Freitagabend, stabiles Herbstwetter und noch ein paar Stunden Leerlauf vor dem immer früher eintretenden Sonnenuntergang? Nichts wie raus!
Bald kommen wieder dunklere Wochen und Monate. Und so zieht es mich mal nicht auf die üblichen Verdächtigen hinter’m Haus – stattdessen würde ich gerne eine neue Ecke kennenlernen. Relativ naheliegend und damit ein guter Kompromiss scheint mir die Gartnerwand zu sein. Obwohl quasi direkt über Ehrwald aufragend, ist die Gartnerwand von dort kaum einzusehen. Der mit Skiliften erschlossene Grubigstein und die scharfen Grasgrate der vorgelagerten Bleispitze verdecken die mehrgipflige Mauer, sodass es hier recht ruhig zugeht. Und das obwohl die Gartnerwand mit ihrem felsigen Kontrast zur grünen Bleispitze aus der Nähe betrachtet ein absoluter Hingucker ist und eine traumhafte und recht moderate aber interessante Überschreitung bereithält.
Zustieg zum Bichlbächler Jöchl
Ich habe mir für den Tag eine Überschreitung von Bichlbächle in den Kopf gesetzt und peile mit leichtestem Gepäck zunächst das Bichlbächler Jöchl und dann den Westgipfel der Gartnerwand an. Dass vom Joch nochmal fast 400 Höhenmeter zum Westgipfel gemacht werden, mag man von unten gar nicht ahnen. Sieht greifbarer aus – zieht sich dann aber doch ein wenig. Am breiten und gutmütigen Grat entlang lässt sich der Westgipfel nach dem steilen Stück hinter dem Jöchl recht gemütlich erwandern. Kontrastreich sind die weichen Wiesen nach Süden und Osten, während im Westen eine brüchige und steile Wand abfällt.
Gartnerwand-Überschreitung
Nach dem Westgipfel zieht sich der Kamm dann kurz zusammen und sinkt einige Höhenmeter in einen felsigen Kessel ab. Hier wartet eine Klettersteigpassage, die offenbar mit B/C bewertet ist – mir aber relativ gutmütig und in der nicht wirklich steilen Flanke auch kaum ausgesetzt in Erinnerung geblieben ist. Der Fels ist aber zwischen den markanten Platten reichlich brüchig und bedarf etwas umsichtigeren Tritten.
Danach geht es über einige schiefe Platten wieder in leichteres Gelände und hinauf zu den zwei Gipfelkreuzen: der Hauptgipfel und ein kaum ausgeprägter aber bekreuzter Nordgipfel. Im frühen Abendlicht und inmitten von wilden Wolken genieße ich die Ruhe hier oben. Es ist immer wieder beeindruckend, welche Naturschauspiele sich hier oben Tag für Tag zutragen, ohne dass sie Beobachter finden.
Abstieg über den Nordgrat (B)
Ich entscheide mich für einen Abstieg über den Nordgrat, welcher ebenfalls mit einigen (luftigeren) Drahtseilpassagen aufwartet, die aber die Schwierigkeit B nicht mehr überschreiten. Der Fels ist hier erneut ziemlich splittrig und nicht überall zuverlässig – ein wenig Trittsicherheit im Geröll schadet nicht. Zwar sind wirklich exponierten Stellen stets versichert aber auch hier macht es Sinn, nicht jeden losen Griff und Tritt aus der Wand zu kicken. Die Nordseite kommt mir auf jeden Fall ein wenig rauer und rustikaler vor, als die Überschreitung vom vorher besuchten Westgipfel.
Währenddessen rauschen eindrucksvolle Wolkenbrandungen in die markanten Abbrüche der Gartnerwand. Durch ihre regelmäßige und horizontale Schichtung sticht sie ziemlich aus den umliegenden Bergen hervor – vor allem gegenüber reinen Grasbergen wie es die benachbarte Bleispitze ist.
Weil die Sonne noch relativ hoch steht, nehme ich den Gegenanstieg zur Bleispitze noch in Kauf. Dieser Teil war definitiv nicht geplant und mit der inzwischen doch recht umfangreichen und schnell gegangenen Tour in den Muskeln brauche ich trotz der leichten Wege ziemlich lang um mich noch auf den grünen und formschönen Berg zu schieben. Am Gipfel haben sich die Mühen aber gelohnt – die Wolken und der Abendhimmel leuchten in den tollsten Farben während ein scharfer Grasgrat gen Westen zum Direktabstieg verleitet.
Vom Gipfel der Bleispitze folge ich dem schwachen Pfad über den ausgeprägten Westgrat, welcher über Mähbergjoch und Mühlwaldköpfl auf einer ziemlich direkten Linie wieder zum Ausgangspunkt führt. In wunderschönem Licht und magischen Wolken geht es über den Grat – angetrieben von der zunehmenden Nässe in den steilen Grasflanken, den testosterongesteuerten Hirschen in der Brunft und der einsetzenden Dunkelheit. Ab dem Mühlwaldköpfl lässt sich kein richtiger Weg mehr erkennen. Ich versuche mich noch eine Weile an der in Karten eingezeichneten Linie zu orientieren – gebe das im hüfthohen und nassen Gras aber rasch auf und schlage mich stattdessen recht radikal durch die knapp 40-50° steile Grasflanke hinab zu den Lichtern von Bichlbächle.
Die obligatorische Zeckenschau fällt heute besonders gründlich aus und die Mitnahme von Stöcken war keine ganz schlechte Idee.
Schwierigkeit, Versicherung und Material
Bis zum Westgipfel normales, teils steiles aber selten wirklich ausgesetztes Wandergelände. Die eigentliche Überschreitung erfordert dann eine kurze Klettersteigpassage und Routine im Schrofengelände, der Nordgrat ist luftig und an den entscheidenden Stellen ausreichend mit Stahlseilen versichert. Allgemein ist der Fels eher splittrig und unzuverlässig – die Mitnahme eines Klettersteigsets kann für unsichere Begeher bestimmt Sinn machen. Ein reiner Klettersteig ist aber nicht zu erwarten. Stil und Gelände ähneln grob dem Mittenwalder Höhenweg.
Die Bleispitze ist über einen gemütlichen Steig erreicht – der hier beschriebene Abstieg über den Westgrat ist unüblicher und bis auf eine sehr subtile Pfadspur eher weglos. Bei Nässe ist diese Passage nicht trivial – an einigen Stellen wird der Grat relativ schmal. Insgesamt eine heitere und nirgends richtig schwere aber landschaftlich überragende Rundtour – die aber eine gewisse Routine in sehr verschiedenen Spielarten des Wanderns erfordert, sich aber auch an vielen Stellen abkürzen oder abändern lässt.
Zusammenfassung
Sehr feine Doppelüberschreitung für konditionsstarke und etwas kletteraffine Bergwandermenschen. Der wilde Kontrast zwischen Grasbergen und Felsmauern lässt sich hier unglaublich eindrücklich erleben – gleichzeitig bewegt man sich in einer einigermaßen ruhigen Ecke der sonst turbulenten Zugspitzarena. Für Gipfelsammler springen sogar 6 „eigenständige“ Gipfel raus. Die drei Gartnerwandgipfel, die Bleispitze und ihre beiden Graterhebungen am Westgrat (Mühlwaldköpfl und Mähbergjoch).