Unser Abreisetag sollte nochmal ordentlich Kletterei beinhalten und so hatten wir uns schon vorab eine Routenkombination ausgesucht mit der wir in zusammen 18 Seillängen viele Kletterstellen im für uns relativ neuen V. und VI. Grad absolvieren werden. Prio 1 für diesen Tag ist auf jeden Fall die Le Strane Voglie di Amelie, eine in unserer Theorie sehr reizvolle, bestens abgesicherte und ausgesetzte Kantenkletterei, die ein Stück unter dem Gipfel des pyramidenförmigen Piccolo Dain endet. Diese Route beginnt aber erst auf einem vorgelagerten Vorbau, der gut 300 Höhenmeter über dem Örtchen Sarche thront. Und diesen Vorbau erreicht man – wer hätte es geahnt – neben faden Wanderwegen auch über diverse Kletterrouten. Zum Beispiel im Süden durch die steile Parete del Limaro – eine durchaus vertikale Felswand am westlichen Ortsausgang von Sarche. Und hier reihen sich gleich mehrere Sportklettertouren auf, die allesamt in unterschiedlicher Schwierigkeit durch die Wand führen und gleichermaßen gut erreichbar, perfekt abgesichert und hübsch gelegen sind.
Zwischen Moonbears (VI) und Amazonia (VI+) entscheiden wir uns mit der Orizzonti Dolomitici für den leichtesten Weg. Im oberen 5. Grad geht es in 10 Seillängen durch die knapp 300 Meter messende Wand – die Route wird als “schöner, langer Plaisierklassiker” beschrieben. Für uns ist sie heute nur der Zustieg zum Zustieg.
Wir starten gegen 8:00 Uhr und stehen wenige Minuten später am Wasserwerk, welches den lächerlich schnell erreichbaren Einstieg in die Routen darstellt. Aufgrund ihrer unproblematischen Erreichbarkeit ist diese Wand mehr als gut besucht – was wir im Verlauf der Tour auch noch am eigenen Leib erfahren werden. Da es für uns heute kein Wettrennen sondern ein Ausdauerlauf wird, sind wir relativ entspannt, als wir ein deutsches Pärchen vor uns am Einstieg sehen. Ist ja gar nicht gesagt, dass die auch in die Dolomitici wollen.
Nagut. Ist hiermit gesagt. Außerdem erfahren wir, dass vor den beiden auch schon eine Seilschaft in die Amazonia eingestiegen ist. Und die Seilschaft hinter uns hat die Moonbears im Blick. Wir haben also die Wahl uns den beiden in der Dolomitici an die Fersen zu heften oder in der Moonbears selbst zu Gejagten zu werden. Da wir heute noch etwas mehr vor haben und ungern in einer schwereren (und auch nicht geplanten) Route mit Druck von unten hängen wollen, entscheiden wir uns für Ersteres. Alle Routen in diesem Wandabschnitt werden über den selben Aufschwung am Tor des Wasserwerkes und einem anschließenden, speckigen Quergang mit einigen Tritthilfen erreicht. Ein Nadelöhr, an dem man bestimmt auch eine Weile anstehen kann. Wir sind zum Glück halbwegs früh aufgestanden, aber von der Straße rauschen schon die nächsten Kletterer herbei.
1. Seillänge (V-)
Wir bereiten uns schnell vor und ich hefte mich an die Fersen der beiden. Der Aufschwung über das Tor löst sich etwas weiter rechts geklettert zwar gut auf, ist aber ein ziemlicher Kaltstart, etwas merkwürdig und äußerst speckig. Danach geht es nach links über gelegentliche Metallstifte, Bänder und Platten in die Wand. Recht schnell stoße ich auf die Seilschaft vor uns, die einen Baum nach etwa 40 Metern zum Standplatz erklärt hat. Die Idee, dass Hannah am laufenden Seil nachkommt und wir uns direkt in die Route hängen ist an der Stelle gestorben. Hier überholen wäre wirklich nicht die feine englische Art gewesen. Ich baue brav einen kleinen Stand daneben und hole Hannah nach.
2. Seillänge (IV+)
Wir folgen unseren Vorsteigern noch ein Stück nach links und dann geradewegs hinauf. Die dolomitigen Horizonte folgen einer vagen und großflächigen Einbuchtung in der Wand. Tatsächlich habe ich keinen angeschriebenen Routennamen gefunden – es kann aber gut sein, dass wir hier einfach abgekürzt haben weil wir den vorgesehenen Stand durch den Stand am Baum ohnehin überspringen werden. Die Moonbears, die erste passierte Route, erkennt man an ihrer Lage rechts der Einbuchtung und der markanten, langgezogenen Verschneidung. Um fälschlicherweise in die Amazonia einzusteigen müsste man hingegen viel weiter nach links gehen und in den nach vorne gewölbten Wandbereich einsteigen. Also eigentlich alles safe.
Das plattige Wändchen beinhaltet zwar einen kurzen IV+ Zug, ist aber schnell überwunden und sonst nur von leichtem Schrofengelände umringt. Wir klettern stets so, dass wir die Seilschaft vor uns an den Ständen treffen. Hinter uns rücken zwei ältere Herren mit feschen, aerodynamischen Sonnenbrillen an, die wohl auch in die Orizzonti Dolomitici möchten und an den Ständen rauchen. Am Ende des Tages werden wir mit der Seilschaft vor uns aber in einem recht stetigen und passenden Tempo klettern und die Raucherfraktion gut eine Seillänge hinter uns behalten. Alles stressfrei – brauch ich trotzdem nicht immer so.
3. Seillänge (III)
Leichtes Schrofen- bis Gehgelände, welches gnadenlos übersichert ist. Konstant alle 2 Meter einen Bohrhaken – ich verwende vielleicht ein Drittel davon.
4. Seillänge (V+)
Subtil linkshaltende Kletterei mit durchaus leichten Stellen am Anfang und einigen schwierigeren Aufschwüngen. Ganz am Ende – direkt neben dem nächsten Standplatz – ist ein etwas kleingriffiger Block zu überwinden. Hannah braucht hier dann doch einen Moment, um sich etwas zu überlegen. Und auch ich halte kurz inne – dank Länge finde ich aber recht schnell einen guten Henkel auf dem Block. Eine Schlüsselstelle ist das noch nicht – die Seillänge ist überwiegend einfach und der eine kurze Zug am Ende fällt nur wenig ins Gewicht und lässt sich ein wenig weiter rechts schön lösen.
5. Seillänge (V)
Als ich noch im Nachstieg der 4. Seillänge bin, bekomme ich mit, wie der Vorsteiger vom Paar vor uns vor einem sehr großen, losen Block im oberen Teil der Seillänge warnt. Ich bin also auf der Hut. Nach einer genialen, großen Schuppe auf einem kurzen, steilen Wandstück führt uns die Route auf die leichte, kurze Rampe im III. Grad. Diese zieht leicht nach links unter einen weiteren Aufschwung, in dessen Mitte tatsächlich ein extrem loser Block in der Größe eines Fußballs auf seinen Abflug wartet. Während die Seilschaft vor uns aber der Meinung war, dass dieser zwingend belastet werden müsste finde ich rasch leicht links der Ideallinie eine Umgehung, die den Block komplett meidet. Hier ist dennoch nochmal kurze verschneidungsartige Kletterei zu absolvieren und gerade als man sich an die schöne, steile und feste Landschaft gewöhnt hat, endet diese wieder.
Als Hannah schon in der 6. Seillänge klettert taucht unter mir der bös guckende Herr mit der immer noch ganz arg aerodynamischen Sonnenbrille herangeschnauft. Als ich ihn – zum Schutz seines Sichernden – auf den Block hinweise winkt er mich bloß energisch ab und schnauft weiter um dann am Standplatz eine weitere Kippe rauszuholen.
6. Seillänge (IV)
Der Spannungsbogen, der sich bisher zwar auch nur langsam aber stetig aufgebaut hat kommt zu einem dramatischen Ende. Zumindest wird das Gelände hier wieder sehr einfach und schrofig. Und das inmitten einer in der Draufsicht steilen und kompakten Wand. Die Route folgt neben den zahlreichen Bohrhaken aber auch einer hübschen Spur von steilen und griffigen Platten. Der kurze Schwenk nach links bringt einen relativ nah an die Amazonia heran – wie man hier aus Versehen Route wechseln kann ist mir aber komplett schleierhaft. Beim Blick nach unten ist die Wand mittlerweile mächtig voll. Wir sehen noch mindestens 3 weitere Seilschaften in unserer Tour, wilde und wegen Überforderung improvisierte Zwischenstände links von uns in der Amazonia und rechts die Seilschaft in der Moonbears.
7. Seillänge (IV)
Abermals leichte aber feste und griffige Kraxelei. Ganz langsam kriecht die Sonne ums Eck, die den Fluss unter uns schon seit unseres Einstiegs erhellt. In unserer Wand war es aufgrund der südseitigen Ausrichtung bislang noch relativ frisch und vor allem schattig.
8. Seillänge (V-)
Vor uns liegt die Verschneidungsseillänge, die eine willkommene Abwechslung zur übrigen Kletterei darstellt. Die Wand kann natürlich nichts dafür und ist so wie sie ist – aber bisher ist wenig passiert, an das man sich erinnern würde. Die vergangenen 7 Seillängen (gar nicht mal so wenige, wenn ich so darüber nachdenke) sind zu einem gleichförmigen Gemisch aus Platten und Bändern verschwommen. Eigentlich war es auch durchgehend sehr schönes und griffiges Gelände aber irgendwo hat die Orizzonti Dolomitici verpasst uns zu beeindrucken. Zu faszinieren. Zu begeistern. Der zwar hübsche aber immer gleiche Blick auf das Wasserwerk, der Trubel rundherum, der Lärm der Autos und ein Bohrhaken neben dem nächsten hinterlassen bei mir die Leere eines Feierabends im Klettergarten. Spaßig, schön und etwas Sport…ja. Aber eben auswechselbar und relativ bedeutungslos. Ein wenig überrascht es mich, denn so habe ich bisher noch keine Mehrseillänge dieser Länge wahrgenommen. Und es bleibt zu hoffen, dass sich dieser Trend in der Anschlusstour, in deren Zustieg wir uns gerade befinden, nicht weiter fortsetzt.
Aber erstmal hinein in die Verschneidung. Hannah steigt vor und arbeitet sich rasch durch die 20 Meter lange Verschneidung. Das haben wir gestern am Due Laghi ausreichend geübt. Im IV. Grad klettert sich die Verschneidung auch sehr einfach und es geht lediglich darum sich einen der großen Tritte und Griffe auf beiden Seiten auszusuchen. Ein wenig Zeit darf man sich trotzdem lassen, denn anders als in den vorherigen Seillängen sind hier einige lose und brüchige Stellen und einen Steinschlag in der frequentierten Wand möchte man bestimmt nicht verantworten.
Gegen Ende der kurzen Seillänge geht die Verschneidung langsam wieder in kompakte Platten über und etwas linkshaltend sind nochmal ein paar etwas schwierigere Züge zu meistern, um den Vorsprung zu erreichen über dem der nächste Standplatz wartet.
9. Seillänge (V+)
Recht siegessicher steige ich in die letzte Seillänge ein. 15 Meter V+, was soll da schon groß pass…
Es ist nicht die Art von Oh, die einen aus der Wand wirft.
Es ist auch nicht die Art von Oh, die man nullen müsste oder an der man aufgibt und abseilt.
Aber ich muss bereits einen Meter vom Stand weg zumindest anerkennen, dass hier die Schlüsselstelle der Tour liegt. Direkt vom Stand weg führt eine breite Leiste nach links, auf der man entspannt stehen und einige Meter hin und her laufen kann. Der glatte und senkrechte Block vor einem, ist damit aber lange nicht entschärft und zieht auf etwa Brusthöhe sehr trittarm und abdrängend hinauf. Es leuchtet – zumindest mir – relativ schnell ein, dass man sich hier tatsächlich mal festhalten muss. Mit einem Zug, den ich unnötig kompliziert nehme und bei dem ich intuitiv auch keinen Folgegriff finde, landet man auf einem weiteren, angenehmen Vorsprung. Exe clippen. Und das selbe nochmal. Ein weiterer etwas abdrängender und kleingriffiger Aufschwung, den ich ebenso unschön löse wie den ersten. 15 Meter können ganz schön lang sein. Ich hab hinterher gesehen, dass ich die Stelle eventuell auch ein wenig zu weit links angegangen bin. Eigentlich war ich aber immer an abgegriffenen und logischen Tritten und Griffen unterwegs. Wird schon passen. Aber definitiv trotz der Kürze eine der durchaus schweren V+ Stellen meines Lebens. Oder einfach zu überheblich angegangen.
Die letzte Herausforderung ist dann mit den Füßen noch in der senkrechten Platte einen nicht allzu loses Stückchen Stein oder Sand auf dem Ausstiegsband zu finden und sich irgendwie über die Kante zu wuchten. Dann ist aber auch wirklich Feierabend.
Nach rechts führt eine kurze und leichte Rampe aus der Route heraus und auf einen Pfad inmitten des Buschwerks. Die schöne Aussicht auf den Fluss ist weg – man hatte aber in der Route ohnehin eine Menge Zeit sich das anzuschauen. Stattdessen geht unser Blick nach oben zu unserer zweiten Tour für diesen Tag und das Finale des kurzen Arco-Wochenendes. Möge sie uns mehr bedeuten.
Schwierigkeit, Versicherung und Material
Was soll man sagen – es ist Sportklettern. Jede Form von Schlinge ist überflüssig und macht sich allerhöchstens als hübsche Deko am Gurt nützlich. Sogar unsere Standplatzschlingen haben wir nicht gebraucht, die Stände sind mit bombigen Ketten verbunden und mit Abseilringen ausgestattet. Wer 11 Exen dabei hat, darf bereits völlig unverbindlich in diese Wand einsteigen. Aufgrund der durchweg kurzen Seillängen gibt es wenig zu beachten und auch die Wahl des Seils ist wohl nirgends so egal wie hier – wir hatten 60m Doppelseile dabei und haben diese verwendet. Hätten wir etwas anderes dabei gehabt, so hätten wir halt das genommen. Dass ein Helm absolut obligat ist sollte eh klar sein.
Ich empfand die Route als überwiegend einfach für den geforderten Grad. Die Wand ist noch nicht zu sehr abgeklettert und hat viele tolle Strukturen zum festhalten und drauf rumhüpfen. Die Stellen im 5. Grad sind nicht so zahlreich, wie man es beim Blick in die Topo vermuten würde und kommen stets sehr kurzweilig daher. Oft sind es Einzelstellen und Einzelzüge, die sich dann rasch wieder in leichteres Gelände auflösen. Wirklich anhaltend im 5. Grad klettert man allerhöchstens in der letzten Seillänge und auch dort unterbrochen von Vorsprüngen.
Zusammenfassung
Bilderbuch-Sportkletterroute mit schönem Tiefblick auf den Fluss, einigen netten Seillängen und perfekter Absicherung. Das Klettergarten-Ambiente machte die Tour für uns aber wenig bemerkenswert. Wenn ich mich an Arco 2023 zurück erinnere, fällt mir diese Tour als letzte ein und viel zu erzählen habe ich dann auch nicht. Vermutlich auch aufgrund ihrer guten Erreichbarkeit und Kürze relativ überlaufen – ein Schicksal, das scheinbar die ganzen bekannteren Routen in dieser Wand ereilt. Da fast die Hälfte der offiziellen Seillängen auf “Zustiegsgelände” in die Route entfällt, bleiben in Summe relativ wenige tatsächliche Klettermeter übrig. Diese sind dafür aber sehr schön und in nahezu bombenfester, griffiger Wandkletterei zu absolvieren. Die Begehungsspuren halten sich für meinen Geschmack noch in Grenzen. Definitiv kein erfüllendes Tagesprogramm. Ehrlich und subjektiv gesagt auch kein “langer, schöner Plaisierklassiker” – für uns als Zustiegsvariante oder sonst als spontane Runde zu Randzeiten aber bestimmt einen Besuch wert.
Ähnliche Beiträge
Keine Beiträge