Update Mai 2024: Genau nach unserem Besuch wurde eine Broschüre mit Maßnahmen und Wanderungen für das Restonica-Tal herausgebracht. In Kurzform gibt es nun also eine Busverbindung vom Camping Tuani an die zerstörte Ponte Tragone und vielfache Wanderempfehlung abseits der hier dokumentierten Tour. Das Restonica-Tal wird also wieder Besucher bekommen – anders als früher wird es aber allemal. Und unsere Tour, in Einsamkeit und Abwesenheit von Informationen, bleibt einfach eine andere Geschichte und ein Manifest eines kleinen Abenteuers in der Nebensaison.
Eigentlich mache ich ja Kletterblog & persönliche Bergeschichten.
Eigentlich…
Ganz manchmal – nämlich dann, wenn ich bei einer (vertikalen) Wanderung etwas in Erfahrung bringe, das ich gerne vorab gewusst hätte – kommt die Frage auf, ob das immer so sein muss. Und so hat dieser Beitrag ein wenig mehr Informationscharakter als gewohnt und erreicht hoffentlich diejenigen, die sich die selbe Frage stellen wie wir:
Konkret haben wir uns im April 2024 ins Restonica-Tal auf Korsika geschlagen, über welches uns vorab wenige und allenfalls diffuse Meldungen zu einer Sperrung nach einem Unwetter im Oktober 2023 vorlagen. Entsprechend schwierig gestaltete sich die Planung der anvisierten Kletterei, der Symphonie d’Automne, die über dem Lac de Capitello ganz am Ende des vermeintlich unpassierbaren Tales klemmt. Die Bedingungen werden fluide sein und wenn man verschiedenen Foren Glauben schenkt sind die Bemühungen vor Ort groß, das Tal bis zur Saison wieder in irgendeiner Form passierbar zu machen. Die folgenden Eindrücke können also zeitnah obsolet sein.
Eindrucksvoll waren letztere allemal – was mich zu diesem Beitrag bringt. Eine kleine Bestandsaufnahme aus einem Tal, in dem die Natur kurzweilig wieder die Oberhand hat und eine Momentaufnahme der Schönheit, Verwüstung und Erreichbarkeit dieser wunderschönen Ecke im Herzen Korsikas.
Restoniwas?
Das Restonica-Tal ist vermutlich ein Paradebeispiel für stark erschlossenes Hochgebirge. Fairerweise habe ich es in dieser Form nie kennengelernt und der Besuch im April 2024 war mein erster. Die Tatsache, dass es einen Bus gab um die Parkplätze am Talschluss zu entlasten und in der Hauptsaison täglich PKWs im höheren 4-stelligen Bereich ihren Weg in das Tal gefunden haben, spricht Bände. Eine Schranke am Eingang des Tales soll an besonders schlimmen Tagen den Zugang geregelt haben.
Die Faszination kann man nachvollziehen. Vom Ortsausgang von Corte überwindet die für jedermann befahrbare Straße eine Distanz von 16 Kilometern und über 1000 Höhenmetern in die Wildnis und endet knapp über der Waldgrenze in (heute) einsamer Bergidylle. Das Gegenstück wäre eine Straße von Garmisch durch das Reintal auf das Zugspitzblatt, welche die Besteigung der Zugspitze zu einem erschwinglichen Spaziergang á 1 1/2 Stunden degradieren würde. Lange Rede, kurzer Sinn. Sehr erreichbare Bergwelt.
Am Ende der Straße warteten Wasserfälle, Einkehrmöglichkeiten und die Gelegenheit über eine relativ kurzweilige Wanderung die sehr fotogenen Bergseen Lac de Melo und Lac de Capitello zu erreichen.
Im Oktober 2023 hat ein Unwetter mit Hochwasser diesen Zustand marginal geändert. In einer offiziellen Meldung heißt es, dass das Tal ab dem Campingplatz Tuani kurz hinter Corte nicht passierbar ist. Gilt das auch zu Fuß? Wie schaut es im Tal aus? Wir machen uns ein eigenes Bild und planen für die Kletterei der Begierde den größtmöglichen Zustieg – hin und zurück über 30 Kilometer und 1400 Höhenmeter. Aber selbst für den Lac de Melo müssen aktuell größere Mühen und Strecken in Kauf genommen werden. Und so schaut es aus:
Camping Tuani
Der Campingplatz ist aktuell geschlossen und mit Tor verriegelt, die Brücke auf die andere Uferseite schaut zwar nicht allzu frisch aus – das hat aber vermutlich nichts mit dem Unwetter zu tun. Ich kann nicht sagen, ob der Campingplatz aus Baumaßnahmen / im Zusammenhang mit dem Restonicatal geschlossen ist und wir einfach nur zur Randsaison unterwegs waren. Im Zweifel immer letzteres. Wissenswert ist allenfalls, dass es am Camping Tuani nur einen etwas größeren Wendehammer mit Baustelle und Mauerbau gibt. Parken ist hier nur bedingt möglich und ein Schild an der Schranke weißt darauf hin, dass das Tal von hier ab offiziell für Autos gesperrt ist.
Wir haben (korsische) Ausflügler beobachtet, die dies souverän ignoriert haben. Die Straße ist bis zum Chez Cesar fein und wirft noch einige Parkbuchten ab. Ansonsten werden sich etwas regelkonformere Wanderer aber auf den wenigen Parkbuchten und Gelegenheiten vor dem Tuani konzentrieren.
Chez Cesar
Landschaftlich ein schöner Hatscher, der definitiv nicht beschädigt wurde und täglich befahren wird. Ob man das so machen muss, sei jedem selbst überlassen. Wir sind die Strecke gelaufen, haben die Sperrung berücksichtigt und uns im Auf- und Abstieg zusammen nochmal 10 zusätzliche Kilometer auf den Zettel gepackt. Direkt am Chez Cesar werden Parkplätze gebaut – vielleicht ist das schon ein Teil der zukünftigen Ideen oder Übergangslösungen? Ab jetzt wird es auf jeden Fall rustikaler.
Ponte Tragone
Die Ponte Tragone fehlt komplett. Eine wirkliche Lösung oder Baustelle ist nicht zu erkennen. Je nach Wasserstand lässt sich der Fluss aber gut überqueren. Wir hatten noch viel Tauwasser – vermutlich wird es in Richtung Sommer sogar noch einfacher. Klar sein muss aber, dass man ab hier definitiv die gesicherten Pfade verlässt und jeden Anspruch auf Komfort und Passierbarkeit am Restaurant parkt. Im Restonica-Tal gibt es nur sehr punktuell und je nach Anbieter auch einfach überhaupt kein Netz. Bei Niederschlag in den Hochlagen können Rückwege rasch nicht mehr machbar oder schlicht noch gefährlicher werden.
Wir steigen beim Hinweg direkt am Restaurant zum Fluss ab und arbeiten uns über Stämme und die Brückentrümmer auf die andere Seite. Dort gelangt man etwas links der Brücke wieder relativ einfach auf die Straße.
Beim Rückweg haben wir 100 Meter unter der zerstörten Ponte Tragone einen behelfsmäßigen, kippeligen Übergang mit Baumstämmen und kaum tragfähigem Holzgeländer gefunden – der aber beinahe gruseliger war als unser intuitiver Pfad über den Fluss. Zumindest muss hier mehr balanciert werden, die Sturzhöhe ist größer und die Pausepunkte weniger zahlreich und wackeliger.
Kleine Brücke
Nur 400 Meter hinter der Ponte Tragone gelangen wir – der mit spektakulären Trümmern übersäten Straße folgend – zu einer zweiten, kleineren Brücke. Die Szenerie mit der zerborstenen und abgebrochenen Straße und umgestürzten Bäumen ist filmreif und die halbe Brücke fehlt. Wir finden mit einigen Sprüngen und etwas Kraxelei eine Umgehung rechts der Brücke über die großen Granitblöcke im Flussbett.
Abgestürzte Straßenabschnitte
Für eine Weile (1-2 Kilometer) geht es nun recht sorglos an der Straße entlang – die Zerstörung rückt in den Hintergrund und im Aufstieg dachten wir, dass es damit keine größeren Überraschungen mehr geben würde. An einer Stelle wurden mit Helikopter wohl Baumaterialen abgeladen. Es folgen allerdings noch zwei markante Abschnitte, in welchen die Straße komplett vom Hang abgerutscht ist. Ehrlich gesagt – hier fällt uns schwer zu glauben, dass es eine schnelle und vor allem nachhaltige Möglichkeit gibt die Befahrbarkeit wieder herzustellen. Wenn man sich die umliegenden Hänge und das gegebene Potential für weitere Hochwasser und Felsstürze ansieht stellt sich aber auch die Frage, ob man das überhaupt forcieren sollte. Wir fühlen uns wie in einem Weltuntergangsfilm und das grotesk im Schotter stehende Parkverbotsschild und der Wasserfall aus einem gebrochenen Rohr untermalen die gespenstische Stimmung.
Wir steigen zum Fluss ab und passieren die Stelle unter dem marode wirkenden Wall aus Sand und daraus vermutlich zahlreich abbrechenden Granitblöcken. Wirklich fest ist hier nichts. Wenn man direkt am Fluss oder auf dem tiefer liegenden Waldstreifen bleibt, kann man der zweiten Abbruchstelle souveräner begegnen. Wir steigen hier aber durch die Geröllrinne hinter dem Abbruch in sandiger und nicht überall fester Kletterei wieder zur Straße auf. Nur um wenig später festzustellen, dass wir wieder absteigen müssen.
Wir sind übrigens bestimmt nicht die ersten hier. Gerade in den Umgehungen weisen schwache Pfadspuren den leichtesten Weg hinab zum Fluss und es findet sich auch schon der eine oder andere Steinmann. Prinzipiell ist man in den Umgehungen aber auf ein wenig Spürsinn und Initiative für den leichtesten Weg angewiesen und befindet sich definitiv nicht im sicheren Gelände.
Ponte de Grotelle
Wir nähern uns der Baumgrenze und passieren die alten Parkplätze. An einer Stelle ist ein unterspültes “überhängendes” Straßenstück zu passieren, welches mit einer Gerölllawine bedeckt ist. Das Wasser und seine Spuren sind zahlreich und eindrucksvoll. Die Ponte de Grotelle ist – alle guten Dinge sind drei – ebenfalls zerstört, lässt sich aber vergleichsweise einfach umgehen. Danach gibt es nur noch Geröll und Flüsse und zu diesem Punkt fast schon moderat-gewohntes Gelände bis zur Bergerie de Grotelle. Die Verwüstung bleibt aber allgegenwärtig.
Bergerie de Grotelle
Ab der Bergerie de Grotelle endet die Straße und damit auch der Angriffsvektor für die Naturgewalten. Die Weiterwege zum Lac de Melo sind in einem guten Zustand und haben sich vermutlich kaum verändert – man hat bis hier lediglich eine gute Menge Strecke gesammelt, einige Höhenmeter in den Beinen und darf das Gewirr aus apokalyptischen Momenten am Rückweg erneut bestreiten.
Für uns – im April 2024 – geht die eigentliche Tour hier erst los.
Wir haben bis hier auf jeden Fall 2:30 benötigt – sind aber quasi am Zenit unserer Wanderleistung und recht rigoros beim Wegdrücken irgendwelcher Hindernisse. Ich würde – in der Hitze des Sommers und ohne viel spannenderem Kletterziel am Horizont – wesentlich konservativer planen.
Kleinigkeit
Ich werde aus reiner Neugier verfolgen, ob und wie es hier weitergeht. Ganz persönlich ist für mich der Eindruck entstanden, dass sich die vorherrschenden Schäden nicht “einfach so” reparieren lassen. Dafür schaut der Untergrund für unsere naiven Augen zu marode aus, die Probleme sind zu zahlreich und vor allem – im Angesicht zu erwartender und verstärkter Extremwetterereignisse – absolut reproduzierbar. Auf eine schaurige Art ist es schön zu sehen, wie dieses Tal die Straße und den touristischen Ansturm verschlungen hat. Unsere Tour wäre mit Zufahrt, unfreundlichem Einweiser am Parkplatz und reichlich Publikum definitiv anders verlaufen und hätte viel an Zauber und Größe eingebüßt. Umso wertvoller die Erfahrung, sich so offensichtlich und wortwörtlich die Brücke zur Zivilisation einzureißen und sich auf einen langen und abgelegenen Marsch zu machen. Welcher dem Tal, seinen rauen Gipfeln und seiner allgegenwärtigen Wildheit vermutlich sogar gerecht wird.
Schwierigkeit
Ich würde die Tour so behandeln und bewerten, wie eine Wanderung im weglosen, alpinen Gelände. Ein Zugang ins Rastonica-Tal ist möglich und wird auch regelmäßig gemacht – verlangt aber einige zusätzliche Mühen und vor allem ein Grundmaß an Erfahrung und Umsicht. Was bei der Zufahrt mit dem Auto bisher vermutlich weniger gegeben war. Weitere Steinschläge, Erdrutsche und Felsstürze sind bestimmt nicht auszuschließen und der Fluß hat sein ganz eigenes Potential für Hochwasser – worauf auch zahlreiche Evakuierungsschilder am Camping Tuani hinweisen.
Die Stellen maximaler Zerstörung sind allesamt recht leicht zu überwinden – es gibt aber noch keinen etablierten Weg oder eine Form von Absicherung gegen die zahlreichen Möglichkeiten sich außerhalb des Handyempfangs und erschlossenen Raums zu verletzen. Wir sind – beim ersten Mal und ohne Ortskenntnis – bestimmt nicht der absoluten Ideallinie gefolgt. Um das Erlebte zu beziffern würde ich aber durchaus T4 und Klettern / Kraxeln bis II veranschlagen. Irgendwo auf dem langen Weg wird man sowas schon brauchen. Ob es nun beim Umgehen der Brücken oder Gegenanstieg zur Straße aus den Abbruchgebieten ist.
Fazit
Das Restonica-Tal ist aktuell begehbar und wird begangen. Der “Umweg” und “Mehrweg”, der dafür eingeplant werden muss ist beträchtlich – entlohnt aber mit schaurig-schönen Impressionen. Ich würde den Zugang zum Tal nicht als per se gefährlich oder riskant für Wanderer bezeichnen – man befindet sich aber definitiv in etwas heiklerem Gelände und ist spontanen Ereignissen und eigenen Fehlentscheidungen an kurzen Passagen ähnlich ausgesetzt wie auf einer scharfen Gratwanderung.
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