Partenkirchener Dreitorspitze (2633m) via Alte Ostwand (IV-)
Partenkirchener Dreitorspitze (2633m) via Alte Ostwand (IV-)

Partenkirchener Dreitorspitze (2633m) via Alte Ostwand (IV-)

Der Herbst 2022 hat uns nochmal mit einer langen Periode wundervollem Bergwetter beschenkt. Ich dachte ja ursprünglich mal mein (Kletter-)Leben endet im September – aber weit gefehlt. Und so landen wir Ende Oktober mit der in Summe anspruchsvollsten Tour des Jahres in einer Ecke des Wettersteingebirges, die auf meiner To-Do-Liste ganz ganz unten stand. Ein perfekt unperfektes & unspontan spontanes Kletterwochenende an der Dreitorspitze, das erstmal übertroffen werden will und alles vereint, was ich dieses Jahr gelernt habe.

Die Meilerhütte war schon lange ein Ziel. Nicht von mir. Aber von Hannah. Keine Ahnung, was die hat. Denn irgendwie hat mich von Garmisch aus gesehen dieser Teil des Wettersteins nie weiter interessiert oder angezogen. Ich kann nichtmal genau sagen woran das liegt. Wahrscheinlich der lange Anstieg auf Forststraßen durch’s Reintal. Wahrscheinlich das eher klobige Erscheinungsbild der Dreitorspitze von meinem Fenster aus. Wahrscheinlich die Tatsache, dass der Wettersteingrat die Dimensionen und Identitäten seiner einzelnen Gipfel aus der Ferne sehr gut versteckt. Und wahrscheinlich weil ich einfach etwas zu jung und naiv war.

Das Bergwochenende nahm erst Gestalt an, als die Idee aufkam einen kleinen Perspektivenwechsel zu wagen und den Zustieg von Leutasch aus in Betracht zu ziehen. Und Tatsache – absoluter Gamechanger. Denn von hier lässt sich die karge Hochebene, an dessen Rand die Meilerhütte liegt, mit deutlich weniger Höhenmetern und Strecke erreichen und der Weg führt dabei auch noch reizvollst an einigen der wildesten und geschichtsträchtigen Kletterzielen der Region vorbei. Außerdem punktet die Meilerhütte außerhalb ihrer bewirteten Saison mit einem ziemlich schönen und komfortablen Winterraum, den wir als Basislager für unser Kletterwochenende nutzen können. Nagut. Unter diesen Umständen kann man sich das ja ausnahmsweise mal angucken.

Keine Sorge, ich werde jetzt nicht alle drei Sätze wiederholen, wie wenig Bock ich auf die Meilerhütte und Umgebung hatte. Aber diese Tatsache hat ganz wesentlich dazu beigetragen, dass ich vor Ort in eine absolute Schockliebe verfallen bin. Ich hatte einfach nie recherchiert und komplett übersehen, welche markanten und wilden Bergwelten es hier zu entdecken gibt. Die Vorahnung kam mir aber bereits beim Blättern im Kletterführer.

Noch nie war ich so unentschlossen und da Hannah zeitlich relativ eingespannt war und ich sowieso mehr Planung brauche um mich am Berg gut zu fühlen, habe ich am Abend zuvor stundenlang Pläne geschmiedet und wieder verworfen. Da gibt es also den Musterstein. Von Norden eine unauffällige Erhebung im weitestgehend glatten Gratverlauf des Massivs. Von Süden eine eindrucksvolle Erscheinung mit einer langgezogenen, hohen Südwand durch die unzählige leichte und schwere Kletterrouten führen. Am Gipfel angekommen ist die Kletterei aber noch lange nicht zu Ende. Allein der Abstieg über den schmalen Grat zur Meilerhütte erfordert Kletterei bis in den III. Schwierigkeitsgrat, eventuelle Abseilmanöver und einen soliden Hauch von Wegfindung in unmarkiertem, alpinen Terrain. Also ein definitiv exklusiveres Ziel, welches den kletternden Bergsteigern vorbehalten bleibt.

Unterbrochen von der Meilerhütte, die in eine Einsenkung im Grat gebaut ist, geht es nach Westen weiter mit den vier Dreitorspitzen (3 Gipfel der Partenkirchener Dreitorspitze + ein Gipfel der Leutascher Dreitorspitze). Diese Gipfel sind wie eine Perlenketten über einen langen, scharfen Grat verbunden. Der Grat fällt auf der einen Seite ins Reintal und nach Garmisch ab und begrenzt auf der anderen Seite das karge Karstplateau über Leutasch. An die Dreitorspitze angelehnt steht mit dem Bayerländerturm ein hübscher aber recht üppiger Felsturm. Man kann es sich denken – auch hier gibt es einiges zu klettern.

Da wir erst am Samstag loskommen und ich Sonntag gegen Mittag wieder in Garmisch sein musste, beschränkt sich die Kletterei auf den Zustiegstag. Eine Route am frühen Sonntagmorgen wäre auch noch denkbar gewesen, aber mit den kurzen Tagen und der Unberechenbarkeit alpiner Mehrseillängen eher keine gute Idee. Ich liebäugele zunächst mit schwereren Routen in der Musterstein-Südwand, die mich von den Beschreibungen her ziemlich angefixt haben. Diese Wand hat aber zwei ganz entscheidende Nachteile:

  • Der nicht trivialen Abstieg über den Musterstein-Westgrat, den ich ohne Wegkenntnis nicht im dunkeln machen will
  • Wir hätten entweder mit schweren Rucksäcken klettern müssen oder über 300 Höhenmeter extra gemacht um zuerst zur Meilerhütte hinauf und dann mit leichterem Gepäck wieder hinab zum Wandfuss zu gelangen

Da der Tag selbst in seiner allerlieblichsten Variante bereits ungefähr 1800 Höhenmeter auf die Uhr brachte, war die Musterstein-Südwand also ausgeschieden. Bleibt nur ein Blick nach Westen. Hinauf. So, dass die Meilerhütte auf dem Weg liegt. So, dass sich das alles irgendwie hübsch ausgeht. Ein Plan war geboren.

Es soll also über den Söllerpass, einen schwarzen Steiglein zwischen Öfelekopf und Teufelsgrat hinaufgehen. In dieser Variante erreicht man mit 1350 Höhenmetern und knapp 6 Kilometern die Meilerhütte. Dort werfen wir Gewicht ab und stürzen uns in die alte Ostwand an der Partenkirchener Dreitorspitze. Eine mit IV- bewertet zwar leichte, mit 13 Seillängen aber auch gar nicht so kurze Mehrseillänge. Oben angelegt müssen wir uns entscheiden – rechts über den Grat und einen Klemmblock (Kletterschwierigkeit III) alpin und exponiert hinab zur Meilerhütte? Oder links die zwei weiteren Gipfel der Partenkirchener Dreitorspitze überschreiten um ebenso alpin und exponiert an den Hermann-von-Barth-Steig zu gelangen. Egal. Solche abstrakten Probleme löst man, wenn man sie hat. Und nach diesem Epos von Einleitung können wir endlich loslaufen.

Ah moment!

Eine Schnapsidee meinerseits sei noch zu erwähnen: neben Schlafsack, 5 Litern Wasser, Kletterausrüstung, zwei Seilen hatte ich nämlich auch eine große Auflaufform mit locker 1,5kg fertig gekochtem Spaghettikürbis mit Feta & Tomaten dabei. Voll das geile Herbstrezept. Nur nicht ideal, wenn man es durch wilde Weiten schleppt. Und überhaupt – keine Ahnung, was mich da geritten hat.

Jetzt aber.

Vom Ortsteil Lehner kommend erreichen wir sehr schnell die Bergwiesen, die an die Felswände des Wettersteingebirges heranführt. Der Söllerpass beziehungsweise die Söllerrinne ist eine wirklich sehr direkte Linie hinauf – aus der Ferne kann man erstmal gar nicht so recht glauben, dass man dort entspannt hochkommt. Die Wand sieht sehr durchgehend und abweisend aus. Wie immer entpuppt sich die Draufsicht aber als drastischer als das Gelände und die vermeintliche Wand löst sich beim Näherkommen schnell in ein Reihe breiter, grasiger Bänder und Rippen auf.

So geht es über einen steilen Steig hinauf und durch den schweren Rucksack (und Spaghettikürbis) kämpfe ich hier schon extrem. Da war ich zur Alpenüberquerung leichter unterwegs. Es ist nie wirklich exponiert und Kletterkünste sind auch nicht gefordert – aber die immer selben Kurven und der immer selbe Ausblick auf weiteres unübersichtliches Schrofengelände machen die Sache nicht leichter. Man denkt an so vielen Stellen “na jetzt haben wir’s aber gleich” und stellt dann enttäuscht fest, dass sich hinter der Kurve doch nochmal hundert Höhenmeter verstecken. Sowas hatte ich lange nicht mehr. Ich fühl mich zurückversetzt als kleines Kind im Tiefschnee am Pürschling. Nur, dass diesmal nichtmal ein Kaiserschmarrn wartet sondern nur ein Spaghettikürbis. Und überhaupt – was für eine saudoofe Idee dieser Spaghettikürbis.

Mehr schlecht als recht erreichen wir den Söllerpass – das Tor zur Mondlandschaft. Ich bin zwar ziemlich fertig, doch der Blick in die karge Karstebene und auf die gegenüberliegenden Felswände lässt die Mühen schnell verblassen. Da wollen wir heute noch klettern. Kaum vorstellbar. Und wer hat dem Öfelekopf überhaupt erlaubt so unfassbar sexy auszusehen?

Wir queren die karge Fläche sehr schnell. Hier sind keine Höhenmeter mehr zu bewältigen und ein guter, markierter Pfad schlängelt sich durch das (kleine) steinerne Meer. Die Ostwand ragt selbst im herbstlichen Sonnenschein bedrohlich zerklüftet und dunkel empor und Hannah sagt später, dass sie uns da nicht wirklich gesehen hat. Bei mir ist es mittlerweile eher pure Vorfreude – ich bin gespannt auf die scheinbar einfache Linie durch die beeindruckende Felswand und freue mich etwas anderes zu machen also monoton einen Spaghettikürbis höher zu treten. Direkt unter der Wand, wo ich auch schon den späteren Einstieg erspähe, quert man kurz an einigen Stahlseilen und etwas schmaleren Pfaden hinüber zur Meilerhütte.

Dort angekommen essen wir eine Kleinigkeit, räumen unser Zeug um, deponieren den Spaghettikürbis und einen Rucksack im noch leeren Winterraum und sind wieder auf dem Pfad an die Ostwand. Und haben einen kleinen Fehler begangen, den wir aber erst bei Rückkehr zur Meilerhütte bereuen würden.

Der Zustieg von der Hütte ist mit 10 Minuten herrlich kurzweilig. Man quert wieder auf dem Hermann-von-Barth-Weg unter dem Bayerländerturm zur Ostwand. Noch vor dem letzten Stahlseil zeigt sich eine deutliche und einfache Rampe nach rechts, die den einzigen logischen Zugang in die Wand darstellt. Hier stolpert man nach wenigen Metern auch unweigerlich über den ersten Ring, an dem wir uns vorbereiten und Stand machen. Direkt neben dem Wanderweg muss man hier durchaus damit rechnen von dem einen oder anderen Wanderer angesprochen zu werden. Und – das trifft aber auf den Großteil der Kletterei zu – sollte nur sehr überlegt mit Steinen werfen. Denn alles was man hier lostritt, landet fast unweigerlich auf dem gut frequentierten Weg.

1. Seillänge (II-III)

Wir steigen ein. Die erste Seillänge ist ein relativ ereignisloser Quergang zum ersten eigentlichen Standplatz. Dieser könnte sogar gut seilfrei gemacht werden – am folgenden Ring lässt sich aber nicht mehr so entspannt auspacken und anseilen, weshalb die vorgefundenen Stände durchaus ihre Berechtigung haben und man hier getrost der offiziellen Topo folgen kann. Ein Zusammenlegen der Seillängen 1 und 2 macht aus Gründen der Seilreibung weniger Sinn. Ich steige also über einige kleine Stufen und Schuppen auf einem Band hinüber und mache den ersten Stand. Eine Zwischensicherung gibt es auf dem Weg übrigens nicht. Den Stand verfehlen kann man aber eigentlich auch nicht. Vor dem Nachkommen hat Hannah unten noch ein riesiges Seilchaos und ich hab etwas Zeit rumzustehen, mich zu fragen ob wir da heute noch vernünftig durchkommen und die nächsten Haken zu suchen.

2. Seillänge (IV-)

In der zweiten Seillänge geht es mit der Kletterei los und man kriegt hier direkt, vom Weg noch prüfend von Wanderern beobachtet, eine der Schlüsselstellen um die Ohren gehauen. Es geht über eine kurze Stufe rechts vom Stand auf eine Rampe und dann nach links in eine deutlich erkennbare und fast 40 Meter lange Rinne. Hier stecken mehrere Bohrhaken und es klettert sich sehr interessant mal auf der rechten und mal auf der linken Seite. Als Hannah auf dem Weg ist und sich durch die Seillänge und aus meinem Sichtfeld arbeitet höre ich immer wieder ein “Wie geil” aus der Rinne schallen. Dann bin ich dran. Der Fels ist schön fest. Im oberen Teil steilt die Rinne nochmal ordentlich auf und verdient meiner Meinung nach schon eher den Titel Kamin. Die mit IV- bewertete Stelle kommt mir auch relativ schwer vor, ich bin mit dem großen Rucksack wenig agil und stelle mich entsprechend an. Bestimmt eleganter zu lösen. Ich verklemme mich ein wenig, als die Kaminwände so nah zusammenrücken, dass man auf die linke Seite wechseln und hier aus dem Kamin herausklettern muss. Der Rucksack schrammt noch an der rechten Wand entlang und verhängt sich mit einigen Gummibändern. Ich sehe meine Füße nicht wirklich und weiß nur, dass ich gerade irgendwie eingespreizt zwischen den hier eher kleingriffigen Wänden stehe. Die hier hängende Exe herauszufummeln ist so auch unnötig unangenehm und am Ende des Tages braucht es ein paar unnötig harte Züge, um oben aus dem Kamin heraus und auf das kleine Plateau mit Hannah und Standplatz zu gelangen. Kein guter Start für mich. Aber lässige Kletterei!

3. Seillänge (III)

Der Weiterweg in der dritten Seillänge ist für einen kurzen Moment nicht ersichtlich – ein Blick rechts um’s Eck zeigt aber den nächsten, gut versteckten Bohrhaken. Es fühlt sich auch ein bisschen wild an, hier um’s Eck zu steigen und sich einmal an einer großen Schuppe luftig über das bisher gekletterte Stück zu hängen. Immerhin ist das die erste wirklich wahrnehmbare Höhe und Exposition des Tages. Nur 2 Meter über dem Stand ist der Spuk aber eigentlich schon wieder vorbei, man befindet sich auf einer relativ breiten und konstant einfachen Rampe und folgt konsequent der leichtesten Linie. Beim dritten und letzten Bohrhaken (der etwa auf der Hälfte der Seillänge steckt) sieht man sich kurz mit einer Weggabelung konfrontiert. Entweder links an der Kante entlang oder rechts in eine schwach ausgeprägte Rinne. Beide Varianten bleiben auf der breiten Rampe, fühlen sich intuitiv logisch an und sind höchstens 10 Meter voneinander getrennt. Ich entscheide mich fälschlicherweise für die Kante links. Da ohnehin keine Bohrhaken mehr stecken, fällt mir das erst auf, als ich rechts am Ende der subtilen Rinne den Standplatz erspähen kann. Nagut. Kurz rüberqueren und Stand machen. Hannah klettert dann direkt die Rinne nach. Wir kommen in den Flow und sind schnell unterwegs.

Hier macht sich schon ein Schema sichtbar, dass sich fast über die ganze Route lang halten wird und mir extrem gut gefallen hat: die alte Ostwand fühlt sich richtig gut an. Man würde aus dem Bauch heraus nirgends einen großartig anderen Weg wählen. Sie nutzt mit erschreckender Präzision die Schwachstellen der Wand und führt stets genau so wie man es erwartet durch das Gelände. Dank der geringen Schwierigkeit klettert es sich teilweise sehr lange im Autopilot – frei vom ständigen Reflektieren der Wegwahl und der suche nach dem nächsten Haken. Die kommen dann schon.

4. Seillänge (III)

Die Rampe endet in einem vielleicht 10 Meter hohen, etwas kompakteren Plattenpanzer, der sich in den Weg stellt. An seiner Seite ist bereits ein Haken zu erkennen. Hannah steigt vor, fliegt über den platteigen Aufschwung und erreicht die Kante.

Wow

Zum ersten Mal hat man einen schonungslosen Tiefblick auf die Steinwüste unter einem. Unter unserem entspannten Rampensystem ist die Wand glatt und steil und die fehlenden Facetten am fast makellosen Untergrund lassen alles etwas höher wirken. Wie winzige Adern ziehen die Pfade durch das Grau und wie Ameisen sehen wir hin und wieder Menschen, die ihnen folgen.

Nach dem kurzen Ausflug an den Abgrund geht es direkt wieder auf eine einfache, zum ersten Mal etwas schotterige Rampe zu, an deren Ende sich der Standplatz befindet.

5. Seillänge (III)

Ich bin wieder mit dem Vorstieg dran. Die nächste Seillänge soll eine sehr gerade III sein und laut unserer Topo steckt hier auf den gesamten 30 Metern kein Sicherungsmaterial. Na dann wird das ja easy sein.

Ich halte mich links vom Stand in eine steile Rinne – erneut die einzig logische Spur. Schon wenige Meter über dem Stand habe ich eine gute und eine (wenn man es so nennen will) schlechte Nachricht. Die gute Nachricht: ein Bohrhaken in Sicht. Die schlechte: ganz schön zach für eine III. Wenigstens ein Plus hätte man da noch anhängen können. Erinnerungen aus den Dolomiten werden wach, der Fels hier ist sehr zerfressen und scharfkantig und lässt sich gut klettern – dennoch – es sind 1-2 kühnere Züge dabei und ohne den etwa mittigen Bohrhaken wäre das eine abenteuerliche Seillänge gewesen. So viele zusätzliche Sicherungsmöglichkeiten sind mir nämlich nicht aufgefallen.

Blick in die scharfkantige Rinne in der 5. Seillänge

Am Ende der Rinne geht es auf einen glatten und nicht wirklich greifbaren Absatz. Ich hätte fast die Robbe gemacht, habe dann aber doch noch ein paar Griffe auf der rechten Seite gefunden und mich anders hochgestemmt. Die Robbe brauch ich eh später noch. Nachhaltig klettern – ganz wichtig.

Oben angekommen gibt es die nächste Laune der Natur zu bestaunen. Wir haben einen kleinen Felsfinger erreicht, der wie eine Hand mit Daumen hoch aus der Wand ragt. Hinter diesem steigt man hindurch und steigt einen Meter ab, bevor man den direkt vor einem liegenden Standplatz findet. Von unten ist dieser zu keiner Zeit zu sehen. Und wieder – es macht alles Sinn. Wunderbar intuitiv.

6. Seillänge (III)

Als ich Hannah nachgeholt habe verkünde ich die frohe Botschaft. Ich hatte nämlich wie so oft etwas Zeit, mir die folgende Seillänge anzusehen und die ist in diesem Schwierigkeitsgrad an Abenteuer wohl nicht zu übertreffen und mir wesentlich wilder in Erinnerung geblieben als eine ach so exponierte Delagokante. Zunächst fallen einem Haken einige Meter über dem Stand in der Wand auf – allerdings schwerer zu erreichen und von anderer Qualität als das Material an dem bisher geklettert wurde. Das ist keine III oder IV. Und auch nicht unsere Route. Darauf weißt auch unsere Topo unmissverständlich hin. Stattdessen geht es, an glatten Schuppen abkletternd direkt nach links in die senkrechte und plattige Wand. Ein kleiner Quergang, der sich ganz groß anfühlt.

Hannah im Quergang

Nicht schwer zu klettern. Mit gefädelten Sanduhren und zwei Bohrhaken ausreichend abgesichert. Aber hoch, ausgesetzt und wild. Ich kann mir nicht verkneifen alle paar Meter nachzufragen, ob Hannah noch Spaß hat – während sie diesen Vorstieg meistert. Die mit Abstand coolste IIIer Seillänge die mir bisher untergekommen ist. Ich bin gespannt, wann und wo das übertroffen wird.

Während Hannah um’s Eck verschwindet und ich nur am Seilzug merke, dass sie noch unterwegs ist wandert mein Blick immer wieder zu einer weiteren Kuriosität, die wir gerade eben entdeckt hatten. Direkt neben meinem Standplatz führt ein breiter Riss in die Wand und ganz hinten im Riss ist Licht.

Häh

Der Standplatz selbst liegt im Schatten. Der Lichtfleck ist so surreal, dass man erst annimmt, jemand hätte hier eine Glühbirne angebracht. Ich wusste nicht, dass Beleuchtung ein Bestandteil von Routensanierungen ist.

Irgendwie muss die Wand hier hinten also hohl sein und unser Timing so perfekt, dass wir den kurzen Moment erwischt haben, an dem die Sonne durch einen Riss hineinscheint. Das heißt aber gleichzeitig, dass unser gesamter Quergang an einer gigantischen, vorgelagerten Schuppe entlanggeführt hat. Als Hannah – eigentlich um’s Eck und weit genug weg um die Verständigung zu erschweren etwas ruft höre ich sie viel zu laut und kristallklar aus dem Riss heraus. Praktisch. Was für eine wilde Route. Was für ein wilder Tag.

7. Seillänge (III)

Wir stehen unter einer breiten, wasserzerfressenen und löchrigen Rinne und ich darf wieder vorsteigen. Die Topo sagt erneut etwas wie 30 Meter, III und 2 Bohrhaken. Aber spätestens nach dem Quergang wissen wir, was sich hinter solchen Angaben verstecken kann. Und genau so kommt es.

Ich baue einen kleinen Verhauer ein, indem ich rechts etwas schwerer als nötig einen alten Normalhaken clippe und dann mit ordentlich Seilreibung nach links an den eigentlichen Bohrhaken quere. Bitte auslassen – ihr tut euch keinen Gefallen. Aber mich hat er so angelächelt. Eigentlich hält man sich, vom Standplatz am rechten Rand der Rinne zunächst mittig und dann einfach links an zwei Bohrhaken entlang aufwärts. Hier gibt es ein paar verlockende Ausstiege nach links, die aus der Rinne heraus und wer weiß wohin führen. Auch unsere Topo macht über dem zweiten und letzten Bohrhaken einen leichten Schwenk nach Links. Nicht beirren lassen. Drinnen bleiben.

Die Rinne zieht sich im oberen Teil erneut zu einem engen, scharfkantigen Kamin zusammen und macht die zweite Hälfte der Seillänge ist wesentlich schwerer und steiler. Auf dem Weg gibt es noch zwei Sanduhren, die mit sehr altem, nur noch wenig vertrauenserweckenden Material gefädelt sind. Gleichzeitig sind sie so eng, dass ich kein eigenes Material hinzugebaut bekommt und ich beschließe sie einfach zu verwenden und die letzten Meter auf einen Absatz durchzuziehen. Diese Stelle kletterte sich für mich fast am gruseligsten, da ich mir nicht sicher war auf dem richtigen Weg zu sein. Doch einige Meter später – Volltreffer! – der nächste Standplatz. Während Hannah nachsteigt sehen wir unten eine Gruppe Wanderer auf dem Hermann-von-Barth-Weg. Wir sind so weit weg – hoch oben in der unübersichtlichen Wand. Sie bemerken uns gar nicht. Ein eigenartiges Gefühl.

8. Seillänge (I-II)

Von unten haben wir uns gefragt wie man in der senkrecht anmutenden Wand bitteschön 50 Meter flaches Schrofengelände verstecken soll. Doch jetzt sind wir hier. Vor uns macht die Wand in einen breiten, flachen Kessel auf, der von vielen kleinen Türmchen umrahmt ist. Für mich fällt hier etwas Spannung ab – es warten zwar laut Topo noch zwei der drei schwierigsten Stellen auf uns, aber das Gelände wir übersichtlicher. Man hat nicht mehr das Gefühl sich in der einzigen einfachen Spur inmitten senkrechter Wände zu befinden sondern in einem plötzlichen Rollentausch eine hübsche Kletterlinie in sonst leichtem Gelände zu verfolgen. Eine angenehme Abwechslung. Hannah flitzt die 50 Meter geradeaus durch die Schrofen an einen Felsaufbau und findet sofort den nächsten Stand. Während ich hinterherstapfe, lasse ich meine Gedanken schweifen. Wie es unserem Spaghettikürbis wohl geht?

9. Seillänge (IV-)

Noch ein Vorstieg aus dem Hause Jan. Eine IV- mit 3 Bohrhaken auf 40 Metern. Diese entpuppt sich für mich aber erstmal als sehr einfach und mit dem Schrofenfeld unter sich auch kaum ausgesetzt. Es geht nach links über ein schmale Rampe in eine kurze Verschneidung hinein. Ein paar Stemmbewegungen später steht man schon wieder auf einem leichteren Absatz und kann den Standplatz ins Visier nehmen.

Dieser hängt über einem unscheinbaren, plattigen Brocken auf halber Höhe in einer Stufe. Auf dem plattigen Brocken ist ein Bohrhaken. Rechts davon ein Riss.

Ich muss diese Route nochmal klettern um das folgende schöner zu machen. Ich habe keine Ahnung wie man an diesen Stand kommen soll, ohne sich wie ein Bescheuerter über ein mit vielleicht 30cm viel zu schmales Band unter einer etwas abdrängenden Wand hinüberzurobben. Die Platte ist am Bohrhaken leicht bestiegen und danach trennen einen nur zwei Meter vom Stand. Aber diese zwei Meter verwandelten mich kurzum in ein anmutiges Walross und ich brauche sicher 5 Minuten um irgendwie eingeklemmt zwischen dem Kies des Bandes, zwei Löchern in der Wand und dem Rand der Platte zum Ring zu robben. Hannah meistert die Stelle zwar etwas aber nicht wesentlich hübscher – ich schiebe es auf ihre Größe.

10. Seillänge (Zusammengelegt, III)

Es dämmert langsam. Und auch uns dämmert, dass wir langsam fertig werden sollten, da wir noch einen durchaus nennenswerten Abstieg mit ungesicherter Kletterei vor uns haben. Bis hier haben wir es aber in Rekordzeit geschafft und waren so effizient unterwegs wie mit unserer Erfahrung möglich. Die nächste Seillänge ist kurz und unspektakulär. Kurz etwas schwieriger die Wand vor einem bezwingen und schon befindet man sich, mit Blick auf das Gipfelkreuz, in einer bröseligen Traverse im 2. Schwierigkeitsgrad. Hannah entscheidet sich den Stand zu überspringen – wir haben dadurch mächtig Seilreibung und etwas Chaos in meinem Nachstieg. Mit mehr Zeit würde ich das nicht mehr so machen. Aber abseits davon ist das hier die uninteressanteste Stelle in dieser überwiegend extrem interessanten Tour. Sie dient letzten Endes wirklich nur dem Zweck, durch leichtes Gelände an den Ausstieg heranzuführen und das haben wir hiermit trotzdem mit geringem Zeitaufwand geschafft.

11. Seillänge (IV-)

Die für uns letzte Seillänge fühlt sich zunächst etwas eigenartig an, macht dann aber schnell reichlich Sinn. Man hält sich direkt vom Stand weg nach oben auf eine plattige Rippe mit hübschen Wasserrillen. Hier findet man auch die letzten beiden Bohrhaken der Felsfahrt. In schönem, festen Fels gewinnt man nur 5 Meter über potentiellen Gehgelände an Höhe. Und umgeht dabei aber eine lose Schotterrinne rechts und bröselige Schrofen links. Ein guter Deal – wenn auch nicht der leichteste Weg und etwas eigenartig auf dieser kleinen Mauer zwischen den gemähten Wiesen empor zu balancieren. Aber meinetwegen. Am Ende befindet sich links der letzte Standplatz. Wir sind nun in einer üppigen Scharte zwischen Vorgipfel, Gipfel und den Rinnen hinab in den Grataufstieg von der Meilerhütte. Mit Steinmännern markiert lassen sich unter dem Gipfel auch schon mehrere mögliche Spuren ans Gipfelkreuz erspähen. Die alte Ostwand ist hier für uns vorbei und geschafft.

Unsere Topo spricht von einer letzten, 25 Meter langen Seillänge zum Gipfel – mir ist aber nicht ganz klar, wie das hier funktionieren soll. Das verblockte IIer-Gelände zum Gipfelkreuz kommt mir wesentlich länger vor, als dass wir von diesem Stand sinnvoll den Gipfel hätten erreichen können. Wir packen die Seile weg und erreichen kurze Zeit und einige kleine Gerölllawinen später in der Abendsonne den Nordost-Gipfel der Partenkirchener Dreitorspitze.

Ein wilder Gipfel – wirklich. Der Blick ins Reintal, durch das goldenes Licht schießt, ist wunderschön. Vom kleinen, exponierten Gipfel sehen wir den von hier fast senkrecht wirkenden Grat hinab zur Meilerhütte und einige Menschen auf der Terrasse. Oh – sind wir wohl doch nicht allein im Winterraum.

Aber zunächst heißt es Konzentration und Energie oben behalten – denn die Überschreitung ist für uns der attraktivere Abstiegsweg und es liegen noch einige Meter kraxeln vor uns. Die Attraktivität ist vor allem von zwei Punkten abhängig – Schnee am Klemmblock (III) im Direktabstieg zur Meilerhütte und der leichte A/B-Klettersteig, der auf die westliche Dreitorspitze führt und an dem wir endgültig entspannen können. Wenn wir hier in die Dunkelheit rauschen ist das auch kein Problem. Also los.

Überschreitung der Part. Dreitorspitzen

Man hält sich stets links vom Grat. Das ist auch logisch, denn rechts fällt das Gelände senkrecht nach Garmisch ab. Aber auch unsere Seite ist eine steile und bröselige Angelegenheit und die Wegwahl beschränkt sich oft auf nur einige Zentimeter “leicht” begehbarer Spur, während ringsum etwas gewagtere Kletterei gefragt wäre.

So steigt man, leicht markiert, hinter dem NO-Gipfel ab und balanciert über ein schmales, sehr exponiertes Band zum tiefsten Punkt zwischen NO-Gipfel und Mittelgipfel. Gerade das Ende des Bandes habe ich als anspruchsvoll in Erinnerung – bei nicht wirklich guten Griffen und nicht wirklich festem Untergrund um ein etwas exponierteres Eck herumsteigen. Hier drehen wir nach Rechts direkt auf die Gratkante. Es gäbe sicher auch noch andere Wege – uns hat sich aber auf die schnelle kein wirklich sinnvollerer gezeigt. Über zwei oder drei sehr exponierte Züge auf Messer’s Schneide erreichen wir ein Plateau, dass wieder leichter und vor allem mit einem Steinmann markiert ist. Hannah’s frage, ob es da wirklich lang geht ist berechtigt – selten sowas ausgesetztes gemacht. Aber der Steinmann gibt mir recht und ab hier ist freie Wegwahl in der etwas leichteren Flanke. Nach nur 15 Minuten vom NO-Gipfel stehen wir auf dem Mittelgipfel und kriegen noch einen zweiten Sonnenuntergang beschert. Aus Versehen perfektes Timing.

Hinter der mittleren Dreitorspitze bricht der Fels einige Meter steil und bröselig ab – man ließt im Netz auch von einer Abseilstelle. Diese habe ich nicht gefunden. Macht für die zwei, drei Meter auch gar nicht so viel Sinn. Stattdessen finden wir aber, ein paar Schritte rechts der Gratlinie, einen kurzen, bröseligen Kamin in dem wir wenig ausgesetzt vom Gipfelaufbau abklettern können. Über einen kurzen Aufschwung erreichen wir den wunderschönen, plattigen Grat zum Westgipfel. Dieser ist zwar scharf, es besteht aber fast immer die Möglichkeit auf die rechte, westliche Seite auszuweichen und sich einige Meter unter der Kante zu bewegen. Durch die wenigen Stufen und Strukturen auf dem Grat, lässt sich aber auch direkt auf der Kante gut gehen. Ich hab trotzdem Respekt und einen schweren Rucksack und bin hier etwas langsamer und konservativer unterwegs als Hannah. Und weiche auch etwas öfter in die Flanke aus. Gerade der Abbruch nach links ins Leutascher Platt ist extrem steil und nach den kombinierten Ansprüchen unserer Tour ist meine Grat-Tänzel-Souveränität nicht mehr auf ihrem absoluten Höhepunkt.

20 Minuten nach dem Mittelgipfel erreichen wir den Westgipfel. Trotz des langen Tages mit Zustieg und Mehrseillänge sind wir schnell und gut durch die Überschreitung gekommen und sind in der Abendsonne in völliger Einsamkeit über einen Grat getanzt, der den Gipfelbüchern zufolge gar nicht so viele Besucher sieht. In der blauen Dämmerung fällt endlich die Anspannung ab – jetzt kann nicht mehr viel schief gehen. Gegenüber leuchtet das rote Schüsselkarbiwak zu uns rüber. Wie auf den Grat geklebt sieht es aus. Neben der Abendröte ist der heute dünne, sichelförmiger Mond aufgegangen. Ein weiterer Tag für die Bücher. Beziehungsweise für den Blog.

Hermann-von-Barth-Weg

Der Hermann-von-Barth-Weg – die Stahlseile haben wir links von uns in der oben mit viel Geröll überdeckten Flanke schon entdeckt – geht kaum als Klettersteig durch. Zumindest fühlt er sich nach diesem Tag nicht mehr danach an. Ich tue mich im Nachhinein schwer überhaupt eine Stelle zu benennen, die schwerer als A ist. Das Internet spricht von mehreren B-Abschnitten. Egal. Wir haben für uns auf jeden Fall auf das richtige Pferd gesetzt, denn ab hier ist der Abstieg ein völliger Selbstläufer und wir rauschen im schwindenden Licht dem Schotterfeld entgegen. Unten angelangt gibt es noch ein paar kurze Kiesfelder zum Abfahren. Dann taumeln wir, weitestgehend schweigend und mit etwas Abstand in Richtung Hütte. Jeder für sich und dennoch zusammen in den zu dieser Zeit einsamen Weiten des Wettersteins. Eine Einsamkeit, die wir schon bald vermissen würden.

Apropos Einsamkeit – welche coole Nudel war da eigentlich noch im Dunkeln am Mustersteingrat unterwegs?

Kurz vor der Meilerhütte unter der Ostwand des Bayerländerturms

Meilerhütte & Winterraum

Wir erreichen die Hütte, auf deren Terrasse sich einige Lichter tummeln und werden gar nicht so freudig begrüßt. Nach über 10 Stunden auf den Beinen und fast 2000 Höhenmetern werden wir von einem Mann ziemlich energisch in Empfang genommen und direkt in den Winterraum gelotst – es gäbe etwas zu klären.

Bestimmt ist der Spaghettikürbis explodiert…

Spaß bei Seite – nach kurzer Überforderung sortiert sich die Lage ein wenig und das obwohl ich eigentlich keine geistigen Höchstleistungen mehr vollbringen wollte. Draußen ist eine Gruppe am biwakieren auf der Terrasse, den Winterraum würden wir uns mit zwei Männern im mittleren Alter teilen. Alles kein Problem. Was aber zu Problemen geführt hat ist Hannah’s Rucksack, den wir in der Hütte hinterlassen haben. Sträflicherweise haben wir uns nämlich nachmittags nicht direkt in das Hüttenbuch eingetragen und sind weiter zum Klettern gegangen. Gleichzeitig gab es einen Eintrag im Hüttenbuch von einer Person, die diese Nacht wohl in der Hütte übernachten wollte, das Ziel Dreitorspitze dazugeschrieben hat und bis zu unserer Ankunft um 20:00 nicht erschienen ist. Das, und der von uns deponierte, einzelne Rucksack gaben also das Bild eines Solo-Bergsteigers ab, der mit leichtem Gepäck losgezogen und bisher nicht erschienen ist. Die beiden, irgendwann nachmittags an der Hütte eintreffend, waren darüber dermaßen beunruhigt, dass sie bereits Bergwacht und Polizei informiert hatten. Einer von den beiden sei auch zertifizierter Wanderguide und damit erfahren was solche Notsituationen angeht.

Dass der Rucksack zu uns gehört nahm der Sache nun also wieder etwas Wind aus den Segeln. Bleibt nur noch die Frage offen, wie der Eintrag im Hüttenbuch zustande gekommen ist. Eine Frage die uns ehrlicherweise weniger begeisterte und beschäftigte als die beiden. Hier prallten dann im Detail doch Welten aufeinander und es gehört für mich zu der Tour, diese hier auch kurz aus meiner Perspektive festzuhalten. Ich glaube – hingegen der kurzen Belehrung die wir bekommen haben – nicht, dass ein Hüttenbucheintrag unsererseits die Situation entschärft hätte. Im Gegenteil. Statt einer vermeintlich vermissten Person wären es dann drei Personen in zwei Gruppen gewesen. Der Rucksack hätte ebenso wenig in das Gesamtbild gepasst wie zuvor. Und unsere beiden Kollegen hätten in der Fahrt, die sie aufgenommen haben, ebenso Anrufe getätigt und die entsprechenden Stellen informiert. Ich unterstelle keinesfalls eine ausgeprägte Sensationslust. Aber für mich war es zu viel Trubel, zu viel “sonst müssen wir jetzt raus und suchen anfangen” und zu viel “ich hab jetzt mit x telefoniert”. Klar gibt das eine gute Story und klar könnte auch wirklich etwas passiert sein. Aber es wurde für meinen Eindruck systematisch vom Schlimmsten ausgegangen. Zwischendrin habe ich plötzlich das Handy am Ohr und darf der Polizei auch was erzählen. Nein wir haben niemanden gesehen. Ja wir waren wirklich auf der Dreitorspitze. Neee auf der anderen.

Ich weiß es nicht – ich bin kein ausgebildeter Wanderguide und noch nicht so lange in den Bergen unterwegs – aber macht man das so? Um 20:00 Uhr? Direkt einmal allen Feuer unterm Hintern machen? Und dann die wiederholten Kommentare “vielleicht müssen wir jetzt echt Suchen anfangen”.

Wenn man nun ortskundig und agil wäre kann das in einer Notsituation sicher mal erforderlich werden. Leider haben die beiden – mir zumindest – auch rasch demonstriert, dass sie weder umliegende Wege und Gipfel noch den Aufbau der Dreitorspitzen kennen und auch nicht die Fähigkeiten besitzen sich dort mal eben hinzubegeben. Eine solche Suche (die Aufgrund des Eintrags “Dreitorspitze” mit vier potentiellen Bergen ohnehin hinfällig ist) wäre also an uns hängen geblieben. Meinetwegen. Aber nicht so. Nicht um 20:00. Und nicht weil ein aufgeregter Wanderguide im Winterraum es sagt.

Man nehme einmal an, ich wäre solo unterwegs und (so muss ich das in dem Fall bewerten) doof genug gewesen mich ins Hüttenbuch einzutragen. Hätte ich es lustig gefunden, wenn man wegen mir kurz nach Sonnenuntergang die Bergwacht alarmiert. Bei bestem Wetter? Ich bin dieses Jahr Feierabendtouren gelaufen, die deutlich nach Mitternacht geendet haben. Ich denke es ist eine Frage des Maßstabes. Für mich war in dieser Situation klar, dass ich noch keinen glaubwürdigen Notfall sehe. Und selbst wenn ich zu diesem Urteil gekommen wäre ist das Gebiet zu groß und unwegsam um realistisch etwas bewirken zu können. Es gibt ihn also doch. Den kleinen Rest Eigenverantwortung in den Bergen.

Wir essen, die beiden essen. Die beiden machen Bratwurst. Der Feueralarm geht an. Der Feueralarm geht aus. Wir putzen Zähne, die putzen Zähne. Es kam nie zu einem wirklichen Diskurs zu der Sache – ich hatte auch nicht die Kraft dafür – und unterm Strich hat man sich dann alternativ einfach nett unterhalten. Aber das große Thema des Abends blieb unser Vermisster und die unzähligen Telefonate mit den ebenfalls ratlosen Behörden im Tal. Ich hätte den Abend auch anders verbringen können, aber Geschmäcker sind bekanntlich unterschiedlich. Am Ende stellt sich mitten in der Nacht heraus, dass der Eintragende sich im Datum vertan hat und bereits gestern auf der Dreitorspitze war.

Hätte es auch ernster sein können? Vielleicht.

Hätten wir was daran ändern können? Eher nicht.

War der Trubel gerechtfertigt? Ich weiß es nicht.

Sollte man “den Kerl anzeigen”? Junge, junge…

Schreibe ich in Zukunft in Hüttenbücher? Nur mit allerallerhöchster Vorsicht.

Gute Nacht.

Sonnenaufgang auf den Törlspitzen

Wir sind früh aufgewacht und jeweils mit einer Wasserflasche bewaffnet vor die Tür spaziert. Eine weitere Mehrseillänge am Morgen war nicht mehr als eine kurze, absurde Idee, die ich schon in der Planung wieder verworfen habe. Nach dem Tag gestern – keine Chance. Wir wollen uns trotzdem noch etwas bewegen und vor allem einen schönen Sonnenaufgang sehen und überqueren die Törlspitzen in Richtung Musterstein. Ganz alleine inmitten glühender Giganten. Auf einem schmalen, wilden Grat zwischen Bayern und Tirol. Wir halten uns etwas über dem bröseligen Normalweg auf der Kante, klettern ein paar kurze Ier und IIer Stufen auf und ab und finden irgendwo zwischen Törlspitze und Musterstein ein schönes Flecken um den Sonnenaufgang zu bestaunen, ein paar brauchbare Profilbilder zu knipsen und unsere Wasserflaschen auf Felsblöcken zu balancieren. Der Blick von hier zu den Dreitorspitzen und unserer gestrigen Wand gehört wohl zu meinen liebsten dieses Jahr. So ein geniales Felsmassiv – ich bin verliebt. Und es gibt noch so viel zu entdecken hier oben.

Wir frühstücken, packen unser Zeug zusammen und steigen über das Bergleintal ab. Zunächst sanft aber eindrucksvoll unter der Musterstein-Südwand entlang. Dann immer steiler in Schrofen und Laub hinab in den Wald, in dem wir wieder auf die Forststraße in die Ortschaft stoßen. Wir haben vor einer Baustelle geparkt, das “dort am Sonntag ja eh nichts gemacht wird”. Aus der Ferne sehen wir den Kran der Baustelle. Er dreht sich. Und trägt eine Last. Und wie schon bei den abrutschenden Hängen in den Dolomiten, begleitet uns erneut die dumpfe Angst Hannah’s Passat nun endgültig an die Launen der Natur (oder der Bauarbeiter) verloren zu haben.


Schwierigkeit, Versicherung und Material

Die “alte Ostwand” ist für meinen Geschmack ideal saniert – gutes, neues Material und Abseilringe an den Ständen. Bohrhaken teils nur an den wichtigsten Stellen und durchweg dünn gesät, aber nie so, dass bei Beherrschen der Schwierigkeit im großen Stil selbst abgesichert werden muss. Die Tour folgt einer wunderschönen, leichten Linie durch eine wilde, zerklüftete Wand und wirkt nur auf den letzten Metern ein wenig gewollt. Die Schwierigkeiten empfinde ich, zumindest aktueller Stand und auch verglichen mit den oft als “zach” angesehenen Dolomiten, als eher schwer. Es gibt deutlich einfachere III+ bis IV+ Routen, und gerade einige Stellen in den III+ Seillängen fühlen sich doch sehr verdächtig nach einem guten vierten Grad im Klettergarten an. Die auf dem Papier “schweren” Seillängen sind weitestgehend passend bewertet. Wenn man mich fragen würde – zum Glück tut man das nicht – würde ich dem Kamin in der 2. Seillänge aber oben eine V- geben und die meisten III+ Seillängen auf IV anheben. Aber vielleicht bin ich an dem Tag auch einfach doof geklettert. Wir waren mit 60-Meter Doppelseil unterwegs und hatten Schlingen und Keile dabei – haben aber kein einziges Mal zusätzlich abgesichert. Die Route verlangt daneben Souveränität in ungesichert-ausgesetztem, alpinen Gelände. Es gibt keinen “leichten” Weg runter und ein Abseilen über die Route würde ich von der Wegführung her & unter Aspekten der Steinschlaggefahr vermutlich nicht freiwillig angehen.

Zusammenfassung

Mein neuer Liebling. Eine wunderschöne Tour in einer wunderschönen Bergwelt, die vor allem mit ihren Tiefblicken, abwechslungsreichen Seillängen und eindrucksvollen Abstiegsvarianten besticht.

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