Kletterblog & Berggeschichten
Torre Wundt (2517m) via Mazzorana (IV)
Torre Wundt (2517m) via Mazzorana (IV)

Torre Wundt (2517m) via Mazzorana (IV)

Literatur: Panico Best of Dolomiten*

Die Cadini-Gruppe und mich vereint eine besondere Beziehung. Die Dolomiten für sich – als reichlich unübersichtliches Gebirge – sind bereits der schönste Fleck auf Erden. Aber die kleine Cadini-Gruppe ist für mich persönlich das Herz und die Seele von all dem. Ich bin reichlich voreingenommen und viele Gebirgsstöcke der Dolomiten habe ich noch nicht einmal aus der Ferne gesehen. Aber irgendwo muss man ja anfangen.

Blick vom Il Gobbo über den Torre Wundt auf die dahinter liegenden, weltberühmten Zinnen

Der Grund für diesen erhabenen Status liegt in meinen absoluten Kletteranfängen: Die Fanton / Vecellio auf den Il Gobbo – ein bizarres Türmchen inmitten von unzähligen Felsnadeln, war meine erste Dolomitentour und hat mich zu seiner Zeit schwer beeindruckt. Auch wenn es inzwischen ein paar chronologisch „ältere“ Beiträge gibt – der Blogpost zum Il Gobbo war der erste seiner Art und Auslöser wie Fundament für diese Website.

Die Cadini-Gruppe selbst entstammt einem Märchenbuch. Meere an Felsnadeln. Schroff und abweisend. So zahlreich, dass nur die allerwenigsten von ihnen (recherchierbare) Namen erhalten haben. Dabei sind die Berge für Dolomitenverhältnisse vergleichsweise klein und leicht zugänglich. Die Gruppe wirkt für mich ein bisschen wie eine Miniatur der Dolomiten. Ein Vorgucker für die ganze Region. Das kleine Relief, das im Eingang eines Museums steht. Der große Ansturm bleibt in meiner Wahrnehmung trotzdem aus und der Grund dafür werden die Drei Zinnen sein, die in direkter Nachbarschaft den ganz großen Publikumsmagneten darstellen. Und irgendwo gibt es noch einen natürlichen Laufsteg, auf dem InstagrammerInnen mit inspirierender Musik unterlegt auf ein groteskes Felsenmeer zujoggen können. Habt ihr alle schon mal gesehen. Aber nur die wenigsten erkennen oder benennen hier die Cadini-Gruppe. Und noch viel weniger zieht es die Menschen tatsächlich in den kleinen Gebirgsstock. Das ist schön. Und solange die Zinnen nicht umfallen wird sich daran wenig ändern.

Torre Wundt Südwand – Mazzorana

Der Torre Wundt ist der Hausberg des Rifugio Fonda-Savio und ragt als schroffer, quadratischer Zahn aus einer Kette durch tiefe Scharten abgegrenzter Türmchen. Da er seine direkten Nachbarn um einige Höhenmeter überragt, ist er ein grandioser Aussichtsberg – im Norden stellt sich nichts zwischen ihn und die 3,5 Kilometer Luftlinie entfernten Zinnen. Von den Klettereien, die er beherbergt ist die Mazzorana eine der bekanntesten und beliebtesten und wird entsprechend häufig besucht. Sie ist bereits im Bild oben zu erkennen und führt mit ihren rund 200 Klettermetern durch ein spektakuläres und unwahrscheinlich steiles Kaminsystem, welches die Südwand spaltet. Kurzum – eine Linie die mir seit dem Blick vom Il Gobbo auf den Torre Wundt nicht so recht aus dem Kopf gehen wollte.

Zustieg

Wir starten zwischen Misurina- und Antornosee und wandern im noch kühlen Schatten der Westwände in Richtung Rifugio Fonda-Savio. Der Zustieg ist beinahe albern kurz. 500 Höhenmetern auf 3 Kilometern. Mit etwas Wanderlust in den Waden deutlich unterhalb einer Stunde zu bewerkstelligen. Wir erreichen mit den ersten Sonnenstrahlen den kleinen Talkessel. Einige Seilschaften sind schon unterwegs zum Paracarro, welcher mit seiner Nordwand eine lohnende Kletterei im oberen 3. Grad bieten soll. Das wäre vor 2 Jahren unsere Alternative zum Il Gobbo gewesen. Unser heutiges Ziel, dessen langen Schatten wir inzwischen erreicht haben, wird aktuell von den Kletterern noch gekonnt ignoriert. Gut für uns.

Wir verlassen den Wanderweg, der ohnehin bis auf wenige Höhenmeter an den Torre Wundt heranführt und ich halte direkt auf das offensichtliche, lange Kaminsystem in der Westwand zu. Schaut mal wieder absurd steil aus – aber so kennen und lieben wir die Dolomiten ja. Irgendwo in 20 Meter Höhe lässt sich eine reudige Bandschlinge ausmachen. Auch so kennen und lieben wir die Dolomiten. Hannah kommt das Ganze spanisch vor. Das Topo passt auch nicht so ganz. Irgendwie stehen wir auch mit einem Fuß in der Abstiegsschlucht.

Egal! Kraxln!

Erst als ich schon in meinen Mythos-Kletterschlappen bin und mit den Hufen am rauen Kalk schabe stellt sich heraus, dass wir hier wirklich komplett falsch sind. Gut – der Berg passt wenigstens. Aber Hannah liefert überzeugende Argumente inklusive einem etwas fundierteren Blick auf das Wandbild. Ein italienischer Bergführer räumt im Vorbeigehen alle Zweifel aus. Wir sind hier unter der Westwand und einer Tour im V. Grad. Für den Einstieg in die Mazzorana müssen wir noch einige Meter am Wandfuß entlang und auf die Südseite des Torre Wundt wechseln. Eigentlich logisch – ist ja auch eine Südwandroute. Dass der Berg aber wirklich in zwei benachbarten Wandfluchten zwei sehr ähnliche und markante Kaminsysteme aufweist, ist schon ein wenig frech. Kann man nicht wissen. Außer man ließt alpartig.com. Seufz.

Kommt man vom Rifugio, hat man dieses Problem übrigens nicht. Die Mazzorana ist dann wirklich die direkte, logische und in ganzer Länge einsehbare, natürliche Linie durch die Südwand. Nur aus dem Tal kommend und auf die Westwand zugehend ist die von uns vollzogene Verwechslung möglich – der Berg sieht wirklich von den beiden Seiten einigermaßen gleich aus. Vielleicht wurde die Westwand ja so erstbegangen. Wir sind auf jeden Fall froh, nun doch die rechte Tour anzugehen und auch diese völlig menschenleer vorzufinden. Ein plan- und topoloser Ritt durch die steile Westwand hätte bestimmt zu einem etwas anderen Erlebnis geführt.

1. Seillänge (IV)

Ich steige in den Kamin ein und rechne mit einem Schlaghaken auf 40 Metern Kletterstrecke. Bei der vorherrschenden Steilheit definitiv kein Plaisir. Stattdessen finde ich hier aber noch vergleichsweise viele fixe Sicherungsmittel und gefädelte Sanduhren und komme ziemlich gut in die Tour und an den ersten Standplatz. Die Henkel, die hier überall lauern, sind fast zu schön um wahr zu sein und ich ahne rasch, dass die Mazzorana das halten wird, was ich irgendwo gelesen habe und nun mangels Quelle nur aus meiner Erinnerung wiedergeben kann:

Beinahe überhängende Kletterei, die sich in perfekten Henkeln auflöst

Hannah am Ende der 1. Seillänge

Überhängend ist es nicht, aber die Kletterei ist wirklich und selbst für die Dolomitenverhältnisse beeindruckend vertikal und homogen. Bereits in der 1. Seillänge, wenige Meter über dem Boden, hat die Tour bereits 90% der Tiefblicke der Fiameskante vom Vortag in die Tasche gesteckt. Der Fels ist rau und verschwenderisch griffig. Die Kletterei anhaltend raffiniert, dreidimensional und – etwas Routine und einen kühlen Kopf vorausgesetzt – maximal genüsslich. An einem geklebten Haken und einer Sanduhr hole ich Hannah nach.

2. Seillänge (IV)

Die kurze und abdrängende Engstelle, die Hannah nun direkt über dem Standplatz lösen darf kristallisiert sich als schwierigste Einzelstelle der Tour heraus und sorgt bei kaum vorhandener Absicherung für einen kurzen Moment des Zögerns. Was als „Kleiner Rissüberhang“ beschrieben wird, klettert sich auch genau so – löst sich nach oben aber überraschend schlecht und unübersichtlich auf. Erst als ein Friend versenkt, belastet und ein paar Griffe gesucht sind geht es mit reichlich Vorstiegsmoral über die kurze Crux. Die Griffe sind punktuell klein und speckig. Die beste Lösung, die ich im Nachstieg finde, ist wahrscheinlich sich relativ absurd an die linke Wand auszuspreizen. Das tut man aber trotzdem mit reichlich Luft unter sich, direkt über dem Standplatz und ausschließlich über eigenen, mobilen Sicherungsmitteln.

Könnte man schon auch eine IV+ draufkleben – die kurze, etwas ungemütliche Crux.

Danach wird mit etwas Runout ein Schlaghaken erreicht, dann geht es spürbar genüsslicher und henkliger im gelblichen Fels empor zu einem gemütlichen Standplatz links des Kamins. Wir sind ein weiteres Mal fasziniert wie die Erstbegeher (P. Mazzorana und S. del Torso) im Jahr 1938 arbeiteten: Nen Haken da schlagen wo man gut stehen kann, und wenns schwer wird – ja dann halt klettern. Ein wahnsinniger Kontrast zu moderneren BH-Routen, wo ebendiese kritischen Stellen zumeist mit umso mehr Haken für die Beruhigung der Nerven sorgen. Mit 20 Metern ist diese Seillänge auch einigermaßen kurz. Spe(c)ktakuläre und wilde Kletterei ist trotzdem geboten – wer so einen 4er ins Sarcatal schraubt, wird danach wahrscheinlich nackt durch die Straßen von Arco getrieben.

3. Seillänge (IV)

Während die eben beschriebene Einzelstelle der für uns härteste Klettermeter in der Mazzorana war, so ist die 3. Seillänge die konstant schärfste Seillänge der Tour. Ohne das zu wissen, steige ich in die rotgelbe Kaminverschneidung ein. Der Stil bleibt dem gewohnten Muster treu. Steil, exponiert und dreidimensional arbeite ich mich empor – für den 4. Grad an einigen Ecken mit vitalisierend hohem Nervenkitzel und Ganzkörpereinsatz. Neben einigen fixen Schlingen bemühe ich mich hier nun auch um den einen oder anderen Friend – im Grund des Kamins helfen einige massive Klemmblöcke beim höherkommen.

Spätestens bei einem großen Klemmblock, über dem der Kamin eine kurze Rechtskurve beschreibt, verlässt man diesen nach rechts in einfachere Platten. Zwei fixe Sanduhren später erreicht man den aussichtsreichen Standplatz an einem Ringhaken im etwas flacheren Gelände. Immer wieder blicken vom Hüttenzustieg Wanderer aufgeregt zu uns hoch. Wenn sie nur wüssten, dass wir ebenso aufgeregt zu ihnen runterblickten. Tiefblick und Panorama sind unbeschreiblich – die extravagante Landschaft zeigt sich unter dem azurblauen Himmel von seiner besten Seite.

Die Cadini-Gruppe gibt mal wieder Alles

4. Seillänge (IV)

Schaut gruselig aus

Von unserem kleinen Absatz in der Wandmitte lässt sich der Weiterweg nun gut einsehen. Linkerhand klafft ein düsterer, tiefer und unübersichtlicher Kamin in der Wand und die Mazzorana führt natürlich durch diesen durch. Hannah, noch ein wenig strapaziert von der Crux in der 2. Seillänge, steigt etwas argwöhnisch ein. Aus dem immer schneller werdenden Seilzug und begeisterten Rufen aus dem dunklen Schlund reime ich mir aber zusammen, dass sich diese Länge als ziemlich entspannt herausgestellt haben muss.

Ein kleiner, steiler Kamin führt zunächst in Gehgelände – also einen im Kontext der Route sehr flachen Abschnitt im vielleicht oberen 3. Grad. Dann orientiert man sich – einigen fixen und teilweise sogar soliden Sanduhren folgend – an der rechten Seite der etwas breiteren Schlucht entlang. Das Gelände steilt erneut auf und fordert entweder saubere Kaminkletterei zwischen den fast parallelen Seitenwänden oder etwas glattere Klettermeter auf der linken Begrenzungskante, die sich zumindest im Nachstieg aber auch als äußerst gangbar erweist. Der Standplatz liegt dann sehr eindrucksvoll in einer kleinen Höhle und kann etwas ungeschickt an einem Klebehaken oder – für die Folgelänge praktischer – an Sanduhren auf der gegenüberliegenden Seite – bezogen werden. Im direkten Vergleich zu den vorherigen drei Seillängen dürfte dieser bei gleicher Bewertung die einfachste sein.

Und erneut ist auch die Absicherung in der Seillänge vielfach besser, als in den gängigen Topos angenommen. Der Panico-Führer will hier auf 30 Metern einen einzigen Schlaghaken gesehen haben – wir gucken nochmal über die Kante und zählen zusätzlich zum Haken mindestens drei gefädelte Sanduhren. Die meisten von ihnen sogar mit frischem, guten Schlingenmaterial.

5. Seillänge (IV-)

Das Herzstück der Mazzorana liegt hier bereits hinter uns. Geniale Kletterei war das. Steil, kühn und griffig – ein perfekter Auszug aus dem, was die Dolomiten so besonders und beeindruckend macht. Ab jetzt folgen noch zwei leichtere und eine sehr leichte Seillänge – dann stehen wir bereits auf dem Torre Wundt und dürfen uns mit dem (wie es sich für einen Torre gehört) gar nicht so trivialen Abstieg beschäftigen.

Zuvor gehe ich aber einen luftigen Quergang an, der weder wirklich luftig noch allzu quer ist. Sachen gibts. Auf jeden Fall geht es vom Stand nach links in ein henkliges Wändchen und dort dem Weg des geringsten Widerstandes oder einer guten Sanduhrschlinge folgend empor. Durch eine Rinne folgen ein paar hübsche, steile Klettermeter und ein herrlicher Ausstieg auf einen kleinen Pfeiler an dessen höchsten Punkt Schlingen und Sanduhren zum Standplatzbau einladen. Ich fange hier mit einer 175er Schlinge einen Haufen Zeug ein – theoretisch gibt es aber auch schon fixes Material. Hübsch ist, dass man hier auch erstmals eine etwas neue Perspektive auf die Landschaft genießen darf. Der Blick gen Westen ist wieder frei, der Blick zum Rifugio erstmals ein etwas anderer. Die Linie hat sich bis zu diesem Punkt wirklich unfassbar konsequent in dem teils tiefen Kaminsystem gehalten.

6. Seillänge (IV-)

Hannah folgt dem offensichtlichen und flachen Band, welches hier den einzig logischen Weiterweg offenbart. Nach etwa 20 Metern findet sich rechterhand eine Sanduhrschlinge. Die dient zwar auch der Absicherung – viel hilfreicher ist sie aber als Wegweiser, denn hier wird das Band nach rechts in die erneut steile und löchrige Wand verlassen. Fixes Material wird hier bereits rar, das Gelände ist aber auch wirklich nicht mehr allzu schwierig, anhaltend oder ausgesetzt. Ich fummel noch den heiligen, lila Totem aus dem Fels und schließe zum Standplatz auf.

7. Seillänge (III)

Beinahe-Gehgelände. Kurz möchte noch ein griffiger Aufschwung überwunden werden, dann lehnt sich der Fels bereits spürbar zurück und das traumhaft feste Dolomitgestein weicht weniger festem und damit weniger traumhaftem Dolomitgestein. Läuft. Also ich. Die Wegwahl ist einigermaßen frei, in einem mit Geröll gefüllten Kessel halte ich mich eher rechts und erreiche entlang einiger Gratzacken und Köpfl den einigermaßen üppigen Gipfelkamm.

Wahrscheinlich bietet es sich auch an diese Seillänge am verkürzten, laufenden Seil oder bei entsprechender Geländegängigkeit auch einfach seilfrei zu machen. Also – jeder wie er mag. Aber wirklich was zu holen gibt es hier mit dem Seil nicht mehr – weder an Sicherheit, noch an Fixpunkten. Allenfalls Steinschlag. Ein Standplatz geht sich auf dem Gipfelplateau auch nur sehr indirekt oder mit einer Portion Kreativität aus. Ich hole Hannah an einem Köpfl nach und wir erreichen den fantastisch aussichtsreichen und isolierten Gipfelgrat des Torre Wundt. Der absolut ungetrübte und freie Blick auf die Südseiten der Zinnen begeistert – wie auch die wilde Landschaft ringsum.

Nach einer kurzen Rast packen wir die Seile auf den Rucksack und folgen dem Grat einige Meter nach Westen. Allzu lange halten wir es nämlich nicht auf dem Torre Wundt aus – auf Nachmittag kann es noch Wärmegewitter geben und wir haben im Hinterkopf, dass der Abstieg noch ein gewisses Maß an Konzentration und Zeit erfordern wird.

Rasch ist ein steiler Abbruch gefunden, der den Gipfel des Torre Wundt teilt und in eine enge, einige Meter tiefer liegende Scharte führt. Man könnte hier bereits abseilen – die Kletterei im 2. Grad erscheint uns aber recht machbar. Unheimlich luftig ist es hier dennoch – viel schmaler als dort, wo die Mazzorana auf das kleine Gipfelplateau geführt hat. Und zu beiden Seiten pfeift es dolomitenwürdig vertikal einige hundert Meter in die Tiefe. Sehr konzentriert steigen wir die wenigen Meter ab und erreichen den Abseilring auf einem kleinen Vorsprung.

Abseilfahrt

Von dort geht es hart nach Norden – also auf die Zinnen zu. Es wird einmal 30 Meter durch eine absolut senkrechte Wand abgeseilt – dann landet man auf einem Absatz mit einem silbernen Haken am Ende einer breiten, nach Osten abfallenden Rampe. Zumindest landet man dort, wenn man nicht zu früh Stand macht. Machen wir aber. Hannah schnappt sich den erstbesten einbetonierten Ring in der etwas ungemütlichen Nordwand und hängt damit wenige Meter über dem eigentlichen Ende der Abseilfahrt. Dieses ist ohne Ortskenntnis aber auch gar nicht so offensichtlich – der silberne Haken sieht von oben nämlich wie einer dieser kleinen Schlaghaken mit Ring aus und nicht wie ein moderner Klebehaken.

Ich seile das kurze Stück ab, identifiziere den Haken als brauchbaren Klebehaken und beziehe hier nochmal einen Standplatz. Dann geht es im Abstiegssinne rechterhand die offensichtliche Rampe hinab.

Wer weiß wohin.

Die breite Rampe seilt sich doch etwas kurios ab. Oben scheint sie sehr einfach, flach und gangbar. Sie ist auch mit reichlich Schutt bedeckt, den man sich dann später über die Birne ziehen kann. Gegen Ende steilt sie an und fällt einigermaßen exponiert ab – offenbar der III. Grad in nicht wirklich schönem oder verlässlichen Fels. Ich bin froh, dass wir das für heute per Abseilfahrt bewältigen. In kürzeren Abständen sind Bohrhakenstandplätze mit Blechen und Schraubgliedern in die Rampe geschraubt – ich komme mit 35 Metern an den nächsten geklebten Standplatz am Ende der Rampe.

Hier gehen wir, etwas irregeleitet von der Beschreibung „2 x 30m abseilen“, davon aus nochmal sinnvoll im selben Stil abseilen zu können. Tun wir auch. Landet – nun der Logik der Flanke folgend wieder nach Norden gewandt – aber im unübersichtlichen IIer Gelände, in dem sich abseits einzelner Rostgurken ohnehin kein sicherer Punkt mehr ausgeht. Während ich bete, dass wir das Seil abziehen können, erreiche ich einen halbwegs guten Absatz inmitten der Flanke. Hannah folgt und kommt auch zu dem Schluss, dass das seilfrei wahrscheinlich sinnvoller gewesen wäre. Zumal man sich nun sowieso von den Seilen trennen darf um die teils brüchige und ziemlich ausgesetzte Flanke zu durchqueren.

Was haben wir also gelernt? Von der Scharte 1 x 30m extrem luftig nach Norden auf die Rampe abseilen. Großen Ringhaken ignorieren, silberner Haken auf der Rampe ist geklebt und taugt zum Abseilen. Dann mit etwas über 35 Metern (Doppelseile) nach Osten über die nach unten steiler werdende Rampe abseilen. Bei Bedarf gibt es (auf den ersten Blick schlechtere) Zwischenstände bzw. Bohrhaken mit Schraubgliedern. Am Fuße der Rampe am besten Seile aufnehmen und nach Norden in die Flanke abklettern. Unten links schwache Pfadspur.

Seilfreier Abstieg (II)

Wir nehmen recht ungemütlich im steilen Fels die Seile auf und haben dann nur wenige Meter Platz um uns an das nun wieder in voller Konzentration zu kletternde Gelände zu gewöhnen. Die Querung nach links (Westen) ist zwar nicht schwierig, bleibt aber konstant im I. – II. Schwierigkeitsgrad. Wenige Meter tiefer bricht der Berg ab – in mutmaßlich hohe und vertikale Klippen. Wenigstens der Fels ist hier einigermaßen fest und es gibt griffige Schuppen. Die Schuhe treten aber oft in Schotter und die über der Querung thronende Nordwand schüchtert auch ein wenig ein. Es sind definitiv ein paar Meter Berg die man schnell hinter sich lassen will.

Noch bevor man die Scharte in welche die Querung mündet erreicht hält man sich hart links am Wandfuß entlang. In erneut leichter Kletterei traversieren wir das schmale Band, welches über einer imposanten Sandreiße aber nicht mehr allzu exponiert ist. Wir folgen weiter den schwachen Pfadspuren und vereinzelten Steinmännern. Am Ende des Bandes führt ein Steiglein in leichter Kraxelei nach links – nun wieder Süden – einige Meter empor.

Inmitten von bizarren Türmen halten wir uns ein letztes Mal links unter den Felsen, umrunden den Torre Wundt und gelangen über einen gutmütigen Gegenanstieg in die düstere, schmale Rinne. Diese südseitige Rinne soll uns wieder direkt neben dem Einstieg ausspucken. Und genau das tut sie. Alpin – aber weniger steil und heikel wie es den Anschein macht. Gespickt mit zwei eher unspektakulären und einfachen Stellen im II. Grad.

Bei einem verdienten Apfelstrudel und Cappuccino am Rifugio bewundern wir nochmal unsere Südwand, die steile und logische Linie und die Frechizität der Alpendohlen. Alles in allem ein wilder Bergtag mit einer Überdosis Dolomiten. Steiler Fels, irre Landschaft, raue aber begeisternde Kletterzüge bei gewohnt interessanter – hier aber vergleichsweise guter – Absicherung.


Schwierigkeit, Versicherung und Material

Eine sehr homogene und steile Tour in verschwenderisch griffigem Fels. Die Kletterei löst sich im festen Gestein fast immer gut auf – erfordert aber durchaus umsichtige und routinierte Bewegungen, die nicht immer dem hallenetablierten IV. Grad entsprechen. Seillänge 2 sticht mit einer kurzen aber unangenehmen Crux heraus, die sich auch markant von gleich bewerteten Seillängen abhebt und realistisch wahrscheinlich eher im 5. Grad mitspielt. Seillänge 3 ist für ihren Grad beeindruckend, anhaltend und kühn. Die Mazzorana ist für eine Dolomitentour gut abgesichert und lässt sich mobil sehr gut ergänzen. Die Stände sind bis zum 5. Standplatz an einbetonierten Ringen eingerichtet. Teilweise können diese ergänzt werden – richtige Redundanz gibt es aber nicht immer. Der Abstieg ist nicht ganz trivial und erfordert nochmal etwas Ausdauer, Nerven und Blick für den einfachsten Weg.

In den Seillängen befindet sich pauschal mehr und besseres Material als es in den meisten Topos den Anschein erweckt. Bei unserer Begehung (August 2024) konnte man pro Seillänge mit 2-3 fixen Sanduhren rechnen, die in keinem Topo eingezeichnet sind und teils sogar in sehr gutem Zustand waren. Daneben lassen sich auch Friends, Keile und Schlingen gewinnbringend einsetzen. Das Gelände – teils tiefe Kamine mit Absätzen und Klemmblöcken – ist nicht wirklich sturzfreundlich, der Vorsteiger sollte sich seiner Sache schon einigermaßen sicher sein.

Ich würde bei einer erneuten Begehung keine Klemmkeile mehr einpacken und nur 3-4 Friends zwischen 0.5 und 2 mitnehmen. Beherrscht man die Schwierigkeiten, so wird man damit bereits gut durchkommen. Helm und Doppelseile sind für meinen Geschmack alpin ohnehin Pflicht – das Abseilen soll theoretisch aber auch mit 60m Einfachseil möglich sein.

Zusammenfassung

Eine brachial geile Tour, die den Zauber der Dolomiten in einer bestechenden Linie zusammenfasst. Man muss schon auf Kamine und Verschneidungen stehen – ist das gegeben wird man aber eine Menge Spaß mit der absurd steilen und griffigen Kraxelei haben. Eine komplette Anfängertour ist die Mazzorana trotz Nähe zur Hütte und vermeintlich einfacher und kurzer Kletterei aber nicht. In Summe mit dem Abstieg ergibt sich doch eine facettenreiche Überschreitung in der viele alpine Grundkenntnisse abgerufen werden – das aber in einem recht planbaren und entspannten Rahmen. Die Kletterei ist in den Kaminverschneidungen derart homogen, dass sie wohl eher routinierte Kletterer und Fans dieses Stils anspricht – die legendäre Delagokante ist mir weniger verbindlich in Erinnerung geblieben.

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Cookie Consent mit Real Cookie Banner