Man kann eigentlich gar nicht durch’s Sarcatal fahren ohne zwischen den gewaltigen Wänden von Monte Brento und Monte Casale auch ein paar gigantische und unwirklich glatte Platten zu bemerken. Die wohl größte und ausladendste von ihnen ist Placche Zebrate, die dem Monte Brento und seiner Ostwand vorgelagert ist und gute 400 Meter hinauf zu einem Plateau zieht. Zebrate errinnert natürlich an Zebra und heißt tatsächlich gestreift. Das trifft auf diese Platte auch zu. Warum daraus dann im deutschsprachigen Raum “Sonnenplatte” wurde ist nicht ganz nachvollziehbar, ich hätte Zebraplatte süßer gefunden. Aber am Ende des Tages trifft auch das zu und die Wand ist beides: gestreift und durchaus sonnig. Zumindest, wenn man das richtige Wetter erwischt.
Klettern an den Sonnenplatten ist scheinbar ein “Ding”. Zumindest hatten wir diesen Eindruck zwischen den Zeilen schon beim Recherchieren für den Kurzurlaub in und um Arco gewonnen. Und “Ding” nicht ganz im positiven Sinne. Eher so ein “Ding” wie die Zugspitze über’s Höllental. Jeder der Wandert und in Deutschland was von sich hält, muss diese Tour mal gemacht haben und wundert sich dann, wenn er in der brühenden Sonne im Stau steht. Ein “Ding” zu sein, spricht also nicht zwingend für die Qualität eines Vorhabens. Und so habe ich auch das Gefühl, dass die Rita – wohl die Paradetour in den Sonnenplatten – ein solches “Ding” ist. Entsprechend niedrig sind meine Erwartungen an den Klettertag, als wir nicht allzu früh vom Parkplatz auf die Monsterplatte zu wandern. Hoffentlich ist noch nicht zu viel los.
Die von uns anvisierte Route, gehört zu den längsten und ältesten in dieser Wand. In 16 Seillängen schlängelt sie sich im unteren Teil durch die Schwachstellen des Plattenpanzers um dann, in der 10. Seillänge, in eine markante und lange Wasserrinne zu führen. Diese ist so dick und tief, dass sie sogar auf Satellitenbildern gut erkennbar ist und wird für ganze 4 Seillängen in Schluchten und Kaminen nicht verlassen. Hier konzentrieren sich auch die Kletterschwierigkeiten der Route – über die sich die Welt, das Internet und die Kletterführer durchaus uneinig sind.
Es häufen sich nämlich auch die allergruseligsten Berichte über die deutlichen Begehungsspuren und Speck in der Route. Die Schwierigkeitsbewertung tanzt je nach Quelle – und scheinbar direkt vom Grad der Politur abhängig – zwischen IV+ und VI hin und her. Ein ganz schön weites Spe(c)ktrum finden wir. Sowas ist uns bisher noch nicht untergekommen. Der gemeine Kraxler wird durchaus bestätigen können, dass der 4. und der 6. Grad schon zwei Paar Schuhe sind, die man üblicherweise nicht verwechselt. Aber offenbar sind sich die vielen Rita-Aspiranten gänzlich uneinig, wie es nun um die Tour, ihren Fels und die Kletterbarkeit dessen steht. Auch wir sind von Kommentaren nicht verschont geblieben:
Also noch schnell in den Baumarkt flitzen und zwei Pömpel zum Nachbessern der Standplätze besorgen? Wir wollen es trotzdem wissen und sind gewollt, einen Klettertag im Sarcatal für die Sonnenplatte zu investieren. Als auf deutlichen Pfaden im Schotter zum Wandfuß gehen, hören wir es über uns zum ersten Mal laut rauschen. Ungefähr so stelle ich mir das Geräusch vor, wenn ein gigantischer Felsblock im freien Fall auf einen zu rauscht. Stattdessen tönt es “Yeeehaw” und über uns geht ein Fallschirm auf. Wir werden uns daran gewöhnen müssen – denn an diesem Tag springen bestimmt 50 Menschen mit Wingsuit vom Monte Brento, rauschen über die Sonnenplatten hinaus ins Tal und öffnen dort ihren Fallschirm. Bei uns geht es noch nicht so wild her, da wir ordentliche Schwierigkeiten haben den Einstieg zu finden.
Kurzum – der große, markante Kamin ist von weithin gut einsehbar. Man steuert also erstmal ganz instinktiv den richtigen Wandabschnitt an, der sich ziemlich direkt unter dem Kamin befindet. Auf den letzten Metern wird es unübersichtlich. Ein Blick nach oben zeigt aufgrund der Hangneigung keinen Kamin mehr sondern ein unübersichtliches Meer aus Platten und Stufen. Es fallen alle möglichen Routennamen ins Auge – da ist eine Teresa, eine Similaun – alle rot angeschrieben. Das soll die Rita auch sein. Kann doch nicht sein.
Dann wäre da noch ein Geröllwall, den ich als Amphitheater beschreiben würde. Von oben gesehen macht die Namensgebung mehr Sinn. Auf jeden Fall kann in dieses entweder absteigen (vielleicht 20 Höhenmeter Schotter) und findet dort unten alle möglichen Routen und potentielle Einstiege. Oder man bleibt oben – und findet alle möglichen Routen und potentielle Einstiege. Wir sind bestimmt 4x rauf und runter. Ich würde sogar behaupten, dass sich ein gewisser Frust breit gemacht hat. Die abgegriffene und beliebte Rita kann doch nicht so versteckt sein. Als ich mal wieder oben bin – also mit Blick auf die Wand links vom Amphitheater, fällt mir ein, was ich irgendwo im Netz gelesen habe:
Passt doch – die Similaun hab ich doch hier? Ich entdecke die dunklen Klebehaken lange vor der “Anschrift”. Vielleicht 5 – 10 Meter neben dem Einstieg in die Route Similaun führen Bohrhaken deutlich nach rechts über sehr leichtes Gelände in die Wand und auf eine Stufe. Ganz blass und hell, wie eingeritzt, findet sich auch ein Schriftzug “Rita” am Fels. Nagut – da hätten wir noch lange suchen können. Von den Wandbildern her habe ich die Dimensionen größer geschätzt – die meisten Routen die wir gefunden haben hatten beachtliche Abstände zueinander. Deshalb fühlte es sich für mich auch so naheliegend an, immer wieder ins Amphitheater abzusteigen und den Einstieg dort zu suchen.
Nach dieser kleinen Odyssee – wir haben bei einem Zustieg von 10 Minuten immerhin weitere 20 Minuten gesucht – kann es endlich losgehen. Vor uns scheint noch niemand eingestiegen zu sein. Weiter links in einer anderen Route ist eine deutsche Dreier-Seilschaft zu Gange, die wir bereits beim Zustieg getroffen und überholt hatten. Rechts sind zwei Kletterer in den ersten Seillängen der Teresa unterwegs. Wir packen unser Zeug aus und starten in die Route, Hannah steigt die erste Seillänge vor.
1. Seillänge (IV-)
Es geht kurz und leicht nach rechts über eine Schrofenrampe auf einen größeren Absatz. Hier kann man direkt die Versicherung für den Rest der Kletterei bestaunen: alte, etwas rostig anmutende Klebehaken. Laut unserer Literatur geht die Rita gerade noch als Sportkletterei durch. Das passt schon – die Haken wirken trotz Alter noch recht solide und sind an Standplätzen mindestens doppelt vorhanden. An einigen Ständen sind zwei Hakenpaare nebeneinander, sodass zwei Seilschaften parallel Stand machen können. Vielleicht brauchen wir das auch gleich, denn unten am Einstieg baut sich schon die nächste Seilschaft auf.
2. Seillänge (Zusammengelegt, IV)
Über Platten und Blöcke geht es weiter. Die Kletterei erweist sich als nie wirklich schwer – das Gelände ist aber gerade hier unten relativ unübersichtlich und bestimmt nicht überversichert. Zumindest umgehe ich bei meinem Versuch die folgenden Seillängen zusammenzulegen einen Großteil der Haken und sehe erst als ich den dritten Stand erreiche, wo die Route tatsächlich entlanggegangen wäre. Über den Stand (offiziell der 3.) stolpere ich auch mehr aus Versehen, er liegt aber rückblickend an der einzig logischen Stelle. Ich bin vom ersten Standplatz aus etwas zu gerade aufgestiegen – die Route (und die Haken) folgen nochmal deutlicher nach rechts einem System aus Stufen und Rampen. Das Ziel hat man trotzdem stets vor Augen und das Gelände gibt kleinere Irrwege wie den meinen allemal her. Man klettert die ersten Seillängen nämlich stets etwa 50 Meter unter einem dunklen, kleinen Überhang entlang. Dabei ist sofort klar, dass dieser auf direktem Wege zu schwierig wäre um Teil der Route zu sein und folglich umgangen werden muss. Und das geschieht direkt rechts neben dem Überhang. Und darunter, auf einem breiteren Absatz, befindet sich ein von einem Block verdeckter Standplatz. Prima. Mit etwas mehr Seilreibung hole ich Hannah nach. In meiner direkten Variante passt das – ob man dieses Manöver auch unter Verwendung aller Haken machen hätte können? Fraglich.
3. Seillänge (IV)
Als Hannah vorsteigt, holt uns die nachkommende Seilschaft ein. Zwei ältere Österreicher, die aber keinen wirklichen Stress zu haben scheinen und die Route wohl irgendwann schonmal gegangen sind. Wir ratschen kurz – und wenn ich das richtig raushöre ist es vielleicht sogar ganz angenehm uns einfach zu folgen. Denn das letzte Mal ist scheinbar länger her – und die Wegführung nicht ganz naheliegend. Diese Seillänge ist zumindest, da sind sich die Meisten einig, die orientierungstechnische Schlüsselstelle der Tour. Mit 45 Metern fällt sie relativ lang aus und ist in vielen Topos für meinen Geschmack zu einfach und schemenhaft eingezeichnet. Hier hätte schon eine etwas euphorischere Pinselführung des Topomalers gereicht, um das wesentliche Detail der Stelle hervorzuheben: Zickzack.
Es geht zunächst deutlich nach rechts und den hier noch erkennbaren Haken folgend über die horizontal geschichteten Felspartie. Selbst im Nachstieg würde ich hier auch zum ersten Mal etwas schwierigere Einzelzüge verbuchen. Bisher sind wir eigentlich ohne Kletterei und mehr mit Schrofensteigen und Plattenkrabbeln ausgekommen. Danach erreicht sich ein breites Band, welches nach oben durch einen weiteren kleinen, überhängenden Felsriegel abgeschlossen wird. Hier geht es deutlich(!) und auch wieder über die Falllinie des Standplatzes querend zurück nach links und weiter auf eine große Einbuchtung zu. Hannah braucht einige Anläufe und stößt bei einem Versuch auf eine irreführende, orangene Reepschnur mit Sanduhr. Die macht letztlich weder als Standplatz noch als Zwischensicherung Sinn. Also wieder zurück.
Und so ist es dann auch – irgendwann ist der Stand gefunden und die verrückte Kurve, die in dieser Seillänge absolviert wird, abgeschlossen. Beim Nachstieg fällt mir auf, das Hannah einen Haken übersehen hat, der im Gras und dunklen Fels vollkommen untergegangen ist. Die Seillänge ist zwar okay versichert – Abstände können im leichten Gelände aber auch schnell mal über 10 Meter messen und an den entscheidenden Stellen gibt es keine deutliche Spur, der man ohne Zweifel folgen könnte.
4. Seillänge (IV)
Vom Standplatz steige ich nach links in eine leichte Verschneidung und gewinne schnell an Höhe. Mit 3 Haken auf 40 Metern nimmt der Hakenabstand zwar nochmal ab – der Kletteranspruch aber auch. Viel Gehgelände und einfaches Steigen wechseln sich ab und münden in einer tollen, kompakten Platte kurz vor dem Standplatz. An diesem Punkt hat man schon reichlich Höhe gemacht und das Schotterfeld am Einstieg und die Menschen, die unten über die Pfade an die Wand strömen sehen bereits winzig klein aus. Dabei sind wir doch noch gar nicht so lange unterwegs.
5. Seillänge (IV)
Ein sehr kurzer, plattiger Aufschwung geradewegs hinauf. Hätten wir uns Gedanken gemacht – was man ja grundsätzlich nie tut – so hätten wir diese Seillänge vermutlich unter Aufwand der vollen 60 Meter Doppelseil an die vorherige angehängt. Hannah ist etwas perplex, als sie auf den Stand trifft, der gefühlt 5 Meter über dem letzten liegt. Gut offiziell ist es schon etwas mehr aber zwischen den vorherigen, langen Abschnitten geht diese Seillänge ziemlich unter. Wir diskutieren kurz, ob es Sinn macht direkt weiterzugehen. Da die nächste Seillänge aber wieder lang und etwas verwinkelter aussieht entscheiden wir uns dagegen. So hat Hannah halt einfach Pech gehabt.
6. Seillänge (IV)
Die für mich schönste Seillänge im unteren Teil führt nach rechts in eine deutliche, kurze Rinne die mit ein paar schönen Zügen zu einem Quergang führt. Hier lässt sich einige Meter weiter rechts eine rote Markierung erkennen, der man über ein schmales Schotterband folgt. Dann geht es über eine herrlich griffige Unregelmäßigkeit im Plattenpanzer geradewegs hinauf. Ein paar tolle Löcher dienen als perfekte Griffe und die Kletterei macht zum ersten Mal anhaltend Spaß. Die Seillänge ist steiler, luftiger und hat deutlichere Griffe und Tritte und ist damit eine freudig erwartete Abwechslung zum teils sehr undefinierbaren Plattendschungel, den wir bisher geklettert sind.
7. Seillänge (IV)
Hannah’s Pechsträhne setzt sich fort. Zumindest was die Länge und Intensität ihrer Vorstiege angeht. Erneut kriegt sie eine kurze und unspektakuläre Seillänge, die lediglich eine Brücke zum nächsten lohnenden Abschnitt schlägt. Sie ist diesmal mit 25 Metern aber etwas zu lang, um sie mit der vorherigen oder nachfolgenden Seillänge zu kombinieren. Leicht links, ein Bäumchen passierend und über schöne, feste Platten zum Standplatz. Dieser ist noch vor einer weiteren roten Markierung, die einen nahezu verleitet im leichten Gelände am Stand vorbeizuklettern.
8. Seillänge (V+)
Ich schnappe mir den ersten “schwierigeren” Vorstieg – zumindest ist er als solcher eingezeichnet. Und tatsächlich, die folgende Seillänge ist die letzte vor dem Kamin und zieht schnurgerade über Platten auf einen Absatz. Die Crux dürfte dabei in den ersten Metern über dem Stand zu finden sein – eine griffarme und steile Platte, die ich viel zu weit rechts angehe. Ich korrigiere meinen Kurs. Links geht es besser. Leben geht weiter.
Danach geht es in bekannter Manier über gestuftes, plattiges Gelände welches vielleicht ein winziges bisschen steiler aber nur unwesentlich schwieriger als die Längen zuvor ist. Kurz vor dem Standplatz, der auf einem üppigen Plateau liegt, stellt sich ein winziger Überhang in den Weg. Dass “Überhang” ein sehr dehnbarer Begriff ist, haben wir mittlerweile auch schon rausgefunden. Wer hier von vertikalen Dächern träumt ist in der falschen Wand…und auf dem falschen Blog. Aber in der Topo ist das so eingezeichnet und letzten Endes scheint es gängige Praxis zu sein, jedes Stückchen abdrängender Fels als “Überhang” zu bezeichnen. Dieser Überhang bedeutet also einmal etwas fester anpacken um – bestens gesichert – auf das Plateau zu gelangen. Wirklich schwierig ist die Stelle nicht.
Auf dem Plateau angekommen werfe ich einen ersten, neugierigen Blick in die Rinne. Den Kamin. Die Schlucht. Den Dschungel? Neben zwei Pömpeln hätten wir wohl auch noch eine Machete einpacken müssen. Auf den ersten Blick ist hier wirklich vieles erkennbar aber gewiss keine schwere, athletische Kletterei. Die Rinne ist bereits im April zugewuchert mit Gras, Büschen und Bäumen. Dazwischen einige kleine Aufschwünge und Stufen, die wohl überklettert werden und die in der Draufsicht nur wenig Angst und Schrecken verbreiten. Das Risiko hier zu stürzen ist vermutlich kleiner als das Risiko von einem Jaguar gefressen zu werden. Aber man soll ja nicht urteilen, bevor man nicht geklettert ist. Ich hole Hannah nach, welche die Schlüsselseillänge anführen wird.
9. Seillänge (VI-)
Nachdem Hannah den Einstieg in die Rinne gemustert und ähnlich wie ich beurteilt hat verschwindet sie in den Sträuchern. Ich schau mich um. Die beiden älteren Österreicher haben wieder zu uns aufgeschlossen und der Vorsteiger erreicht wenig später den Standplatz. Auch hier sind passenderweise zwei symmetrische Standplätze nebeneinander angebracht. Toll diese Rita.
Der Österreicher, der sich inzwischen neben mir eingerichtet hat kommt zu einem vernichtenden Urteil.
Zugegeben – im Vergleich dazu vegetieren wir hier schon ziemlich vor uns hin. Und was auch vor sich hin vegetiert ist die Gemüserinne, die Hannah mittlerweile völlig geschluckt hat. Wie es ihr wohl geht? Lange braucht sie schon. Und gehört habe ich auch nichts mehr.
Plötzlich schallt ein “Stand” aus der Rinne. Träumchen! Ich packe zusammen, wünsche dem Österreicher nochmal viel Spaß und steige weiter. Ich werde die beiden heute nicht mehr zu Gesicht kriegen.
Die Rinne beginnt sehr einfach und spaßig. Ein großer Block hier, eine kleine Stufe da. Dazwischen Gehgelände oder leichte Schrofen und einige Bäume die man, wen man sie als natürlichen Teil der Route versteht, bestimmt auch gewinnbringend einbauen könnte. Und dann kommt sie. Die erste der Stellen, die für uns vorab ein großes Fragezeichen waren. Eine unscheinbare Stufe von vielleicht 3 Metern stellt sich in den Weg und erfordert – das sieht man ziemlich direkt – ein sauberes Einspreizen in die Rinne. Links ist ein Bohrhaken, der auf den zweiten Blick aber nur wenig effektiv ist. Er ist – so unterstelle ich – etwas zu tief angebracht um einen Sturz aus der schwierigen Stelle mit etwas Seildehnung abzufangen, bevor man zwei Meter tiefer auf den Schluchtgrund knallt. Sterben wird man hier nicht. Sich schwer verletzen vermutlich auch nicht. Aber ganz gemütlich sieht es für den Vorsteiger nicht aus und man klettert besser so, dass man meine Theorie nicht überprüft.
Die Stufe ist auch wirklich nicht ganz einfach, weil alle Seiten glatt sind und sich keine wirklich guten Griffe finden. Irgendwo ziehen und durchmogeln ist keine Lösung – ich flüchte mich also auf die etwas raueren Flächen weiter außen. Das heißt zwar auch, dass man mehr spreizen und stemmen muss – dabei aber die glattesten Tritte nicht benötigt. Mit komplett rauen Wänden wäre diese Stufe wahrscheinlich eine scharfe IV oder leichte V – so wie vorgefunden klettert sie sich wirklich eine Nummer technischer und erfordert einen Vorsteiger, der über den Schwierigkeiten steht. Ich bin aber auch überrascht wie “klein” die Stelle im Vergleich zur Tour ist und wie wenig ausgesetzt und kraftintensiv die Kletterei bleibt. Es sind nicht die strammen, senkrechten Züge aus der Kletterhalle die hier gewinnen. Es sind die kleinen und bedachten Tritte und Gewichtsverlagerungen aus der Boulderhalle, mit der sich diese Stelle dann doch erschreckend einfach und statisch auflösen lässt.
Über der Stufe führt leichteres Gelände zu einem weiteren, nur einige Meter messenden, Aufschwung zum Stand. Dieser klettert sich ähnlich ungemütlich wie die Stufe zuvor und wird mit ähnlichen Bordmitteln überwunden. Aber auch hier steht man – anders als vorher – vergleichsweise gemütlich auf guten Absätzen und hat ohne jegliche Ausgesetztheit Zeit, nach den wenigen Griffen und Tritten zu suchen.
10. Seillänge (V+)
Endlich zweistellig! Wer die nächste Seillänge vorsteigt darf sich auf die für mich schönsten Klettermeter in der Rita freuen. Der Kamin macht hier wieder etwas auf und die Seillänge führt interessant 25 Meter hinauf zum nächsten Standplatz. Gleich zu Beginn mündet das zunächst leichte Gelände in eine Platte, welche rechts von einer kleinen Verschneidung begrenzt wird. Ich quere zu dieser und arbeite mich mit einem Fuß auf der Platte und einem an der Gegenseite der Verschneidung schnell höher. Wirklich schöne und homogene Bewegungen in wieder besserem, rauem Kalk.
Kurz vor dem Stand wechselt die Seillänge ihr Gesicht und führt auf eine kleingriffige Platte die das Klettern an kleinen Leisten und Kanten erfordert. Auch geil. Aber anders. Und auch hier dankbar rau – vermutlich weil viele Varianten durch diese Seillänge führen und es keinen wirklich vorgegebenen Weg gibt.
11. Seillänge (IV+)
Hannah steigt nach und direkt weiter in die nun wieder enger und tiefer werdende Rinne. Die leichte Kaminkraxelei macht enorm viel Spaß. Vielleicht auch weil der Kontrast zur langen Zeit auf Platten und Schrofen zu Beginn der Route so extrem ist. So fühlt es sich hier schon ein wenig an wie in einer neuen Route an einem neuen Tag. Die grauen Weiten der Einstiegslängen liegen gefühlt schon weit hinter uns, als wir uns von der Rinne eingelullt durch die große Wand bewegen und ohne Kraftaufwand an Höhe gewinnen.
12. Seillänge (Zusammengelegt, V)
Hier gibt die Rita nochmal richtig Gas. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, dass das die letzte schwere Stelle ist, die einen vom Ausstieg trennt. Laut Topo ist das auch so. Laut mir nicht. Aber kümmern wir uns erstmal um die 12. Seillänge:
Hier darf man getrost alles mitbringen, was man in der glatten Schlucht in der 9. Seillänge und im leichteren Kamin der 11. Seillänge gelernt hat. Und das dann gleichzeitig anwenden. Mit jedem Körperteil anders. Zumindest entfährt mir nochmal ein kleines “Oh hier ist nochmal spannend”, als ich die ersten Meter in Angriff nehme. Die Rinne kombiniert in ihrem letzten Abschnitt Bewährtes aus vorherigen Passagen und kombiniert plattige Seiten mit feinen Rissen und Schuppen und einem überaus speckigen Rinnengrund. Mir kommt es hier konstant schwieriger vor als in der 8. Seillänge (V+) was auch an der eher dünnen Absicherung liegen kann. Zwar finden sich immer wieder total schöne Risse und Griffe, die zu ebenso schönen Kletterbewegungen führen. Dazwischen muss man aber durchaus auch mal Kreativität unter Beweis stellen, um in der rutschigen Rinne keine Fahrt zum letzten Klebehaken aufzunehmen und auch hier hilft sauberes spreizen und wohlplatzierte Tritte etwas weiter außen.
Am Ende der Seillänge entscheide ich mich – zu Kosten der Absicherung – die Folgeseillänge anzuhängen. Die Rinne endet hier nämlich und es geht nach links auf einem schmalen Band wieder hinaus über die surreale Platte. Der Quergang sollte sich mit unseren 60 Meter Seilen noch gut ausgehen, um die Seilreibung zu minimieren hänge ich aber nur noch eine 120cm Schlinge am Standplatz ein, den ich überspringe. Letzten Endes geht sich das Manöver gut aus. Wenn man nicht in Eile ist muss man das aber auch nicht tun. Wir sind eigentlich auch nicht in Eile. Aber wir hängen gerne Seillängen zusammen. Und das ist ja auch viel wert.
Interessant ist, dass die tiefe Rinne in der wir uns nun 4 Seillängen lang bewegt haben von diesem Standplatz überhaupt nicht mehr einsehbar ist. Von der Seite gesehen sieht man nur eine geschlossene Platte und keine Spur von der Schlucht, den Pflanzen und der Kletterpartnerin.
13. Seillänge (IV)
Über gestufte Platten geradewegs auf eine breites Schotterband. Die Rinne hat einen spätestens hier auch mental wieder ausgespuckt und entlässt in das schrofige Plattenmeer aus dem unteren Teil.
14. Seillänge (IV)
Ende in Sicht – denn leicht linkshaltend führt ein plattiges Wändchen zu einer kurzen, finalen Verschneidung die aus der Wand und in das weite Schotterfeld mündet. Ich steige vor, flitze hinauf zur Verschneidung staune nicht schlecht.
Von all den Klettermetern, die wir heute überwunden haben und deren Schwierigkeit sich strittig zwischen dem IV. und VI. bewegt, ist dieser letzte Meter der unpassendste. Auf die allerletzten zwei Züge sorgt eine reichlich speckige Rissverschneidung nochmal für einen kurzen Moment der Action. Versteckt in einer mutmaßlich leichten Ausstiegslänge habe ich sowas nicht mehr erwartet. Klar – die Rinne ist schwerer und wer bis hier gekommen ist wird die Route auch mit Leichtigkeit zu Ende bringen. Aber dieser letzte Meter sticht nochmal ganz deutlich hervor und zwingt mich – mehr aus Trotz – in die linke, filigrane und technische Begrenzungswand der Verschneidung. So umgehe ich zweimal Ziehen und Treten auf poliertem Fels in schwerer aber dafür rauer Kletterei und wuchte mich über den Ausstieg.
Und bald geht es – zunächst über ein eher unproblematisches Schotterfeld – kurzweilig der schon erkennbaren Forststraße entgegen. Rechts nochmal die eindrucksvolle Ostwand des Monte Brento mit seinen gewaltigen Dächern, deren Größe in der Draufsicht nur schwer greifbar sind. Links das Sarcatal, in welches man idealerweise keine Steine schickt. Ein losgetretener Stein wird aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht bis zur Wand rutschen sondern im flachen Geröll liegen bleiben. Und so würde ich behaupten, dass man auch bei hohem Andrang vergleichsweise sorglos an den Sonnenplatten unterwegs sein kann.
Wir stapfen ins Tal. Was bleibt? Ein schöner und abwechslungsreicher Klettertag in einer andersartigen aber dennoch lässigen Wand, die wir eine Stunde schneller als angegeben durchstiegen sind. Dabei haben wir dank frühem Einstieg bis auf die beiden Österreicher, die wir erst im oberen Teil endgültig abgehängt, haben weder Stress von vorne noch von hinten verspürt. Als wir um die Kurve kommen, die wieder den Blick auf die Wand freigibt, erkennen wir viele Seilschaften in der Tour. Gut 1 1/2 Stunden unter und nach uns muss richtig Betrieb ausgebrochen sein – die Begehungszeit dürfte sich dadurch ordentlich verlängern und der Genuss deutlich verringern.
Wir können uns allerdings in den Lebenslauf schreiben, dass wir hier heute viel schneller, eleganter und leichter durchgekommen sind als gedacht und uns sowohl der Speck als auch die “Länge” der Route nicht weiter beeindruckt haben. Vielleicht werden wir allein deshalb für den Folgetag eine Route aus dem Mülleimer ziehen, die wir als zu schwer und zu alpin verworfen hatten. Und damit die Pforten für die schönste Kletterei bisher öffnen. Aber nur ganz vielleicht.
Schwierigkeit, Versicherung und Material
Wir waren mit 60 Meter Doppelseilen und einigen Expressschlingen dabei. Unnötigerweise haben wir erneut Cams am Gurt gehabt, die sich in dem Gelände aber quasi nicht gewinnbringend einsetzen lassen. Die Absicherung ist mit relativ rustikalen und alten aber brauchbaren Klebehaken zwar brauchbar, die Abstände können aber auch gut mal 10 Meter betragen. Dennoch kann man sich auf die Haken verlassen, sie stecken meist an den richtigen Stellen und tauchen mit einer angenehmen Regelmäßigkeit in dem kompakten Plattenpanzer auf. Dazwischen helfen rote Markierungen bei der Orientierung, nur die bei uns 3. (und sonst 4.) Seillänge ist nicht trivial und entsprechend dokumentiert. Sportklettern sieht dann üblicherweisetrotzdem anders aus – es ist durchaus hilfreich, wenn der Vorsteiger auch mal weitere Strecken im unteren IV. Grad ohne Sicherung wegsteckt.
Die Rita lebt von ihren Kontrasten und dem Wandel von Platte zu Rinne, was Fluch und Segen zugleich ist. Die Route führt homogen über schöne Platten im III. oder IV. Grad, die sich erstmal entspannt und genüsslich klettern lassen – mit der Zeit aber auch eintönig werden. Die ersten 9 Seillängen gehen dabei beinahe als “Zustiegsgelände” durch in dem man nie wirklich klettert und sehr viel geht oder auf Reibung steigt. Die große Rinne beginnt dann mit einer rustikalen Seillänge durch Bewuchs und spiegelglatte Stufen, löst sich dann aber in 3 sehr schöne und lohnende Längen in der markanten Wasserrinne auf. Das Ausstiegsgelände ist dann bis auf den letzten Meter wieder leicht – belohnt aber mit eindrucksvollen Tiefblicken ins Sarcatal, die Sonnenplatte und die umliegenden Routen.
Die Linie ist im Herzen ein leichter Wanddurchstieg in tollem Ambiente, der Fels gibt in seiner reinen Struktur eigentlich nirgends Schwierigkeiten jenseits der IV+ her. Der berüchtigte Speck im Kamin beschränkt sich auf ganz wenige Tritte und Griffe und lässt sich vielerorts mit etwas Kreativität dankbar und rau umklettern. An zwei oder drei Stellen ist der Kontakt mit der Politur zwingend, die Kletterei dann auch deutlich verschärft. Mit einer Tour im 6. Grad hat die Rita in Summe aber auch wenig bis nichts gemein und wer z.B. die Kampenwand kennt, wird vom italienischen Speck abseits des Tellers auch nicht sonderlich beeindruckt sein.
Ich finde Besonnenheit ein gutes Schlagwort. Wer sich bei einer schweren IV+ oder V- bei hektischen und unsauberen Bewegungen und kräftigem Ziehen ertappt wird hier wenig Spaß haben. Das soll nicht heißen, dass man die Rita nicht auch so bezwingen kann. Es muss nur klar sein, dass die Route nicht richtig zum Abseilen eingerichtet ist und ein Rückzug aus der Rinne über die 9 Seillängen “Zustieg” ein sehr langes und ungeschicktes Vorhaben sein dürften, bei dem entweder Material oder Lehrbuchkonformität geopfert wird. Entsprechend viel Gewicht liegt auf dem Absolvieren der Schlüsselstellen – in denen man sich durchaus verzetteln und dann ohne fremde Hilfe auch relativ alternativlos dastehen kann. Oder man steigt sauber und konzentriert höher – und wird sie leicht meistern. Den schwer, und vor allem anhaltend schwer, ist die Rita wirklich nicht.
Zusammenfassung
Ich würde schon sagen, dass man in und um Arco wenigstens eine Tour in den Sonnenplatten gemacht haben sollte. Es ist definitiv ein beeindruckendes Stückchen Fels an einem noch beeindruckenderen Berg und die teils bizarr anmutende Kletterei im gigantischen, makellosen Kalk hat ihren ganz eigenen Charme. Ob es wirklich die Rita sein muss oder akuter Wiederholungsbedarf besteht ist ein anderes Thema. Ich bin sehr froh, dass wir da waren und nun bei jeder Fahrt durchs Sarcatal einen Blick aus dem Fenster werfen und “Hach ja die Rita” sagen können.
Wir sind die Via Rita im April 2022 geklettert.
Auch wenn die eigentliche Kletterei den 6. Schwierigkeitsgrad nicht erfordert, hielten wir ihn doch für angemessen, da die Route – insbesondere im Kamin und in den anschließenden Wasserrinnen – schon sehr abgeklettert und poliert ist. Darüber hinaus hatten wir zu Beginn (4. Seillänge) leichte Probleme mit der Wegfindung, da sie unserer Meinung nach nicht mit der uns vorliegenden Topo übereinstimmte. Zwei Seillängen später war klar, dass wir in der richtigen Route waren.
Insgesamt ein lohnender longclimb, der seine Höhepunkte im Kamin und den Rinnen hat. Der Rest ist typische Kletterei auf den Sonnenplatten, die man entweder mag .. oder nicht.