In den Schmerz hineintrainieren…

…ist bei Knieproblemen vielleicht nicht das allerbeste Hausmittel. Den Sommer habe ich mir auf jeden Fall anders vorgestellt – umso ernüchternder, als ich mir mit einer absoluten Routine-Wanderung ein Knieproblem erlaufe, welches mich noch einige Wochen beschäftigen wird. Wenigstens hatte ich im hartnäckigen Regenwetter des Julis – welchen sich die allermeisten wahrscheinlich auch anders vorgestellt hatten – nicht das Gefühl allzu viel zu verpassen. Und reichlich Zeit das Knie zu schonen. Klingt jetzt erstmal alles recht vernünftig. Bevor es mit dem Schonen so richtig los ging, musste aber noch eine kurze, rebellische Phase her:
Man könne ja auch mit Liftunterstützung trotzdem Touren machen. Das was am meisten schmerzt sind Zu- und Abstiege. Das Klettern – so zwischen Boulderhalle und Frauenwasserl erprobt – geht sich schon irgendwie aus. Und so war rasch ein Plan geschmiedet, welcher einen Lift, einen vergleichsweise „kurzen“ Zustieg und Abstieg per Abseilerei zu einem pfiffigen Halbtagesprogramm verbindet.
Wenn das dem Knie nicht taugt, dann weiß ich auch nicht
Ausgesucht haben wir uns eine eher unbekannte Kletterei in der imposanten Südflanke des Grünsteins in der Mieminger Kette. Diesem Berg sind wir bereits vor 4 Monaten in winterlichen Verhältnissen auf die Pelle gerückt. Als sich die zähe Wolkendecke kurz vor Sonnenuntergang doch noch öffnet fallen uns aber die wahnsinnig kompakten Türme und Pfeiler in dessen Südwand auf. Schaut verstörend lohnend aus. Also – für einen Gebirgszug, der wenige Meter weiter unter den Fingern zu zerbröseln droht? Inzwischen wissen wir, dass sich dort ein kleines Eldorado interessanter Mehrseillängen versteckt, welche auf die insgesamt 6 mehr oder weniger ausgeprägten Türmchen führen.
SW-Grat
Die Leichteste von ihnen ist der Südwest-Grat, welcher die drei linken Türmchen überwindet und auf dem mit einer kleinen Marienstatue bestückten III. Grünsteinturm auf knapp 2470 Metern endet. Er soll irgendwann in den 80er Jahren erstbegangen worden sein, rund 400 Klettermeter messen, den 5. Grad erreichen und irgendwie saniert oder mit Bohrhaken ausgestattet sein. Großartig mehr Informationen haben wir gar nicht – die Touren haben es noch nicht in die Führerliteratur für das Gebiet geschafft und eine Beschreibung der einzelnen Seillängen gibt es auch nicht. Wer für sich möchte, dass das so bleibt, möge nicht weiterlesen.
Zustieg
Vom Lift steigen (Hannah) und humpeln (Ich) wir dem Marienbergjoch entgegen, welches rasch erreicht ist. Dann folgen wir dem angenehmen Steig in Richtung Hölltörl, welcher uns mit aperen und eisigen Stellen beim letzten Mal auf Skiern einige Nerven gekostet hat. Heute kostet mich nur mein Knie Nerven, welches vom ausgeklügelten Schonprogramm bereits ab den ersten Metern nur wenig überzeugt ist. Irgendwas ist immer.
Das Gelände lichtet sich und gibt rasch den Blick auf die interessante Wand frei. Die kleinen Türmchen, über die unsere Kletterei führen soll, lassen sich auch schon ausmachen. Ebenso der mutmaßlich tolle Fels in rauer, alpiner Kulisse. An einem großen Block mit Bankerl auf 2035 Metern biegen wir linkerhand ab und peilen im leichten weglosen Gelände das kleine Schotterfeld an. Während in den Schrofen keine oder nur sehr vage Begehungsspuren auszumachen sind hat sich im Schotterfeld ein deutlicher Pfad gebildet, welcher in die vage Rinne führt. Diese vermittelt den Zugang zu der einige Meter höher liegenden Terasse, auf der die Kletterrouten starten. Ob im steilen Sand oder im brüchigen Fels – wirklich schwierig ist der Anstieg nicht. Er lässt sich sogar auf einem Bein hüpfen. Smiley.
- Die von Türmen zerrissene Südflanke am Grünstein – links der Bildmitte der SW-Grat, mittig die Zustiegsrinne auf die Terasse
- Im Schotterfeld vor der Rinne im Zustieg. Darüber die Erhebungen des Grates
Auf dem Absatz angelangt warten nochmal ein paar steile Höhenmeter in Schrofen bis sich das Gelände langsam zurück lehnt und am westlichen Ufer der Terasse in den Südwestgrat übergeht. Der Einstieg ist damit nicht zu verfehlen – er begrenzt den gangbaren Wandfuß und kann damit überhaupt nicht übergangen werden.
1. Seillänge (V-)
Wir schlüpfen in unsere Kletterschuhe und bestücken die Klettergurte. Ein bisschen Klemmzeug haben wir schon dabei – sogar ein #3 Cam wird empfohlen und baumelt nun am Gurt. Mal sehen. Gespannt sind wir schon. Allzu oft haben wir es dieses Jahr noch nicht in den Fels geschafft und der 5. Grad im Nahbereich des Wettersteingebirges hat in der Vergangenheit schon für einige Überraschungen gesorgt. Kurzum – das Phantasia-Trauma haben wir auch ein Jahr später noch nicht ganz verarbeitet.
Und so steige ich in die erste Seillänge ein, welche direkt in den kompakten Fels führt und nach wenigen Metern hinter einem Eck verschwindet.
Werweißwasdalauert

Da man hier rasch über einen etwas tieferen Abbruch gequert ist, geht die Exposition einigermaßen schlagartig hoch. Dafür entpuppt sich die Kletterei, die hier kurz im Bereich V- liegen soll als purer Genuss. Gut gesichert geht es über eine geniale, kurze Plattenstelle. Der Fels ist unwahrscheinlich rau und griffig – die kleinen aber zahlreichen Leisten machen Spaß und führen rasch in leichteres Gelände. So schnell wie die Stelle überwunden ist fällt auch die Anspannung ab. Wenn das Knie sowas ein paar Stunden mitmacht steht einem tollen Klettertag gar nicht mehr so viel im Wege.
Das plattige Eck führt in eine vage Rinne. Dieser folgt man in immer einfacheren Fels. Im vielleicht oberen III. Grad geht es – weiteren wegweisenden Bohrhaken folgend – auf den Grat, der sich dann rasch zurücklehnt. Der tiptop eingerichtete Standplatz stellt sich in den Weg und lädt zum Verweilen ein. Was für ein überraschend feiner Auftakt.
2. Seillänge (III)
Hannah übernimmt die Führung und geht die lange zweite Seillänge an. Knapp 50 Meter im III. Grad – keine Bohrhaken. Das Gelände entpuppt sich aber als gemütlich und gestuft. Der breite Grat bietet Raum für viele Varianten und den Weg des geringsten Widerstandes. Der Fels ist mit einigen Ausnahmen ziemlich fest und schluckt bei Bedarf auch einige (aber nicht zahlreiche) Friends oder Keile. Vor allem die kleinen und mittleren Totems leisten uns heute gute Dienste.
- Sehr leichtes Gelände am Ende der 1. Seillänge
- Hannah in der 2. Seillänge mit gestufter Kraxelei in recht feinem Fels
Mit dem Ende dieser Seillänge ist auch schon der „Gipfel“ des ersten Turms erreicht. Als unwesentliche Graterhebung kommen auf dessen Haupt noch keine Hochgefühle auf – wohl aber beim Anblick des zweiten Turms. Denn der ist in der Draufsicht erstmal reichlich einschüchternd.

3. Seillänge (III)
Vom Fuß des nächsten Aufschwungs trennt uns noch eine unscheinbare Zwischenlänge. Aus der Nähe betrachtet verstecken sich aber auch hier ein paar kurze, spaßige Aufgaben. Vor allem ist für die Absicherung erneut selbst zu sorgen. Vom Turm weg geht es zunächst über einen recht schmalen, ausgesetzten Grat weiter bis dieser auf der rechten Seite entlang von griffigen Rissen und Platten einige Meter abgeklettert werden kann.

Rasch lande ich im Gehgelände und steige in einem Kies-Gras-Mix zum Standplatz unter dem bedrohlichen Pfeiler auf. Auch aus der Nähe manifestiert sich eine imposante Seillänge. Steile Risse und Platten – die in ihrer Anordnung eher an Granit erinnern. Ein erspähter Haken ist äußerst weit weg, der genaue Verlauf lässt sich nicht sofort erahnen. Hannah schließt auf, während ich den Blick nicht vom kühnen Fels vor uns gelöst bekomme. Entweder das wird jetzt richtig wild oder es löst sich irgendwie unglaublich gut auf.

4. Seillänge (V)
Letzteres ist der Fall. Eine Hammer-Länge! Hannah legt einen einwandfreien Vorstieg hin und löst die im Detail doch etwas verwinkelte aber wunderschöne Seillänge. Ein kleiner Wermutstropfen ist die Seilreibung, die durch den Einsatz vieler langer und sehr langer Exen zwar kontrollierbar bleibt – durch einen ungünstigen Knick aber trotzdem nach oben hin gewaltig zunimmt. Das vorhandene Material – immerhin ganze 6 Bohrhaken – beschreiben hier schon ein ziemliches Zickzack. Versenkt man dazu noch ein paar mobile Sicherungen, kann die Reibung wirklich sportlich werden. Das Minimum sollte sein, dass man den rund 10 Meter messenden „Vorbau“ der Seillänge im vielleicht unteren 4. Grad ohne Zwischensicherung auskommt.
- Hinüber zum beeindruckenden Pfeiler
- Der „Vorbau“ der 4. Seillänge – leichte Platten und klemmfreundliche Risse. Wahrscheinlich tut man aber gut daran hier noch zu widerstehen.
- Zickzack – in schönem Fels und humaner Kletterei
Es geht also geradewegs in die von griffigen Rissen gespaltene Platte. Nach einigen Metern in noch sehr leichter Kraxelei landet man auf einem Band, welches nach links ansteigt. Mit einem kurzen Schwenk nach links ist der erste Bohrhaken erreicht. Dann wird unter dem sperrenden Wulst den Haken folgend nach rechts gequert. Durchaus etwas technischere Kletterei an Leisten und rauen Platten – für einen alpinen 5er aber mehr sehr angenehm. Die Absicherung ist hier übrigens gut an die Kletterei angepasst und fällt spürbar enger aus, als im Rest der Route der Fall ist. Sportklettern ist es nicht – aber die Haken stecken eigentlich immer am rechten Fleck und lassen sich einigermaßen sorglos anklettern. Der Fels ist bombenfest, rau und begeisternd griffig. Mangels Konkurrenz lässt sich beinahe sagen:
Die schönste Seillänge dieses Jahr!
- Tiefblick über die Schlüssellänge, welche durchaus steil daherkommt
- Das gegenüberliegende Wannig-Massiv hat heute auch ’nen Turm
- Nachstieg in der 4. Seillänge
Man quert also nach rechts bis zu einem markanten, kurzen Riss im Bereich der Kante. Leichter lässt sich dieser überwinden, wenn man wirklich kurz auf einen Absatz auf der luftigen Kante aussteigt und dort hoch in den Riss tritt. Nachdem ich Zickzack angekündigt habe, muss es nun wieder nach links gehen. Tut’s auch. Eine einfache Querung zurück nach links führt nochmal zu einem kurzen, kühnen Schritt in eine Platte. Dann geht es gestuft einiger Meter empor bevor ein letztes Mal ganz nach rechts an die Kante gequert wird. Auf einem kleinen Absatz klemmt hier der exponierte Standplatz. Oben raus sind die Hakenabstände übrigens stellenweise wieder so weit gefasst, dass man auf die Idee kommen könnte etwas dazwischen zu legen. Und damit das gelingt nochmal der Hinweis – am besten unten noch nichts versenken und mindestens die drei „Wendepunkte“ der Seillänge sehr lang einhängen. Ist vielleicht ein besonderes Fetisch meinerseits – aber ich hatte an dem Tag tatsächlich Alpinexen mit 110cm Länge dabei. Selbst mit den Teilen hatte Hannah im Onsight mit Seilreibung zu kämpfen.
Da hilft es jetzt natürlich, wenn man den Schwierigkeiten zumindest so weit überlegen ist, dass einen die langen Exen nicht weiter stören was eventuelle Sturzweiten angeht. Unterm Strich fällt die Kletterei hier aber begeisternd flowig und einfach aus. Sehr logische Kletterei, nie wirklich kräftig und stets in flüssigen, anregenden Bewegungen zu überwinden. Sie löst sich wirklich toll auf. Hat man die Absicherung im Griff, so wird man enorm viel Spaß mit diesem markanten Pfeiler haben.
5. Seillänge (V-)
Bilderbuch-Kalk!
- Vom Stand geht es in ein beeindruckendes Miniatur-Plattenmeer auf der rechten Seite
- Kontraste
- Unverhoffte Überraschungscrux: der plattige Spreizschritt klettert sich einigermaßen kühn
- Sehr viel feiner wird Kalk wohl nicht mehr
Vom Standplatz weg geht es für mich nach rechts in eine von seichten Wasserrillen durchzogene Platte. Ein daneben liegender, tiefer Riss liefert die notwendigen Griffe. Ausreichend abgesicherte, luftige Kletterei führt an einen unscheinbaren Spalt heran. Ganz so unscheinbar fällt dieser dann aber gar nicht aus – für den finalen Aufschwung auf den dann wieder etwas flacheren Grat darf kurz ordentlich geklettert werden.
Und es geht noch weiter. Denn während die 4. Seillänge die offensichtliche und sehr plakative Schlüsselstelle der Tour war, ist die 5. Seillänge sowas wie der Hidden Champion im Gesamtanspruch. Ich lande auf einem schmalen, plattigen Zacken, welcher durch einen tiefen und glatten Spalt vom Rest des Grates abgetrennt ist. Beim erforderlichen Spreizschritt – am besten recht tief vollzogen – überwiegt die logistische Herausforderung. Denn die letzte, sehr hohe Exe führt für mich zu einem verklemmten Seil hinter einer Schuppe. Also nochmal hoch und lang einhängen. Ist der Spreizschritt gelungen, wurschtelt man sich auf der Gegenseite durch eine nicht ganz solide wirkende Rinne wieder empor. Mühsam ist hier auch die Absicherung – welche dem Nachsteiger ein gruseliges Manöver ersparen würde aber gleichzeitig die Seilreibung in die Höhe treibt. Ich kriege hier kein richtig brauchbares Placement unter und setze auf Hannah’s Kletterkünste.
- Schaut nett aus – ist aber ein sehr unergonomischer Standplatz
- Gratln
- Komischer Standplatz…aber cooler Berg im Hintergrund!
- Am Ende der 5. Seillänge
Wieder am Grat angelangt ist das Gelände zwar einfacher – die Haken, an die man sich beinahe gewöhnt hat bleiben aber aus. Ich werfe noch einen orangenen Totem in einen Spalt und erreiche den ungemütlichen Stand am Gipfelblock des II. Turms.
6. Seillänge (II)
Wieder steht eine Verbindungsseillänge zum nächsten Aufschwung an. Irgendwo klingelt was…
Drachentanz, bist du’s??

Für Hannah geht es über das kleine Gipfelplateau und zu einer steilen Abkletterpassage, die sich einigermaßen brauchbar auflöst. Ob’s wirklich nur der II. Grad ist sei mal dahingestellt. Es folgt ein schmaler, brüchiger und morscher Grat, der sich kaum sinnvoll absichern lässt. Er ist aber anders als das vorherige Stück hinter dem ersten Turm nicht wirklich ausgesetzt. In einem kleinen Schotterfeld steigt Hannah links einige Höhenmeter auf und erreicht den Standplatz unter dem brüchig anmutenden Aufschwung auf den dritten und letzten Turm.
- Eine brüchige IIer-Gratpassage und ein kurzes Schotterfeld führen von links an den Aufbau des III. Turmes heran
- Das Wetter hält, der II. Grünsteinturm auch. Keine Selbstverständlichkeit.
- Suchbild
7. Seillänge (IV+)
Was brüchig aussieht klettert sich in dem Fall auch so. Irgendwas muss das kleine Schotterfeld unter dem 3. Turm ja nähren. Die 7. Seillänge wird nicht alleine dafür verantwortlich sein – einen kleinen Beitrag leistet sie aber auf jeden Fall. Vom Standplatz weg ist erstmal kein wegweisender Haken zu erkennen. Ich steige auf Verdacht in die brüchige Rinne. Rechts in einem nassen Riss geht sich ein #1 Friend aus. Es klettert sich trotzdem wie auf einem Scherbenhaufen und das Bedürfnis besagten Friend zu testen ist minimal. Das ist mal authentischer Mieminger Bruch. Der ganze Gipfelaufbau der benachbarten Marienbergspitze bestand bei meiner Begehung vor einem Jahr aus diesem bröseligen Würfeln.
Beim höher steigen taucht zum Glück nach wenigen Metern eine nach rechts ansteigende Rampe auf, die vom Standplatz aus noch nicht wirklich einzusehen war. Sie erlöst vor dem gröbsten Bruch und der Frage nach dem Weiterweg: auf halber Strecke blinkt mal wieder ein Bohrhaken. Ich folge der Rampe nach rechts und verlasse sie dann in das plattige Wandl. Hier geht es an einem Schlaghaken in einer kleinen Links-Rechts-Schlaufe zum Ausstieg im Bereich der Kante. Ein kleiner Steinmann ziert das brüchige Plateau. Zwischen den kurzweilig kompakten Platten gibt es hier auch einige lose Blöcke. Zum Glück steht die sichernde Person neben der Schusslinie.
8. Seillänge (IV+)
- Am Ende der 7. Seillänge auf einem gemütlichen Absatz
- Hannah in der 8. Seillänge (IV+)
- Blick gen Grünstein
Schon die vorletzte Seillänge! Fein. Das Wetter hat den ganzen Tag ein bisschen in unserem Nacken gesessen und vor sich hin gebrodelt. Da die Tour auf den Türmchen jeweils ganz gut abgebrochen werden kann, hat uns das nicht weiter beunruhigt. Ein Blick auf’s Wetterradar bestätigt nun auch endgültig, dass heute keine gröberen Gewitter oder Wetterstürze zu erwarten sind. Immerhin knallt die Sonne nicht mehr so sehr in die Wand.
Hannah schwingt sicher wieder auf den hier wieder breiten, geneigten und plattigen Grat. Die Strecke zum ersten Bohrhaken ist recht weit – lässt sich aber gemütlich klettern. Erst kurz vor Ende der 50 Meter langen Seillänge wird es nochmal ein bisschen rustikaler. Ein dunkler Block wird auf seiner brüchigen Unterseite umklettert. Zwar hat es hier nochmal einen Haken – ich empfinde die Stelle aber als einigermaßen heikel weil auch die Leisten auf der Platte nicht wirklich fest sind. Der schrottige Kamin, über den die Seillänge dann nach rechts verlassen wird macht es auch nicht besser. Auch hier ist nur jeder zweite Griff und Tritt vertrauenswürdig. Ein hauchzarter Gruß aus den rustikaleren Seiten des Alpinkletterns. Wurde auch mal Zeit.
9. Seillänge (IV+)
Die letzte Seillänge ist dann überraschend kurz. Wir hatten 50 Meter gelesen – gegangen bin ich vielleicht 30 bis die Marienstatue den Weg versperrt. Vom Standplatz weg geht es nochmal durch ein steiles, kleingriffiges Wändchen mit ansprechender Kletterei und einem gewissen Runout. Wenigstens ist der Fels hier wieder ein bisschen fester. Rasch lehnt sich das Gelände zurück und gibt den Blick auf den schmalen Gipfel frei.

Ein wirklich magischer und einsamer Ort, dem eine gewisse Exklusivität innewohnt. Einen einfacheren Weg als den unseren gibt es nicht um zu der kleinen Marienstatue im gewaltigen Gemäuer des Grünsteins zu gelangen. Und für uns war das sogar die erste Mehrseillänge dieser Art im Jahr 2025. Klar – so ein bisschen Arco-Gedöhns hatten wir schon. Und auch im Zillertal waren wir einige Male am Fels. Aber das hier ist was Anderes. Das hier ist wilde Kulisse und kleine Abenteuer an altbekannten Bergen, die wir mit vielen anderen Bergmomenten verbinden. Einfach schön.
Abseilpiste
Da noch ein einigermaßen langer Abstieg (5x Abseilen) vor uns liegt, fällt die Gipfelrast nicht zu ausgiebig aus. Es ist immer spannend ins Ungewisse abzuseilen – auch wenn die perfekt markierte und gut ausgerüstete Abseilpiste entlang der Route Mauseloch eigentlich nur wenige Fragen offen lässt. Wer bisher aufmerksam geklettert ist hat auch seitlich schon erste Blicke auf den namensgebenden Klemmblock werfen können.
Da der Platz am Gipfel relativ begrenzt ist, schlage ich vor Hannah kurz abzulassen und dann weiter abzuseilen. Das war in der Vergangenheit einige Male schon sehr erfolgreich. Einige Male war es aber auch ganz große Sch***e. Je nachdem wie das Seil halt liegt 😉 heute ist es letzteres, sodass wir auf den ersten Abseiler so viel Zeit verbraten wie auf den übrigen vier gemeinsam. Zum Glück haben wir kein Gewitter im Nacken.
Durch eine steile Plattenwand südlich hinab zu einem gebohrten Stand mit Schnappkarabiner. Dann nochmal steil, dann flacher werdend, in die breite Rinne, welche im Tunnel unter dem Klemmblock mündet. Der Standplatz befindet sich aber noch vor dem Mauseloch auf der im Abstiegssinne linken Seite.
- Blick in die Abseilpiste
- Ablassen – mal wieder richtig bescheidene Idee gewesen
- Ich schließe auf und ab. Oder so.
Dann spektakulär durch das Loch unter dem großen Klemmblock abseilen und dort durch eine lange Rinne bis ins flachere Gelände. Eigentlich nochmal ein richtig pfiffiger Abstieg, der für sich schon eine kleines Erlebnis ist. Es folgt eine sehr flache und mit Schutt gefüllte Rinne. Wir seilen hier tendenziell ein wenig zu weit rechts ab. Hält man sich etwas weiter links bzw. mittig, so bleibt man vermutlich im solideren Fels und trifft auch schöner von oben auf den nächsten Abseilstand. Rechts gibt es zwar auch was – aber eher aus der Kategorie einzelner Bohrhaken mit Schraubglied. Ich suche etwas Besseres und werde auch fündig. Sobald die Rinne in eine letzte, steile Wand abbricht hat es am von oben kommend linken Ufer nochmal einen gewohnt guten Standplatz.
Steinschlag ist in der seichten Rinne auf jeden Fall ein Thema – gleichzeitig ist das Gelände so leicht und flach, dass wir beinahe versucht wären die Passage beim nächsten Mal seilfrei abzuklettern. Der letzte Abseiler ist dann unkompliziert und offensichtlich über ein dickes Plattenschild zurück zum Wandfuß.
- Das klemmende Wunder
- Hannah im Mäuseloch
- 4. Abseiler durch die seichte Schlucht (Steinschlag)
- Der letzte Abseiler über ein hübsches Plattenwändchen
Jetzt nur noch jammernd zurück zum Marienbergjoch humpeln, versuchen nicht von den dortigen Kühen gefressen zu werden und mit dem unfassbar langsamen „Liebeslift“ zurück ins Tal schweben. Und dann kniebedingt für die nächsten 3 Wochen komplett ausfallen.
Aber das war es doch wert, oder?
Schwierigkeit, Versicherung und Material
Eine wirklich überraschend lohnende Tour in den gewaltigen Südflanken der Mieminger Kette. Wobei „lohnend“ wie so oft nicht nur in reinen Klettermetern gemessen werden sollte. Denn davon gibt es nicht allzu viele. Was bleibt ist eine wirklich schöne Linie durch eine fantastische und alpine Landschaft mit perfekt eingerichteten Standplätzen und überwiegend gutem, teils sogar sehr sehr feinem Fels.
Die Kletterei ist für das Ambiente und die Lage der Tour relativ human bewertet – speziell die nominelle Schlüsselstelle sticht kaum aus den anderen kniffligeren Einzelstellen heraus und ist dazu auch noch recht brauchbar abgesichert. Überrascht waren wir von den vielen trickreichen Kleinigkeiten abseits davon: einigen interessanten Abkletterpassagen, schmalen Graten, rauen Platten, Runouts, Bruchpassagen und von einem einigermaßen kühnen Spreizschritt. So ergibt sich ein absolut abwechslungsreiches semi-alpines Allerlei, das viele Grundfertigkeiten des Kletterns abfragt und dabei aber nie richtig ernst wird. Die Tour ließe sich bei Bedarf immer wieder seitlich abbrechen.
Die Absicherung ist gut – wir hatten fast mit weniger & ungünstiger platzierten Haken gerechnet. So kann in den schweren Stellen relativ sorglos geklettert werden. Die Abstände sind aber wesentlich weiter als im Klettergarten. Im (ggf. oberen) 4. Grad darf dann auch mal länger ohne fixes Material und stellenweise auch ohne wirklich gute Möglichkeiten auf mobile Absicherung geklettert werden. Letztere sollte generell nicht überschätzt werden. Zwar lässt sich immer mal wieder ein Klemmgerät versenken, oft muss aber auch einfach geklettert werden. Entweder zugunsten der Seilreibung in den oft langen Seillängen oder weil der Fels schlicht nicht mehr hergibt. Wir würden bei einer weiteren Begehung maximal 3 kleine bis mittlere Totems mitnehmen (z.B. blau, lila, rot). So richtig klemmkeilfreundlich kam uns der Fels auch nicht vor. Und was wir trotz großer Ambition gar nicht untergebracht haben ist der große #3er Cam. Keine Ahnung wo man den hinstecken soll. Trainingsgewicht.
Wir waren mit 60m Halbseilen unterwegs. Die braucht es offiziell auch um die Abseilpiste zu nutzen. Nordseitig käme man angeblich auch mit 2 Abseilfahrten á 30 Meter runter – das haben wir aber nicht ausprobiert, da es mit Gehpassagen in einer steilen Rinne weniger knieschonend gewesen wäre. Lange Expressschlingen machen Sinn. Mindestens drei Stück für die 4. Seillänge – gegeben man weiß genau, wo man sie einhängt. Sonst darf man halt ordentlich rupfen beim Crux-Kraxeln.
Topo
Weil es hier noch nichts gibt hab ich mal wieder was gemalt. Ich hab bestimmt nicht jeden Haken korrekt eingezeichnet – in manchen Seillängen gab es mehr als hier skizziert. Wichtig war es mir eher die groben Details und markanten Einzelstellen festzuhalten. Der Routenverlauf ist im großen und ganzen ohnehin recht logisch und meistens leicht zu lesen.

Zusammenfassung
Der Miniatur-Drachentanz auf der Südseite des Grünsteins! Wir kommen bestimmt nochmal und schauen uns ein paar der anderen Routen an. Das muss wahrscheinlich nur nicht in der absoluten Sommerhitze sein. Ansonsten aber ein wirklich überraschend schöner Grat und eine spannende Kletterei, die gar nicht so weit oben auf dem Zettel stand und rückblickend wirklich eine bessere Platzierung verdient hätte.
Hi Jan, dankeschön für das Topo – meinst du 50m Halbseile reichen auch aus oder sind die 55m zwingend abzuseilen. Grüße Lars
Servus Lars,
ohne meine Hand dafür ins Feuer zu legen – du solltest auch mit 50 Metern auskommen. Die beiden längsten Abseiler (Nr. 2 und 3 von oben kommend) münden jeweils in recht leichtem, gestuften und nicht exponierten Gelände. Ich hatte das Gefühl, dass wir mit den 60ern immer einen kleinen Haufen übrig hatten, ganz oder beinahe ausgereizt haben wir die Seile nicht. Ansonsten gibt es Gerüchten zufolge ja auch noch den Abstieg nach Norden mit zwei kürzeren Abseilern..
Gib mir gerne Bescheid, wenn du dir das vor Ort angeschaut hast! Kann ich dann hier ggf. noch reintippen, profitieren sicher auch noch weitere Seilschaften von 🙂
LG aus Garmisch,
Jan