Inzwischen hat diese Route eine zweite Begehung bekommen. Mit mehr Sonne, mehr trockenem Fels, weniger Corona und weniger Corona. Ganz natürlich, schlägt sich das auch auf den Eindruck der Route nieder. Wen also das volle Bild meiner bisherigen Erfahrungen im Maus, Tieger, Käfer, Axolotl Dings interessieren, sollte sich auch die sonnigen Seiten zu Gemüte führen:
Riffeltorkopf (2236m) via Die Maus, der Tiger und der Käfer (IV+)
Vor einem Jahr habe ich diese Wand recht unschön abgebrochen und war mir ziemlich sicher, dass ich nicht wieder komme. Naja und jetzt bin ich wieder da.
Beflügelt von einem Kletterurlaub in Mallorca ist die Motivation groß in der Heimat noch die eine oder andere Mehrseillänge mitzunehmen, bevor der Winter endgültig hereinbricht. Dass es so ein Höllenritt wird habe ich nicht ganz kommen sehen und muss vor allem feststellen, dass sich eine Wand doch etwas anders klettert als ein Grat oder Türmchen. Vor allem in der Psyche.
Es soll ein sonniger Herbsttag werden und für Marina und mich die erste etwas größere, gemeinsame Mehrseillänge. Wir haben uns auf den Riffeltorkopf eingeschossen. Ein eher unscheinbares, eckiges Wandstück im sehr fotogenen Waxensteinkamm, der von der Zugspitze hinab Richtung Garmisch zieht. Vom Eibsee wird dieser Kamm bestimmt millionenfach fotografiert und suggeriert eine abweisende, senkrechte Felsmauer. Im Detail schlängeln sich hier aber eine Menge Wege und Kletterrouten durch mehr oder weniger ausgeprägte Schwachstellen. Und so überwindet auch die Klettertour Die Maus, der Tiger und der Käfer den stellenweise makellosen Plattenpanzer neben der Riffelscharte in moderater Schwierigkeit. Angepriesen als “eine der schönsten Klettereien dieser Schwierigkeit” steht sie schon länger auf meinem Wunschzettel. Beim letzten Mal wurden diese Pläne vom G7-Gipfel gekreuzt. Das ist diesmal eher unwahrscheinlich.
Mit 9 Seillängen und einem ohne Bahnunterstützung ganz ordentlichen Zustieg jenseits der 1000 Höhenmeter kein ganz kleines Vorhaben. Mit Schwierigkeiten bis IV+ und guter Absicherung aber auch kein ganz großes alpines Abenteuer. Ich bin gerade auf dem Höhepunkt meiner Klettersaison 2022 und war zuletzt auch einige Mehrseillängen in ständiger Führung gegangen. Marina steht im Fels auch deutlich über dieser Tour und hat lediglich etwas weniger Erfahrung im Vorstieg und Standplatzbau. Wir wollen die Sache also ganz entspannt angehen. Im Notfall steige ich die Route komplett vor. Gleichzeitig bietet sich aber bestimmt eine gute Gelegenheit in leichtem Gelände und bei guter Absicherung einen etwas alpineren Vorstieg zu üben.
Wir starten im Dunkeln am Eibsee und stapfen mit unseren schweren Rucksäcken durch den Wald in Richtung Riffelriss. Ein bekannter Weg – alleine dieses Jahr bin ich hier mehrmals in Richtung Zugspitze aufgestiegen. Man gewinnt schnell an Höhe und als wir die Station der Zahnradbahn erreichen ist die Sonne bereits aufgegangen. Viel mitbekommen haben wir davon aber nicht. Zum einen sind wir unter den Westwänden definitiv auf der falschen Seite des Gebirges. Zum anderen muss eine tiefe Wolkendecke das Sonnenlicht abschirmen. Auch an den gegenüberliegenden Ammergauer Alpen kommt kein Sonnenstrahl an. Aber das ist auch nicht schlimm – wir sind definitiv nicht für den Sonnenaufgang hier und der tiefblaue Himmel über uns verspricht nach wie vor einen makellosen Klettertag.
Wir bleiben auf dem Weg in Richtung Riffelscharte, es geht noch kurz durch ein loses Latschenfeld und dann hinaus in das große Geröllfeld.
Vor uns türmen sich die gewaltigen Abbrüche der Riffelwandspitzen auf. Spannend ist hier auch der viele Schrott in der Gegend. Man erkennt den alten Sendemast in der Kletterroute Eisenzeit, die Stollenfenster hoch in der Wand, die Reste von Sprengbahnen und im Schotterfeld unter der Riffelscharte finden sich massive, rostige Drahtseile. Generell viele Spuren der Bahnen und Zugänge zur Zugspitze, die hier doch etwas historischer gewachsen ist und damit für meinen Geschmack wertfrei bleiben. Würde man nun 2023 Gondeln oder Zahnradbahnen auf einen anderen Berg bauen wollen, ist das bestimmt einen Diskurs würdig. Aber die Erschließung der Zugspitze fühlt sich doch sehr abgeschlossen und final an und stört mich auch nicht weiter. Es gibt so viele andere Berge und irgendwo müssen die Leute ja ihr Geld verbraten.
An dem Punkt, an dem der Weg im Geröllfeld merklich nach rechts oben zieht verlassen wir ihn und steuern geradeaus, das gesamte Schotterfeld horizontal querend, auf einen Latschengürtel zu.
Am Latschengürtel wird es unverhofft spannend. Zuerst geht es steil und bröselig auf einem mit ganz viel Kreativität erkennbaren Pfad hinauf. Einige kleine Steinmänner untermauern die zu Tage gelegte Kreativität – zumindest bis zu dem Punkt als wir im steilen Schrofengelände zu hoch steigen. Wir landen kurz vor der Wand auf einem wilden, plattigen Grat. Hier liegen teils haushohe, symmetrische Felsen rum, die irgendwann aus der kompakten Wand gebrochen sein müssen. Als wir auf die andere Seite spähen sehen wir einige Höhenmeter unter uns die markante Einstiegsplatte und auch, dass der kleine Grat ein Stück weiter unten easy zu queren gewesen wäre. Naja. Wir entscheiden uns für eine brüchige Rinne im II. Schwierigkeitsgrat, die bestimmt auch schon einige Male gemacht wurde und erreichen den Schotter unterhalb der Wand. Ich hab in all meinen Bergtouren 2021 und 2022 noch kein dermaßen rutschiges Gelände erlebt. Auf dem sandigen Untergrund hält absolut nichts und wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht gegenseitig kleine Geröllawinen in die Fersen treten. Und überhaupt, wo kommt eigentlich das ganze lose Zeug her? Aus der plattigen Wand über uns doch bestimmt nicht.
Wir erreichen die Platte und sehen den ersten Bohrhaken etwa 4 Meter über dem Boden. Im Internet hatte ich irgendwo gelesen “bei Nässe ist die Einstiegsplatte bestimmt nicht lustig”. Es ist nass.
Aber nur ein bisschen. Und nur in der ersten Seillänge. Zumindest soweit wir das von hier unten überblicken können. Wir bereiten uns vor und ich steige in die erste Seillänge ein. Hier wusste ich noch nicht, dass ich jetzt gute 7 Stunden keinen festen Boden mehr unter den Füßen haben würde und ihn an der einen oder anderen Stelle auch mächtig vermissen werde.
1. Seillänge (IV)
Es dauert genau 2 Meter, bis meine Kletterschuhe nass sind. Auf einer sehr polierten Platte, die von Reibungskletterei lebt, nicht ganz optimal. Der erste Bohrhaken ist trotzdem leicht erreicht, hier findet man noch einige gute Tritte und Griffe. Danach geht es ein gutes Stück nach links, einem schmalen Band / Riss folgend hinaus in die Mitte des Plattenpanzers. So richtig gut läuft es für mich nicht. Obwohl hier laut Topo nur der II. Grad abverlangt wird, fühlt sich die Kletterei äußerst unsicher und rutschig an. Die tatsächliche Nässe an den Kletterschuhen trifft auf die im Kopf konstruierte Unsicherheit. Die Hakenabstände – hier doch recht groß – machen im Sommer aufgrund des leichten Geländes bestimmt Sinn. Ich würde mir gerade trotzdem eine Bohrhakenleiter wünschen und die Motivation mit ordentlich Abstand zum letzten Sicherungspunkt auf der geneigten Platte rumzurutschen hält sich in Grenzen. Ende vom Lied – ich krabbel hier rum wie ein Käfer. Macht der Routenname am Ende also doch noch Sinn?
Man erreicht eine alpine Kreuzung. Mitten in der Platte knickt nämlich unsere Route ab und führt leicht rechts bzw. gerade nach oben an das Ende der Platte heran. Wenige Meter über mir, mündet sie in einem senkrechten, kantigen Kamin. Nach links führen Bohrhaken weiter in die Route “Plattentwist”. Aufgrund ihrer anderen Beschaffenheit (dunkler und älter) grenzen sich diese aber dann doch gut von unserer Route ab und ein ernstes Versteigen in der ersten Seillänge ist relativ schwierig. Aber das letzte Stück auf der Platte, mit einer IV- bewertet, ist für mich in der Situation äußerst gruselig zu klettern. Ich sehe die Wasserrillen die emporführen und weiß, wie diese zu greifen wären. Mir fehlt aber gerade jegliches Vertrauen in meine Füße und vor allem das Schuhwerk, in dem diese stecken. Wahrscheinlich hätte ich hier mit Zustiegsschuhen mit Profil sogar mehr Spaß gehabt.
Der erste, rettende Haken über der Platte ist gut erkennbar und mit einer – bei unserer Begehung – blauen Schlinge markiert. Hier geht es steil aber sehr griffig hinauf, die Tritte halten plötzlich wieder und ich komme wesentlich besser voran. Die Stelle ist mit einer IV bewertet, fühlt sich nach der rutschigen Platte aber deutlich leichter und naheliegender an. Auf einer deutlichen Rampe geht es nach rechts hinaus in die eigentliche Wand und zum Stand hin wird die Kletterei immer einfacher. Mir fällt nur ein winziges Detail auf, als ich einen großen Griff aus der Wand ziehe und dieser auf einem Absatz unter mir aufschlägt. Es ist unfassbar bröselig. Auf kurzen Stücken klettert sich die Wand wie eine senkrechte Wiese, in die ein paar Felsen gesteckt wurden. Als ich den Stand nach der, mit 50 Metern auch ziemlich langen, Seillänge erreiche habe ich irgendwie schon eine Menge erlebt und ein wenig Respekt vor den folgenden 8 Seillängen. Nett hier. Ich hole Marina nach.
2. Seillänge (III)
Als Marina den Stand erreicht, hat sie wesentlich bessere Laune als ich und will die nächste Seillänge vorsteigen. Voll geil – wir machen nochmal kurze Standplatztheorie – diese sind hier eh gut eingerichtet – und schon düst sie weiter über das Schrofengelände hinauf. Vor ihr liegt mit 45 Metern zwar eine erneut lange, im III. Grad aber schön kletterbare und auf den ersten Blick auch trockene Seillänge. Während ich sicherere, schau ich mich etwas um. Im Eifer des Gefechts mit der ersten Seillänge habe ich relativ wenig mitbekommen. Es ist kalt – und ziemlich windig. Unten in Grainau und am Eibsee ist mittlerweile die Sonne angekommen aber die Chancen stehen nicht allzu gut, dass wir sie heute noch zu Gesicht bekommen. Immer wieder schlagen ordentliche Böen in die Wand. An eine Verständigung mit Rufen ist nicht mehr zu denken. Marina erreicht den Stand, wir stimmen uns über’s Handy ab, der Standplatzbau dauert eine gute Weile. Aber das ist alles voll okay. Dafür sind wir ja unter anderem hier. Aber kalt ist es schon. Und echt windig?
Bevor ich nachsteige, checke ich kurz den Wetterbericht. Böen bis 80km/h. Davon war gestern Abend aber noch keine Rede.
Ich steige nach. Die Seillänge ist nicht allzu schwer, stellenweise auch wieder ordentlich brüchig und führt einfach nur durch steile und bewachsene Schrofen. Man hat nicht richtig das Gefühl voranzukommen und das Gelände scheint nicht zu enden. Ungewohnt. Ich war bisher fast nur an Pfeilern, Graten und Türmchen unterwegs in denen sich das Gelände viel kleinmaschiger ändert. Oft auch wesentlich exponierter – davon kann hier nämlich gar nicht die Rede sein. Aber sich durch eine etwas größere und und unübersichtliche Wand zu arbeiten ist auch für mich eine neue Erfahrung und zusammen mit Kälte und den Sturmböen kommt der Riffeltorkopf heute doch recht einschüchternd daher.
3. Seillänge (IV)
Ich steige wieder vor. Nach guten 30 Metern IIIer Schrofen, kreuzt man ein breites Band, welches rechts in einer einfachen Rinne mündet. Auf dem Band ist wieder eine grobe Ansammlung an Schutt und Geröll und wer seinen Sicherer nicht bombardieren will achtet auch hier akribisch auf den Seilverlauf. Gefühlt fliegen einem trotzdem an allen Ecken mal ein paar kleinere Felsen entgegen oder es kracht unter einem und man hat Angst wieder etwas mit dem Seil berührt zu haben, was vielleicht den Seilpartner erwischen könnte. Dahinter geht es nicht in die Rinne sondern über eine kleine aber kleingriffigere Platte. Ich erwische sie einige Meter zu weit rechts, übersehe einen essentiellen Bohrhaken und bin mal wieder viel zu hoch über dem Band und der letzten Sicherung am rumturnen. Als ich den Bohrhaken – bei einer durch meine nicht ganz geschickte Wegwahl, recht kühnen Querung nach links – von oben sehe bin ich bereits 3 Meter über ihm und mir bleibt nur die Flucht nach vorne. Zum Glück ist das Ende der Platte schnell erreicht, ein Bohrhaken taucht auf und es geht in leichterem Gelände zum Standplatz. Richtig im Flow ist das hier aber alles nicht und durch die teils ohrenbetäubenden Windböen fühlt man sich doch relativ alleine. Marina wird es unten am Stand ähnlich gehen.
Die anhaltende Kälte und die immer gleiche Wand machen langsam zu schaffen. Noch nie hatte ich das Gefühl, so zäh vorwärts zu kommen. Und die schattige Wand ist heute kein Ort, an dem man heute lange verweilen möchte – wir sind aber schon einige Stunden hier. Über uns die unveränderte und düstere Weite aus Fels.
4. Seillänge (III)
Marina steigt wieder vor, doch diesmal ist die Wegführung nicht ganz eindeutig. Das Gelände ist zwar leicht aber auch flach und dadurch äußerst unübersichtlich. Ein Tipp für Nachsteiger: man möchte wirklich genau unter die große, schwarze Verschneidung, die über einem in der Wand thront und leicht überzuhängen scheint. Der nächste Bohrhaken ist auf jeden Fall nicht ganz offensichtlich und ein gutes Stückchen über dem Standplatz. Dann verschwindet Marina auch schon aus meiner Sicht und ich friere am Stand vor mich hin. Am Seildurchlauf merke ich, dass Marina zwar schon ein gutes Stück weg ist, nun aber auch merklich langsamer wird und sich bald gar nicht mehr bewegt. Mein Telefon klingelt.
Es ist immer schwierig aus der Ferne Diagnose zu geben. Auf der anderen Seite ist es im Vorstieg oft extrem hilfreich, wenn man seine Probleme einmal nach unten kommuniziert hat und sich gemeinsam eine Strategie überlegt. So richtig helfen kann ich aber nicht – es ist wohl kein Stand zu finden. Um die Ecke peitschen kalte Sturmböen und selbst mit Handy und allerbestem Wetterstein-Empfang ist es nicht ganz einfach zu verstehen was los ist. Nach einiger Suche ist zwar ein Stand gefunden – dieser liegt aber über einen Platte, die den in der Topo angekündigten II. Grad überschreitet. Marina ist sich sicher, in der falschen Route gelandet zu sein. Als ich vorschlage, dass sie mich erstmal an diesen Stand nachholt und wir von dort weitersehen, offenbart sich das nächste Problem. Im Eifer des Gefechts haben wir einen Sicherungspunkt der Ettl-Platte mitverwendet – einen rostigen Normalhaken auf einem Band. Die, durch das flache und unebene Gelände, ohnehin schon große Seilreibung ist so groß geworden, dass Marina das Seil nicht einholen kann. Es besteht also keine Chance, mich auf konventionelle Weise nachzuholen.
Mein Kopf beginnt zu rattern – ich fühle mich verantwortlich für uns und die nicht ganz elegante Situation in der wir uns befinden. Wir sind jetzt bereits 4 Stunden in der Wand. Bereits länger, als die gesamte Kletterei normalerweise dauern sollte. Wir haben uns unten etwas Zeit gelassen und einige Sachen geübt – genau diese fehlt uns nun aber auch ein wenig. Die Tage sind Ende Oktober dann doch etwas kürzer und es liegen noch 5 Seillängen vor uns, die zwar im Mittel etwas kürzer, aber auch etwas schwieriger werden. Der Wind peitscht immer stärker und scheint genau oben um unseren Weiterweg zu toben.
Insgeheim weiß ich, dass die Chance diese Wand heute noch gut gelaunt zu durchsteigen, sehr klein ist. Im Gegenteil – mir ist das Risiko zu hoch. Ich hätte in ständiger Führung noch vorpreschen und die Seillängen klettern können, merke aber, dass ich langsam aber sicher etwas durch bin. Und Marina scheint das auch zu sein. Die Tour war bis hierhin auch nicht schön genug um einen Durchstieg höher zu priorisieren. Wir müssen also irgendwie aus der Wand. Wie passend, dass ich einige Meter zuvor noch Folgendes von mir gegeben habe:
Ja. Musst du jetzt aber.
Abseilfahrt
Marina hat sich zwar schonmal abgeseilt – ist oben aber ziemlich einsam und gestresst als wir beschließen den Rückzug anzugehen. Ich möchte sie ungern alleine die erste Abseilfahrt einrichten lassen und die wichtigsten Punkte via Handy in den Sturm zu schreien hebt die Stimmung auch nur bedingt.
Es wird also ein Mastwurf am oberen Stand und ein Aufstieg am Seil mit Prusikknoten und Abseilgerät. Einen Meter klettern – Seil nachziehen. Einen Meter klettern – Seil nachziehen. Zum Glück ist die Seillänge mit vielen Stellen II – III einfach genug, um auf diesem Wege relativ entspannt aufwärts zu gelangen. Es zieht sich trotzdem und mühsame Arbeit die 40 Meter hinauf zu gelangen. Dort angekommen noch ein paar Notizen für’s eigene Logbuch. Wir waren am richtigen Stand. Die Platte unter dem Stand ist auf perfekter Wegwahl zwar nicht schwer, unter einer II verstehe ich dann aber schon auch was anderes. Marina’s Irritation an der Stelle kann ich schon nachvollziehen – es sind aber auf jeden Fall viele Faktoren zusammengekommen. Wir bereiten gemeinsam die Seile und Abseilgeräte vor und dann verschwindet Marina als erstes hinab Richtung Eibsee und zum Standplatz an dem ich gerade über eine Stunde verbracht hatte. Ich opfere ein erstes Schraubglied – von denen ich 3 Stück als “Notfallmaterial” bei mir führe. Dem Verbindungsseil am Stand trauen wir nicht komplett.
Ich komme nach und wir ziehen die Seile ab. Als uns diese entgegen kommen, fegen sie einen Schwall von Geröll von den Bändern. Wir ducken uns an die Wand, während ringsum bis zu faustgroße Steine in die Wand krachen und ihren Weg ins Tal suchen. Das kann ja ein Spaß werden.
Die zweite und dritte Abseilfahrt verläuft nach dem selben Schema – abseilen, ziehen, ducken. Mein Bestand an Schraubgliedern wird dünner. Als wir wieder den ersten Standplatz erreichen, treffe ich eine sehr ungeschickte Entscheidung. Mein Abitur kann ich auf jeden Fall im Klo runterspülen. Irgendwie habe ich Hemmungen, das Seil einfach über die Kante ins Nichts und über die große Platte zu werfen. Vielleicht weil man nicht sehen kann, ob das Seil reicht? Das macht überhaupt keinen Sinn. Wir sind diese Seillänge in einem Zug geklettert und das auch noch mit einer ordentlichen Kurve über die Platte und die Rampe. Dank Doppelseil können wir die volle Länge auch wieder abseilen. Natürlich reicht das Seil. Es gibt kein Szenario in dem es anders wäre. Aber so schlau bin ich nach nun fast 6 ermüdenden Stunden in Wind und Wand nicht mehr. Stattdessen spukt mir die Schlinge am Ende der Platte im Kopf herum. Das sah doch so aus, als wenn da mal wer abgeseilt hätte. Das habe ich mir doch vorher gemerkt. Die wird schon einen Grund da haben.
Ich entscheide also – unlogischerweise – die letzte Seillänge aufzuteilen und erst schräg an der Rampe zu besagter Schlinge zu gelangen um von dort in gerader Linie über die Platte auf den Boden zu gelangen.
Schon auf dem Weg über die Rampe fällt mir auf, wie saudoof diese Idee war. Die Rampe mündet in einem Kamin unter dem wir stehen würden, wenn wir das Seil abziehen. Falls das überhaupt gelingt füttern wir oben ein Kanonenrohr mit Munition, die uns unten kaum verfehlen kann. Die strahlende Schlinge aus meiner Erinnerung von vor 6 Stunden ist eine morsche, verblasste Reepschnur an einem Bohrhaken. Wenn ich mich hier mit meiner Rastschlinge einhänge, berühren meine Füße nicht die Platte. Ich hänge komplett dämlich in einem scharfkantigen Kamin. Keine Chance, dass es vernünftig wäre sich hier zu zweit anzuhängen. Wir könnten ja einfach weiter auf den Boden? Nun traue ich der Länge des Seils noch weniger und diesmal vielleicht sogar zu Recht. Da die erste Seillänge in einer Kurve verläuft liegt unser Ausgangspunkt ein gutes Stück höher als die Stelle an die wir hier in gerader Linie abseilen könnten. Ungeschickt. Als Marina in Sicht- und Hörweite ist beichte ich meine Fehleinschätzung. Und die Tatsache, dass ich mich hier wohler fühlen würde, wenn wir wieder an den Stand hoch krabbeln und das Seil doch direkt über die Platten werfen. Wir müssen uns wirklich zusammenreißen. Eigentlich wollen wir einfach nur raus aus der Wand und der Boden ist zum greifen nah – aber diesmal hab ich Quatsch gemacht und so erhält das Abenteuer Riffeltorkopf eine letzte, ungewollte Verlängerung.
Mit letzter Kraft und Nerv gehen wir am Seil wieder rauf. Ich werfe die Seile über die Kante und seile in die überdimensionale Platte ab – und sehe die Seilenden am Boden liegen. Endlich fällt die Anspannung der letzten Stunden ab.
Zurück geht es auf der direkten Linie. Die Gratrippe überqueren wir diesmal an der richtigen Stelle und surfen dann im steilen, feinen Geröll der Riffelriss dem Eibsee entgegen. Die Höhenmeter fliegen so vor sich hin. Im Wald geht es dann auf kleinen Pfaden zurück und der Blick schweift immer wieder zurück zur Wand, in der wir die Verschneidung auch aus der Ferne noch sehen. Hier endete unsere Tour. Es hätte von hier gesehen nicht mehr viel gefehlt. Aber wer weiß.
Als wir das Auto am Eibsee erreichen dämmert es bereits. Wir waren über 12 Stunden auf den Beinen und standen fast durchgehend unter Strom. Eine Pause oder einen Moment der Ruhe hat es bis zum erreichen des Bodens nicht gegeben und insgesamt 7 Stunden in der Wand waren viel mehr, als wir uns für heute vorgenommen haben. Unterm Strich bin ich aber, trotz der auf dem Papier nicht ganz glorreichen Begehung, ziemlich stolz auf unsere Nerven. An den entscheidenden Punkten haben wir einwandfrei funktioniert und das obwohl sicher auf beiden Seiten Frust und Unbehagen vorhanden waren. Es ging stets darum gemeinsam wieder aus der Route zu kommen – die Fehler des jeweils anderen tolerierend und Lösungen suchend. Und so war es doch in Summe ein abenteuerlicher und lehrreicher Tag am Berg, bei dem wohl der Weg das Ziel war.
Schwierigkeit, Versicherung und Material
Die Route ist gut versichert, die Bohrhaken wirken neuwertig und sind an den Standplätzen doppelt vorhanden. Die Abstände sind in Ordnung, stellenweise sicher eher alpin. Das sollte in dem Gelände aber auch keine weitere Überraschung sein. Zusätzliche Absicherung lässt sich für mein Empfinden kaum sinnvoll anbringen.
Ich war heilfroh mit Doppelseilen unterwegs gewesen zu sein und die volle Länge abseilen zu können – mit einem Einfachseil wären wir ganz schön aufgeschmissen gewesen. Die Stände sind nicht zum abseilen eingerichtet. In den unteren hängen nun meine Schraubglieder, ich würde aber doch behaupten, dass es eine dieser Touren ist die man lieber zu Ende bringt und auch mit den entsprechenden Reserven plant. Allein wegen des allgegenwärtigen Steinschlags. Die tatsächlichen Kletterstellen sind im mir bekannten Teil überschaubar und im Schnitt eher leicht. Bei Nässe wird es auf den Platten recht ungemütlich – die grasigen Schrofen oben werden dann aber auch keinen Spaß machen.
Zusammenfassung
Ich möchte nicht über die Route urteilen, bevor ich sie einmal ganz geklettert bin. Es gehört aber auch zur Wahrheit dazu, dass ich die untere Hälfte als sehr unlohnend empfunden habe und das nicht aufgrund der Bedingungen. Die Platte am Einstieg ist bestimmt eine eindrucksvolle und lässige Seillänge, aber was danach kommt ist erstmal nur stumpfes, langatmiges und – das stetige Steinschlagrisiko bedenkend – nicht völlig ungefährliches Schrofengekraxel. Hinter unserem höchsten Punkt wäre die Linie auf einer schönen Platte leicht rechts ums Eck und in einen etwas anderen Wandteil verlaufen. Ob die Kletterstellen dort noch für die holprigen Längen unten entschädigt hätten? Ich werde wieder kommen und es ausprobieren. Für “eine der schönsten IVer Touren” und den im Sommer scheinbar ordentlichen Andrang reicht es für mich aber absolut nicht. Da kenne ich bereits mit meinem überschaubaren Horizont wesentlich schönere Bergfahrten in der Region. Selbst wenn ab jetzt jede Seillänge ein Traum wäre – der Anteil an eher grenzwertiger Kletterei ist mir vermutlich dennoch zu hoch, um hier gerne wieder einzusteigen.
Falls man am Einstieg eine andere Seilschaft über sich sieht, kann ich nur empfehlen, die Beine in die Hand zu nehmen. Wir haben den Routenverlauf auch ohne Abseilerei schon mit ordentlichen Geschossen bombardiert und waren heilfroh, dass niemand unter uns war. Wen man einigen Berichten glaubt, geht es im oberen Teil ähnlich weiter und gerade in den letzten Seillängen gibt es einige prädestinierte Flecken für Unfälle mit fliegenden Griffen.