Am 24.06.2023 sind die Sonnenwendfeuer in Ehrwald. Die traditionellen Bergfeuer sind weit über die Grenzen von Ehrwald bekannt und lockt Jahr für Jahr mehrere tausend Zuschauer in den Ort am Fuß der Zugspitze. Damit haben sie es auch in die Liste der UNESCO für immaterielle Weltkulturerben geschafft. Als eine der ersten kulturellen Tätigkeiten.
Die Stimmung an einem hoffentlich sommerlichen Abend im Talkessel zwischen Mieminger Kette und Wetterstein muss man mal erlebt haben. Überall in den Hängen und Bergen werden riesige Bilder aus Fackeln organisiert und in komplizierten Figuren und Symbolen angeordnet. Die Berge sind voller Menschen, die sich um diese Feuer kümmern. Selbst in entlegene Wände und auf wilde Grate schaffen es die kleinen Feuer, die allesamt zeitgleich entzündet werden. Der Plan, sich dieses Spektakel mal anzusehen ist – vorsichtig formuliert – ein wenig eskaliert. Und so sind wir am Ende einer langen Wandkletterei mittendrin in einer Welt aus Fels, Alpenglühen, Feuer und Tradition. Aber eines nach dem anderen.
Der Weg dahin hatte es in sich und war für uns nochmal eine neue Dimension an Mehrseillänge.
Genau genommen war es der erste, vorsichtige Versuch den 6. Grad im Fels in längere und alpine Mehrseillängen mitzunehmen. Wir hatten sowas auf dem Papier zwar schonmal gemacht – allerdings überwiegend in Sportklettertouren oder in Arco mit minimalen Anstiegen. Der Gesamtanspruch, zunächst weit jenseits der 1000 Höhenmeter zuzusteigen, dann 700 Meter zu klettern und die Schlüsselstellen mehr oder weniger zwingend überwinden zu müssen ist neu für uns.
Die Sonnenzeit an der Ehrwalder Sonnenspitze, dem Matterhorn Ehrwalds, hat sich in vielerlei Hinsicht qualifiziert. Sie ist eine recht lange und eindrucksvolle Linie durch die in der Draufsicht recht erdrückende Westwand der Sonnenspitze. 2005 erstbegangen definitiv auch noch kein abgegriffener Klassiker. Sie liegt damit in und um Ehrwald. Das war für den Tag der Bergfeuer eine nicht verhandelbare Minimalanforderung. Sie hat eine gute Absicherung mit Bohrhaken (deren Abstände aber Gerüchten zufolge nicht unterschätzt werden sollten). Und sie ist mit nur zwei Seillängen im 6. Grad und viel leichter Kletterei drumherum eine brauchbare Symbiose aus Anspruch und Gelände in dem wir uns schnell und sauber bewegen können. Soweit die Theorie.
Zustieg
So ganz knusprig war die Idee nicht, die Tour über den Hohen Gang anzugehen – unsere überaus bewährte Allzweckwaffe um schnell in den Kessel um die Instagram-Spots Seebensee und Drachensee zu gelangen. Zumindest wenn man sich jeglicher Bahnfahrt und E-Bike-Benutzung verweigert. Denn so werfen wir hinter der Coburger Hütte und nach Durchschreiten der Biberwierer Scharte einige Höhenmeter weg, die wir uns durch einen Direktanstieg von Biberwier auch hätten sparen können.
Es ist ein ordentlich heißer Sommertag – das Wetter ist absolut stabil vorausgesagt und im Wald unter dem Hohen Gang hält sich schwüle, drückende Luft. Wir sind froh, als wir dem bekannten, drahtseilversicherten Steig durch die Schwachstellen der Seebenwände folgen und der eine oder andere kühlere Zug durchs Tal weht. Es ist ziemlich voll. Wir überholen eine (gefühlte) Schulklasse mit (gefühlten) 100 Teilnehmern auf einer (verfrühten) Feierabendtour und reihen uns dann zwischen Wanderern und Klettersteiglern ein. Für die Zwillingsseile auf dem Rucksack ernten wir wie so oft kritische Blicke und investigative Fragen:
Einfach ja sagen.
Eigentlich wäre ich hier so spät gar nicht mehr unterwegs, aber da wir es heute darauf ankommen lassen wollen und die Mehrseillänge eher auf den Nachmittag und den Sonnenuntergang geplant haben, gibt es für mich wirklich kein Argument um 3:00 Nachts zu starten. Auch wenn ich das sehr dringend wollen würde.
Wir rauschen am Seebensee vorbei, schlagen uns durch die nie wirklich schönen Serpentinen unter der Coburger Hütte und verlassen den Trubel dort in Richtung Biberwieder Scharte – der Durchschlupf nach Westen, welcher die Sonnenspitze vom Rest der Mieminger Kette trennt. Im Süden spielen kleine Wolken mit den schroffen Gipfeln. Im Norden werden gewiss einige Drohnen über den Seebensee gejagt, wovon wir aber nicht mehr mitbekommen. Etwas verspätet beginnt nun das Eintauchen in Natur und Bergwelt, Abenteuer und Einsamkeit. Hab Bock.
Tatsächlich war ich davor zwar schon oft hier in der Arena um die Coburger Hütte. Etwa zu einer rustikalen Wintereröffnung oder am Normalweg zur Sonnenspitze. Die Biberwierer Scharte ist sich dabei noch nie wirklich ausgegangen und ist ein unbeschriebenes Blatt für mich. Als wir sie erreichen und zum etwas schlotterigen Abstieg ansetzen steht das Fazit fest. Hübsch hier. Sehr schartig.
Als wir das enge Felsentor hinter uns lassen und ins offenere Schotterfeld hinablaufen taucht rechts langsam aber sicher die Westwand der Sonnenspitze auf. Leck ist die groß. Hier wird einem auch sehr direkt klar was mit “einem vagen Pfeiler” gemeint war, dem die Sonnenzeit folgen soll. Ein massiger, runder und in der Draufsicht sehr üppiger Pfeiler zieht durch die Westwand, mündet in einer Schulter und verläuft sich dann in steilerem Gelände. Und im unteren Teil der Wand entdecke ich zwei Kletterer in unserer Route. Wir dürfen uns also auf etwas Steinschlag freuen. Aber vor allem freuen wir uns auf den überdimensionalen und plattigen Durchstieg der Westwand. Für die Mieminger Kette – die ich sonst als oft eher brüchig kennenlernen durfte – wartet hier nämlich überwiegend bombenfester und rauer Fels und sämtliche Schlüsselstellen sind einwandfreie Plattenkletterei. Bereits in der Draufsicht verspricht der Pfeiler ziemlich kompakt zu sein.
Da wir von oben kommen funktioniert die herkömmliche Zustiegsbeschreibung nur bedingt. Wir sind aber auch nur mäßig scharf darauf mehr Höhenmeter wegzuwerfen als unbedingt notwendig. Es liegt immer noch ein langer Tag vor uns. Wir steigen die brüchigen Serpentinen ab, bis der Steig hinauf in die Biberwierer Scharte eine lange und recht gerade Querung des Schotterfeldes vollzieht. Dort biegen – immer pausierend wenn Wanderer unter uns queren – in einer direkten Linie zum Pfeiler auf. Es gibt bestimmt einen anderen, schöneren und offizielleren Zustieg. Zumindest sind oben subtile Pfadspuren auszumachen auf die wir aus einem Latschendickicht heraus treffen. Wo die herkommen – keine Ahnung – geht halt zum Konkurrenzblog.
Bisher verlassen wir uns ziemlich auf unser Gespür und vermuten den Einstieg korrekt etwas über dem Schotterfeld und den Latschen. Leicht rechts der Falllinie des großen Pfeilers gibt es ein vorgelagertes Wändchen, welches von rechts über eine Rampe / Rinne erstiegen werden kann. Am höchsten Punkt dieser kleinen Rampe – auf der anderen Seite geht es wieder steil runter – finden wir ein kleines Plateau, einen Bohrhaken, alte Schlingen und mit Blick nach oben auch unseren Einstieg. Easy. Im Panico ist das recht treffend dargestellt – zum Glück hatte wir uns genau das vorher nicht allzu gut angeschaut.
Wir seilen an und Hannah steigt die erste Seillänge vor. Wir haben uns diesmal sogar ein oder zwei Gedanken gemacht – in diesem Rhythmus überschlagend geklettert kriege ich die beiden Schlüsselstellen der Tour um die Ohren gehauen. Ich hatte in den letzten Wochen ein wenig mehr Freude an klettertechnischen Herrausforderungen, die wir bei weiten Hakenabständen in einem für uns so recht neuen Schwierigkeitsgrad auch bestimmt finden werden. Am Gurt hängen neben einigen Exen diesmal auch verschiedenste Cams und Keile, wobei letztere nicht zum Einsatz kommen werden. Erstere sehr wohl.
1. Seillänge (V)
Die erste und mit 50 Metern recht lange Seillänge startet entspannt. Tatsächlich sind alle Seillängen in dieser Route lang – die kürzesten messen 45 Meter. Es wollen mit insgesamt 15 Seillängen immerhin knapp 700 Meter überbrückt werden. Zur Longline fehlt vielleicht noch etwas – eine gute Tagestour ist das allemal.
Zunächst geht es aber über festen, gestuften Kalk im Bereich III bis IV zu der kleinen Schlüsselstelle unmittelbar unter dem Standplatz. Mit zwei, an sehr passenden und logischen Stellen sitzenden, Bohrhaken wird eine kurze, plattige Stelle gemeistert. Rechts gibt es einen kleinen Überhang / Verschneidungsbereich, der zu Beginn und zu Ende der Schwierigkeiten ein paar gute Griffe und Tritte abwirft. Dazwischen geht es kurz an Rissen über die gemütliche Platte und in einer vagen Rechtskurve zum Standplatz. Wirklich eine hübsche V zum reinkommen – eine der sehr leichten im internationalen Vergleich und soweit ich das überschauen kann. Wir sind uns da relativ einig und umso motivierter für das was kommt.
Während ich sichere schweift mein Blick immer wieder zu dem irren, gestreiften Turm am Einstieg. So ein kleines Detail. Von unten war er vor der Wand kaum auszumachen – hier oben eine wirklich verrückte Laune der Natur. Weiß jemand, ob es eine Route durch das Dach gibt? Ich frag für einen Freund.
2. Seillänge (IV+)
Kaum ist die Einstiegswand mit ihrem durchgehenden und tollen Fels überwunden, befinden wir uns in flacherem und botanischen Gelände. Ich schnappe mir das scharfe Ende vom Seil und düse links eines Blocks an dem der Stand ist eine leichte und brüchige Rinne (II) auf ein Band. Die Seilführung korrigiere ich direkt. Es wäre wohl eher vom Stand nach rechts gegangen. Total egal. Die beiden Varianten treffen sich auf einem leicht ansteigenden, gestuften Quergang in dem sich vereinzelte Bohrhaken finden lassen. Für uns passt die Absicherung hier noch völlig. Alles weitere würde der Seilreibung bestimmt nicht gut tun und das Gelände ist überwiegend wesentlich einfacher. Die angegebene Schwierigkeit – so scheint es – konzentriert sich hier unten bislang auf einzelne Züge innerhalb der langen Seillängen. Keinesfalls auf die ganze Seillänge.
Am Ende der Querung geht es über eine griffige aber etwas zugewucherte Rinne hinauf zum Stand. Erneut befindet sich der Haken an der richtigen Stelle und versichert einem, dass man noch in der Route ist. Am Scheideweg hatte ich nämlich zwei Rinnen zur Auswahl und habe mich (nicht mehr 100% sicher) korrekt für die rechte(?) der beiden entschieden. Begehungsspuren am Fels kann man hier nicht folgen. Die Route fühlt sich herrlich rau, jung und ursprünglich an. Was durch einen kurzen Abstecher durch die Hecke unterstrichen wird.
Mit einem schrillen Pfeifen saust ein faustgroßer Stein durch die Luft. Er ist weiter oben bereits abgeprallt und sicher 20 Meter von der Wand entfernt. Mein gerufenes “Steeeeeein” ist ebenso obsolet wie zu spät. Wir haben immerhin zwei Seilschaften über uns, die aber vermutlich schon in den Ausstiegslängen sind. Es wird das einzige Ereignis dieser Art bleiben – dennoch darf man durchaus darauf hinweisen, dass die Route bei gewissem Andrang ihre Risiken birgt und es vor allem im oberen Teil nicht immer vermeidbar ist Steine loszutreten. Das meiste davon wird zum Glück von einer Schlucht neben der Route geschluckt.
3. Seillänge (III)
Eine lange und schrofige Seillänge mit einer kurzen Plattenstelle, die mir zum Verhängnis wird. Als Hannah den rechten Weg – etwas rechtshaltend – zum Standplatz gefunden habe und ich nachsteige leiste ich mir meinen ersten “Sturz” in einer Mehrseillänge. Die Platte hatte nämlich (und die Betonung liegt auf hatte) eine dieser super lässigen, scharfen Kanten, die einem Griff in der Kletterhalle ähneln. Ihr wisst schon. Die Teile die mit der Platte verwachsen sind und immer halten. Der Stoff aus dem Pockets und Fingerlöcher gemacht sind. Ich verlasse mich auf den Griff, ziehe mich auf die kurze Platte und staune nicht schlecht als der Griff mit einem kurzen Scheppern aus der Platte fliegt. Ich mit ihm. Gut ich bin im Nachstieg und im beinahe Gehgelände. Anstatt zu fallen rutsche ich allenfalls wieder zurück zum Beginn der Platte wo mich der Boden und das Seil fangen. Spannend.
Hannah hat davon oben am Stand nicht viel mitbekommen. Ich kraxel schnell weiter – bin insgeheim aber doch etwas beeindruckt. Natürlich wäre ich seilfrei vorsichtiger geklettert, hätte vielleicht etwas weniger gezogen und etwas mehr auf die obligatorischen drei Punkte geachtet. Aber das war einer der Griffe, die ich nicht überprüft hätte. Und auch nicht überprüfen hätte können. Das Ding war fest. Bis es nicht mehr fest war. Beste Bedingungen und beste Gedankenspielen für die anstehende Schlüsselseillänge der Sonnenzeit. Und meinen bis heute wildesten Vorstieg.
4. Seillänge (VI)
Ich erzähle Hannah von meinem Abenteuer an der Platte, während ich mich aufmache eine noch viel plattigere Platte anzugehen. Bereits in der Draufsicht wird klar, dass die Kletterei hier sehr plötzlich sehr deutlich anzieht. Vor uns türmt sich ein geschlossener Plattenpanzer auf. Die Bohrhaken führen direkt mittig durch zunächst makellos und spiegelglatt wirkenden Kalk und dann zu einem Risssystem, welches in einer markanten Schuppe mündet. Ich gehe vom Stand ein Stück nach links, wo ein etwas höherer Vorsprung den leichtesten Übergang auf die Platte vermittelt. Hier stehe ich eine Weile. Und finde keinen rechten Weg hinein in die Reibungskletterei.
Ich suche links in einer seichten Verschneidung nach einer Lösung. Zu weit vom Bohrhaken und nach oben hin aussichtslos. Das macht keinen Sinn. Ich suche nach Tritten an der Platte – irgendwas, das mir den Zug an einer kleinen Leiste auf die glatte Oberfläche entschärfen könnte. Gut eigentlich ist die Stelle eh schon entschärft – nämlich von einem erreichbaren Bohrhaken. Auf die Platte kommen um weiter zu klettern müsste man halt trotzdem noch.
Am Ende überwinde ich mich zu einem relativ wackeligen und kräftigen Zug auf die Platte, bleibe dort irgendwie kleben und erreiche die guten Griffe der Risse. Trickreich. Wenn auch kurz. Die Schuppe bzw. ein überdimensionaler Riss im Zentrum der Platte ist dann ein ganz passabler Brotzeitplatz innerhalb der Seillänge. Ich staune aber nicht schlecht, als ich feststelle, dass ich hier fast schon zu hoch bin und nochmal nahezu grifflos auf Reibung auf winzigen Unebenheiten 2 Meter nach links tänzeln darf. Etwa dort, wo im nachfolgenden Bild der Busch ist geht es weiter.
Auf die Platten folgt eine kurze, etwas abdrängende Verschneidung (manch einer würde auch Überhang sagen) die auf die nächste Platte führt und die sonst homogen schwierige Seillänge für ein paar Züge unterbricht. Ich lege hier eine #2 Cam zu Beginn der Verschneidung, welcher relativ sinnfrei ist. Einen Meter später finde ich einen alten Schlaghaken.
Die zweite Platte bricht meine Vorstiegsmoral. Ich lege noch eine Sicherung an einem kleinen Köpfl, da ich den Abstand zum Schlaghaken in der Verschneidung schon ganz in Ordnung finde. Danach erreiche ich einen Bohrhaken auf der Platte und sehe bereits den nächsten und letzten Haken der Seillänge über einem geneigten, glatten Stück funkeln. Aber die glatte Kletterei dazwischen lächelt mich absolut nicht an. Wie so oft im Eifer des Gefechts wird es eine Umgehung. Ich denke, da gibt es noch ein bisschen was zu lernen. In der Route bleiben – bei der Absicherung bleiben und sich auf die Linienführung des Erstbegehers einlassen. Sowas ist aber vermutlich leichter & der Kopf kühler, wenn man sich nicht schon Meter für Meter bis zu diesem Punkt gekämpft hat. Im Nachhinein würde ich die Tour gerne nochmal wiederholen und die Stelle richtig klettern. Aber in dem Moment tänzel ich instinktiv nach rechts und verfolge einen steilen Riss, den ich erst ganz oben mit einem #1 Friend abgesichert bekomme ins leichtere Gelände. Was wird das gewesen sein…vielleicht eine V+? Ebenfalls schön zu klettern, ebenfalls fest und ebenfalls anspruchsvoll. Aber eben nicht exakt die plattige Linie, die hier vorgesehen war. Aber in dem Moment war mir klar, dass ich mich eher durch den steilen Riss arbeiten würde als auf der Platte rumzurutschen. Und der Bauch hat die Logik überrumpelt.
Hannah folgt souverän und klettert eine dritte Spur – irgendwo zwischen meinem Riss und der Plattenstelle der Tour. Als wir den Stand erreichen steht trotzdem fest – ziemlich sportliche VI. Zumindest der Vergleich mit unserem Stammklettergarten hinkt (wie so oft) ganz ordentlich.
5. Seillänge (III)
Wenn man sich den 3. Grad ganz doll wünscht findet man ihn vielleicht. Zumindest bekommt Hannah hier wieder eine einigermaßen fade Seillänge mit überwiegend bis durchgehend Gehgelände vererbt. Ich hab fast schon ein schlechtes Gewissen. Und biete ihr später an die zweite 6er Seillänge vorzusteigen – worum ich nach der ersten gar nicht mal so traurig wäre.
Die Platte in der Mitte der Seillänge wird also Wahlweise links oder rechts umgangen. Irgendwo findet man einen Bohrhaken. Und wenn man ihn nicht findet, ist eigentlich auch nicht schlimm. Was man auf jeden Fall findet ist der Standplatz, welcher recht frontal vor einem System aus Überhängen und Wulsten liegt. Diesen großen Riegel gilt es nun irgendwie zu überwinden und in der Draufsicht ist gar nicht so klar, wie und wo das “einfach” möglich sein soll.
6. Seillänge (V+)
Der Vorstieg fällt wieder mir zu. Auf einem Band geht es einige Meter nach rechts bevor eine steile Verschneidung ansetzt. In ihr – etwas höher als gehofft – steckt der erste Bohrhaken. Ich verschwende ein wenig Zeit bei dem Versuch unten noch irgendwo einen brauchbaren Klemmkeil zu hinterlassen, gebe auf und steige ohne Zwischensicherung zum Bohrhaken weiter. Die feste und relativ entspannte Kletterei lässt das in jedem Fall zu. Dank der zueben überquerten Wiese geht die Exposition für einen kurzen Moment gegen Null.
Die Seillänge führt dann nach Rechts in eine breitere Rinne, die vermutlich relativ mittig an Leisten geklettert werden möchte. Ich übersehe den in ihrer Mitte steckenden Bohrhaken tatsächlich für einen Moment und setze mich dafür ganz intensiv mit einem brüchigen und nassen Riss links der Rinne auseinander. Es reicht trotzdem um dort die notwendige Höhe zu machen, zum Haken in die Mitte der Rinne zu queren und dann den Absprung nicht zu verpassen. Es geht nämlich nicht, wie man im Rausch des Klettern vermuten könnte, geradewegs weiter durch die Rinne sondern relativ bald nach rechts raus. Ein mit Schlinge markierter Bohrhaken lockt auf ein spannendes, etwas abdrängendes und schmales Band. Kurz nach rechts queren und dann geradeaus auf erneut feste, kompakte Platte und ein kurzes Reibungsfinale. Ganz großes Kino – für mich in Summe sogar eine der spannendsten Seillängen der Tour. Was vermutlich vor allen an den vielen verschiedenen Passagen liegt. Trotz angemessener Absicherung werde ich oben raus noch einen lila Totem los. Mein Liebling mittlerweile. Der geht irgendwie immer.
7. Seillänge (V)
Hannah legt einen sauberen Vorstieg vor und arbeitet sich schnell durch das plattige, raue und kleingriffige Gelände. Gerade in den ersten Metern verstecken sich ein paar durchaus interessante Stellen und Züge. Wie die Seillänge zuvor zählt auch diese zu den schönsten. Sehr homogene, durchgehend interessante aber nirgends richtig schwere Kletterei. Zum Ende hin haben wir – zum ersten Mal heute – kurz Schwierigkeiten den Standplatz auszumachen. Er versteckt sich – mit reichlich Abstand zum letzten Bohrhaken – eher links auf einem Vorsprung und ist beim anklettern nicht direkt zu sehen. Man neigt rasch dazu ihn zu überklettern – wie es Hannah letzten Endes auch passiert. Sie findet die Bohrhaken der folgenden Seillänge bevor sie den Stand findet. Faustformel wäre wohl sich am Ende der Platten und mit Ansteilen des Geländes nach ca. 30 Metern etwas nach links zu orientieren. Das lässt sich aus der Topo zwar auch grob abschätzen – das Gelände ist hier aber relativ weitläufig. Ansonsten sagen Bilder mehr als tausend Worte:
Ich steige nach und bin ebenfalls begeistert. Vom rauen Fels und tollen Gelände und wilden Weiten dieses Pfeilers. Es klettert sich – zumindest an diesem Tag – wirklich einsam und abgeschieden in einer wahnsinnigen Szenerie. Die Kälte und der leichte Wind, welche wir so zwar provisorisch einkalkuliert aber nicht erwartet hatten, sorgen zusätzlich für den etwas epischen Anstrich. Rechts von uns baut sich der Wampeter Schrofen immer gewaltiger auf und erweckt zumindest in Hannah ganz arge Besteigungsambitionen. Kurz vor dem Standplatz sammle ich erneut den lila Totem ein. Ist halt einfach ein geiles Gerät.
8. Seillänge (VI)
Die zweite Seillänge im 6. Grad steht an und die Erwartungen liegen nach der Ersten im unteren Teil dann doch recht hoch. Die Bohrhaken führen deutlich – und in meiner Wahrnehmung auch in etwas kürzeren Abständen nach links. Zunächst wird ein kurzer, kleingriffiger und etwas trittarmer Aufschwung überwunden.
Aus meiner großspurigen Ankündigung wird wie so oft nichts. Aber das Ritual hat sich eingebürgert und nach Mitteilungen dieser Art fühlt man sich direkt ein paar Gramm leichter. Ich folge den kleinen Griffen und Tritten über den Aufschwung und lege einen kleinen #0.4 Cam dazwischen.
Dann wird es kurz leichter und eine winzige Rampe führt nach links zu etwas, was ich sofort treffend identifiziere:
Das Wort war irgendwo im Netz mal gefallen. Aber von der Topo her hatte ich auf einen geraderen Verlauf getippt. Stattdessen geht es hier vergleichsweise gut abgesichert aber filigran fast waagerecht nach links. Stellenweise klebe ich voll ausgestreckt in der Wand und versuche die teils abdrängenden Stellen zu meistern. Mal ist es Balance auf kleinsten Einbuchtungen in der Platte, mal sind es feine Leisten, die die Stellen auflösen. Wie ein Ballerina tänzel ich auf Zehenspitzen Zentimeter für Zentimeter auf eine Einbuchtung zu, die ich als Ende der Schwierigkeiten ausmache.
Ich liege damit richtig und freue mich über eine vorgelagerte Kante, die ich zu fassen kriege und nicht gesehen hatte. Sie entschärft den letzten und wahrscheinlich kniffligsten Meter der Querung in dem einmal sauber den Schuhen vertraut werden darf. Dann geht es einfach und griffig in einer vagen Rinne geradewegs zum Standplatz. Natürlich nicht, ohne davor den lila Totem gelegt zu haben. Was denn sonst. Für mich ist die Tour an der Stelle gelaufen und die Anspannung, die einen oft bis zur Schlüsselstelle begleitet fällt ab. Die zweite 6er Länge war rückblickend ein gutes Stück einfacher und genüsslicher und alles was jetzt folgt sollte den 5. Grad nicht mehr überschreiten.
Schade ist, dass man die Seillänge vom Standplatz nicht mehr einsehen kann. Ich hätte wirklich gerne gesehen, wie Hannah die Stellen, die ich mit maximaler Reichweite überbrückt habe mit 20 Zentimetern weniger angegangen ist. Auf jeden Fall steht sie kurz darauf bei mir am Stand.
9. Seillänge (III)
Eine ausnahmsweise mal authentische 3er Länge führt durch eine leichte, nicht überall feste Rinne auf die Schulter.
10. + 11. Seillänge (seilfrei, I-II)
Von unten ist kaum zu erahnen, welche große, flache Picknickwiese sich hier oben in der Wand versteckt. Wir haben relativ wenig Lust hier Stände zu bauen, nehmen etwas Seil auf und stapfen über die extrem brüchige Schrofenlandschaft auf den zweiten Teil der Wand zu. Das ganze in möglichst gerader Linie. Als wir ihn grob erreichen, legen wir eine kurze Rast ein. Diese besteht vor allem daraus sich möglichst so im Schotter zu verspreizen, dass man nicht mit ihm runterrutscht. Gemütlich geht anders. Und trotzdem ist das langsam notwendig, das Frühstück ist schon lange her und seitdem wurde eigentlich pausenlos gewandert oder geklettert.
Ich bin tatsächlich kurz etwas nervös. So richtig Entspannung tritt in der Bröselwiese, die zwar im Kontext der übrigen Wand halbwegs flach ist aber wahrscheinlich immer noch als einwandfreies Absturzgelände durchgeht, ohnehin nicht ein. Aber von einem Spur oder Bohrhaken der Fortsetzung ist bisher auch keine Spur zu sehen. Und auch hier ist es sehr weitläufig – an dem breiten Wandfuß könnten überall und nirgendwo Kletterrouten ansetzen.
Meine Beunruhigung löst sich beim Weitergehen sehr schnell in Wohlgefallen auf. Oben an der Wand – also wirklich an dem Punkt an dem man wieder klettern müsste – ist ein subtiles Band, welches nach links führt. Und dort – von unten etwas schwierig einzusehen – hängt auch schon der nächste Standplatz an einem Block. Einwandfrei. Ran an den Endspurt – in der mittlerweile wärmenden Nachmittagssonne liegen nun noch 4 Seillängen vor uns.
12. Seillänge (IV)
Hannah stiegt vor, da ich den Stand gefunden und dann das Seil zu mir eingeholt hatte. Es geht leicht ansteigend aber deutlich linkshaltend durch die gestufte Wand. Als ich nachsteige kommen mir kleinere Aufschwünge dieser Seillänge gar nicht so leicht vor. Es ist alles gut kletterbar – aber eben nicht mehr ganz so flüssig wie zu Beginn. Wahrscheinlich bin ich langsam aber sicher müde & die Konzentration ist nicht mehr völlig da. Ein kurzer Spreizschritt um ein Eck wird zu einer kleinen Crux, in der ich mich einen Hauch schlechter anstelle als ich gehofft hatte und so laufe ich wenig später am Standplatz mit Wandbuch ein.
13. Seillänge (V)
Ich führe nochmal eine hübsche und relativ einfache Seillänge an, die nun zunächst etwas einen Aufschwung links überwindet und dann wieder einen leichten Bogen zurück nach rechts schlägt. Die Kletterei ist vielerorts leicht und gestuft, löst sich nach oben aber in einem hübschen, kleinen Kaminfinale auf. Als Hannah ein paar sehr fotogene Schnappschüsse später den Standplatz erreicht, stellt auch sie die Frage der Fragen.
14. Seillänge (V)
Eine wieder hübsche, plattige Seillänge führt zum letzten Standplatz. Eigentlich nochmal richtig nette Kraxelei, wobei die 4 Ausstiegsseillängen in meiner Erinnerung zu einem unförmigen Knödel verschmolzen sind. Ich kann keine einzelnen Züge oder Passagen rekapitulieren – vielleicht weil es auch wenig gab was wirklich aufgefallen ist. Die Absicherung ist hier aber vergleichsweise dankbar und die Kletterei weiterhin schön. Auch wenn die Aufnahmefähigkeit langsam aber sicher ein wenig getrübter ist.
15. Seillänge (V+)
Das Finale der Sonnenzeit ist in einer Online-Topo nochmal mit VI- angegeben, Panico sagt V+ und hat damit meiner Meinung nach auch recht. Ich überlasse Hannah diese Seillänge, weil wir hoffen, dass sie so auch nochmal eine kleine Herausforderung im Vorstieg abgreifen kann. Der Plan geht aber nur mäßig auf – die Herausforderung ist vor allem pfadfinderischer Natur, als Hannah über der Einstiegsplatte und nach einer kurzen Schuppe nach leicht links (falsch) bzw. gerade hoch (auch falsch) abbiegt.
Eine kurze Platte direkt über dem Stand ist nochmal etwas filigraner zu kraxeln und wir vor allem an einigen feinen Leisten überwunden. Vergleichbar mit den schweren Seillängen unten ist das leider nicht und die wenigen anspruchsvolleren Meter sind rasch überwunden. Danach lehnt sich das Gelände deutlich zurück und man erreicht über die vom Stand einsehbare Schuppe ein weitläufiges, flaches Plateau. Dieses hat Hannah folglich auch nach oben in die Steilwände unter dem Grat gelockt. Irgendwo muss ja noch die VI- kommen. Aber die bleibt aus und bald finden wir den leichten aber luftigen Quergang nach rechts, der über ein paar gutmütige Platten zum Aufstieg auf der selben Höhe führt. An der letzten Platte gibt es beim ersten Zögern ein obligatorisches “wie bist du denn da jetzt rübergekommen”. Gefolgt von einem “können wir bitte abseilen”. Doch dazu kommt es nicht und ich schließe schnell zu Hannah an den uns bereits bekannten Aussichtspunkt am Südgrat der Sonnenspitze auf.
Es ist der Punkt, an dem man beim klassischen Anstieg von Süden (II+) zum ersten Mal einen Tiefblick nach Biberwier, Ehrwald und in die Westabbrüche werfen kann. Hier laufen an einer kurzen Stelle Normalweg, Südgrat und Sonnenzeit zusammen und kumulieren an einem Brotzeitplatz im besten Licht. Zumindest für uns. Und das reicht heute und nach der ausdauernden Kletterei allemal.
Normalweg zur Sonnenspitze
Der Tag ist noch nicht ganz zu Ende. Zumindest sind wir jetzt in der perfekten Ausgangslage, die Bergfeuer vom Matterhorn Ehrwalds zu bestaunen und ganz aus Versehen mittendrin statt nur dabei zu sein. Aber Stress haben wir auch keinen mehr. Die Schwierigkeiten sind gemeistert, zur Sonnenspitze fehlen uns noch 10 Minuten auf bekannten Wegen und auch der nordseitige Abstieg sollte (auch im Dunkeln) keine nennenswerten Überraschungen mit sich bringen. Zumal wir die Sonnenspitze erst ein paar Wochen zuvor gemeinsam auf diesem Weg überschritten hatten.
Gurt ausziehen, Kleinigkeit essen, trinken (völlig vergessen in der Wand), Zeug einpacken, besser nochmal trinken. Und dann geht es in die letzten Meter zur Sonnenspitze, während die schroffen Gipfel der Mieminger Kette gegenüber in der goldenen Abendsonne strahlen. Und wir strahlen bestimmt auch ein bisschen, denn das war eine unserer ganz großen Touren bisher. Möge es nicht die letzte gewesen sein. Nach all der Kletterei und dem zahlreichen Felskontakt ist das leichte und gestufte Gelände hier ein Selbstläufer. Wir folgen dem ausgetretenen Quergang in eine steile Schlucht und verlassen die Pfadspuren an ihrem Ende um eine direktere Linie auf Gipfel einzuschlagen. Abgeguckt haben wir uns das letzte mal und die leichte Kletterei im II. Grad (ansonsten wäre eigentlich nur noch Schrofensteigen und I gefordert) geht sich eh noch aus.
Wir erreichen – wenig überraschend – den Hauptgipfel. Das Gipfelkreuz steht ein wenig vorgelagert und einen Hauch tiefer und muss über ein kurzes, luftiges Gratstück erklettert werden. Eine irre Vorstellung, dass das vor weniger als einem Jahr noch das höchste an Exposition und Schwierigkeit war. Dazwischen liegt eine steile Lernkurve im Klettern, ein paar anspruchsvollere Touren, eine Bergpartnerin, die die Karten neu gemischt hat und die absolute Vertikale der Dolomiten. Und so ist der Grat heute nur noch der Abstieg vom Abstieg vom Abstieg. Was ihn wahrscheinlich sogar gefährlicher macht als vor einem Jahr. Routine ist was ganz gemeines. Vor allem auf 20cm gelbem Kalk. Daran versuche ich mich immer wieder zu erinnern. Aber gleichzeitig ist es beflügelnd zu erleben, wie wenig ich diese Welt hier vor einem Jahr auf dem Schirm hatte und wie wenig von all dem ich mir zugetraut hätte. Immerhin liegt die Wiege von all dem – eine Panikattacke am Ettaler Manndl im Frühling 2021 – auch noch nicht so lange zurück.
Interessant finden wir, dass wir den Gipfel für uns alleine haben. Ein Bergsteiger ist an unserem Brotzeitfleck noch über den Normalweg aufgestiegen – er wird schon wieder im Abstieg sein. Aber sonst? Ich weiß auch nicht was wir erwartet hatten, aber irgendwie hätte ich gedacht, dass hier wenige Stunden vor der Zündung schon irgendeine Form von “Aufbau” zu beobachten ist. Aber wir haben auch einfach keine Ahnung von dieser Tradition. Und so schenken wir unsere Aufmerksamkeit erstmal dem mitgeschleppten Couscous. Besser als Spaghettikürbis allemal.
Bergfeuer Ehrwald 2023
Es dauert nicht lange, bis 3 Männer aus Ehrwald über die Nordflanke den Gipfel erreichen und offensichtlich voll bepackt sind. Wir kommen ins Gespräch, während ein erstes Lagerfeuer am Gipfel gemacht wird. Ein Hubschrauber mit Kamera kreist um die Sonnenspitze und an den Gipfel ringsum sind auch noch Menschen zu erkennen. Wir lernen viel über die Tradition, die verschiedenen Teams und die teils wochenlange Vorbereitung der Motive. Die Schwierigkeit liegt logischerweise darin, das Bild in der Hangneigung so anzuordnen, dass es im Tal Sinn ergibt. Am Gelingen dessen erkenne man auch alte, erfahrene und junge Teams. Immer wieder werden neue Ecken erschlossen, andere wurden nur ein einziges Mal oder immer wieder mit den Feuern verziert. Je nach Berg variiert auch die Herausforderung. Gegenüber in der Nordflanke des vorderen Tajakopfes gibt es auch dieses Jahr Feuer, die scheinbar nur über eine Schnee- bzw. Eisrinne zu erreichen sind. Auch an der Sonnenspitze sind noch weitere Gruppen unterwegs – ein paar hundert Meter unter uns auf einer Fläche über den Seebenwänden etwa. Es liegt eine Spannung und eine Magie in der Luft, wie ich sie als Kind von Weihnachten oder Silvester kenne. Neben all dem geht das irre Alpenglühen fast unter. Wir klettern noch ein letztes Mal über den scharfen Grat zum Hauptgipfel rüber um den schonungslosen Blick auf die umliegenden Berge mitzunehmen.
Als die Sonne untergeht sind die Feuer bereits in Vorbereitung. Papierbecher mit Benzin – an der Sonnenspitze “nur” entlang des Grates. Es werden trotzdem an die 30 Feuer sein, die die drei hier aufbauen und vorbereiten und trotzdem ist es nur ein kleiner Teil eines kollektiven Spektakels. Ansonsten geht es einfach um die gute Zeit am Berg, das Aufrechthalten einer Tradition, die Gaudi und die Freunde. Und wir sind dankbar, das aus nächster Nähe mitzuerleben und uns dabei auch Willkommen zu fühlen. Und wir versprechen nächstes Jahr auch etwas Zeug zu schleppen. Dann aber vielleicht nicht durch die Sonnenzeit.
Die Frage, ob wir hier oben biwakieren verneinen wir. Das wäre wahrscheinlich auch gar nicht so angenehm geworden. Stattdessen warten wir die Zündung ab und steigen dann zeitgleich mit den drei Ehrwaldern ins Tal ab. Die Stimmung und das allmähliche Aufleuchten ringsum ab 22:00 lässt sich wenig in Worte fassen. Ich denke die Bilder sprechen ihre eigene Sprache. Neben den eindrucksvollen Kunstwerken, die wir gegenüber an der Zugspitze sehen beeindruckt mich vor allem das Gefühl, dass gerade so viele Leute unterwegs sind. Und sie allesamt irgendwo die Berge und solche Momente lieben müssen. Sonst wären sie nicht unterwegs.
Und so sieht man neben den Feuern an den verrücktesten Ecken auch all die Stirnlampen, die langsam zurück ins Tal ziehen. Auf leichteren oder schwereren Wegen. Nach einem langen Bergtag wie bei uns oder nach einer kurzen Runde auf den Hausberg. Es muss noch viel schöner sein, wenn man weiß wer sich wo aufhält und seine Freunde an den umliegenden Gipfeln und Feuern weiß. Vielleicht trifft man sich unten noch zu einem Bier am Lagerfeuer? Wir sind kein Teil dieser Gemeinschaft – aber auf die Liebe zu intensiven Momenten am Berg können wir uns einigen. Und eben diese Berge für eine Nacht zu einer kleinen Leinwand menschlicher Existenz und Kreativität zu machen, ist eine wunderschöne Idee.
Abstieg nach Norden
Die ersten Stellen kriegen wir noch gut im Dämmerlicht ab – eine kurze Stufe / Rinne ist abzuklettern. Dann geht es durch eine etwas brüchige und unübersichtliche Querung an den scharfen Nordgrat der Sonnenspitze. Im Schein der Stirnlampen hangeln wir uns von Fels zu Fels. Mit Licht ist es hier durchaus luftig – wir blenden das weitestgehend aus und versuchen uns trotz der Ablenkung ringsums auf den Weg zu konzentrieren. Zumindest stellenweise. Immer wieder bleiben wir stehen und schauen uns um. Und grob zum 100. Mal heute bewerte ich die Lage mit einem
Ja es ist irre. Aber vor allem ist es Dankbarkeit. Dafür in diesem Moment hier zu sein. Dafür in der körperlichen Verfassung zu sein mich in solchen Momenten durch die Berge zu bewegen zu können. Dafür den Moment zu teilen und zu wissen, dass er auch dort als heiliges Geheimnis Jahrzehnte überdauern wird. Und dafür überhaupt den wilden Weg in diese abwegige Situation gefunden zu haben. Absehbar war das alles wirklich nicht.
Nach einem kurzen, abdrängenden Stelle wird das Gelände einfacher, die drei Locals überholen uns und haben wie es scheint noch etwas vor. Das untermauert meine Theorie von vorher. Wir wünschen uns einen guten Abstieg, dann geht es monoton durch die steilen und sandigen Serpentinen zurück in den Talkessel.
Es ist stockdunkel, als wir den Seebensee erreichen und gefühlt eine halbe Ewigkeit her, als wir heute morgen im Trubel hier aufgestiegen sind. Die meisten Feuer sind erloschen oder nur noch glühende Flecken in der Dunkelheit. Schaltet man die Stirnlampe aus, so nimmt man nach einigen Minuten den klaren Sternenhimmel war, vor dem sich die dunklen Gestalten von Tajakopf, Drachenkopf, Grünstein und Sonnenspitze abzeichnen. Es sind Momente, die man niemandem vermitteln oder erzählen kann und dieser Text wird wohl auch nicht viel mehr bleiben als ein müder Versuch dessen.
Schwierigkeit, Versicherung und Material
Die Kontraste in den Schwierigkeiten haben es in meinen Augen in sich. Alle leichten Seillängen kamen mir im Schnitt einen Grad einfacher vor als angegeben. In den meisten IIIer Längen überwiegt Gehgelände, die IVer sehr überschaubar und die meisten Ver wären wo anders wohl auch nicht mit ihrer Bewertung davongekommen. Daraus heben sich die zwei Schlüsselseillängen ganz massiv ab. So kam es uns beiden zumindest vor. “Als wenn man zwei zache 6b Routen aus Scharnitz eingeflogen und über der Sonnenspitze abgeworfen hätte”. Nur das auf dem Weg ein paar der Bohrhaken verloren gegangen sind. Was auch völlig in Ordnung ist:
Wir haben uns später darüber unterhalten, dass wir im aktuellen Stand die Absicherung in dieser Route als beinahe perfekt bezeichnen würden. Aber perfekt fordernd. Wir hatten in der Tour nicht einmal mit Seilreibung zu kämpfen und wirklich “gruselige” Momente gab es im Nachhinein auch nicht. Die Haken waren an den absolut richtigen Stellen. Dazwischen aber auch das Gefühl, dass man hier wirklich klettern muss und in den leichten Seillängen seinen Fähigkeiten vertraut. Ansonsten wird man viel Zeit mit dem Legen (vor allem aber mit dem Suchen) theoretischer Zwischensicherungen verbringen. Ein paar Cams haben uns aber trotzdem nicht geschadet, es waren zwar selten mehr als einer oder zwei pro Seillänge aber am Ende des Tages hat alles zwischen #0.4 und #2 irgendwie mal seinen Weg in den rauen Fels gefunden. Steht man deutlich über den Schwierigkeiten, wird das nicht erforderlich sein. Mit 2 x 60 Meter Halbseilen waren wir gut gerüstet und hätten in den ersten paar Längen auch noch abseilen können (teils eingerichtet) – da alle Seillängen sehr lang sind, klammert man diese Option ohne Materialverlust bei Mitnahme eines Einfachseils grundsätzlich aus. Den möglichen und doch halbwegs regelmäßigen Steinschlag im Blick würde ich letzteres aber so eh nicht tun.
Die Route ist inhomogen. Ganz bestimmt sogar. Und man ließt an einigen Stellen, dass das nicht zu Gefallen wusste und die tatsächliche Kletterei sich auf wenige Meter in wenigen Seillängen beschränkt. Vielleicht hatten wir auch einfach eine andere Erwartungshaltung – uns hat das absolut nicht gestört. Wenn ich Seillänge für Seillänge konstanten Traumfels ballern will, geh ich zum Sportklettern. Für uns war die Sonnenzeit eine ausdauernde, landschaftlich spektakuläre und dabei ausreichend urtümliche und einsame Kletterei auf einen wunderschönen Berg.
Zusammenfassung
Es geht nicht um die Klettermeter, es geht nicht um die umgangene Schlüsselstelle. Es geht um das Gesamterlebnis. Und das haben wir für uns heute für immer zementiert. An dieser wilden Tour, dem langen und anstrengenden Tag und dem irren Finale zwischen Glut, Fels und Dämmerung kann nichts mehr rütteln und genau dafür gehe (zumindest ich) in die Berge. Die Sonnenzeit selbst war hier nur Mittel zum Zweck und nur eines von vielen Puzzleteilen. Fairerweise: ein ziemlich schönes. Und ich werde zurückkommen und mir die 4. Seillänge nochmal genauer anschauen. Am besten im Nachstieg hinter Hannah.