Riffeltorkopf (2236m) via Umleitung zum Glücklichsein (VII+)
Riffeltorkopf (2236m) via Umleitung zum Glücklichsein (VII+)

Riffeltorkopf (2236m) via Umleitung zum Glücklichsein (VII+)

Ich sitze in der Bahn. Ich habe aufgehört zu zählen, wie viele Signalstörungen und Zugwechsel ich schon hatte. Mein Ticket mit ICE und Sitzplatzreservierung ist lange obsolet. Eigentlich geht es um eine Strecke, die mit dem Auto in 3 Stunden gemacht ist. Es ist Montag. Es ist kein Wintereinbruch, kein Hochwasser und kein Sturmtief. Es ist einfach nur Montag. Ich bin jetzt seit 7 Stunden unterwegs, habe Kopfweh und hoffe vor Mitternacht wieder nach Garmisch zu kommen. Manchmal könnte man auch einfach zu Hause bleiben. Zu Hause. Da wo der Riffeltorkopf steht.

Der plattige Würfel über dem Eibsee. Schauplatz zahlreicher Dramen und Hochgefühle. Alpiner Meilenstein. Eines der letzten ungelösten Prob…

Okay. Falscher Berg.

Sonnenaufgang auf dem Weg zum Riffelriß

Zumindest ist der Plattenpanzer des Riffeltorkopfes Schauplatz einer der ganz großen Klettereien in einem sehr durchwachsenen Sommer 2024. Erst vor einer Woche hat uns ein Gewitter im Abstieg vom Sonnenspitzl beeindruckt – mit gewaltigen Wasserkaskaden in den Wänden über Ehrwald und reichlich (und leider in diesem speziellen Fall auch tödlichem) Blitzschlag am Gipfel der Zugspitze. Was aus sicherer Entfernung für Manche ein eindrucksvolles Spektakel ist, arbeitet in mir noch ein wenig nach. Fakt ist, dass für die ganz großen und auch mal anhaltend dem Wetter ausgesetzten Unternehmungen bisher kaum Platz war. Und so sehen wir uns wieder mit so einem Tag konfrontiert – Gewitter ab 14:00. Vielleicht auch ab 12:00. Ganz bestimmt aber ab 16:00. Oder vielleicht auch gar nicht.

Zum Glück gibt es dahoam im Wetterstein ein reiches Angebot an begeisternden Linien. Wir entscheiden uns heute für eine, von der wir uns (mit etwas Optimismus) ausrechnen schnell genug zu sein und bei der wir zwar lange im Schatten umherkrabbeln, dafür aber nach Westen die perfekte Sicht auf jede Form von anfallendem Wetter haben. Kurzum – es geht mal wieder zum Riffeltorkopf, an dem ich schon lustige und weniger lustige Momente verbracht habe.

Ausgedacht haben wir uns die “Umleitung zum Glücklichsein”, welche 2010 von Stephan Grashey und Michael Geldmacher eingerichtet wurde. Mit 400 Klettermetern ist sie einer der längsten Wege durch die markante Wandflucht und hält sich dabei ziemlich konsequent in dem nicht gerade einladenden Plattenschild auf, welches die Skyline über dem Eibsee ziert. Und auch wenn die Schlüsselstelle im oberen 7. Grad in leichtem Gelände umgangen werden kann – eine 7- ist in mindestens zwei Seillängen obligatorisch zu Klettern. Wenn man guckt, was wir sonst so treiben: kein Selbstläufer. Wenn man guckt, wie arg ich vor einer Woche in einer wettersteinschen 5- gezittert hab: gar kein Selbstläufer.

Zustieg

Mit einem Gewitter im Nacken warten wir natürlich nicht auf die erste Zahnradbahn in Richtung Riffelriß um dann mit der Gemütlichkeit entsprungenem Zeitdruck in die Wand einzusteigen. Besagte Zahnradbahn ist aber durchaus der Grund, weshalb Routen wie Die Maus, der Tiger und der Käfer boomen und gleichzeitig ein brauchbares Werkzeug um seine eigene, antizyklische Begehung zu planen.

Wir stapfen also auf bekannten Wegen vom Eibsee los. Wir sind heute zu viert unterwegs was oben aber ohnehin in zwei Zweierseilschaften zerfällt und der sonst kargen Wand etwas zusätzliches Leben einhaucht. Zurück zum Zustieg. Die Piste empor. Am Gartenzwerg vorbei. Check – steht noch und ist stabil. Dann direkt vor dem Grenzübergang nach Tirol nach links über Serpentinen und Querungen zu den Gleisen der Zahnradbahn. Über die Gleise und weiter in Richtung Riffelscharte. Zieht sich doch ein wenig. Irgendwann taucht die Riffelreiße auf – ein Paradeschotterfeld für eine rasante Abfahrt ins Tal, dessen Querung dann aber doch ein wenig Sorgfalt erfordert.

Leichtes Schrofengelände überwindet den kleinen, sperrenden Felsriegel und schon steht man vor der Wand, an dessen Fuße nochmal 50 – 60 Höhenmeter in überraschend losem Schotter abzusteigen sind.

Der Einstieg zur Tour ist relativ schnell gefunden – am besten prägt man sich einfach den markanten Riss der ersten Seillänge ein. Dieser ist in der plattigen Wand auf jeden Fall gut und bereits aus der Ferne auszumachen. Frische Bohrhaken bestätigen die Wegwahl. Wir bestücken unsere Gurte und die Seilschaft Simon & Jonas starten in die Wand. Hannah und ich folgen und in alter Tradition fällt Hannah die 1. Seillänge zu.

1. Seillänge (IV+)

In hübscher und recht einfacher Kletterei geht es in den bereits hier unten am Wandfuß beeindruckenden Plattenpanzer hinein. Der markante Riss klettert sich dabei fast einfacher, als die Draufsicht vermuten lassen würde. Immer wieder gibt es feine Tritte, Griffe und Ruhepositionen. Die Hakenabstände sind absolut in Ordnung – im “leichten” Gelände aber weiter auseinander, als es in den höher liegenden und schwereren Seillängen der Fall sein wird. Die Standplätze sind an Bohrhaken eingerichtet und mit Seil- bzw. Schlingenmaterial unterschiedlicher aber meist guter Qualität verbunden. Insgesamt finden wir in der gesamten Tour einwandfreies Material vor – von (teilweise berichtet) abmontierten Bohrhakenlaschen fehlt zumindest Stand Juli 2024 jede Spur.

Während Simon und Jonas schon in die zweite Seillänge starten holt Hannah auf und mich nach. Sonst ist die Wand noch leer – der Trubel in den beliebten Routen scheint wirklich im größeren Stil von der Zahnradbahn abgewickelt zu werden. Geschmacksache. Denn für später einsteigende Seilschaften in der leichteren Nachbarroute bedeutet das heute eine saftige Dusche, die wir im Abstieg beobachten können. Der Neid um den verkürzten Zustieg, hält sich in Grenzen.

Leichtes Gelände zum 1. Standplatz
2. Seillänge (VI+)

Wir wechseln die Führung und ich schaue mir die 2. Seillänge an. Direkt im oberen 6. Grad angesiedelt liegt eine gewisse Spannung in der Luft – denn diese Seillänge wird wahrscheinlich ein ganz brauchbarer Indikator dafür sein, was in der noch langen Wand über uns noch zu leisten ist.

Zunächst geht es über eine begeisternd raue Platten leicht linkshaltend in die Wand. Geil. Begehungsspuren gibt es keine und die Platten lassen sich auf dem fast schon gefährlich scharfen und aufgerauten Fels ideal steigen. Dann steilt das Gelände auf und leitet in einen kurzen aber steilen Doppelwulst. Die erste Stufe, laut Topo irgendwo im 6. Grad, lässt sich ziemlich gut klettern und fällt dank guter Griffe und Tritte auch nicht wirklich schwer aus.

Man gelangt auf ein kleines Band, welches über einen kurzen Überhang verlassen werden soll. Die Stelle ist mit einem kurzen Fixseil entschärft und ließe sich damit A0 überwinden – das ist aber etwas eigenartig, weil wenig später auch schwerere Kletterei ohne Fixseil absolviert werden muss. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf gehe ich die stelle frei an und stelle erstaunt fest, dass ich sie auch mit reichlich Reserven frei klettern kann. Direkt im ersten Anlauf finde ich den hohen Tritt, blockiere kurz einen kräftigen Zug und finde weitere Henkel über dem Überhang. Kurz irgendwo schieben. Bisschen drücken. Herrlich raue Tritte treten. Oben.

Hey lässig, das macht richtig Spaß!

Von dem kleinen Absatz weg führt die Route noch durch eine kurze aber äußerst spaßige, übergroße Wasserrille, die eher einem Kamin ähnelt. Mit ihren grotesken, fließenden Formen und verschwenderischen Henkeln erinnert sie fast ein wenig an die Tafoni-Strukturen, die wir im Frühling auf Korsika genießen durften. Eine kurze Postkarte aus dem Süden – in einer noch relativ kühlen Westwand des Wettersteingebirges.

Hannah steigt souverän nach und kommt auch ohne A0-Fixseil durch den kleinen Aufschwung. Keine große Überraschung. Die kommt erst noch.

3. Seillänge (5+)

Während der Tiefblick in der glatten Wand bereits beachtliche Dimensionen angenommen hat bekommt Hannah die nächste wirklich tolle Seillänge serviert. Dass der Fels vor allem im unteren Teil der Wand bombenfest ist muss ich wohl kaum noch erwähnen. Wir stellen aber auch begeistert fest, dass es bisher kaum “fades” Gelände gab und auch der Blick nach oben wenig davon verspricht. Jede Seillänge ist für sich ansprechend und verknüpft über interessante und abwechslungsreiche Klettermeter die meist recht gemütlichen Standplätze.

Für Hannah geht es nun also linkerhand in eine markante Wasserrille. In dieser steigt sie auf, bis es in etwas blockigeren Gelände nach rechts unter einen weiteren Aufschwung geht. Die letzten Meter zum Stand sind durchaus trickreich – lösen sich an grandiosen Griffen und im bereits gewohnt rauen Wettersteinkalk ideal auf und sind ein schöner Kontrast zu der Reibungskletterei zum Beginn der Seillänge.

4. Seillänge (ca. VI-, Zwischenstand)

À propos Reibungskletterei…

Der Jonas, den man gerade aus einer solchen fluchen hört, hat immer noch seine schweren Bergstiefel an. Neu sind die auch. Schick sehen sie auch aus. Und sie werden gerade in einer 7- Platte eingelaufen. Ist nur so ein Detail am Rande – macht die folgende, kollektive Missinterpretation des Topos aber umso lustiger.

Wir gehen nun also davon aus, dass wir zwei Seillängen im Grad 7- vor uns haben. Das sind theoretisch auch die schwierigsten Einzelstellen der ganzen vertikalen Wanderung – die höher liegende 7+ kann nämlich über die namensgebende Umleitung wesentlich einfacher umgangen werden. Diese zwei Seillängen sollen bei identischer Schwierigkeit recht unterschiedliche Kletterei bieten: zunächst gilt es eine glatte Platte mit Tropflöchern zu überwinden und die zweite Seillänge soll dann eher kräftig und steil daher kommen. Nur blöd, dass wir auf einen Zwischenstand reinfallen, den auch Simon und Jonas bereits bezogen hatten:

Ha! G’schenkt!

Ich steige also in die Seillänge ein, die formal durchaus zu der Beschreibung passt. Irgendwie plattig. Nur viel zu einfach. Ich erreiche einen kurzen Aufschwung auf eine um einen Meter höher liegende Platte und erwarte hier die Schwierigkeiten im Bereich 7-. Kurz sauber hinstellen und in der Platte eine kleine Leiste finden und über die Kante schieben. Aufstehen. Standplatz.

Während Hannah meinen gar heldenhaften Vorstieg bejubelt wundere ich mich ein bisschen darüber, dass ich gerade allerhöchstens im oberen 5. oder unteren 6. Grad unterwegs war. Von meinem Standplatz geht es erneut geneigt und plattig empor – von kräftiger bis überhängender Kletterei der zweiten 7er Länge fehlt jede Spur. Jonas wiederum – einige Meter höher und bereits jenseits der Plattenkletterei löst das Rätsel mit dem entscheidenden Hinweis:

DaS iSt kEiNe FüNFplUSssS!1

Ein Blick auf’s Topo räumt alle Zweifel aus. Ich bin bisher nur die erste, kaum erwähnenswerte Hälfte der 4. Seillänge geklettert, die am Stück 40 Meter messen würde. Und Jonas hängt oben in der korrekterweise zweiten 7- Länge, in die er im Glauben nun im 5er Gelände hinter den schweren Längen zu sein erneut mit schweren Bergstiefeln angegangen ist. Alles Paletti am Riffeltorkopf also.

Etwas Gutes hat die Sache aber wirklich – zum einen tut der Zwischenstand keinem wirklich weh und bietet sich in Sachen Seilverlauf sogar durchaus an. Zum anderen sind wir nun unverhofft wieder in dem Rhythmus, den wir ohnehin für geeigneter gehalten haben. Hannah ist nämlich gravierend stärker auf Platten und Zehenspitzen, während ich neuerdings aus irgendeinem Grund halbwegs performant in kräftiger Rupferei bestehe.

5. Seillänge (VII-)

Hannah startet in die markant schwierigere und für uns nun 5. Seillänge. Der Fels ist unfassbar rau und scharf – etwas Anderes bekommt man auf den nächsten 20 Metern aber auch nicht. Ziemlich sorgfältig arbeitet sie sich durch das filigrane Gelände, das sich in meinen weichen Mythos-Schlappen schon am oberen Ende der Komfortzone bewegt. Nicht nur einmal bin ich im Nachstieg am wackeln und staunen.

Obwohl die Platte nach oben hin steiler wird, wird sie auf dem Weg dorthin auch subtil einfacher. Das liegt vor allem daran, dass besagte Tropflöcher im steileren Fels einen Hauch tiefer ausfallen und sich stellenweise sogar beinahe Tritte und Griffe finden lassen, die diesen Namen verdient haben.

Hannah in der 7- Platte & damit irgendwie auch in ihrer Königsdisziplin

Man darf aber definitiv wohlwollend feststellen, dass die Absicherung hier Bestens ist und die Haken wirklich sehr eng gebohrt sind. Die Platte ist zudem massiv rau und nicht zu steil – die richtig schwere Passage beschränkt sich auf einen Meter in der unteren Hälfte. Beinahe eine Rundum-Sorglos-Platte. Denn eigentlich wäre eine solche Stelle prädestiniert für moralische Strecken zwischen den Haken oder wenigstens polierte Tritte. Nichts davon trifft auf dieses Stück Fels in der Umleitung zum Glücklichsein zu. Sauber klettern muss man trotzdem.

Am Ende der Platte lehnt sich das Gelände für ein paar Meter zurück und rechterhand am Fuße des nächsten Aufschwungs befindet sich der Standplatz. Ein wenig Vorsicht ist angebracht – hier, im Gehgelände, versteckt sich eine der wenigen Passagen, in denen auch etwas loses Geröll auf dem Weg liegt.

6. Seillänge (VII-)

Ja okay – und das kommt jetzt auch hin…

Denn diese Seillänge soll steil und athletisch sein und verspricht in der Draufsicht genau das zu halten. Nachdem Jonas sich hier bereits mit Bergstiefeln hochgekämpft hat und Simon ihm gefolgt ist gehe ich den Vorstieg der für uns 6. Seillänge an.

Die Stelle ist ein kompletter Stilbruch zur vorherigen Plattencrux und liegt mir definitiv mehr – entpuppt sich im Onsight-Versuch aber doch als einigermaßen unübersichtlich und kühn. Die Absicherung ist erneut ideal und an Haken mangelt es wirklich nicht. Bloß eine zentrale Schuppe, die ein wichtiger Griff und Tritt zu sein scheint ist bei unserer Begehung aber dermaßen locker, dass ich mich nicht traue sie zu belasten und zu riskieren, dass Hannah das Ding abbekommt. Mein Flug mit einer sehr ähnlichen aber weniger wackeligen Schuppe in der sardischen Zanahoria liegt noch nicht so lange zurück.

Die Umgehung dieses Henkels fällt dann doch recht filigran aus – eingespreizt in das abdrängende Wändchen steige ich erst über rechts ein und hangel mich dann an kleinen und nicht immer soliden Leisten zurück nach links. An einer kurzen, sehr unübersichtlichen Passage brauche ich eine Pause bevor es mir gelingt mich mit Maximalkraft an den schmalen Rissen hochzuziehen und wieder nach rechts in etwas einfacheren und henkligeren Fels zu gelangen.

Hat man das glatte Wändchen überwunden, so liegt das Schwerste bereits hinter einem. Es wird zwar nicht wirklich übersichtlicher – dafür aber einen Hauch flacher und griffiger. Ziemlich am Limit folge ich einer vagen Verschneidung über die Kante und zurück in das gewohnte Plattengelände. Endlich lässt sich auf der nächste Wandabschnitt einsehen – inklusive der optionalen Schlüsselstelle.

Im Topo wird hier oben nochmal eine 6- veranschlagt – ich empfinde die Kletterei hier aber als einfacher. Schöne Henkel und Absätze führen durch geneigte Platten zum Standplatz – ein wirklich angenehmer Abschluss einer Seillänge, die zu Beginn durchaus ein wenig Kraft und Gewalt erfordert.

Leichtes Gelände nach dem pumpigen Wändchen

7. Seillänge (V+)

Hannah geht die nächste Seillänge an, die mir beinahe am wenigsten in Erinnerung geblieben ist und sich im Eifer des Gefechts auch wesentlich einfacher anfühlt. Gut, der meiste Fels auf dem 42 Meter langen Weg zum nächsten Standplatz pendelt sich irgendwo zwischen dem 3. und 4. Grad ein. Irgendwo mittendrin versteckt sich ein kurzer Aufschwung auf einer kniffligen Platte – dieser geht aber im sonst flowigen Genussgelände unter und stellt uns – und vor allem Hannah im Vorstieg – vor keine nennenswerten Herrausforderungen.

Eindrucksvoll – Blick in den weiteren Wandverlauf mit seinem markanten Plattenschild und über die 7. Seillänge im flacheren Gelände

8. Seillänge (V)

Ich kraxel weiter, übersteige nochmal eine kurze, feine Plattenzone und gelange dann auf ein etwas rustikaleres Schotterband unter dem gewaltigen Plattenpanzer, der hier ansetzt und wie eine gigantische Welle einmal durchs Blickfeld zieht. Gebrochen wird er nur an wenigen Stellen über markante Risssysteme. Ein solches verwendet auch unsere Route.

Auf dem Band angelangt hat sich der Tourismusverband Garmisch-Partenkirchen ein ganz besonderes Highlight ausgedacht. Hier liegt ein Haufen instabliler Schrott rum – genau da, wo man eigentlich gerne in die Risspur starten würde. Ich gehe den Haufen von Rechts an und balanciere auf ihm unter den Riss. Die Klettertechnik dürfte als innige Umarmung durchgehen, ziehen mag man an den vielen Blöcken eher nicht. Schon gar nicht, wenn noch jemand unter einem in der Wand ist.

Ziemlich genau aus dieser Ecke hat mich ein (ich hoffe doch) unbeabsichtigt gelöster Block von Jonas und Simon wenige Minuten zuvor nur haarscharf verfehlt. In der Route liegt wirklich nicht viel rum – aber falls etwas fliegt, nimmt es ziemlich gnadenlos Fahrt auf, wird seine Richtung einige Male markant ändern und dabei einmal komplett durch die Route und bis zum Einstiegsbereich am Wandfuß bügeln.

Im Vergleich zur vorherigen Länge fällt diese zumindest Hannah’s und meiner Ansicht nach gravierend anspruchsvoller aus. Für die mit einem glatten 5. Grad zweiteinfachste Länge zeigt der hier gewählte Weg in den Plattenpanzer nämlich durchaus Zähne. Der Riss ist stellenweise unübersichtlich und nicht überall fest – klettert sich aber dennoch spektakulär steil. Gar so viele Haken gibt es hier auch nicht – immer noch genug aber ich spüre, dass ich von den vorherigen Seillängen nun ein klein wenig verwöhnt bin und diese Einstellung rasch wieder ablegen sollte.

An einem sperrenden Block wird der Riss dann nach rechts in die Platte verlassen. Hier gibt es gute Tritte um in eine große, brüchige Delle rechterhand zu gelangen – luftig und präzise ist die Kletterei dennoch. Am Ende einer wirklich abwechslungsreichen und unerwartet fordernden Länge erreiche ich den Standplatz mit dem gelben “Umleitung”-Schild, an dem sich auf Jonas und Simon noch tummeln. Die Entscheidung ist noch nicht gefallen, ob nun jemand von uns wirklich bekloppt genug ist, die seichte Wasserrille (7+) der gemütlichen Umleitung im 4. Grad vorzuziehen.

Hannah am Ende der 8. Seillänge und kurz vor der Querung – für den 5. Grad dann doch einigermaßen interessant

9. Seillänge (VII+)

Klimmzug an der Käsereibe

Simon steigt in die Seillänge ein und bastelt sich irgendwie von Haken zu Haken – mit einigen Pausen. Woran er sich festhält oder worauf er steht ist weder zu erkennen noch nachzuvollziehen. Wer diese “Kletterei” zu Hause nachmachen möchte, kann einfach eine Käsereibe an der Decke befestigen und daran Klimmzüge machen. Für ein noch authentischeres Erlebnis, bietet es sich an im Landebereich für die Füße ein paar einzelne, kleine Legosteine vorzubereiten. Jeder braucht ein Fetisch.

Während Hannah also noch im Nachstieg unterwegs ist erreicht Simon mit einem absolut respektablen Vorstieg den Standplatz und holt einen Jonas nach, der nun nach 8 Seillängen doch noch die Kletterschuhe aus dem Rucksack holt.

Hannah entscheidet sich dafür, die absurde Seillänge auch zu probieren. Absurd ist sie gar nicht mal wegen dem Fels – sowas kann man schon klettern, wenn man darauf steht. Oder wenn man muss. Aber die Umleitung, eine ebenfalls mit Bohrhaken abgesicherte Variante auf der linken Seite – führt durch eine so aufdringlich logische, intuitive und naheliegende Schwachstellen in der Wand, dass man wirklich annehmen muss, dass der direkte Weg durch die Käsereibe eher aus einem Witz heraus entstanden ist.

Komplett begeistert bin ich nicht – denn falls Hannah mit der Nummer durchkommt lastet auf mir auch der Druck im Nachstieg zu ihr aufschließen zu können. Wir einigen uns auf den Versuch und ich habe im Hinterkopf, dass ich im Notfall einfach am Seil hochlaufen kann. Hannah schnürt ihre Schuhe nochmal extra hübsch und balanciert vom Stand weg in die Käsereibe-Wasserrille. Ich geb ihr langsam Seil raus und stelle mich darauf ein, dass wir nun eine Weile hier beschäftigt sein werden. Ich hatte ja auch bereits die Mühen der Seilschaft vor uns mitbekommen.

Staaaand.

Für mich ist nicht (be)greifbar, welchen Schalter Hannah umgelegt hat um diesen wilden Streifen Fels in einem Zug und ohne irgendein Zögern durchzusteigen. Mit guten 300 Metern Luft unter den Sohlen stapft sie die messerscharfen, winzigen Strukturen hinauf, die einen hier an der sonst spiegelglatten und auch einigermaßen steilen Wand halten. Viel zu schnell bin ich an der Reihe – immer noch verblüfft über das, was ich gerade gesehen habe.

Mein Nachstieg ist dann weniger ruhmreich. Einige Meter versuche ich noch die feinen Strukturen am Fels zu klettern – dann fackeln mir Nerven und Zehen gleichermaßen ab und ich arbeite mich mit Seilzug in die etwas einfachere Rissspur am Ende der Käsereibe. Hier darf auch nochmal anhaltend und präzise geklettert werden – im Vergleich zu der ersten Hälfte der Seillänge gibt es aber wieder sowas wie Griffe und Tritte.

Ich schließe zum Standplatz auf und habe Nichts als Respekt für meine (Seil-)Partnerin, die ich gerade in einem extrem starken Moment bewundern durfte. Wie wertvoll diese Erfahrungen sind – und wie schön es ist jemanden so ungefiltert und pur zu erleben. In einer guten Seilschaft beruht das auf Gegenseitigkeit und ich bin immer wieder begeistert, wie fließend jeder von uns durch starke und weniger starke Momente geht und wie selbstverständlich und vertraut wir darauf reagieren und uns gegenseitig auffangen oder anfeuern.

10. Seillänge (V+)

Mit dem Wissen, das nun nicht mehr viel Spannendes passieren dürfte cruise ich in die 10. Seillänge. Hier geht es recht gemächlich in gewohnt plattiger Kletterei durch festen Kalk – mit einigen trickreichen Einzelstellen kleingriffiger Natur. Ganz oben nimmt die Schwierigkeit auf einer Platte nochmal kurz zu und erinnert an eine abgeschwächtes Reprise der Käsereibe. Dann geht es über brüchiges Gehgelände zum Standplatz vor der letzten, nennenswerten Seillänge.

Am Ende der 10. Seillänge wartet etwas Gehgelände und Geröll

11. Seillänge (VI)

Hannah verschwindet im weißen Kalk und bringt das zu Ende, was sie eine ausgiebige Felsfahrt früher am Wandfuß begonnen hat. Die letzte “richtige” Seillänge ist nochmal ordentlich schön und fasst eigentlich alles zusammen, was wir in der Umleitung zum Glücklichsein erlebt haben. Platten, Risse, Leisten, Wasserrillen und überaus rauer Fels. Man folgt dabei grob dem Verlauf eines vagen Pfeilers und gelangt an einen kleinen Überhang, der nochmal im 6. Grad angesiedelt ist. Ich gehe diesen im Nachstieg relativ weit links an und überliste ihn über eine Rissspur – man kann aber auch direkt durch.

Auf einem Band finden wir den letzten Standplatz und das Routenbuch vor – einen Eintrag gibt es Mangels technischem Verständnis für den Öffnungsmechanismus der Büchse aber nicht. Sonst hätte wir natürlich erwähnt, was für eine geniale Zeit wir in dieser Tour hatten und was für eine lässige Führe die Erstbegeher hier hinterlassen haben.

Nebenan steigt zeitgleich auch die Seilschaft aus der Ettl-Platte aus und macht ein paar Fotos von mir im Nachstieg.

Wanderlustig

12. Seillänge (I-II)

Der Rest ist geschenkt – durch eine etwas brüchige aber einfache Rinne führt Gehgelände in die grasdurchsetzten Schrofen des Gipfelplateaus am Riffeltorkopf. Den einen, großen, glänzenden Standplatz sollte man hier nicht mehr suchen. Es gibt zwar einen – geradeaus auf einem Absatz. Hier steigt aber gerade die Seilschaft aus der Nachbarroute aus. Ich biege nach links ab und erreiche über eine kurze, einfache Verschneidung die Wiese und reichlich Abstand zu den Abbrüchen. An einem eher subtilen Haken hole ich Hannah nach und exakt als wir die Seile verstaut haben rauscht der obligatorische Mittagsschauer in die Wand. Die Seilschaft, die ziemlich spät (bzw. mit Zahnradbenutzung natürlich bei erster Gelegenheit) in die benachbarte Die Maus, der Tiger und der Käfer eingestiegen sind bekommt die Dusche noch voll in den oberen Plattenlängen ab.

Abstieg

Zum Glück gewittert es noch nicht und wir können den mit Stahlseilen versicherten Riffelschartensteig relativ sorglos angehen. Rasch sind wir wieder auf Höhe der Riffelreiße und zünden den Schotter-Turbo ins Tal.

Dank Idealkörnung, hat man hier nämlich die einmalige Möglichkeit fast 500 Höhenmeter in wenigen Minuten abzusurfen. Eine der ergiebigsten Schotterpisten im mir bisher bekannten Wettersteingebirge. Die Kraft- und Streckenersparnis ist brachial und ein kurzes Latschendickicht später befinden wir uns schon direkt unter der Zugspitz-Gondel und folgen einer kleinen Pfadspur zurück zum Eibsee.

Der Tag endet mit einem Sprung in den erfrischenden Eibsee – das Gewitter klemmt heute nämlich doch ein wenig und der kurze Gipfelschauer bleibt der einzige Niederschlag des Tages. Und mit einem Kuchen in Grainau. Irgendwie war es dann doch eher ein Umweg zum Glücklichsein – die Umleitung haben wir ja leider verpasst.


Schwierigkeit, Versicherung und Material

In meinen Augen eine wirklich beeindruckende, abwechslungsreiche und ziemlich schöne Linie durch eine beeindruckende Wand – die sich dank guter Absicherung und überschaubaren objektiven Gefahren auch einigermaßen sportlich und genüsslich angehen lässt. Die Schwierigkeiten sind vielerorts eher human. Selbst über die 7+ Seillänge liest man sowas – von Leuten die härter Klettern oder öfter in diesem Grad unterwegs sind. Mag sein. Sie bedient aber auf jeden Fall einen sehr spezifischen Kletterstil den man klettern können und wollen muss. Das wird bestimmt nicht auf jeden zutreffen und ist eine einwandfreie Existenzberechtigung für die deutlich logischere und dem Fluss folgende Umleitung.

Einige der leichteren Seillängen wirken bezüglich ihrer Schwierigkeitsbewertung ein wenig gewürfelt und man sollte die Angaben aus dem Topo nur als groben Richtwert verstehen – da man ohnehin deutlich schwerer klettern darf und muss ist das aber eigentlich auch egal. So kamen mir persönlich etwa die zweite (6+) und vorletzte Länge (6) recht einfach vor, während die auf dem Papier relativ unscheinbare Länge vor der Umleitung (5) zumindest Hannah und mir vergleichsweise spannend und ein wenig unterbewertet erschien. Die beiden 7- Seillängen sind die unangefochtenen Schlüsselstellen und in ihrer Natur sehr unterschiedlich – dem Hallen- und Sportkletterer wird aber vermutlich die zweite und steilere Länge mehr liegen als die Plattencrux zuvor. Grundsätzlich sind die schweren Passagen oft einigermaßen kurzweilig – der größte Anteil der Route spielt sich gefühlt im oberen 5. Grad ab.

Die Absicherung ist für die Länge der Tour exzellent – an den schweren Stellen stecken solide Haken in engen Abständen und selbst im leichteren Gelände empfand ich die Abstände noch als vergleichsweise gutmütig. Eine Sonnenzeit – die in ihrem Format und Fels einige Ähnlichkeiten mit der Umleitung zum Glücklichsein hat, habe ich da viel spannender in Erinnerung. Klar – es darf auch mal ein paar Meter vom Haken weggeklettert werden – aber eigentlich nie so, dass man zusätzlich etwas legen wollen würde. Man liest stellenweise von fehlenden Haken – solche sind uns nicht aufgefallen. Wir hatten deshalb auch ein reduziertes Sortiment an Klemmzeug dabei und haben dieses nicht benötigt. Beim nächsten Mal würde ich es wahrscheinlich vollständig daheim lassen. Nur ein paar lange Expressschlingen machen Sinn um die eine oder andere Kurve abzufangen – verwinkelt ist die Route aber keinesfalls.

Zusammenfassung

Rückblickend wohl eine der größten, interessantesten und ergiebigsten Felsfahrten des Bergsommers 2024 – mit zwei super lässigen Seilschaften in einer ebenso lässigen Wand und Führe und einem magischen Moment im oberen 7. Grad.

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2 Kommentare

    1. Jan

      Hey Andi,

      danke für deinen Kommentar! Der Abstieg ist für Alles, was irgendwie von der Riffelscharte zurück in Richtung Eibsee soll genial – wenn man Schotter abfahren kann geht das unglaublich fix und elegant. Der Pfad, auf den man unter der Seilbahn trifft, ist dann in vielen Karten ohnehin wieder eingezeichnet. Bloß im Aufstieg soll das (Gerüchten zufolge) bös anstrengend sein 😉

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