Ich bin ein kleiner Perfektionist. In allen Lebenslagen und natürlich auch am Berg. Nur nicht auf diesem Blog. Nachdem der Wetterbericht aus einem strahlenden, heißen Hochsommer kommend pünktlich zu unserem spontanen Dolomitentrip in eine eher durchwachsene Gesamtwetterlage abgeschmiert ist, brummte mir zumindest mächtig der Schädel. Die ohnehin schon etwas abstrakten und mit ein paar Gläsern Vino auf einem Balkon in Garmisch geschmiedeten Kletterpläne waren nun also nicht nur unserem (nicht allzu ausgeprägten) Kletterkönnen sondern auch den lokalen Witterungsbedigungen ausgesetzt. Prima. Il Gobbo.
Eigentlich wollten wir in der Cadini di Misurina zwei Touren gehen, die Paracarro Nordwand, ein ebenfalls leichter und laut Internet “gut” abgesicherter Felszapfen, und den Il Gobbo über den Normalweg, welcher aber bei gleicher Schwierigkeit “mittel” abgesichert ist. Ihr ahnt es. Mein Favorit war der Paracarro. Und wenn der passt, kann man sich den genau daneben liegenden Il Gobbo geben. Strategisches Vorgehen wie aus dem Bilderbuch.
Dem aufmerksamen Beobachter fällt aber auch auf, dass es keinen Blogeintrag zur Paracarro Nordwand gibt – eigentlich auch aus einem guten Grund. Denn die unsicheren Wetterverhältnisse verschoben die Prioritäten und wir wählen mit dem Il Gobbo diejenige der beiden Routen, bei der jeder Standplatz als Abseilstand mit Ring eingerichtet ist. Ein Rückzug wäre also von jedem Punkt der Route problemlos möglich. Für den Paracarro war die Sache weniger klar und der eigentliche Abstieg sieht ein abseilen auf der Rückseite nach Ende der Kletterei vor. 1:0 für den Gobbo. Genau sowas brauchen wir.
Nach einer rustikalen Nacht im Kofferraum eines VW Passat und mit einem mutmaßlich sehr kurzen Wetterfenster entscheiden wir uns in der früh einfach testweise mal loszulaufen. Rustikal vor allem, weil ich meine Isomatte bei einem Biwak an der Zugspitze gelöchert hatte und der Meinung war ein wenig Tesafilm würde es schon tun. Mittlerweile (Stand Oktober 2022) habe ich ein Tape gekauft. Updates folgen.
Der Zustieg in die Forcella di Diavolo, ein schmaler von unzähligen schroffen Türmen umzingelter Bergpass auf 2480 Metern, geht ziemlich flott und vor allem einsam. Und das in den Dolomiten zur Hauptsaison und mit Dreizinnenblick. Der Weg ist klar und den markanten und leicht “verbogenen” Il Gobbo können wir auch bald schon in der Masse an potentiellen Terrortürmchen erkennen. “Il Gobbo” heißt übrigens “der Bucklige” und ist mehr als treffend.
Ein wenig Schottergestapfe später, stehen wir am Einstieg. In einer deutlich erkennbaren Rinne kurz vor erreichen der Scharte geht es rechts leicht (II) auf ein kleines Podest, welches wir zum auspacken und vorbereiten nutzen. In Richtung Drei Zinnen zeigt sich schon hier ein irres Panorama, dass jeden 0815 Sonnenscheintag in den Schatten stellt. Vielleicht sind wir doch gar nicht so fehl am Platz – das Wetter wirkt auch noch sehr stabil und sieht so gar nicht nach Gewitter aus.
1. Seillänge (III)
Hannah steigt vor und es geht zuerst über eine mikroskopische Schlucht am Einstieg auf die gegenüberliegende, relativ steile Wandseite. Einen Zug später war es das aber schon und es geht sehr moderat und griffig über plattiges IIIer-Gelände an einem Bohrhaken vorbei, den man mit genauem hinsehen auch vom Einstieg schon erkennt. Danach relativ gerade rauf und bei der Sanduhr rechts abbiegen um den Stand neben dem tiefen Kamin zwischen Torre del Diavolo und Il Gobbo anzusteuern. Ich denke mit dem Bild wir klar, dass man sich hier kaum verlaufen kann. Deshalb haben wir das ausnahmsweise auch sein lassen.
2. Seillänge (III)
Wir bauen kurz um, ich schnappe mir das scharfe Ende vom Seil und bin überrascht. Es geht als direkt nach links in den engen Kamin. Hier sollte man nicht zu weit vom Beachbody weg sein – es ist wirklich schmal. Und das soll man jetzt ganz durch gehen? Wie cool.
Man geht am Boden des Kamins also wirklich einmal “durch” die Wand durch und kriegt auf der Rückseite den ersten eindrucksvollen Blick auf die deutlich höhere und ausgesetzte Westseite des Massivs und den gegenüberliegenden Monte Cristallo. Hier checke ich auch kurz das Wetter, weil ich auf dieser Seite der Wand plötzlich wieder Empfang und freien Blick in die Richtung habe aus der das Wetter kommen soll. Kommt aber nicht.
Bis dahin wurde in der 2. Seillänge übrigens noch nicht geklettert. Man dreht sich also hinten einmal um 180° und geht auf der rechten Seite weiter. Auf einen kleinen (2 Meter) Pfeiler mit Sanduhr geht es mit ein oder zwei Zügen, die schon irgendwie ganz gut III+ sein werde, wieder in den Kamin, in dem ich nun leicht Höhe gewinnend zurück auf die Vorderseite traversiere. Tatsächlich bin ich dabei zu hoch und finde keinerlei Absicherung – eigentlich sollte hier irgendwo noch ein Bohrhaken sein? Den Stand finde ich aber auch nicht. Ich klettere weiter um auf der Vorderseite, an der auch Hannah steht und sichert einmal aus dem schmalen Kamin rauszugucken. Einige Meter über mir sehe ich einen Bohrhaken an der Kante. Aber das ist eigentlich schon zu hoch. Und zu exponiert. Und durch das Zick-Zack haben wir einen katastrophalen Seilzug. Kurzum, es macht sich kurz ein wenig Nervosität breit. Vielleicht doch alles nicht so leicht hier in den Dolomiten?
Ich kletter zurück in den Kamin. Ich habe immer noch keine Sicherung außer der Sanduhr am Aufschwung an der Rückseite. Ein Sturz wäre wohl a) unangenehm und b) zum Boden des Kamins ungebremst. Ich steige eher ungemütlich zu dem Bohrhaken ab und clippe ihn und in dem Moment sehe ich quasi vor meiner Nase aber in einer kleinen Nische versteckt den Standplatz, an dem ich nun irgendwie zweimal vorbeigekraxelt sein muss. Rekapitulierend würde ich also sagen nach dem Pfeiler eher tief bleiben und die Querung machen, den Bohrhaken mitnehmen und dann relativ gerade rauf. Ich denke das mittlere Bild von meinem Standplatz aus ist aufschlussreich. Hannah ist von unten nach oben durch den Kamin gekommen und nun kurz vor dem kleinen Pfeiler. Ich bin etwas über dem links sichtbaren, breiten Felsband gegangen womit der Bohrhaken (ca. Bildmitte) leicht zu übersehen war.
3. Seillänge (III+)
Die Routenbeschreibung sagt nun “ausgesetzt im Kamin empor”. Ich guck gerade hoch und kann mir das nur schwer vorstellen. Das stand übrigens auch in der Beschreibung. Aber die Entscheidung liegt bei Hannah und tatsächlich begehen wir hier den nächsten, kleinen Verhauer, der zwar nicht akut kritisch war aber dennoch etwas ungemütlicher als notwendig. Da ich zuvor an der der Vorderseite einen recht hohen Bohrhaken gesehen und von diesem berichtet habe, entscheidet Hannah sich, die Sanduhr etwa einen Meter über dem Stand im Kamin ignorierend für eine Variante außen an der Kante vom Kamin. Die sich jedoch schnell als etwas schwerer (so IV+?) und vor allem unnötig lange unversichert herausstellt. Bestimmt die mental spannendste Seillänge, um die ich mich da erfolgreich gedrückt habe. Entsprechend froh bin ich, als ich nach einigem “Boah echt schwer hier” und “Hier ist echt keine Sicherung” ein “Stand” höre. An dem Punkt weiß ich bereits, dass diese Variante Schrott war und klettere den Kamin im Spreizschritt direkt hoch – und tatsächlich – geht gut und ist gar nicht so schwer. Und führt oben dann trotzdem an den besagten Bohrhaken. Aber was für ein wilder Weg. Was für vielseitige Kletterei an so einem kleinen Turm. Wirklich eine kleine Abenteuertour in irrer Kulisse.
4. Seillänge (III)
Wir erreichen ein angenehm breites Podest am Torre del Diavolo, hier gilt es via Sprung oder Spreizschritt über den zueben erkletterten Kamin wieder auf den Il Gobbo zu wechseln. Über einem stets der bizarre, überhängende Felsturm des Il Gobbo – mit einem längeren Seil könnte man hier auch freihängend direkt vom Gipfel auf das Podest abseilen. Da wir mit 80 Meter Einfachseil nur 40 Meter abseilen können und keine ganz verlässliche Angabe zur Strecke gefunden haben, ist uns das etwas zu heiß. Es wäre schon besonders peinlich, einige Meter über dem Boden zwischen den beiden Türmen festzusitzen. Nach dem Podest geht es exponiert aber leicht einmal rechts um den Turm herum auf die Nordseite und zum letzten Standplatz vor dem Gipfel.
5. Seillänge (III+)
Und da sind wir schon. In der 5. und letzten Seillänge, welche zunächst unschwer auf und dann noch unschwererer über den kurzen Nordgrat zum Gipfelstand führt. Das Panorama ist grandios. Die wilden Türme in näherer Umgebung, der Tiefblick nach Misurina, die drei Zinnen am Horizont, der Müsliriegel am Gipfel des Il Gobbo – ein Traum.
Abstieg
Da wir mit dem Einfachseil unterwegs sind hält sich der Aufwand in Grenzen und wir seilen einmal kurz an den vorletzten Stand, dann eher um’s Eck traversierend und über den Spreizschritt schwingend auf das Plateau und zuletzt einmal unter Aufwand der kompletten 40 Meter (und einiger wenigen Meter ungesicherter Kraxelei) wieder zum Ausgangspunkt ab. Die mystische Wolkenstimmung nehmen wir reizüberflutet fast nicht mehr wahr – der Berg zeigte sich hier aber im Rückblick doch von der allerbesten und vor allem epischen Seite. All das Diabolo kann man sich hier durchaus vorstellen, während man zwischen den scharfen Felsnadeln in den Nebel hinabsinkt. Vermutlich würde man mit Doppelseilen in zwei ebenso epischen Abseilfahrten direkt auf das Podest und von dort direkt auf den Boden kommen. Nächstes Mal. Denn dieses Terrortürmchen will ich unbedingt nochmal besuchen.
Wir packen zusammen und steigen zum Rifugio Fonda Savio ab, welches wir beim Aufstieg abgekürzt und ausgelassen hatten und nach einem kurzen Kaffee auf der mittlerweile doch gut besuchten Hütte sitzen wir auch schon im Kofferraum unseres rollenden Hotels und planen mit einem rustikalen Frühstück und Teewasser vom Benzinkocher die Terrortürmchen der nächsten Tage. Weil…wenn man jetzt eh schon dabei ist. Nunja. Never change a climbing system.
Schwierigkeit, Versicherung & Material
Wenig zu beachten, ich empfand die Route als relativ gut abgesichert bei durchweg leichter Kletterei mit guten Standplätzen. Mit ein oder zwei Schlingen kann man vielleicht noch was zaubern, richtige Ecken für Keile o.ä. habe ich nicht gefunden und wenn der 4. Grad sitzt braucht es das auch gar nicht. Das 80 Meter Einfachseil war völlig okay, 60 würden laut Internet auch funktionieren. Wer schneller abseilen will, kann Doppelseile mitbringen – einen richtigen Mehrwert hat das auf diesem kleinen Turm aber nicht und gerade bei den Seillängen im Kamin war ich halbwegs froh, mich nur um ein Seil kümmern zu müssen.
Zusammenfassung
So ein geniales Stückchen Erde mit einem noch genialeren Stückchen Fels. Im Rahmen einer kleinen, leichten aber landschaftlich eindrucksvollen Dolomitentour ein absolut lohnendes Ziel. Der Il Gobbo hat uns ein Lächeln ins Gesicht gezaubert, welches für die restliche Zeit in der Vertikale der Dolomiten angehalten hat.
Wow .. danke für die Empfehlung. Den Turm hatten wir noch gar nicht auf dem Schirm.
Die Delago- und Daumenkante haben wir schon abgehakt. Danke, dass Du das Erlebte nochmal hochgeholt hast. Alles absolute Empfehlungen.
Hey Peter!
Danke für deinen Kommentar. Der Il Gobbo ist unter den o.g. bestimmt die mit Abstand kürzeste und stressfreiste Unternehmung. Zum Glück steht in der Nähe aber auch noch das eine oder andere tolle Türmchen rum und die Ecke ist landschaftlich ein Traum.
Dir ein erfolgreiches Kletterjahr 2024 und danke für die Videos. Haben mir teilweise schon bei der Vorbereitung geholfen & wir stehen auf jeden Fall auf die selben, schönen Flecken der Alpen 😉
LG Jan