Kletterblog & Berggeschichten
San Paolo – Lecciomania Migliorata (VI)
San Paolo – Lecciomania Migliorata (VI)

San Paolo – Lecciomania Migliorata (VI)

Literatur: Arco Plaisir*

Leck was?

Nächtliches Aufwärmprogramm in Arco

Lecciomania. Der klangvolle Name unseres heutigen Wegs durch die San Paolo Wand übersetzt sich als „Verbesserte Steineichenmanie“. Die Originalroute stammt von Dario Cabas und Pierangelo Masera, wurde 2008 erstbegangen und verdankt ihrem Namen den Steineichen, die teilweise als Standplätze dienen dürfen. Die „Verbesserung“ wurde dann 2017 von Grill / Kluckner / Heiss vollzogen, wobei die ursprüngliche Route stellenweise in lohnenderen Fels verlegt und homogenisiert wurde. Dabei rausgesprungen ist eine begeisternde Linie in der kleinen aber steilen San Paolo Wand über dem Camping Zoo – ein Heimspiel für unseren Abreisetag und ein hoffentlich trockenes Ziel in einem eher niederschlagsreichen Herbstwochenende.

In sieben eher kurzen Seillängen werden 170 Meter Wandhöhe überwunden – wobei sich Tour überraschend konstant im mindestens 5. und oft auch unteren 6. Schwierigkeitsgrad bewegt. Mir fehlen zwar noch viele Wege in diesem dicht erschlossenen Wändchen, ein gewisser Trend scheint sich dennoch abzuzeichnen: trotz der geringen Wandhöhe und Zugänglichkeit sind die Routen hier überraschend steil, luftig und beständig. Sie bombardieren den Kletterer geradezu mit kreativen Kletterstellen, zwischen denen es vergleichsweise wenig Leerlauf und Botanik gibt. So war es im Frühjahr in der Pilastro Themis – so ist es heute in der Lecciomania Migliorata. Vielleicht sollte man hier beim nächsten Mal nochmal genauer hinschauen.

Unsere Route führt relativ zentral durch den unübersichtlichen Pfeiler im linken Teil der Paolo-Wand

Der Zustieg…

…ist kaum der Rede wert. Wir starten vom Camping Zoo und schlafen damit sozusagen am Wandfuß. Die größter Herausforderung besteht wohl darin nicht von der Campingplatzschranke erschlagen zu werden. Von dort geht es zum Restaurant „La Lanterna“ und da dann linkerhand in den Busch. Am Wandfuß – welchen man an markanten Dächern erreicht – folgt man einer offensichtlichen Pfadspur nach links und läuft in typischer Sarcatal-Manier den Wandfuß auf der Suche nach dem richtigen Einstieg ab. Da wir heute relativ wenig Zeit haben, laufen wir gute 3-4 Male an dem Einstieg vorbei. Das liegt aber nicht daran, dass dieser gut versteckt oder schlecht markiert wäre. Aber die deutsche Seilschaft, die an der Route 1 Meter neben unserer steht ruft uns den Namen ihrer Linie zu und wir sparen uns die 3 Höhenmeter an den Wandfuß.

Dasmussdaeigentlichsein

Irgendwann ist der blau beschriftete Einstieg an der großen Verschneidung dann doch gefunden. Und während die Seilschaft neben uns in die Tre Pilastri einsteigt, zücken wir unser Material für die noch menschenleere Lecciomania Migliorata. À propos Seilschaft…sind das nicht die Kollegen, die am Vortag ihr Kind bei 90° in der Sauna am Camping Zoo gegrillt haben? Ihre erste Seillänge gehen sie etwas konservativer an – ein cleaner und abdrängender Riss. Wir schnappen uns die offensichtliche Verschneidung rechts davon.

1. Seillänge (V+/VI-)

Hannah in der 1. Seillänge

Einstiegsseillängen sind im Sarcatal selten eine wirkliche Offenbarung – der fehlende Abstand zum Wald wirkt sich oft ein wenig auf die ersten Klettermeter der talnahen Wändchen aus und schafft ein etwas rustikaleres Ambiente. Ich erinnere mich da an die selten erinnerungswürdigen Einstiege aus der Kategorie „steil und rutschig“ von Via Edera, Pilastro Themis, Via Crucis und Gran Diedro. Oder aber das oft formlose Schrofengelände aus der Kategorie „kennste eine, kennste alle“ wie ich es in Cercando la Trincea, La Luna Argentea, La Bellezza della Venere, Le Scalette dell` Indria und vielen weiteren kennenlernen durfte. Und dann gibt es noch die Sonnenplatten, die einfach komplett aus letzterer Kategorie geformt sind. Zurück zum Thema.

Die erste Seillänge der verbesserten Steineichenmanie fällt insofern aus dem Raster, als dass sie durchaus schöne und lohnende Kletterei liefert und dabei sehr elegant und genüsslich in die Wand leitet. Die Verschneidung ist kaum brüchig, lässt sich gut absichern (was zwischen Sanduhren und Bohrhaken aber noch gar nicht zwingend notwenig ist) und endet rasch in einer nach links ansteigenden Platte unter einem kleinen Überhang. In durchaus interessanter Kletterei wird dieser unterquert – wobei sich die hier eher fragwürdige Sanduhr gut mit einem (sehr) kleinen Friend hintersichern lässt. Dann wendet man sich wieder nach rechts und steigt steil zum ersten Standplatz aus. Die Länge ist Vieles – aber ganz bestimmt nicht langweilig.

2. Seillänge (VI-/VI)

Wir wechseln die Führung und ich gehe eine Seillänge an in der bei der „Verbesserung“ explizit Bohrhaken entfernt wurden – die einigermaßen lange und konstante Verschneidung ist in Gänze mobil abzusichern. Vor und nach der Verschneidung darf man sich aber jeweils über einen wohlplatzierten Haken freuen. Ganz ehrlich – das macht so wesentlich mehr Freude als vergleichbaren Fels an einer Vielzahl schäbiger Sanduhren oder schwindliger Schlaghaken zu klettern.

Vom Standplatz weg steige ich von rechts in die graue Platte ein – zwei Bohrhaken leuchten den Weg nach links. In angenehmer Kletterei in bestem Fels erreiche ich den Einstieg in die Verschneidung, welche sich dann als ziemlich einfach herausstellt. Mit etwas Speizen lässt sich hier sehr gemütlich empor steigen und auch das Setzen von Sicherungen ist bei einem bedachten Kletterstil aus sehr unstressigen Positionen heraus möglich. Für mich wird es ein kleiner Keil direkt am Beginn, ein #0.75 BD Cam in der Mitte und ein schwarzer Totem kurz vor Ende der Verschneidung. Die oft zulaufenden und engen Risse im Verschneidungsgrund ließen sich aber bestimmt auch mit diversen anderen (allerdings eher kleinen) Klemmgeräten absichern.

Just als es unübersichtlich, blockig und mutmaßlich etwas brüchiger wird bietet sich linkerhand ein Bohrhaken an und löst die durchaus steile und luftige Seillänge in Wohlgefallen auf. Bisher überzeugt uns die Route in vollem Maße. Leckomania!

3. Seillänge (VI-)

Auf einem gemütlichen Band mit namensgebenden Steineichen beziehe ich den Standplatz und hole Hannah nach. In der Wand ist schon einiges los – Einsamkeit und Stille wird man in einem so einfach erreichbaren Stückchen Fels wohl lange suchen. Aber in unserer Route geht es noch sehr entspannt zur Sache, wir sind allein.

Hannah steigt in die 3. Seillänge ein, die wohl eine komplette Neukomposition und Abweichung zur Originalroute ist. Linkerhand wird ein bunt gemustertes Wändchen erstiegen, welches oben in einen von unten recht grimmig anmutenden, schwarzen Überhang läuft. Auch Hannah hatte ein kurzes Fragezeichen in ihrem Blick.

Die phänomenale 3. Seillänge

Lec(cio) ist das geil!

Besagtes Fragezeichen löst sich in Luft auf – für mich persönlich ist diese Seillänge die mit Abstand lässigste der Führe und ein kleines Kletterhighlight über den dem Sarcatal. Das liegt vor allem daran, dass die Perspektive einem hier einen kleinen Streich spielt und sich die Kletterei überraschend fein auflöst. Über griffige, gelbe Blöcke wird das Dach erreicht und dem sich überraschend ein brachial guter Horizontalriss anbietet. Mit einem blauen Totem lässt sich erneut der Runout verkürzen – was in der durchaus exponierten Passage bestimmt keine schlechte Idee ist. Dann hangelt man ein kurzes Stück nach links, platziert die Füße, greift über den Überhang und…

Hannah unter dem Dach der 3. Seillänge

Hannah fliegt förmlich durch den Überhang und als ich nachsteige verstehe ich rasch warum. Nach oben hin löst sich das kleine Dach in traumhafte Henkel im festen Kalk auf. Athletisch, steil und anregend geht es einer Sanduhr folgend hinaus in etwas einfacheres Gelände und zum Standplatz.

4. Seillänge (V)

Im Rausch der ersten drei Seillängen bekommen wir gar nicht mit, dass sich hier kurz ein paar etwas weniger anregende Klettermeter einschleichen. Sie trüben das Bild nicht nachhaltig. Über zwei kleine, relativ einfache und nicht überall feste Wändchen und ein Band geht es zum Standplatz an einer Steineiche. Die Wand gibt hier auch nicht wirklich mehr her. Für nen 5er ist’s zudem ziemlich gemütlich.

5. Seillänge (V+)

Von dem großen Band und der Steineiche lassen sich mit einigen Metern Gehgelände und einem zunächst einfache, blockigen Aufschwung die nächsten interessanten Kletterstellen erreichen. Übrigends: die Sanduhr in Bodennähe kann kaum als ernstzunehmende Absicherung betrachtet werden und garantiert einen Bodensturz aus der schwierigen Passage – es bietet sich also an einen etwas größeren Friend (#2) im Faustriss unter einem kleinen Dach zu platzieren.

Hannah am kleinen Überhang mit gutem #2 Placement

Hier geht es kurz kräftig nach links und dann rasch wieder nach rechts in eine Verschneidung mit Bohrhaken. Eine gewisse Distanz zur offiziell nur marginal leichteren 4. Seillänge ist schon spürbar und auch der Kopf darf wieder mehr arbeiten – man muss besagten Friend nämlich auch relativ beherzt hinter sich lassen um die nächste Sicherung zu erreichen.

6. Seillänge (VI-)

Die Qualität und Homogenität der Kletterei zieht wieder spürbar an. Durch steilen, gelben und abdrängenden Fels geht es für mich in die 6. Seillänge, welche einstimmig beschlossen die härteste des Tages ist. Zwar ist sie im unteren Teil überraschend gut abgesichert und stets griffig – dabei aber auch anhaltend abdrängend und etwas unübersichtlich. Mit einem kurzen Links-Rechts Schwenk wird ein kleines Dach umklettert bevor es in eine graue Platte neben der nächsten Steineiche geht. Hier endet nur plötzlich die enge und kurzweilig liebgewonnene Absicherung und mit ungünstigem Timing auch die Griffkraft in meiner rechten Hand. Ein kleiner Seitengriff bricht mein Vertrauen und ich brauche eine kurze Pause im Seil an der Sanduhr über dem gelben Wändchen. Bis hier ging es aber überaus fluffig.

Steiler, griffiger und fester Fels in der 6. Seillänge

Hätt‘ man sich schon auch noch kurz dran festhalten können

Aber das weiß man ja vorher nicht. Die Platte löst sich nach dem schweren Seitengriff dann doch irgendwie auf und spuckt mich auf dem breiten Band unter der letzten Seillänge aus. Die soll besonders toll sein. Wir machen den Test.

7. Seillänge (VI)

Die Schlüsselstelle der Tour ist ein auf den ersten Blick unmöglich steiles und abdrängendes Wändchen, welches hier neben der Steineiche aufragt. Vom gemütlichen Standplatz aus muss man ziemlich den Kopf in den Nacken legen. Zum Glück hat auch diese Wändchen eine Schwachstelle, welche mit einem Schwenk nach links rasch ausfindig gemacht wird. Über einen freistehenden Block kann man relativ gut an den Fels springen (übertrieben) und sich dort festhalten (nicht übertrieben). Wahrscheinlich kann man auch direkt vom Stand hinüber queren – das sieht aber unverhältnismäßig schwer aus und wirkt im Eifer des Gefechts ein wenig gesucht. In der Wand angekommen hält Hannah sich leicht links und staunt im Aufstieg über über die perfekten, kleinen Leisten und Löcher im sonst ziemlich vertikalen Fels.

Quasi Lieblingsgelände.

Der entscheidende Hangelriss ist kaum zu verfehlen. In luftig-kühner Kletterei geht es abrupt und horizontal nach rechts wobei die Falllinie des Standplatzes überquert wird. Der Riss ist enorm griffig und ein paar Tritte gibt es auch. Dennoch finde ich mit meiner Körperlänge keine völlig angenehme Position und rupfe mich etwas hastig durch den wahrscheinlich ziemlich begeisternden Fels. Befeuert wird das vom berauschenden Tiefblick auf den Talboden, welches das breite Band unter der Seillänge nur bedingt abfangen kann. Alles in allem ein paar spektakuläre Meter Fels, welche Hannah diesmal irgendwie etwas mehr genießen konnte als ich.

Am Ende des Hangelquergangs landet man an einer runden Kante und steigt verschneidungsartig aus. Prompt lehnt sich das Gelände zurück und entlässt mich in die Blümchenwiese am Abstiegspfad.

Mit einem kurzen Blick auf Arco verstauen wir unser Zeug und gehen den „alpinen“ Abstieg nach Süden an. Leichter aber mit Gegenanstieg und sehr ineffizienter Zusatzstrecke ließe sich wohl auch nach Norden auf- und dann absteigen – wobei man auf dem Weg zwischen Paolo-Wand und Croce di Ceniga landet. Wer noch nicht genug geklettert ist und noch einen richtigen Gipfel mitnehmen will, kann dort natürlich eine weitere kurze Route anhängen.

Wir wollen auf jeden Fall rasch zum Camping Zoo und die Heimfahrt antreten – in der Hoffnung den ganz großen Rückreiseverkehr geschickt zu umgehen.

Ciao Sarcatal – bis nächstes Jahr

Abstieg

Und gar so alpin ist der Abstieg dann gar nicht. Er ist vor allem extrem kurz. Fast albern, dass wir gerade über eine Stunde in einer Felswand verbracht haben um einen Aussichtspunkt zu erreichen, den man hier in 10 Minuten wieder verlassen hat. Aber der Weg ist das Ziel. Und die Kletterstellen in der Lecciomania Migliorata waren definitiv die Schönere. Zwei etwas rustikale und ausgesetzte aber kurze Fixseilpassagen führen in den steilen Wald, in dem wir rasch an Höhe verlieren und den Wandfuß erreichen. Das Wichtigste ist wahrscheinlich hier keine Steine loszutreten. Linkerhand verlaufen einige der beliebtesten und übervollen Routen der Paolowand – etwa die relativ einfache Via Sabina.


Schwierigkeit, Versicherung und Material

Eine wirklich spaßige und kurze Route die aber anhaltend steile und stellenweise relativ ausgesetzte Klettermeter bietet. Die Kletterei ist wirklich ziemlich homogen. Ich betone das, weil es nebenan auch viele Routen mit auf den ersten Blick ähnlicher Bewertung gibt, in denen aber nur ganz kurz mal im 6. Grad gekraxelt wird und diese Stellen auch leicht A0 überwunden werden können. Das ist hier anders. Die Lecciomania ist zwar keine wirklich ernste Bergfahrt – macht aber bestimmt mehr Spaß, wenn man bei 5+/6- nicht am Limit ist. Zumal einige schwere Passagen auch anhaltender mobil abgesichert werden müssen. Langeweile kommt auf jeden Fall nicht auf.

Die Absicherung ist gut – vorausgesetzt man kann Friends in der geforderten Schwierigkeit sicher setzen. Mir ist hier allerdings aufgefallen, dass der Anteil an schrottigen aber fixen Sicherungen (alte Rostgurken, schwer abschätzbare Sanduhrschlingen) relativ gering ausfällt und es dafür wenige aber sehr frisch anmutende und extrem gut platzierte Bohrhaken gibt. Das macht wirklich Spaß. Dort wo notwendig (und das sind in Summe schon ein paar Stellen) lässt sich die Route dann auf jeden Fall gut bis sehr gut mit Klemmzeug ergänzen – dazwischen muss aber auch mal ein paar Meter geklettert werden.

Insgesamt sollte man mit 3-4 Friends und ein paar Keilen gut auskommen – der Fokus liegt auf den kleinen und sehr kleinen Größen. Zusätzlich würde ich behaupten, dass in der 5. Seillänge auch ein größeres Exemplar gewinnbringend eingesetzt werden kann. Ansonsten benötigt man halt ein paar Exen (evtl. 1-2 Alpin), Helm, Seil, Gurt, Schuhe, ein Packerl LSD, eine Motorsäge gegen die Steineichen und einen Fallschirm für den alpinen Abstieg.

Zusammenfassung

Es drängt sich ein wenig der Vergleich mit der am Vortag gekletterten Cercando la Trincea (VI) auf. Nominell sehr ähnlich – für uns im direkten Vergleich aber vielfach einfacher weil weniger anhaltend und mit weniger verbindlichem Einsatz von mobiler Absicherung. Beide Routen sollen sich zur „Übung des Einsatzes mobiler Sicherungsmittel“ eignen. Bei heutiger Tour müsste man dann aber doch einen einigermaßen kühlen Kopf bewahren wenn man sich über einem zweifelhaften Placement befindet.

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