen, die in verschiedenen Blautönen in der Ferne verschwinden. Wir sind alleine hier oben – es geht ein leichter aber angenehmer Wind. Nur das Fußballfeld am Fuß des Berges begleitet unseren Aufstieg mit Schreien und Pfiffen.
4. Seillänge (V-)
Die 4. Seillänge ist wieder meine und rückblickend wahrscheinlich die schönste und hässlichste Zugleich. Ich wiederhole mich nur ungern – aber es ist eine Tour mit Kontrasten. Entlang unglaublich schöner, fester Platten geht es immer links von einer kleinen Rinne aufwärts. Der Fels ist rau, griffig und sauber – immer wieder entfährt mir ein hysterisches Lachen, wenn ich auf die verschwenderisch schönen Griffe und Tritte stoße.
Die Kletterei hält sich hier aber – noch mehr als bisher schon festgestellt – auf einer winzigen, gesuchten Spur schönem Fels unmittelbar neben der erdigen Rinne. Man muss sich immer wieder daran erinnern am Fels zu bleiben und nicht einfach im II. Grad über die Baumstämme und Erdstufen zu latschen. Vorsicht ist auch wieder geboten, denn am Übergang zwischen Platte und Erde lauern einige verlockende Griffe und Tritte die nur von wenigen Zentimetern Sand in der Wand gehalten werden. Gerade hier fallen die vielen, teils ordentlich großen Baumstümpfe ins Auge und zumindest ich fühle mich, als wenn ich unfreiwillig in Forstarbeiten geraten wäre. Ich bin mir nicht sicher ob mir die Route im “Originalzustand” – welcher sich von den Überbleibseln nur grob erahnen lässt – besser gefallen hätte.
Natürlich klettert sich die Tour so genüsslich, sportlich und ohne wesentlichen Kontakt mit Pflanzen – aber noch nie zuvor habe ich einer Mehrseillänge so stark angesehen, welcher Preis dafür gezahlt wurde. Vielleicht war und ist hier einfach keine schöne, freie Felswand. Vielleicht hätte man, wenn man sich in den Kopf gesetzt hätte hier hinauf zu steigen, viele Stände an Bäumen gemacht und versucht durch den Dschungel zu navigieren. Vielleicht wäre man auch einfach zu einer anderen Wand gegangen, in der es der Bewuchs naturgemäß schwerer hat.
Mir ist klar, dass das Säubern und Ausputzen zum gewöhnlichen Vorgehen bei einer Erschließung gehört. Hier vermutlich noch viel mehr als bei uns in den Alpen. Hier gibt es auch keine große Umweltsünde anzuprangern – der Eingriff ist wohl minimal und das Klettern nun bei Weitem kein bedenkliches Hobby. Und ich weiß auch, dass sich die Spuren mit den Jahren und Begehungen verlieren und eine extrem schöne Kletterroute zurücklassen werden, deren Herkunft ich auch nicht mehr hinterfragen würde. Unterm Strich wurde hier alles richtig gemacht um eine schöne Sportkletterroute in einem Stückchen Wand herauszuarbeiten. Es gehört einfach zum persönlichen Erleben und Empfinden, welches auf meinem Blog auch durchaus mal durchkommt. Mir ist das aufgefallen. Und ich habe mir beim Klettern ein paar Gedanken gemacht. Nicht über Sinn oder Unsinn dieser Art von Route. Allerhöchstens über meinen Platz in solchen.
5. Seillänge (V)
Die nächste Seillänge führt homogen über kompakte Platten mit vielen Sanduhren. Schöne Griffe und einige Tritte auf Reibung wechseln sich ab und wir genießen den warmen Fels in der Abendsonne. Der angepriesene 5. Grad klettert sich hier oben plötzlich wesentlich einfacher als am Einstieg. Vielleicht sind es die paar Mal Platte auf Reibung treten, die hier gefordert werden? Ich würde nur noch den 4. Grad vergeben – es bleiben wunderschöne Züge. Nirgends wirklich schwer. Und nie kraftintensiv. Sonnig. Einsam.
6. Seillänge (Zusammengelegt, IV)
Ich lege zwei Seillängen zusammen und erreiche nach wenigen Metern auf schönen Platten wieder sehr erdiges und sandiges Gelände. Entsprechend wenig Lust haben wir, hier alt zu werden. Mit 30 Metern und 20 Metern lässt sich gut eine lange 50 Meter Seillänge basteln, bei der der Seilzug überschaubar bleibt (sofern man die Kurve vor dem leichten Gelände auslässt oder sehr lang clippt). Leicht nach links geht es, den rutschigen Sand bestmöglich umgehend über eine kurze, brüchige Stufe auf einen bewaldeten Absatz. Es lässt sich fast nicht vermeiden, dass einige kleine Steinchen losgetreten werden. Anders als in den unteren Seillängen sind es hier aber nur mehr kleine Kiesel. Auf dem Absatz ist plötzlich Gehgelände – und die Möglichkeit nach Links auszuqueren, sollte man schon genug von der Claudia 22 haben. Falls man außerdem genug von seinem Kletterpartner hat, wird man auch feststellen, dass der Rufkontakt abgebrochen ist. Zumindest bei uns, bei Zusammenlegen der Seillängen und bei einem leichten Wind. Da wir mittlerweile das meiste über Seilzug kommunizieren, stört uns das wenig. Wenige Minuten später steht Hannah neben mir an dem Stand unter dem nächsten Aufschwung, den man dank erneuter Beschriftung ohnehin nicht verfehlen kann.
7. Seillänge (V)
Rechts geht es durch eine deutliche und schöne Verschneidung einige Meter in die Höhe. In ihr ist allerdings ebenfalls nicht alles fest. Das überrascht bei ihrem gelben und morschen Erscheinungsbild aber auch nicht mehr wirklich und wie zuvor gilt es einfach, nicht direkt an allem zu ziehen, was wie ein Griff aussieht. Dann nach rechts queren und luftiger eine kleingriffigere, steile Platte hinauf. Während ich gefühlt mit dem Hintern über Arco hänge, muss ich feststellen, dass sich diese Seillänge nach oben hin echt lässig und gar nicht so einfach auflöst. Eine schöne und abwechslungsreiche Ecke – das Dranbleiben hat sich also gelohnt. Auch wenn jetzt nochmal eine Unterbrechung mit Gehgelände kommt und wir die nächsten 20 Meter in unproblematischem I-IIer Gelände am laufenden Seil gehen.
8. Seillänge (V)
Hinter einer alten Kriegsstellung, die nicht mehr als eine kleine Steinmauer ist, starten wir in die letzte Seillänge die uns direkt an den Ausstieg unter dem Strommast befördern soll. Erneut eine für meinen Geschmack eher leichte V, die sich aber sehr interessant und lohnend klettert. Der Fels scheint hier ein wenig anders geformt zu sein – statt Platten mit Löchern kriegt man es hier zum ersten (und einzigen) Mal ein bisschen mehr mit Leisten zu tun. Immer wieder finden sich tolle Kanten zum festhalten und so arbeitet man sich seinen Weg entlang der Sanduhren bis zum Ausstieg. Im goldenen Abendlicht stemme ich mich über den Rand, nachdem ich kurz zuvor doch noch einen kleinen Stein Richtung Hannah getreten habe.
Kurz darauf erreicht auch sie den Standplatz und wir stehen auf dem windigen Parete Pezol mit Blick auf den Gardasee. Die Stromtrassen fallen steil ins Tal ab und wir schlagen diese Richtung auch rasch ein und verlieren nicht allzu viel Zeit. Die Pizza ruft. Vorübergehend sogar lauter als der Berg.
Schwierigkeit, Versicherung und Material
Ich sehe das Hauptproblem in dieser durchweg sehr lohnenden Tour in den losen Steinen. Hier trifft sportliches und sorgloses (im Sinne der Absicherung und Wegfindung) Klettern auf den einen oder anderen sehr losen Block, der eigentlich den etwas prüfenderen Blick eines Alpinkletterers verdient. Ob jede Seilschaft, die hier einsteigt, das beherzigt vermag ich nicht zu beurteilen. Persönlich würde ich mich aber unwohl fühlen, wenn noch andere Seilschaften über mir in der Route sind. Das ist nicht überall so.
Ansonsten benötigt es neben einigen Exen keine weiteren Mittel zur Absicherung, die Route ist üppig mit solide und frisch gefädelten Sanduhren und wenigen Bohrhaken eingerichtet. Die Schwierigkeiten pendeln konstant zwischen dem 4. und 5. Grad, ich würde die Tour mit meiner bisherigen Erfahrung aber durchweg als eher zahm einstufen. Lediglich die Schlüsselstelle, die ersten Meter der 2. Seillänge, sind merklich anspruchsvoller und heben sich auch ganz ordentlich vom Rest der Claudia 22 ab. Wer hier erfolgreich durchgestiegen ist, darf sich auf konstant leichteres und genüssliches Gelände freuen. Denn davon befindet sich eine Menge in der kurzen Tour.
Zusammenfassung
Durchweg schöne und vom Fels her auch lohnende Tour, die durch nahezu konstant sehr guten, griffigen Fels führt und bereits in den ersten Seillängen mit einer traumhaften Aussicht belohnt. Ein ziemlich stressfreies und kurzes Unternehmen, das bei Bedarf an mehreren Stellen im oberen Teil abgekürzt werden kann. Dabei umgeht man aber auch zwei durchaus schöne Seillängen, die mit Wändchen und Verschneidung etwas Abwechslung in die sonst sehr plattige Route bringen. Im Mittelstück wunderschön homogen, wobei die tolle Kletterei leider häufig direkt rechts und links durch erdiges Gehgelände oder dichtes Buschwerk begrenzt wird und damit etwas gesucht wirkt. Die Route wurde mit großem Aufwand ausgeputzt und vorbereitet und ist in ihrem jungen Dasein nirgends abgegriffen. Das rächt sich dann bloß ein bisschen in dem noch vorherrschenden “Forstarbeiten-Ambiente” und teilweise ordentlich großen, losen Blöcken an den Ständen und im leichten Gelände zwischen den Platten.