Schon wieder Arco. Und irgendwie auch schon wieder Regen. Der halbe Camping Zoo ist im Schlamm versunken, aus den Wänden suppen schwarze Streifen vom letzten, ergiebigen Niederschlag. Die Lösung ist Sportklettern – etwa im hübsch gelegenen Sportklettergebiet Belvedere, welches schnell abtrocknet und ebenso schnell Massen an verzweifelten Kletterern anzieht. Nach einigen Stunden Lärm, Trubel und Gekrabbel am speckigen Kalk steht fest:
Und da der bereits etwas kürzere Herbsttag noch ein paar Stunden Tageslicht bereithält, entscheiden wir uns doch noch einen Versuch an einer südseitigen Wand über dem Gardasee zu wagen. Und dort dann in kontrastreiche und einsame Kletterei im überwiegend trockenen und sonnigen Fels einzutauchen. Ein Plan der aufgeht.
An der Parete Pezol waren Hannah und ich schon einmal unterwegs. Die Claudia 22 hat uns an unserem allerersten Klettertag im Sarcatal mit ihrem kompakten Fels verzaubert. Danach haben wir uns viele Male am Due Laghi und in den Wänden über Dro ausgetobt – zur aussichtsreichen Parete Pezol haben wir es aber nicht mehr geschafft. Obwohl es dort neben besagter Claudia 22 noch einige andere, lohnende Routen geben soll. Die Wahl fällt heute auf die Cercando la Trincea – also der „Suche nach dem Schützengraben“. Das ist die rund 200 Meter messende Nachbarroute der Claudia 22, die ihren Namen der Tatsache verdankt, dass man in der letzten Seillänge in eine alte Kriegsstellung aus dem 1. Weltkrieg aussteigt. Auf dem Weg dort hin – der Suche – findet man moderate Kletterei im oberen 4. und unteren 5. Grad. Nur selten wird es kurzweilig schwieriger. Die Ausstiegslänge im 6. Grad ist optional, lässt sich zu Fuß umgehen oder per Ausweichmanöver in der etwas leichteren Nachbarrouten umklettern.
Zustieg
Wir folgen dem bereits beschriebenen Zustieg zur Wand und finden den Einstieg rasch ein paar Meter links der Claudia 22. Oben in der Wand ist auch bereits die schöne, lange Verschneidung auszumachen, die wohl das Herzstück der Route bildet und überraschend trocken aussieht.
1. Seillänge (IV+)
Hannah startet in die erste Seillänge. Wir sind heute zwei Seilschaften, Lio und Jule werden sich direkt an unsere Fersen heften. Aber sonst ist die gesamte Wandflucht der Parete Pezol leer und einsam. Kein Wunder. Alle anderen sind ja in Belvedere.
Über sehr typisches, einfaches und gestuftes Gelände geht es empor. Auffällig sind dabei die vielen Sanduhren, die der Absicherung dienen. Manche von ihnen sind von guter, viele von mittelmäßiger – und einige wenige auch von wirklich zweifelhafter Qualität. Insgesamt geht es aber sehr gemütlich und sorglos empor wobei der Fels mit gewonnener Höhe immer besser wird. Kurz vor dem ersten Standplatz gibt es ein lustiges, kleines Eck in dem ein nasser Fleck die Auswahl an Tritten ein wenig beschränkt und man mit einem etwas kühneren Ausfallschritt und Zug den Standplatz erreicht.
2. Seillänge (IV+)
Ich übernehme die 2. Seillänge, die nun wesentlich homogener und steiler durch griffige Platten führt und mir für ihre Bewertung stellenweise sogar einigermaßen kühn erscheint. Vor einigen Jahren hätte mich ein solches Stückchen Fels massiv beeindruckt. Der Fels ist perfekt henklig und fest – erfordert aber den einen oder anderen wohlüberlegten Zug zwischen den sonst geschlossenen Plattenpanzern.
Mobile Absicherung benötigen wir bis hier noch nicht – unter den oft eher seichten IV+ Längen des Sarcatals ist das aber eine der feinsten meiner jungen Kletterkarriere. Denn irgendwie hat sich bei mir der Eindruck eingeschlichen, dass die Kletterskala in den Wänden um Arco erst bei IV beginnt und viele Passagen, die bei uns in den Nordalpen kunstvoll als I+ oder III- klassifiziert sind hier einfach unter den Sammelbegriff „IV“ fallen.
An einem kleinen Olivenbaum lehnt sich das Gelände zurück und führt zum Standplatz unter der herrlichen Verschneidung der 3. Seillänge.
3. Seillänge (V+)
Die 3. Seillänge führt durch eine offensichtliche und recht anhaltende Verschneidung im unteren 5. Grad – eine kurze Einzelstelle ist vielleicht auch einen Hauch schwieriger. Interessant ist, dass hier mal mobil abgesichert werden darf, da sonst der Runout über einer eher heiklen Sanduhr einigermaßen groß werden würde. Zum Glück bieten sich dafür im Riss in der Verschneidung ein paar gute Platzerl an und der Fels wirft einige gute Ruhepositionen ab, aus denen das Stück Sicherung ziemlich gemütlich angebracht werden kann. Im Falle von Hannah wandert ein lila Totem in den Riss. Kurz danach beruhigt eine solide Sanduhr die Nerven und über einen etwas abdrängenden, kräftigen Meter erreicht man leichteres Gelände.
4. Seillänge (V)
Ein bisschen weniger entspannt wird die Fummelei, die ich mir in der schwierigsten Stelle der 4. Seillänge antue – und dann irgendwann sein lasse. Perfekt henklig erreiche ich eine kleine Einbuchtung aus der ein gezackter Riss in henklige Platten führt. Die kurze Crux benötigt nur einen einzigen beherzten Griff – der Runout über einer einzelnen Sanduhr ist aber länger als gewohnt und da wir ohnehin ein bisschen Klemmzeug am Gurt haben, versuche ich einen Keil in den zulaufenden Rissen unterzukriegen.
Nach zwei unbequemen Versuchen lasse ich es sein. Was in der Draufsicht wie ein Bomben-Placement aussah, entpuppt sich als ziemlich unübersichtliches Gefummel, welches zu allerhöchstens mittelmäßigen Platzierungen eines Klemmkeils führt. Und so bequem stehe ich auch nicht. Augen zu und durch. Ein paar genussvolle Züge später befinde ich mich wieder im Sanduhren-Wunderland und folge den griffigen Platten zum Standplatz.
5. Seillänge (V)
Hannah steigt in die kleine Platte ein und quert mit ein paar präzisen Tritten über einen kleinen, nassen Streifen. Absolut verkraftbar – wir hatten mit viel aquatischeren Zuständen gerechnet. Ein kleiner Wulst mit einem Schlaghaken wird nach rechts umklettert und dann kurz steil und henklig erklommen. Anschließend führt einfaches aber weiterhin schön kompaktes und griffiges Gelände empor auf ein grasiges Band. Hier lässt sich ein Zwischenstand an einem Baum errichten – etwa wenn man sich zu Beginn der Seillänge schon zu viel Reibung eingehängt hat. Für Hannah, die einige der superlangen Alpinexen verwendet hat geht es aber direkt hinüber an den Fuß des Abschlusspfeilers und den Knotenpunkt, an dem Claudia 22 und Cercando la Trincea für einen kurzen Moment zusammenlaufen.
An die Stelle erinnern wir uns noch. Denn damals, also bei der Begehung der Claudia 22 haben wir akribisch darauf geachtet uns rechterhand in unsere Route zu halten und nicht der offensichtlicheren, direkten Linie der Cercando la Trincea zu folgen. Wenn man düsteren Legenden Glauben schenken mag ist die eine oder andere Seilschaft hier bereits unfreiwillig aus der Claudia 22 abgebogen und durfte sich mit dem etwas kniffligeren Schlusspfeiler unserer Route herumschlagen. Für mich steht fest, dass ich mir genau diesen noch kurz anschauen mag.
6. Seillänge (VI)
Und während es ganz unten am südlichen Ende des Lagos bereits zu dämmern beginnt und sich eine bleierne Wolkendecke über das Sarcatal geschoben hat steige ich in die letzten Meter unserer Tour ein. Genau wie die weiter rechts liegende, gelbe Verschneidung der Claudia 22 muten auch hier die ersten Meter relativ brüchig an. Die Seillänge entpuppt sich dann aber doch als ziemlich lohnend. Ein kleiner Überhang löst sich überraschend einfach und genüsslich auf – danach geht es in toller, steiler Verschneidungskletterei empor. Ziemlich mittig bietet sich ein weeeeiter Schritt nach rechts an um sauber gespreizt eine sonst schwere Kante auf dem linken Schenkel der Verschneidung zu umgehen. Darüber wird es einfacher und blockiger und spätestens an der Trincea (=Schützengraben) sollte man aufhören jeden Block voll zu belasten. Sonst muss die Trincea zeitnah wirklich gesucht werden. Sie wäre einigermaßen einfach abzuräumen und mit reichlich Radau ins Tal zu befördern.
Am Ende der Trincea errichte ich den Standplatz an einem Baum neben dem Routenbuch und hole Hannah nach. Wenig später kommen Lio und Jule aus den Blöcken gekraxelt.
Abstieg
Wir folgen den Pfadspuren hinauf zum Strommast, der den majestätischen Gipfel der Parete Pezol ziert. Dann geht es unter dem Masten hindurch und auf einem markierten und inzwischen auch wieder offiziell geöffneten und sanierten Steig zurück zum Ausgangspunkt der Tour. Eine rundum gelungene Flucht aus dem Sportkletter-Wahnsinn der Belvedere – und ein Motivationsschub für den Folgetag, für den wir uns eine hoffentlich ebenfalls trockene Route in der quirrligen, kleinen Paolo-Wand aussuchen.
Schwierigkeit, Versicherung und Material
Tolle, „normale“ Sarcatal-Tour, die sich vor ihrer beliebten Nachbarin nicht verstecken muss. Der Fels ist abseits der 1. Seillänge überwiegend fest und keine der weiteren Seillängen ist unlohnend oder übermäßig botanisch. Die Schwierigkeiten sind für meinen Geschmack eher gemütlich und kratzen definitiv nicht am oberen Ende dessen, was im jeweiligen Grad in anderen Touren (oder Gebieten) möglich wäre. Die schwierigsten Stellen sind stets einzelne Züge oder Tritte, die in überwiegend genüssliche Platten- und Henkelkletterei eingebettet sind.
Die Absicherung ist zwar marginal alpiner – allerdings noch weit entfernt von den etwas anspruchsvolleren Linien, die man von den Erschließern etwa in den Wänden über Dro kennt. Es kommen abseits der Standplätze fast nur Sanduhren zum Einsatz. Diese haben zwar wechselhafte Qualität, sind aber so üppig über die Route verteilt, dass man wirklich nur an 1-2 Einzelstellen mobil sichern möchte. Dort – in der Verschneidung der 3. Seillänge (mittlerer Friend) und in der Platte der 4. Seillänge (vmtl. eher Keil) reduziert man für einen schwierigen Zug den Runout und wir danach rasch mit einer gut erreichbaren und brauchbaren Sanduhr belohnt. Anhaltend mobil muss hier nicht geklettert werden – zumindest wenn ein wenig Puffer zu den geforderten Schwierigkeiten besteht.
Dem gemeinen Begeher wird ein (oder mehrere) Seil(e) á 50-60 Meter, reichlich Expressen (teilw. alpin) und ein sehr reduzierter und minimalistischer Satz Klemmzeug genügen. Wenn ich die Tour nochmal klettern würde, würde ich wahrscheinlich nur mit dem lila Totem und ein paar Keilen anrücken. Das impliziert aber natürlich auch, dass ich weiß wo man diese am Besten setzt. Verbrät man etwa in der Verschneidung zu früh sein Material, so wird man sich oben raus doch über ein wenig Abstand zur letzten (schlechten) Sicherung wundern. Im Zweifel also immer ein bisschen mehr einpacken.
Zusammenfassung
Tolle, „normale“ Sarcatal-Tour, die sich vor ihrer beliebten Nachbarin nicht verstecken muss. Mich hat die Qualität und grandiose Aussicht dieser Pezol-Route erneut begeistert. Zu- und Abstieg fallen so gemütlich aus, dass die Route auch leicht als schnelles Halbtagesziel oder Feierabendrunde angegangen werden kann.