17.4 km
1040 hm
1850 hm
10 h
T4, A/B
2:00 Uhr, pfeifender Wind, funkelnde Sterne. Wir schlüpfen in die Nacht hinaus. Zugegeben – diesmal mit besonders wenig Schlaf. Ich hab den Stopselzieher bei bisher 6 Begehungen nur ein einziges Mal bei Tageslicht gesehen. Trotzdem ist es jedes Mal eine abenteuerliche Stimmung den Lichtschein der Hütte zu verlassen, das kleine Schneefeld zu queren und über den stillen und fernen Lichtern von Ehrwald der schwarzen Wand entgegen zu gehen. Ich mag die Zugspitze über diesen Weg zu dieser Uhrzeit wirklich. Man hat gute Chancen den Gipfel beinahe leer zu erwischen und einen Sonnenaufgang über dem Höllental zu erleben. Der tagsüber völlig überlaufene Technohügel hat so – zumindest für meinen Geschmack – doch noch seine durchaus einsamen und majestätischen Momente. Der Preis dafür ist ein extrem früher Start oder eine kurze Nacht auf einer der Hütten. Oder in unserem Fall einfach beides.
Stetig arbeiten wir uns durch den leichten aber düsteren Kalk hinauf. Genau vor einem Jahr haben wir das schonmal gemacht. Mit dem schweren Gepäck ist es trotzdem anstrengend – ich tu mir heute auch etwas schwerer als sonst in der Route und mein Kreislauf scheint nicht so richtig in Schwung zu kommen. So bin mit meiner Rolle als Schlusslicht nicht unzufrieden – so kann ich unter dem Vorwand Fotos zu machen immer wieder Verschnaufpausen machen ohne jemanden aufzuhalten. Dafür geht es den anderen scheinbar ziemlich gut. Allen voran Tami, die an der Spitze die wenigen seilfreien und unmarkierten Abschnitte anführt und uns durch die Route navigiert.
Der Beginn des Stopselziehers ist dabei durchaus eindeutig. Über Leitern und leichte Klettersteigpassagen (das Wort “Kletter” ist hier eigentlich eh fehl am Platz, “Steigen” kommt hin) geht es durch die markante Rinne im linken Wandabschnitt hinauf. An einer kurzen Stelle wird eine kleine, ausgespülte Höhle durchquert – der namensgebenden Stopsel. Dann nochmal eine längere Leiter und schon findet man sich in der eigentlichen Wand wieder, die sich im Detail als ziemlich flaches, stufiges Felsgelände entpuppt. Eigentlich ist das die einzige “Schwierigkeit” dieser Variante an der Zugspitze. Im monotonen Gelände könnte man überall und nirgendwo gehen. Der Stopselzieher ist zwar mit schwachen roten Markierungen gekennzeichnet – und wenn diese ausbleiben ist fast immer das nächste Stahlseil zu sehen – aber es soll auch schon Bergsteiger gegeben haben, die sich hier mächtig verzettelt haben. Die orientierungstechnische Schlüsselstelle ist wie immer der je nach Jahreszeit Bach (oder seine ausgetrocknete Rinne) nach verlassen des Stopsels und einer langgestreckten Rechtskurve.
Gefühlt hat sich sogar etwas getan und einige Stahlseile wurden seit meiner letzten Begehung im Frühjahr 2023 erneuert und sehen nun wieder etwas frischer aus. Eigentlich nicht schlecht. Bei meiner ersten Begehung 2019 hatten viele Abschnitte der Versicherung doch eher einen dekorativen Charakter. Dann lieber keine Versicherung als trügerische, rostige und scharfkantige Steigreste. Die orientierungstechnische Schlüsselstelle ist wie immer der je nach Jahreszeit Bach (oder seine ausgetrocknete Rinne) nach verlassen des Stopsels und einer langgestreckten Rechtskurve.
Mama wundert sich inzwischen, warum sie nun schon zum dritten Mal hier ist.
Ja. Rechnung ohne die spontane Wanderlust vom Sohnemann gemacht. Passiert halt den Besten.
Im schwachen Dämmerlicht erreichen wir 1:30h nach Aufbruch die Ruine der alten Zugspitzbahn. Unter uns folgt eine Perlenkette von Lichtern durch den Steig. Wenn sie den Gipfel erreichen fährt bereits die Bahn & es gibt Currywurst. Bewundernswert. Mit diesem Ziel vor Augen würde ich vermutlich nichtmal aufstehen.
Das frühe Aufstehen hat sich wieder gelohnt – wir haben noch massig Zeit zum Sonnenaufgang und den Stopselzieher einsam und damit auch weitestgehend frei von Steinschlag erlebt.
Im blauen, blassen Dämmerlicht betreten wir den breiten Westgrat zur Zugspitze. Der Blick nach Süden wird frei – das Skigebiet im Zugspitzplatt, die Mieminger Kette und dahinter irgendwo Meran. Wenn nur ein paar weniger Berge im Weg stehen würden. Wir erreichen den Gipfel um 4:50 – einige kalte Minuten vor dem Sonnenaufgang. Das goldene Gipfelkreuz von Deutschlands höchsten Berg haben wir mal wieder für uns alleine.
Und bei all den Sonnenaufgängen, die ich von hier bei den letzten Touren gesehen hatte – der heute ist besonders schräg. Und das sag ich nicht jedem Sonnenaufgang. Einige dunkle, ferne Quellwolken verdecken den Sonnenaufgang. Nur für einen Augenblick blitzt die Sonne tiefrot zwischen zwei Wolken hindurch. Es kommt nichtmal genug Licht, für ein brauchbares Alpenglühen durch ehe sie wieder verschwindet. Aber für einen kurzen Moment bildet der Streifen am Horizont einen irren Kontrast zu der umliegenden, kargen Bergwelt. Nichts wiederholt sich am Berg.
Ohne die wärmenden Sonnenstrahlen ist es dann aber doch sehr kalt und etwas windig. Wir schlüpfen schnell ins Treppenhaus zum Gipfelkreuz. Dieses ist – so scheint mir – grundsätzlich Brotzeit- und Biwakplatz für diejenigen, die vor der Gondel hier oben ankommen. Eine Gruppe aus dem Höllental ist schon hier. Sind müssen ebenfalls früh gestartet sein.
Ein kleines Frühstück später treibt es mich wieder raus auf die Plattform. Die Sonne hat sich mittlerweile über die Wolken gekämpft und sorgt für einen einwandfreien zweiten Sonnenaufgang mit allem, was man sich wünscht. Die Lichtstrahlen tauchen den Jubiläumsgrat und Waxensteinkamm in goldenes Licht. Während die Sonne die Wände rund ums Zugspitzplatt erreicht sind wir schon wieder auf dem Westgrat der Zugspitze, den wir bald nach links Richtung Gatterl verlassen werden. Vor uns liegt noch eine lange Etappe mit ordentlich Strecke, Abstieg und einigen kleinen Gegenanstiegen.
Ich mag diese Seite der Zugspitze zum Abstieg. Die versicherten Serpentinen am und unter dem Grat lassen sich zügig gehen. Im Aufstieg haben sie mich schonmal auf die Knie gezwungen – man unterschätzt den letzten Anstieg doch sehr. Das Gipfelplateau ist zum Greifen nah – erfordert aber noch Zeit, Nerv und Kondition für knapp 400 nicht ganz einfache Höhenmeter. Schön, dass wir den gröbsten Anstieg für heute schon hinter uns haben.
Das Schotterfeld unter den Serpentinen lässt sich sehr gut abfahren. Auch hier gehen die Meinungen auseinander, aber nachdem ich im Karwendel eine Menge Zeit und Platz zum üben hatte, surft es sich hier ganz unverfänglich. Mama, Papa und Tami müssen halt auch mal ins Karwendel. Hilft nix. Dann geht es durch das beständige, weiche auf und ab der Mondlandschaft am Zugspitzplatt. Man durchwandert einen fließenden Übergang von Geröll in giftgrüne Moosfelder und Bergwiesen. Es wird immer grüner und auch immer lauter.
Denn hier kommen uns die ersten Zugspitzaspiranten im Aufstieg von der Knorrhütte entgegen und machen große Augen. Ja klar – wenn man sich in der Hütte noch schön ein Frühstück reinpfeift, stapft man eben mit 100 anderen in der Hitze durch die Schotterhalde. Scheinbar reicht es um 2:00 aufzustehen, um völlig aus dem Hamsterrad auszubrechen. Anders gesagt – ich finde unserer Interpretation der Zugspitze weder in irgendeiner Form extrem oder exotisch und bin immer wieder erstaunt, dass scheinbar nur die wenigsten die selbe Idee haben. Oder bereit sind einen Moment früher aufzustehen. Oder mal das Frühstück links liegen zu lassen. Jedem das seine.
Inmitten der Aufbruchsstimmung an der Knorrhütte machen wir eine kurze Rast für einen Kaffee und füllen unser Wasser auf. Dann geht es auf gleicher Höhe bleibend über schönen, plattigen Kalk hinüber zum Gatterl, dem Grenzübergang nach Österreich. Falls einer meiner Leser kiloweise Koks schmuggeln mag – hier guckt bestimmt keiner so genau hin. Uns reichen für heute aber die Wandersachen und Wasserflaschen im Rucksack.
Kurz vorm Gatterl gilt es einen kurzen Anstieg zu bewältigen, der direkt hinter dem Gatterl in eine für einen kurzen Moment recht schottisch anmutende Hochebene abgestiegen wird. Während man von Gämsen und Murmeltieren akribisch gemustert wird, folgen hier nochmal zwei Abstiege und Anstiege, um die zwei grünen Becken zu überwinden. Der erste Anstieg führt mit etwa 50 Höhenmetern auf das Feldernjöchl. Dann gewinnt man rechtshaltend durch ein kurzes Schotterfeld mit 60 Höhenmetern den Eckpunkt “Am Brand”, der das Ende des heutigen Anstiegs markiert.
In sommerlicher Sonne folgen wir dem Weg ins Skigebiet Ehrwald. Gegenüber die schroffe Mieminger Kette, die wir morgen an ihrem schwächsten Punkt überqueren werden. Hoffentlich – denn die Wettervorhersage ist nicht ganz einleuchtend und in meinem Kopf rattern schon Worst-Case-Szenarien und Gewitterwolken auf und ab. An der Hochfeldern-Alm biegen wir links ab und folgen der Forststraße ins Gaistal. Zwischen quietschenden E-Bike-Bremsen und bimmelnden Kuhglocken erreichen wir die Tillfussalm. Für mich die schönste Unterkunft auf unserer Tour – wir wurden nicht nur herzlich und familiär empfangen und in einem gemütlichen 9er Lager (dem einzigen) untergebracht sondern auch mit den weltbesten Kaspressknödeln versorgt. Meine Güte. Man verzeihe mir meine kurzen, schwachen Foodblogger-Moment. Ab jetzt gibt’s wieder hardcore Alpinismus.
Strategische Punkte:
- Ruine der alten Zugspitzbahn am Ausstieg des Stopselziehers als Unterstand bei Gewitter
- Gipfelplateau Zugspitze, ggf. Unterstand, Verpflegung und im Rahmen der Öffnungszeiten Möglichkeit einer Gondelabfahrt ins Zugspitzplatt
- Sonnalpin im Zugspitzplatt als Unterstand
- Knorrhütte
- Hochfeldern-Alm
Schlüsselstelle & Schwierigkeiten:
Kernstück des Tages ist der Stopselzieher, hier macht man relativ direkt den einzigen nennenswerten Anstieg des Tages. Leichte aber nicht wirklich exponierte Kletterei (I und selten II) und drahtseilgesicherte Abschnitte (nur max. 50% des Steigs) irgendwo zwischen A und B. Mit einem Klettersteig hat der Stopselzieher wenig bis nichts gemein, die Sicherungsseile und -stifte können locker sein. Gerade im oberen Teil ist der Fels oft die bessere Wahl. Bei spätem Aufbruch und anderen Bergsteigern in der Wand massives Steinschlagrisiko. Im Dunkeln nicht ganz triviale Wegfindung, gute Orientierung bieten schwache rote Punkte, der Fluss bzw. die oft wasserführende Rinne, die nach den Leitern mit einem leichten Rechtsknick gequert wird und Steigeisenspuren. Im oberen Teil mit mehr Gehgelände und Schotter geht es in Serpentinen leicht rechts unter der alten Station hinauf, erst kurz vor dieser zieht ein langer Quergang nach links direkt auf das Dach der Ruine. Danach wird es über die restliche Etappe hinweg kontinuierlich leichter. Abstieg Richtung Zugspitzplatt drahtseilversichert, etwas exponierter als der Stopselzieher aber durch konsequente Serpentinen recht unschwierig. In der zweiten Hälfte über ein langes Schotterfeld neben dem Schneefernerhaus hinab. Bis hier besteht auch nochmal Steinschlagrisiko. Danach leichte und gut markierte Wege und Pfade und drei sehr kurze Gegenanstiege im Bereich des Grenzübergangs. Ab der Hochfeldernalm nur noch Forststraße und an Sommertagen E-Bikes.
Theoretische Alternativen (Schwierigkeiten & Zeitbedarf beachten)
- Wenn der Stopselzieher nicht geht bleibt nur ein Abstieg Richtung Ehrwald und eine Umgehung via Gamsalm und Ehrwalder Alm
- Am Feldernjöchl mit 150hm Gegenanstieg links über den Kaltwassersattel ins Gaistal, ggf. die einsamere Variante auf alpineren Wegen
- Neben der Tilfussalm bietet sich auch die Gaistalalm zur Übernachtung an