Unsere letzte Hochtour im Juni 2024 in der Mont-Blanc-Gruppe führt uns auf einen weiteren, einfachen Gratklassiker. Mit dem recht kurzfristig geplanten Wechsel auf die italienische Seite und das Rifugio Torino, durften wir nochmal einen ganz neuen Blick auf dieses unwirkliche Gebirge werfen. Feststellen müssen wir dabei vor allem, dass das Mont-Blanc-Massiv von dieser Seite nochmal eine gute Spur wilder, kühner und massiver scheint. Ganz großes Kino. Allein die Dimensionen eines Peuterey-Grates sind in Bild und Wort kaum zu vermitteln. Daneben ziehen Teufelsgrat und Kuffnergrat zu den Trabanten des Mont Blanc hinauf – unter ihnen leuchten die eindrucksvollen Granitwände von Grand Capucin und Gefährten.
Wir haben uns nach einem etwas eigenartigen Rückzug am Dent du Géant am Vortag für unseren letzten Tag auf einen handlichen aber spektakulären Klassiker eingeschossen. Dank Stützpunkt am Rifugio Torino diesmal sogar mit der Chance auf einen Sonnenaufgang am Berg – das Wetter verspricht erneut bis Mittag relativ stabil zu bleiben. Die Aiguille d’Entrèves ist eine kleine und kammartige Erhebung, die das gewaltige Gletscherbecken, den Glacier du Géant, nach Süden begrenzt. Sie wird vor allem im Norden im großen Stil überragt. Zunächst vom benachbarten, 200 Meter höheren Tour Ronde – dann aber auch ziemlich direkt von Chef Mont Blanc persönlich.
Dennoch – die Tour begeistert und ist entsprechend beliebt. Aus gutem Grund. Der knapp 500 Meter kurze Grat überrascht mit kompakten, kühnen und fotogenen Granitnadeln und einer stellenweise fast unwirklichen Schärfe. Die Überschreitung – die sich von beiden Seiten angehen lässt – ist eine kurze und technisch nicht allzu schwierige – gleichzeitig aber unwirklich exponierte Kletterei inmitten einer atemberaubenden Landschaft.
Rifugio Torino (Vecchio)
Wir verbringen die Nacht auf dem Rifugio Torino. Die Hütte ist laut, der Platz für all die dort rumspringenden Bergsteiger viel zu gering. Menschen sitzen und liegen am Boden – hat man einmal eine der raren Sitzgelegenheiten ergattert, traut man sich kaum aufzustehen. Gemütlichkeit sieht anders aus – aber die Hütte funktioniert. Die schichtweise Abwicklung der Abendessen. Die Zuteilung der Zimmer. Die Aufstehzeiten. Sie ist definitiv der eher laute Dreh- und Angelpunkt für alle kleinen und großen Unternehmungen in diesem Bereich der Mont-Blanc-Gruppe.
Wir sind spontan im “Vecchio” untergekommen – das alte Rifugio. Erst nach dem Abendessen wird uns der Zugang gezeigt. Es geht auf einer elendig langen und steilen Treppe rund 50 Höhenmeter (gefühlt 200) hinab in den charmanten Anbau, der mehr an einen Lost-Place erinnert. Vollkommen fein – dafür ist die Unterbringung hier auch relativ preiswert. Man tut aber gut, nicht nochmal hoch zu müssen – etwa um auf Toilette zu gehen. Ansonsten haben die Zimmer alles was man braucht. Licht, Wolldecken, teilweise sogar Glas im Fenster. Anstelle einer urigen Stube mit ausgestopften Falken an der Wand gibt es Baugeräte, Material, Trümmer und eine hübsche, kleine Terrasse.
Die Treppe wird nach unten immer steiler und verfügt ab der Hälfte über “Fanggitter” in regelmäßigen Abständen, die einen Sturz irgendwie bremsen wollen und sollen. Sympathisch. Ich kann schonmal vorwegnehmen, dass eine Begehung der Treppe zum Rifugio Torino Vecchio einen höheren alpinistischen Anspruch stellt als die hier eigentlich beschrieben Tour auf die Aiguille d’Entrèves. Und nach einer überraschend angenehmen Nacht im Vecchio, treibt der Anstieg noch vor dem Frühstück ordentlich den Puls in die Höhe.
Zustieg
Um 4:30 schlüpfen wir vor die Hütte – es dämmert bereits. An den großen Bergen ist schon Hochbetrieb. Mehrere Seilschaften befinden sich bereits in der unübersichtlichen Aufstiegsflanke zum Dent du Géant und Rochefortgrat und vor der Hütte herrscht beschäftigtes Treiben. Der Plan für die Aiguille d’Entrèves ist der Selbe wie zuvor schon am Arête des Cosmiques: zu viert am Gletscher, zu zweit am mit jeweils einem verkürzten Seil. Never change a running system. Wir wollen die Überschreitung von West nach Ost machen. In dieser Laufrichtung hat man die Schlüsselstelle, eine kurze 5b Crux, im Aufstieg. Dafür laufen wir so am Grat auf den Sonnenaufgang zu und schwimmen auch sonst mit dem Strom – die allermeisten Seilschaften gehen die Tour nämlich so an.
Wir queren auf der ausgetretenen Autobahn unter der Punta Helbronner und erreichen mit einem kurzen Anstieg den Col des Flambeaux auf 3407 Metern. Das ist die breite Scharte zwischen den beiden recht kleinen Erhebungen von Grand Flambeau und Petit Flambeau. Jenseits der Scharte müssen fast 150 Höhenmeter steil abgestiegen werden – bei späterer Rückkehr zum Rifugio Torino hat man diese Passage dementsprechend auch als Gegenanstieg auf dem Programm. Wirklich vermeidbar ist das nicht. Meckern darf man aber eigentlich auch nicht, die Zahlen und Fakten zur Tour fallen ohnehin extrem dankbar aus.
Mit gespenstischer Gleichgültigkeit bricht ein Block in der Größe eines Lieferwagens aus der eigentlich winzigen Westwand des Petit Flambeau. Die kühle Morgenluft ist kurz von einem allgegenwärtigen Donnern durchsetzt, dann verschwindet die Felsmasse schon über den Gletscher nach Norden über den Glacier du Géant. Alles wieder still. Ein paar Seilschaften sind stehen geblieben und setzen nun ihren gleichmäßigen Marsch über den Gletscher fort. Wir auch. Nun unter den wesentlich höheren Wänden des Grand Flambeau querend. Ein mulmiges Gefühl. Nun mehr denn je.
Was mich an dem Felssturz so beeindruckt hat ist weniger das Ereignis selbst als die kollektive Gleichgültigkeit mit der es aufgenommen wurde. Und vielleicht noch die absolute Unberechenbarkeit. Denn dieser Zwerg von Berg – kaum 100 Höhenmeter über dem Gletscherniveau – sah wirklich nicht so aus, als wenn er zu solch entschlossenen Vernichtungszügen im Stande wäre. Ich bin bereits in meinem Bericht von unserer Eingehtour an den Pointes Lachenal ein wenig vom Thema abgekommen und habe ein paar für mich bemerkenswerte und elementare Details zum Bergsteigen in und um Chamonix festgehalten und das eben Erlebte füttert eine meiner Aussagen. Die Berge hier fühlen sich gefährlicher an – ständig bewegt sich etwas.
Die zeitlosen Giganten sind gleichzeitig ziemlich fragil und stellen das regelmäßig und eindrucksvoll zur Schau. Das Chaos ist direkt nebenan und allgegenwärtig. Man kann dem Bergsteigen per se ein gewisses Risiko nicht absprechen – für mich war trotzdem markant, wie viel ernster das Ambiente hier ist und wie wenig das Gefühl inmitten dieser Landschaften an Hochtouren in den Ötztaler oder Stubaier Alpen erinnert.
Inmitten glühender Wolken erreichen wir langsam aber sicher den Col d’Entrèves, den Sattel an dem unser heutiger Grat ansetzt. Inzwischen dürfen wir auch Blicke auf die irren Veranstaltungen ringsum werfen. Zwei Stirnlampen hängen bereits auf halber Höhe im Kuffner-Grat – eine Wahnsinnslinie auf den Mont Maudit, die sich bestimmt auf irgendwelchen Wunschzetteln vieler Bergsteiger befindet. Daneben der gleichermaßen bekannte Teufelsgrat mit seinen bizarren Türmen und davor die monumentale Granitsäule des Grand Capucin, welcher als schwerster Berg der Alpen gehandelt wird. In die Nordwand der Tour Ronde ist auch gerade eine Seilschaft eingestiegen und an unserem Grat sind vor uns zwei Seilschaften unterwegs. Im Kontext dessen, was wir gestern erlebt haben – Genuss pur.
Grataufschwung (I-II)
Am Col bestücken wir unsere Gurte mit einigen Schlingen, etwas Klemmzeug und langen Exen und starten rasch am laufenden Seil auf den zunächst noch breiten Grat. Eine gute Spur und griffige Firnauflage beschleunigen den Aufschwung ganz ungemein. Im Hintergrund streifen die ersten Sonnenstrahlen den Peuterey-Grat.
Rund 70 Höhenmeter werden im geneigten, weitläufigen Blockgelände gemacht und sobald sich der Grat nach hinten lehnt, befindet man sich beinahe schon auf der Ziel- und Gipfelhöhe der Aiguille d’Entrèves. Ganz so einfach ist es nicht zwar nicht – die folgenden 200 Meter zum Gipfel sind scharf und trickreich – aber das Ziel ist zumindest schonmal in Sicht und der Weiterweg sieht mehr als spektakulär aus.
Heute läuft es auch wieder richtig flüssig – wir bewegen uns schnell und sicher durch das Gelände, werfen einige wenige Schlingen um Köpfl und wechseln die Führung sobald das am Ende einer Hochtourenwoche ebenfalls wenige und optimierte Material zur Neige geht. In der Zwischenzeit entfaltet sich ringsum ein wilder Sonnenaufgang mit ständig wechselnden Farben und Formen.
Flachstück & Flexer-Schuppe (II)
Rasch lehnt sich der bis hier wirklich einfache und verschwenderisch griffige Grat zurück. Die kühn aus dem Grat ragende Schuppe, welche aus Film und Fernsehen berühmt ist und auf der beinahe schon jeder mit Rang und Namen rumgeturnt ist markiert den Beginn der Schwierigkeiten.
Der Gipfel liegt direkt gegenüber – dazwischen liegt aber ein äußerst scharfes und kompaktes Gradstück, welches seitlich mit senkrechten Granitmauern in die Gletscher abfällt. Eine eindrückliche Konstruktion.
Hannah nutzt die Gunst der Stunde und besteigt die Schuppe, die in der Praxis doch ein gutes Stückchen stabiler und breiter ist, als es aus der üblichen Perspektive den Anschein haben mag. Nur die Absicherung dieses kurzen, optionalen Abstechers gestaltet sich als etwas kniffliger, denn neben Köpflschlingen gibt es hier wenig Funktionales und was man in den Bildern nicht sieht: die Schuppe ragt nicht 1-2 Meter aus dem sonst ebenen Grat heraus. Direkt unter ihr setzt nach Norden ein steiler Kamin an, der zu einem etwas tieferliegenden Gratabschnitt führt. Die Schuppe ist also – vor allem nach Norden hin – halbwegs exponiert und ich sehe im Nachstieg keine wirklich elegante Möglichkeit hier auch rumzuturnen zumal Hannah nach der Schuppe keine weiteren Zwischensicherungen gelegt hat.
Den Moneyshot an der Instragram-Schuppe tüten wir dennoch ein, dann steigt Hannah den kurz kniffligen Kamin ab und auf der Gegenseite über eine kurze Verschneidung zu einem Köpflstand auf. Ich folge.
Steiler Kamin im Abstieg (ca. IV)
Eine kurze, interessante Stelle ist auf jeden Fall der sehr steile, recht exponierte und von plattigen Granitwänden begrenzte Kamin – wahrscheinlich wird er irgendwo im IV. Grad mitspielen und erfordert je nach eingerichteter Absicherung sorgfältig platzierte Frontalzacken oder Schuhsolen. Irgendwo habe ich gelesen, dass diese Stelle teilweise auch an einem Köpfl abgeseilt wird – ob sich das für die wenigen Meter wirklich lohnt ist eine andere Frage – die Kletterei wird nun ohnehin fordernder und der Kamin ist eine gute Vorbereitung dafür.
Exponierter Reitgrat (III)
Wir wechseln wieder die Führung und ich schiebe mich auf die nun messerscharfe Gratschneide. Die kurze, horizontale Passage dürfte das Herzstück der Überschreitung sein und ist berauschend luftig und gleichzeitig begeisternd kompakt. Einige Bohrhaken haben hier ihren Weg in die Wand gefunden und erleichtern die hier sonst punktuell wahrscheinlich gar nicht so triviale Absicherung ein wenig. Dennoch will der geschickteste Weg erstmal gefunden werden und ich finde mich nicht nur einmal in einer etwas verknoteten Position auf der passagenweise wenige Zentimeter messenden Gratschneide wieder.
Trotz der Schärfe und Exposition bieten sich zahlreiche Möglichkeiten an. Gerade drüber, nördlich über kleine Tritte und Schuppen unterhalb der Schneide entlang. Alles fein. Nur nach Süden schaut es wirklich ordentlich plattig und vertikal aus. Aus den bisher in Chamonix gekraxelten Touren, ist das auf jeden Fall die luftigste.
Egal wie man die genialen Stellen überwindet oder umgeht – man landet in einer winzigen Scharte, bevor der Grat zur Schlüsselstelle und weiter zum Gipfel aufsteilt. Ich beziehe hier an einem Haken nochmal einen raschen Zwischenstand und hole Hannah nach. Der Standplatz unter der Crux ist ohnehin noch von unseren Vorgängern besetzt.
Aufschwung zur Schlüsselstelle (III)
Und gutgriffiger, gestufter aber erneut anregend steiler Kletterei überwindet Hannah auf der Nordseite die wenigen Meter hinauf zum Plateau unter der Schlüsselstelle. Könnte man definitiv auch an die vorhergegangene Reiterei anhängen – dann käme man vom Beginn der Bohrhaken direkt zu dem erstmals mit zwei Fixpunkten eingerichteten Standplatz und dann mit einer weiteren Länge auf den Gipfel der Aiguille d’Entrèves. Vorausgesetzt man hat keinen Verkehr und Gegenverkehr – in weniger populärer aber auch begangener umgekehrter Laufrichtung kommen einem hier nämlich Seile entgegen. Die Schlüsselstelle wird vom Gipfel kommend gerne abgeseilt.
Schlüsselstelle (5b bzw. V+)
Wir wechseln ein letztes Mal vor dem Gipfel die Führung – wir befinden uns ohnehin nur wenige Meter unter dem höchsten Punkt. In den Weg stellt sich lediglich ein kurzer, abdrängender Aufschwung an einem glatten Block mit Rissspur. Ich versuche mich – an dem gut eingerichteten Standplatz gesichert – an einer freien Begehung und komme anders als vermutet ohne Griff zum Fixseil durch. Hehe. Drytooling-Klettergarten regelt! Oder so.
Zumindest löst sich der kleine Überhang nach oben hin recht gut auf. Mit dem Riss arbeite ich wenig. An kleinen Leisten mit den Steigeisen einspreizen, oben raus an kleine Leisten greifen und diese kurz hart festhalten. Höhe gewinnen. Ungemütliche Position – aber ich finde einen Weg mich nach rechts über und um den Block zu schieben und lande hier in plattigem aber sehr kletterbaren und rasch einfacherem Gelände. Ein schöner, kleiner Abschluss für den Seelenfrieden. Denn gestern, am Dent du Géant, sah es mit der Freikletterei im nominell leichteren Fels ganz anders aus.
Ich erreiche den Standplatz am Gipfelblock und hole Hannah nach, die die Stelle gleichermaßen souverän löst. Auch Simon rupft sich wenig später über die Kante. Im Rückblick nochmal der messerscharfe Grat, der vom Gipfel aus gesehen wirklich beeindruckend ausschaut.
Plattige Rinne statt Abseilfahrt (IV-)
Der Gipfel selbst ist nur der höchste Punkt der schmalen Gratschneide und gibt kein wirkliches Brotzeitplatzerl ab. Das ist aber auch vollkommen fein – hinter uns rücken mit steigender Tendenz weitere Seilschaften an und das relativ einsame und isolierte Fenster in dem wir uns aktuell bewegen dürfen ist Gold wert. Hannah hangelt sich luftig am Gipfelblock vorbei und klettert die wenigen, horizontalen Meter zu einem markanten Block, an dem sich eine Abseilstelle befindet.
Statt diese zu nutzen entscheidet sie sich für einen Abstieg in offenbar gang- und kletterbares Gelände und verschwindet auf der anderen Seite. Als sich das Seil dem Ende naht folge ich ihr. Tatsächlich öffnet sich nach Norden eine plattige aber hübsche Verschneidung, die sich gut absteigen lässt und in hartgefrorene aber luftige Schneefelder führt. Wir queren einen markanten Gratzacken und freuen uns über einen Bohrhaken als Zwischensicherung bevor ein weiterer gestufter Abschwung im plattigen Granit uns auf den nun deutlich leichteren Firngrat führt. Einige Stellen erfordern durchaus den unteren IV. Grad mit Steigeisen. Bei unserer Begehung haben teils eingestreute und griffige Schneefelder die Sache spürbar erleichtert. Der Fels ist stellenweise glatt, eher kleingriffig und darf an der einen oder anderen Stelle auch recht diffizil angetreten werden. Man kann hier durchaus abseilen. Meistens tut man das wahrscheinlich auch.
Firngrat und Blockgelände (I – II)
Wir gehen einige Meter von der steilen Wand weg und entscheiden uns hier auf Karsten und Simon zu warten. Daraus wird eine ergiebige Rast – denn die beiden haben sich für einen Abstieg via Ablassen / Abseilen entschieden und sich wesentlich länger mit der Stelle beschäftigt. Unsere Variante am laufenden Seil war bestimmt ein wenig kühner – dafür aber dramatisch schneller und an einigen brauchbaren Fixpunkten auch nicht allzu heikel – wir haben uns überraschend wohl gefühlt. Auch wenn das Gelände in der Draufsicht reichlich wild aussieht und wir die Manöver der beiden gespannt beobachten.
Unterdessen rauschen wilde Wolken durch die gegenüberliegende Felsarena der Superlative. Für kurze Momente treten Teufelsgrat und Grand Capucin aus den Wolken hervor. Irre Ecke. Wilder, als der Nahbereich um die Midi.
Abklettern zum Col Occidental des Thoules (II)
Als Simon und Karsten zu uns aufschließen geht es den leichten Grat entlang. Firn und kurze, einfache Felsaufschwünge wechseln sich ab und der Grat ist wieder angenehm breit. Im Kontext der Tour und Umgebung. Dahoam – in Garmisch – wäre das immer noch eine ziemlich wilde Geschichte. Dann ist bereits ein Ende in Sicht und über etwas loses aber kontrollierbares Blockgelände gelangen wir mit wenigen Höhenmetern Abstieg auf die gewaltige Wechte am Col Occidental des Thoules. Endlich ein brauchbares Brotzeitplatzerl.
Wir legen eine kurze Rast ein und packen die Felsausrüstung weg. Genießen ein letztes Mal den gewaltigen Blick in diese raue und unwirkliche Landschaft. Eigentlich überschauen wir hier die gesamte Woche in und um Chamonix. Die Pointes Lachenal, an denen wir zunächst Feuer gefangen haben. Der Mont Blanc du Tacul, dessen schattige Nordwand mit dem Chèré-Couloir wieder für etwas Abkühlung gesorgt hat. Die Aiguille du Midi – Schauplatz zahlreiche Gondeldramen und einer feinen Grattour am Cosmiques-Grat. Das Mer de Glace, in dem wir Eisklettern waren und der Dent du Géant, der es definitiv nicht sein sollte und als einziger nennenswerter Rückzug ins Tourenbuch der letzten Tage eingeht.
Abstieg und Gegenanstieg zur Punta Helbronner
Über die steile Flanke geht es wieder runter auf den Gletscher und die Aufstiegsroute. Im steilen Hang zeichnet sich bereits eine markante und breite Randkluft ab, die einem im Hochsommer bestimmt nochmal eine kleine Zusatzaufgabe bereitet. Eigentlich dürfte ich die Touren unserer Zeit in Chamonix ohnehin nicht als Hochtouren führen. Winterwanderung wäre passender – mit Spalten oder Gletschern mussten wir uns quasi nicht auseinandersetzen. Wohl aber mit ganz viel Schnee und feinem Granit.
Der Gegenanstieg hält sich in Grenzen – ich hatte schlimmeres befürchtet und wenig später stehen wir schon wieder am Rifugio Torino. Rucksack packen, Schlafsack einsammeln und ab zur Punta Helbronner und mit der zu dieser Tageszeit fast gänzlich leeren Gondel zurück ins Tal. Das zweite Frühstück wartet. Und dann auch irgendwann eine Heimreise. Normalität. Alltag.
Schwierigkeit, Versicherung und Material
Eine feine Hochtour mit überraschend guter Versicherung und überschaubarem Umfang. Natürlich genau deshalb auch beliebt, bekannt und bei schlechtem Timing garantiert auch überlaufen. Die Schwierigkeiten konzentrieren sich auf wenige Meter vor und nach dem Gipfel, wobei gerade der Aufstieg von Südwesten auch recht brauchbar mit Bohrhaken ausgestattet ist. Gefordert wird dort dann dennoch anhaltende Kletterei in maximaler Exposition, die kaum in einzelne Stellen oder einen genauen Schwierigkeitsgrad zerlegt werden kann. Je nach Wegwahl irgendwas zwischen dem III. und IV. Grad – je nach psychischer Verfassung und Umgang mit Ausgesetztheit stellenweise vielleicht auch schwieriger. Wir sind den gesamten Grat und auch den reinen Felsteil mit Steigeisen geklettert.
Die Schlüsselstelle ist äußerst kurz und lohnt bei bester Absicherung sogar einen freien Versuch – ich hatte nicht den Eindruck, dass man sich mit dem kurzen Fixseil so viele Mühen einspart – rupfen muss man so oder so und der Ausstieg aus dem Aufschwung will trotzdem gefunden werden. Mit etwas Konzentration und Umsicht empfand ich die kurze Kletterei sogar als relativ hübsch und lösbar.
Neben Gletscherkram und der üblichen Hochtourenausrüstung empfiehlt sich vor allem die Mitnahmen einiger Expresschlingen (für die doch durchaus vorhandenen Haken) und einige Bandschlingen für Köpfl und Standplätze. Friends spielen eine untergeordnete Rolle, können aber an wenigen Stellen brauchbar eingesetzt werden – dann vor allem die mittleren Größen (#0.75 – #2). Wirklich mehr als 1-2 Stück würde ich bei ähnlichen Bedingungen aber vermutlich nicht mehr mitnehmen.
Zusammenfassung
Traumgrat im südlichen Mont-Blanc-Gebiet mit unfassbar direkter und kurzweiliger Steilheit und Schönheit in brachialer Landschaft. Für uns wohl die perfekte Abschlusstour und für mich persönlich auch die in Summe schönste Runde in unserem kurzen Ausflug in die Region. Da gehen die Meinungen und Geschmäcker aber auseinander.