Kletterblog & Berggeschichten
Hochfernerspitze (3470m) via Hochferner Nordwand (D-)
Hochfernerspitze (3470m) via Hochferner Nordwand (D-)

Hochfernerspitze (3470m) via Hochferner Nordwand (D-)

Literatur: Alpinverlag Firn- und Eisklettern in den Ostalpen*

Jeder Augenblick ist ein neuer Anfang

T.S. Eliot

Egal wie hoch und fern ich gehe begleiten mich die Zweifel. Nicht nur am Berg – ganz grundsätzlich und ganz allgemein. Zweifel im Beruf, Zweifel um die richtige Ernährung, den eigenen Körper, die Zukunft und die Vergangenheit. Alle paar Wochen kreist mein Mauszeiger für einen Augenblick über dem Knopf, der diese Seite offline nehmen würde. Spielt doch eh keine Rolle. Alle paar Monate zweifle ich daran, ob wir einer Tour gewachsen sind, die wir uns fest vorgenommen haben. Und in ganz seltenen Fällen zweifle ich sogar daran, ob ich eine Tour überhaupt in Betracht ziehen will.

Der Hochferner

Die Hochfernerspitze ist mit ihren 3470 Metern einer der höchsten Gipfel der Zillertaler Alpen. Nach Nordwesten entsendet sie zwei imposante und je nach Quelle rund 950 Meter messende Hängegletscher, den Grießferner und den Hochferner. Letzterer ist unser heutiges Ziel und einer der größeren, klassischen Eisanstiege der Ostalpen, welcher sich trotz moderater Steilheit als die „Hochferner Nordwand“ etabliert hat.

Die Idee für diese Tour geistert mir schon etwas länger im Kopf herum – sie ist in Hochtourenführern*, Blogs und Videos ausführlich dokumentiert und bei passenden Bedingungen absolut kein Geheimtipp. Ich war auch relativ früh der Meinung, sowas zu können. Denn kann man sich mit dem konditionellen Umfang der Unternehmung anfreunden, so erwarten den motivierten Bergsteiger auf der leichtesten Linie nur etwa 55° im Eis bzw. Firn. Wo sind also die Zweifel, die immerhin für eine äußerst dramatische Einleitung herhalten mussten?

Zustand um 5:30

Die sind plötzlich da. Im dunklen und kalten Bus in einer Kehre am hintersten Ende des Pfitscher Tals. Und sie rauben mir den ohnehin kargen Schlaf. Rational gibt es gar nicht so viel zu beanstanden – wir setzen mit dem Zeitpunkt unserer Begehung auf Schwarmintelligenz und nutzen die verschwenderisch feinen Bedingungen, die sich Ende Oktober 2024 auf den hohen Bergen und insbesondere in ihren Nordflanken eingestellt haben. Geschlossene Spalten und tragender Firn aus dem kurzen aber heftigen Wintereinbruch im September und dazu über Wochen hinweg stabiles, sonniges und planbares Wetter.

Mich quält vor allem die Frage, ob ich diese Art von Tour überhaupt angehen möchte. Davon träumen war leicht – jetzt wirklich loszuziehen ist schwierig. Die Hochferner Nordwand ist definitiv kein waghalsiges Abenteuer, sie ist gut besucht und prinzipiell sicher zu begehen. Vor allem wenn die Möglichkeit einer Lawine ausgeschlossen werden kann – wie es heute der Fall ist. Was bleibt ist das objektive Allerlei ernsterer Hochtouren: Felsschlag, Eisschlag und im schlimmsten Fall kollabierende Seracs. Genau dazu hatte mein träumendes Ich vor einigen Jahren noch keinen passenden Bezug.

Das hat sich 2024 geändert, nachdem ich auf diversen Touren für die gewaltigen Veränderungen, die um uns im Gange sind sensibilisiert wurde. Das rege Donnern an der Watzespitze, der nächtliche Felssturz auf dem Glacier du Geant, gewaltige Eisstürze unter dem Cosmiquesgrat, das abgeschmierte Jori-Band nach unserer Begehung der Fiameskante. Und auch wenn die Wahrscheinlichkeit in solch ein Ereignis verwickelt zu werden minimal ist, bleibt da die Frage der Exposition. Möchte ich diese Art von Tour überhaupt angehen? Es ist die Art von Unternehmung, bei der ein kleiner Kontrollverlust ein unverdrängbarer Teil des Ganzen ist und ich mich mit etwas weniger Kontrolle als üblich zufrieden geben muss.

Und was, wenn es mir gefällt?

In der Bildmitte sind bereits die Ausläufe der Hochferner Nordwand zu erkennen

Zustieg

Mein schlafloses Ich ist zu keinem Entschluss gekommen. Der lässt sich aus dem Schlafsack heraus aber ohnehin kaum fundiert treffen. Unser Plan für die heutige Tour berücksichtigt zum Glück die Zweifel, die wir zuvor auch ehrlich kommuniziert hatten:

Wir laufen hin, wir schauen uns das an, wir horchen in uns rein. Und im Zweifel hören wir auf das Bauchgefühl und das, was oft als Aura des Berges beschrieben wird. Da wir das kalte Biwak am Wandfuß ohnehin nicht als Option in Betracht gezogen haben, liegt sowieso noch ein zusätzlicher Marsch im Stirnlampenlicht vor uns – mit reichlich Zeit zum Horchen.

Wir starten mit vielen anderen in die sternenklare Nacht. Die Ziele sind bunt gemischt – Hochferner, Grießferner, Hochfeiler. Alles in top Bedingungen. Über gefrorene Bäche und fahle Grashänge machen wir die ersten 750 Höhenmeter bis unter den Wandfuß. Für diese habe ich spontan zusätzlich zu den steigeisenfesten Stiefeln ein Paar Trailrunningschuhe mitgenommen.

Rechterhand begleitet uns die dunkle und abweisende Mauer, die wir auf dem wahrscheinlich leichtesten Weg überwinden wollen. Zwischen schwarzem Fels ziehen unwirklich grelle Eisfälle und Schneefelder hinab ins Tal. Und ein paar Schritte später schält sich schon der Hochferner aus der Dunkelheit.

Mit der Morgenröte erreichen wir den Wandfuß, welcher bei unseren Bedingungen wohl durch den Übergang von Geröll zu Firn auf ca. 2600 Metern markiert ist. Im Vergleich zu den Bildern, die wir studiert haben, hat der Hängegletscher nochmal gewaltig an Wucht und Masse verloren. Das untere Drittel der Wand scheint durch geschliffenen Fels, Schotter und Firn zu führen – durchzogen von blau leuchtenden Eisadern. Die eigentliche Gletscherzunge schiebt sich erst auf 2900 Metern über den Fels und bedroht damit die ersten 300 Höhenmeter.

Morgenröte am Wandfuß

Wie es schon einige Male der Fall war vertreibt das Licht die Zweifel und als wir in unsere Steigeisen schlüpfen und die Gurte bestücken bleibt plötzlich gar nicht mehr so viel zu besprechen.

Machen wir, oder?

Während die Sonne knallrot in die hinter uns liegenden Eisriesen der Ötztaler Alpen fällt, wenden wir uns unserer ersten größeren Nordflanke zu und steigen ein.

Wandfuß, Fels- und Mixedgelände

Die Hochferner Nordwand wird häufig im Frühjahr begangen, womit man sich wahrscheinlich die etwas markanteren Schwierigkeiten des Einstiegs spart und im Schnee einfach in die Wand spaziert. Für uns entpuppen sich die ersten Meter als die heikelsten der ganzen Tour, denn statt Schnee gibt es auf den ersten 300 Höhenmetern vor allem eine morsche Mischung aus Platten, Sand, Kies und Eis. Bei beträchtlicher Steilheit und gewisser Exposition gegenüber allem, was weiter oben aus der Wand geschmissen werden könnte.

Das Gelände ist nicht absicherbar, trifft bei uns aber auf inzwischen ganz brauchbare Routine. Die hätte ich vor zwei Jahren noch nicht gehabt. Gut, dass ich die Hochferner Nordwand damals nur gedacht und nicht gemacht habe. Direkt am Ende des Firnfeld lauert eine düstere und tiefe Randkluft. Wir queren im brüchigen Fels in einen filigranen Eisschlauch und folgen diesem an sehr zaghaften Placements im Eis empor und aus der akuten Absturzgefahr heraus.

Dann geht es oft gutmütig und gestuft empor. Eine recht gangbare Mischung aus kurzen Felsstellen, viel steilem Firn und wenigen Metern im kompakten Eis der überflossenen Platten. Auch wenn jeder Schritt für sich gesehen logisch und einfach ist – ein gewisser Tiefblick baut sich auf und der Raum für Fehler ist klein. Der Raum zum Staunen dagegen ist groß. Und wenige Minuten später sind wir schon mitten drinnen in der wilden Flanke und schlüpfen unter der Gletscherzunge hindurch in einen weitläufigen Firntrichter links vom Eis.

Wir sind absolut nicht alleine unterwegs. Vor und hinter uns sind noch einige Seilschaften in der Wand unterwegs. Zwar verläuft sich der Andrang recht schnell – speziell im unteren, zulaufenden Abschnitt bekommt man aber mit, dass oben bereits „gearbeitet“ wird. Indikator für diese Arbeit sind fliegende Steine, rutschende Eisblöcke und eine Mischung aus Spindrift und Sandsturm, wie man sie wahrscheinlich nur hier erleben kann.

Von mir fällt reichlich Anspannung ab, als wir weit nach links ausschwenken und die Falllinie der Wand für eine Zeit verlassen. Wir müssen zwar noch einmal unter dem Eisbruch hindurch um diesen auf seiner rechten Seite zu erklettern – aber gefühlt haben wir hier bereits einen markanten Teil der Schwierigkeiten und Gefahrenstellen hinter uns gelassen und uns dabei auch ziemlich schnell und sicher bewegt.

Zentrale Firnflanke

…zieeeeeeht sich

Denkt man gar nicht – der Eisbruch ist doch zum Greifen nah. Aber hier verliere ich zum ersten Mal heute richtig Ressourcen. Da wir dem Eisschlag der bereits im Eisbruch kletternden Seilschaften ausgesetzt sind und gleichzeitig erneut die Seracs queren schlagen wir ein nicht ganz ergonomisches Tempo ein, welches im Stapfschnee reichlich an die Substanz geht. Die Wand ist hier zwar für eine Weile spürbar flacher – so ganz ohne Mühen gibt es die konstant 30° aber auch nicht.

Eisbruch (2 SL, ca. 70-80°)

Dass die Hängegletscher an der Hochfernerspitze auch ein beliebtes Ziel für Eiskletterer sind, die aktuell noch nicht viel zum Pickeln haben, wird spätestens hier klar. Ganz rechts vom Gletscherbruch gibt es einen rinnenartigen Durchschlupf, der aktuell in einem vernünftigen Zick-Zack an allen Schwierigkeiten vorbeiführt. In diesem sehen wir heute nur eine Seilschaft – ein Groß der Aspiranten sucht sich eine Linie durch das blanke und steilere Eis der Bruchzone. Für Irgendwas müssen die Seile und Eisschrauben ja schließlich gut sein. Rechterhand wäre heute auf jeden Fall ein komplett seilfreier Durchstieg der Hochferner Nordwand möglich.

Wir zücken unsere Ausrüstung und gehen ebenfalls das steile Eis an – beflügelt von den wildromantischen Erinnerungen, die wir aus dem letzten Winter noch vom Eisklettern hatten. Hannah steigt souverän vor und folgt einem kompakten Pfeiler leicht linkshaltend in das Meer aus Blau und Weiß. Ich bin bemüht zu sichern, während ich im Sekundentakt dem üppigen und auf dem blanken Gletschereis ungebremsten Eisschlag auszuweichen versuche. Das gelingt mal besser und mal schlechter. Nach dem zweiten oder dritten Eisblock, der am Helm abprallt, erinnere ich mich vage, dass ich neben den wildromantischen Eisklettererfahrungen aus dem letzten Winter ja auch noch einen ziemlich hektischen Tag im Chérè-Couloir hatte. Und irgendwie kriecht genau diese Hektik und Unsicherheit auch in diesem Ambiente wieder in mein Herz.

Entsprechend gestresst folge ich Hannah, nachdem sie einen Standplatz an einem großen Eisblock bezogen hat und habe bereits nach 10 Metern mit einem ziemlich ausgewachsenen Wadenkrampf zu kämpfen. Möglichkeiten eine gute Ruheposition zu finden gibt es nicht. Jede Entlastung der krampfenden Beine führt dazu, dass die dünne Firnglasur auf dem Gletschereis unter meinen Steigeisen wegbröselt und ich den Fuß neu platzieren muss. Keine Ahnung wie Hannah dass gerade vorgestiegen ist. Noch weniger Ahnung, warum ich sowas letzten Winter lustig fand.

Ziemlich zerstört erreiche ich den Standplatz. Die Länge war nie wirklich steil oder anspruchsvoll zu klettern – aber eben blank, lang und nicht überall zuverlässig. In dem halbsteilen Firn-Eis-Mix funktioniert das sonst eigentlich recht besinnliche Hängen am Henkel des Eisgeräts nicht und eine angemessene Technik für wadenschonendes Steigen fehlt mir noch. Die Führung der folgenden Seillänge übernehme ich eigentlich nur, weil sie noch einfacher aussieht und ich die Hoffnung habe, dass mit der Herausforderung eines Vorstiegs auch die Konzentration und der Spaß zurückkehren.

Das Gegenteil ist der Fall. Mit viel zu vielen Schrauben, langen Pausen und noch mehr Wadenkrampf zittere ich mich irgendwie die 30 Meter auf einen kleinen, horizontalen Absatz. Die Geräte haben reichlich viel Eis platzen lassen. Die Steigeisen habe gefühlt nie so richtig gut gegriffen. Jede Schraube war ein purer Akt der Verzweiflung. Spaß ist anders. Sieht man mir offenbar auch an.

Du siehst ganz schön blass aus…

Jep. Fühl mich auch so. Erstmal einen Riegel.

Spaltenzone

Hannah übernimmt die Führung und nach einer kurzen Stufe ist der Eisbruch bereits überwunden und die Wand lehnt sich wieder zurück. Als die 60 Meter aus sind folge ich am laufenden Seil und wir wandeln rasch durch das mit perfekten Firnbrücken überzogene Spaltenmeer. Im Hochsommer sieht es hier bestimmt anders aus – unter dem Schnee versteckt sich noch reichlich potential für Hindernisse. Heute nicht.

Wahnsinnig aussichtsreich stapfen wir dem nun sichtbaren Gipfelaufschwung entgegen. Wohlwissend, dass die Schlüsselstellen der Tour nun endgültig hinter uns liegen. Im Rücken glühen die herbstlich-trockenen Wiesen zu uns ins tiefe Blau der eisigen Nordwand hinüber.

Panorama nach Norden. Vorne klein die Rotbachlspitze und der Hochsteller. Dahinter Schrammacher, Fußstein und Olperer.

Gipfelflanke

Wir verlassen die Spaltenzone und durchqueren auf hartem Firn das abgeblasene Gletscherbecken auf rund 3250 Metern. Vor uns liegt nur noch eine Gipfelflanke von rund 250 Höhenmetern. Wir packen das Seil weg und gehen die konstant 40-45° steile Firnflanke an. Der Eisbruch hat mich so viele Körner gekostet, dass ich hier ein gutes Stück zurückfalle und mich Schritt für Schritt durch den imposanten Gipfelaufbau arbeite.

Diese ist übrigens der für mich beeindruckendste Teil der Hochferner Nordwand. Dünne Luft, wilder Tiefblick und eine eigenartige Ausgesetztheit, wie ich sie bisher nur vom Westgully der Tiefkarspitze kannte. Die dunkle Nordwand unter uns ist kaum mehr zu erkennen – unser neuer Horizont ist die Spaltenzone, die wir gerade durchquert haben. Dahinter baut sich ein gewaltiges Bergpanorama auf. Einige Meter über mir taucht Hannah in die Sonne ein und verschwindet dann rasch aus der Flanke.

Out of the dark, into the light

Wenige Minuten später erreiche auch ich die Sonne und die Querung zum Gipfelgrat, die mich endgültig aus der wilden Flanke herausbringt. Die letzten Meter zum Gipfel trüben ein paar Freudentränen meine Sicht. Was für ein Ritt. Ich habe etwas mehr geben müssen, als ich gehofft hatte. Vor allem in Sachen Kondition. Umso lohnender ist er nun – der höchste Punkt, der mir bei den meisten Touren ziemlich egal ist.

Und neben dem körperlichen Anspruch begeistert mich vor allem auch eine schüchterne Gewissheit, die sich inzwischen eingestellt hat. Wir waren mal wieder zur richtigen Zeit am richtigen Ort und konnten die idealen Bedingungen für eine Wahnsinnstour nutzen. Mit den gesammelten Erfahrungen aus diesem Jahr war der Hochferner ein technisch sehr überschaubares und lösbares Problem – was im Angesicht der dunklen Eismasse in der Nacht noch nicht abzusehen war. Es war eine der inzwischen raren Unternehmungen, die sich wirklich neu anfühlen. In denen man kristallklar außerhalb der Komfortzone operiert und sich im Idealfall auf eine kostbare und pure Weise selbst überraschen kann. Und nach denen es kein Zurück mehr gibt.

Und was, wenn es mir gefällt?

Am Gipfelgrat zur Hochfernerspitze

Wir legen eine ausladendere Gipfelrast in der perfekten Herbstsonne ein. Verblüffend warm ist es, sogar auf fast 3500 Metern. Tatsächlich ist das dann auch der greifbarste Grund aufzubrechen – die südseitige Abstiegsflanke wird durch die Wärme bestimmt nicht an Qualität gewinnen. Und irgendwo hatte man ja auch gelesen, dass sich der Abstieg zieht. „Zäh wie Kaugummi“ um genau zu sein. Mal sehen.

Tiefblick auf den Grießferner und einige Seilschaften (rechts)

Abstieg auf den Gletscher

Normalerweise folgt man offenbar dem Verbindungsgrat in Richtung Hochfeiler, bis dieser zwischen Hochfernerspitze und Hochfeiler in den flachen Weißkarferner absinkt. Den Spuren zufolge hat sich aktuell aber eine wesentlich direktere Variante durch die Südflanke durchgesetzt. Und nachdem der Schnee noch nicht allzu weich ist und ein paar Probetritte gut hält entscheiden wir uns ebenfalls für die kurze, steile Direttissima. Es überwiegt steiler Firn um die 40° – nur kurz ist ein brüchiger aber nicht zu exponierter Felsgürtel zu queren. Danach führt ein kurzer Schwenk nach links in eine vage Rinne, durch die ein traumhafter Panorama-Galopp auf den Weißkarferner führt.

Der schneeweiße Hochfeiler gibt ein prachtvolles Bild ab – immerhin der höchste Berg der Zillertaler Alpen. Kenner und Könner nehmen ab hier den Gleitschirm ins Tal. Für uns wird es ein langer Marsch über den gutmütigen Ferner, welchen wir auf rund 2850 Metern nach Süden verlassen.

Querung zum Hochfeiler Normalweg

Wahrscheinlich wäre es richtiger gewesen hier noch etwas Höhe zu behalten. Üblicherweise wird aber auch direkt nach Süden über den Gletscher gequert und an einer markanten Scharte zum Hochfeiler Normalweg (T4) aufgestiegen. Da es dort drüben aber ziemlich winterlich aussah und der Gletscher perfektes Stapfgelände bereithält, folgen wir der Gletscherzunge ins Tal und schlagen dann am Ende des sperrenden Rückens, der vom Hochfeiler hinabzieht, den Weg nach Süden ein.

Unser ausgeprägter Abwärtstrieb führt uns dann aber doch nochmal in eine ungeplante Zugabe. Nach etwas unübersichtlichem Blockwerk landen wir in einer Geröllrinne, in welcher wir knapp 50 Höhenmeter abklettern müssen. Der Mangel an Steinmännern weißt darauf hin, dass es hier bestimmt noch einen wesentlich eleganteren Weg gibt. Ist jetzt aber eigentlich auch schon egal – denn wer bis hier gekommen ist, den stresst eine Felsrinne im II. Grad auch nicht mehr. Der bestens markierte Wanderweg zum Hochfeiler ist dann bei aperen Bedingungen auf keinen Fall mehr zu verpassen und schlängelt sich durch die etwas verlassen anmutende Landschaft.

Abstieg

Und der Vollständigkeit halber sei auch hier nochmal erwähnt: der Abstieg zieht sich. Wirklich. Ehrlich. Indianerehrenwort. Denn ab hier sind es noch 6 Kilometer und über 100 Höhenmeter Gegenanstieg. Letztere sind nirgends wirklich steil oder direkt und äußern sich nur in dem schleichenden Gefühl überhaupt keine Höhe zu verlieren. Dafür ist die Ecke landschaftlich ein absoluter Traum.

Wir stapfen stur um den Gebirgskamm herum, bewundern die gefrorenen Wasserfälle auf der gegenüberliegenden Talseite und schimpfen über die vielen, eisigen Passagen, die sich hier bilden. Keine von ihnen ist so kritisch, dass wir nochmal die Steigeisen aus dem Rucksack kramen würden. Auch das haben andere Seilschaften aber offenbar auch schon anders erlebt. Wie gesagt. Zäh wie Kaugummi.

Parkplatz in Sicht!

Und die Zweifel vom Anfang? Die waren nicht ganz unbegründet. Zwar war es schön zu sehen, wie sich ein fast 1 Kilometer hoher Hängegletscher bei genauen Hinsehen in ein recht lösbares Problem verwandelt. Alles hat seine Zeit – und für die Hochferner Nordwand hat das heute gut gepasst. Ob und wie oft man sich auf diese düstere und abweisende Seite eines Berges begeben muss bleibt aber weiterhin ungeklärt.


Schwierigkeit, Versicherung und Material

Bei passenden Bedingungen – wie wir sie zweifelsohne hatten – hält sich der Wandcharakter in Grenzen und die Tour auf die Hochfernerspitze über den Hochferner ist eine klassische, kombinierte und facettenreiche Hochtour etwas gehobeneren Anspruchs. Die Schwierigkeit liegt vor allem im Gesamtanspruch und in der Länge – weniger in den Details einzelner Schlüsselstellen. Bei vergleichbaren Bedingungen teilt sich die Wand grob in vier ähnlich „große“ Abschnitte ein. Der Vorbau bis zur Gletscherzunge (40° im Firn, II-III am Fels, evtl. WI2 bzw. M2) und die lange Firnflanke bis zum Eisbruch (konstant grob 35°). Der Bruch kann rechterhand relativ einfach und zeitsparend umgangen werden, bei direkter Kletterei werden je nach Wegwahl Schwierigkeiten im Bereich WI3(+) erreicht. Er sollte sich in 2-3 Seillängen gut überwinden lassen. Es folgt die Spaltenzone und der Gipfelaufstieg – idealerweise ohne nennenswertes Spaltensturzrisiko oder Randkluft mit Firn bis 45°. Im Abstieg wird erneut ein spaltenreicher aber relativ flacher Gletscher überquert und je nach Abstiegsvariante über einen scharfen Firngrat oder durch eine sonnenseitige Steilflanke abgestiegen. Eine Abseilpiste wird man lange suchen.

Seilsicherung macht eigentlich nur im Bereich des Eisbruchs Sinn und ggf. im oberen Bereich und Abstieg gegen einen Spaltensturz. 70% der Wand würde ich aber als nicht oder kaum sinnvoll absicherbar bewerten. Entweder, weil das Mitreißrisiko in die Höhe schnellt oder weil – vor allem im unteren Teil – auch schlicht keine sinnstiftenden Sicherungen gelegt werden können. Bei einer Frühjahrsbegehung hat man all diese Probleme wahrscheinlich weniger und muss sich stattdessen mit der Lawinengefahr auseinander setzen. In der Hochferner Nordwand gab es leider schon schwere Unfälle dieser Art.

Das Material hängt ein wenig von der geplanten Wegwahl ab. Steigeisen und Pickel / Steileisgeräte sind obligat – ob man nun aber mit einem Gletscherpickel und einem Eisgerät, zwei Eisgeräten oder zwei Gullys unterwegs ist, ist wahrscheinlich Geschmacksache. Wir haben alle Varianten gesehen. Ich persönlich würde nächstes Mal eher zwei Gullys anstelle der zwei Nomics mitnehmen. Ansonsten Hochtourenausrüstung / Gletscherausrüstung. Wenn der Eisbruch direkt geklettert werden soll dürfen auch ein paar Eisschrauben mehr in den Rucksack. Die Länge des Seils ist hier ausnahmsweise weniger wichtig – wir waren aus Gewohnheit mit 2 x 60m unterwegs, eigentlich kann man hier aber auch gut mit einem Einfachseil arbeiten.

Zusammenfassung

Eine große und wilde Flanke bzw. Wand mit überraschend moderaten Schwierigkeiten in dennoch ernster und einschüchternder Umgebung. In Summe werden zahlreiche Geländetypen, Sicherungs- und Steigtechniken abgerufen und sollten in der objektiv nicht völlig ungefährlichen Wand auch rasch angewendet werden können.

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