Kletterblog & Berggeschichten
Grünstein (2661m) via Riffelrinne (50°, II)
Grünstein (2661m) via Riffelrinne (50°, II)

Grünstein (2661m) via Riffelrinne (50°, II)

Unverhofft kommt oft.

Sagt sich so leicht. Passt auch hin und wieder. Dass dann aber eine Tour, die seit Jahren (wenn nicht sogar Jahrhunderten) auf der Liste steht noch schnell an eine ungeschickt in einen Wochenendtag gelegte Wohnungsbesichtigung angehängt wird, ist eher selten. Dass ein so unerhörten Ausflug auf einen ungespurten und winterlichen Koloss in der Mieminger Kette sich dann auch noch gar so traumhaft entfaltet grenzt fast schon an Frechheit.

Nicht das Ding am Königssee mit dem Klettersteig…

Mit seinen 2661 Metern ist der Grünstein zwar nicht die höchste aber eine der markanteren Berggestalten der Mieminger Kette. Nach Süden präsentiert er eine gewaltige, von Türmen zerfurchte Südflanke ins Oberinntal. Von Norden betrachtet steht er als schroffe Zinne über den blauen Wassern der Instagram-Hotspots um Seebensee, Drachensee und Coburger Hütte. Im Nahbereich letzterer gibt es einige anspruchsvollere Bergziele. Die Tajaköpfe mit ihren Klettersteigen. Der Vordere Drachenkopf etwa, der für viele einen Einstieg in alpinere Berg- und Kraxeltouren darstellt. Oder die kühne Ehrwalder Sonnenspitze, welche ein Teststück für diejenigen sein dürfte, die sich am Drachenkopf bereits zu wohl fühlen und auf größere Unternehmungen hinarbeiten.

All diese Berge haben aber gemein, dass sie dem eigentlichen Hauptkamm der Mieminger Kette vorgelagert sind. Und obwohl die den Hauptkamm bildenden Gipfel wie Grünstein, Wampeter Schrofen und Marienbergspitzen per Luftlinie kaum weiter von Hütte oder E-Bike-Parkplatz entfernt sind, wird es dort schlagartig unverhältnismäßig still und ernst: Wer sich schon mal mit den Gipfeln des Hauptkamms beschäftigt hat weiß, dass hier die Karten neu gemischt werden. Alles zwischen Hochplattig im Osten und dem Wampeter Schrofen im Westen ist wild und weitestgehend unerschlossen. Steige und Normalwege – sofern es sie gibt – kratzen am oberen Rand dessen was mit der T-Skala abgedeckt wird. Die Kletterei kann entweder bombenfest oder absurd(!) brüchig sein und präsentiert beide Aggregatzustände gerne innerhalb weniger Meter.

Die Riffelrinne

Das ist auch direkt einer der Gründe, warum der Grünstein für mich immer eine Wintertour war. Ich wollte das anwenden, was auch schon bei der Östlichen Marienbergspitze oder der Tiefkarspitze im benachbarten Karwendelgebirge funktioniert hat: Den Bruch mit Schnee kaschieren und mit Pickel und Steigeisen auf eine Fortbewegungsweise setzen, die mir viel mehr Freude macht als Geröll, Schotter und brüchige Griffe und Tritte. Von vielen gangbaren Rinnen, die sich an diesem Berg im Winter ausprägen ist die Riffelrinne wahrscheinlich die einfachste und offensichtlichste. Ihrem Verlauf folgt man auch im Sommer, wenn man auf dem Weg des geringsten Widerstandes zum Gipfel des Grünstein gelangen möchte. Und weil sie – abgesehen von einem verwinkelten Einstieg – ganz schön weitläufig ist, wird sie oft sogar als Riffeltal bezeichnet und erhält ihren Namen von 4 markanten, kleinen Felszinnen oberhalb des Anstiegs. Man könnte sie in großen Teilen sogar auf Skiern abfahren…

Vom Marienbergjoch zum Hölltörl

Wir mogeln uns mangels Zeit und mit Vorhandensein eines entsprechenden Saisontickets mit der Marienbergbahn von Biberwier auf einen komfortablen Ausgangspunkt auf 1788 Höhenmetern. Das lässt zwar noch reichlich kniffliges Gelände im Aufstieg übrig – verkürzt die Tour aber zu einem Halbtagesprogramm, wie wir es heute sowieso brauchen. Nicht nur die Zustände auf und neben den Pisten sind grenzwertig. Auch das Wetter schaut gar nicht allzu freundlich aus. Zwar soll es keinen Niederschlag oder zu bösartigen Wind haben – die Gipfel hängen aber in dichter Bewölkung. Der Grünstein hat heute zwar schon einige Male mit seinen oberen 50 Höhenmetern über die Wolkendecke geguckt, einen solchen Moment abzupassen halten wir aber bereits im Zustieg durch dichten Nebel für reichlich unrealistisch. Überhaupt – die Wegfindung könnte sich interessant gestalten. Glaubt man den Berichten im Netz stellt das Riffeltal selbst bei klarer Sicht im Sommer einen gewissen Anspruch an den Spürsinn seiner Besucher.

Wir schlüpfen in die Tourenski und folgen der Spur in Richtung Hölltörl. Hier setzen auch Grünstein-Umfahrung und Grünstein-Umrundung an – äußerst beliebte und frequentierte Skiunternehmungen am westlichen Ufer der Mieminger Kette. Entsprechend gut ist die Spur, die uns unter die Südflanke unseres Berges führt. Teils ist sie sogar so „gut“, dass sie bis zum felsigen Boden durchdringt und kurze aber unumgängliche Tragepassagen abwirft. Meist aber ist es gerade so, dass ich mitten in der Latschengasse auf dem eisigen Grund in den Rückwärtsgang schalte und einige Meter zurück rutsche. Das führt – trotz Schneeauflage – zu einer weiteren, wütenden Tragepassage. Schuld haben natürlich meine Felle. Die sind nämlich einen Hauch älter als die von Hannah. Und Hannah rutscht weniger.

Wie sie sehn, sehn sie nix.

Rasch lichtet sich das Gelände und führt an die 2000-Meter Grenze heran. Die Wolkendecke will sich da nicht so ganz mitmachen. Die Sicht ist nur sehr kleinräumig. Im Nebel lassen sich vage Konturen ausmachen, die meiste Zeit fehlt aber beinahe jedes Gefühl für Raum und Zeit. Es ist völlig still. Und ganz bestimmt niemand sonst hier oben unterwegs.

Cosmic Conditions

Einstieg Riffelrinne

Wir erreichen das lange Schneefeld, welches oben in die Riffelrinne führen dürfte. Der verlässlichste Marker dafür, dass die Rinne irgendwo über uns liegen dürfte ist der offensichtliche Lawinenschutt, der sich hier abgelagert hat. Wir steigen noch einige Höhenmeter auf Ski in das triste Weiß hinein. Dann heißt es umbauen. Und entscheiden. Bis hier war Spaziergang auf deutlicher Spur. Letztere haben wir schon ab dem nun unter uns im Dunst verschwindenden Hölltörl hinter uns gelassen.

Wir lassen die Ski im Schneefeld zurück und stapfen mit Skischuhen weiter. Das verschafft einen guten Eindruck über den Schnee, welcher hier unten gepresst und knallhart gefroren ist. Die Gleichung geht aber auf, solange die Klumpen der Lawinenabgänge Stufen im Schnee formen und einfaches Steigen in der inzwischen an die 40° steilen Flanke erlauben. Links und rechts tauchen Felsen auf. Dazwischen führt ein weißer Streifen ins Nichts. Ein paar kleine steine kullern uns entgegen. Das ist beinahe die wissenschaftliche Definition einer Rinne. Und Anlass genug auf die Steigeisen zu wechseln, die wir ohnehin sehr bald benötigen werden.

Linke Variante

Recht bald teilt sich die Rinne in zwei gleichermaßen markante Zweige, die durch senkrechte Felsmauern getrennt sind. Auch wenn wir wenig sehen – es ist relativ offensichtlich, dass die beiden Arme so bald nicht mehr zusammenlaufen werden. Die rechte der beiden knickt scharf nach rechts ab und ist dann nicht weiter einzusehen. Die linke folgt noch für einige Höhenmeter der bisherigen Richtung und biegt dann ebenfalls nach rechts ab. Wir entscheiden uns für die zweite Variante. Mit wenigen Argumenten, die wirklich dafür sprechen würden. Sieht eh alles gleich aus. Spuren hat es ohnehin nicht. Aber so hat man wenigstens das Gefühl, erstmal in der Rinne zu bleiben und sich nicht aktiv für eine Abweichung von dieser zu entscheiden.

Wenige Meter später haben wir Grund genug unsere Entscheidung kurz anzuzweifeln. Direkt mit der Rechtskurve unter einen hohen, finsteren Felswand schaltet das Gully in den Kampfmodus. Und wir mit ihm.

Ohne Vorwarnung oder Aufwärmphase präsentiert der Grünstein uns die Schlüsselstelle des Tages. Natürlich kann der Grünstein selbst nichts dafür, dass wir in der falschen Rinne sind und uns die Schlüsselstelle unwissentlich selbst ausgesucht haben. Auf der anderen Seite wahren wir so die dünnen Eisflächen, die uns später den Abstieg in der Nachbarrinne erleichtern werden und nur wenige, sehr gezielte Schläge mit dem Pickel vertragen.

Aus dem Tiefschnee heraus versperrt eine vielleicht 10 – 15 Meter messende Plattenrampe den Weg. Sie ist weder wirklich steil oder exponiert – klettert sich mit minimaler Schneekruste, brüchigem Fels und kaum ausgeprägten Stufen aber äußerst wackelig. Im Sommer kommt man da wahrscheinlich mit einem 2er durch. Die Lösung die wir erarbeiten – eine schmale Grasspur auf der rechten Seite nutzend – fühlt sich aber eher wie M3 an. Zumindest empfand ich vergleichbare Stellen in der Heimgarten Nordwand einfacher. Dort fehlte aber auch die psychische Komponente. Mit viel Schieben, Drücken und sehr vorsichtigem Gully-Einsatz arbeiten wir uns am Rand der Platte entlang. Der letzte Meter entfacht eine kurzweilige Krise bei mir – denn von den für eine gewisse Zeit tragenden Graspolstern ist gar nicht mehr so viel übrig und nach oben gibt es keine wirklich guten Griffe um eine kurze, steile Engstelle sinnstiftend aufzulösen.

Für den Abstieg müssen wir uns aber was überlegen…

Eine kurze aber tragende Querung im Schnee führt uns wieder in eine ideale, steile Schneerinne. Ignoriert man die Tatsache, dass unten ein kleines Platten-Reibeisen lauert, könnte man hier fast genüsslich steilen Schnee stapfen. Ein paar anstrengende Höhenmeter lehnt sich das Gelände zurück und wir haben die Gewissheit, die erste Aufgabe gelöst zu haben. An einem schmalen Schneegrat erreichen wir die Trennlinie zwischen den beiden Rinnen des unteren Teils und damit auch den Übergang in den erstmal wesentlich banaleren oberen Abschnitt.

Zentraler Teil der Riffelrinne

Ein weites, weißes Becken öffnet sich vor uns. In ihm stehen, wie Haifischflossen, einzelne Türmchen und Zacken. Die Wolkenbasis ist ein wenig angestiegen – wir haben zwar immer noch keine Sicht nach oben aber nun zumindest einen Tiefblick bis runter zum Mieminger Plateau. Und für winzige Augenblicke tauchen auch oben die noch weit entfernten „Riffeln“ auf, die hier eigentlich als Wegweiser dienen sollen.

Wir halten uns für rund 250 Höhenmeter in der Mitte des Riffeltals. Die Schneeverhältnisse dürfen mindestens als wechselhaft beschrieben werden – auf der kurzen Strecke ist wirklich fast alles geboten: tiefer Pulverschnee, Harschdeckel in allen Formen und Farben, idealer Stapfschnee und nasser Sulzschnee. Je nach Mächtigkeit der Schneedecke, was im Winter 2024/2025 ohnehin eine ambitionierte Formulierung ist, ist rasch auch Kontakt zum brüchig-erdigen Fels unter dem Schnee hergestellt. Aber wir kommen gut voran, tun was für die Figur und haben den hübschen Berg ganz für uns allein.

Verhauer und brüchige Flanke zum Vorgipfel

Aus mangelnder Sicht und einer etwas missverständlichen Beschreibung „man solle sich im Zweifel eher rechts halten“ tun wir genau das. Als die ersten größeren Felswände und Türme den nahenden Gipfelaufbau ankündigen halten wir uns nach rechts in eine sehr steile Flanke und folgen dieser, bis wir den „Rand“ des Riffeltals erreicht haben. Hier finden wir rasch eine Möglichkeit über brüchigen Fels in das einzusteigen, was wir als Gipfelflanke vermuten.

Knapp vorbei ist auch daneben…

Die Schotterflanke kickt ganz schön. Wirklich nichts an diesem Berg scheint fest zu sein. Das Gelände ist steil genug um sich Gedanken über die Konsequenzen eines Rutschers zu machen. Die dünne Schneeauflage erfordert irgendwie Steigeisen – irgendwie aber auch nicht. Ich bin froh als sich die Flanke zurücklehnt, wir 20 Höhenmeter unterhalb des Gipfels aus der Wolkendecke herausbrechen und gegenüber das Gipfelkreuz in der Sonne leuchtet. Bloß der Weg dahin ist ein großes Fragezeichen.

Wir sind also auf einem östlichen Vorgipfel gelandet. Der Hauptgipfel – direkt gegenüber – ist durch eine schaurig exponierte Scharte von uns abgeschirmt. Selbst im Sommer und selbst mit Seil dürfte der direkte Weg keine Option darstellen. Tatsächlich stoßen hier in den Sommermonaten auch Begeher des Ostgrates auf eine unverhoffte Hürde, welche durch eine Querung in die brüchige Südflanke umgangen wird. Das sind Infos, die ich schon irgendwo im Unterbewusstsein mit mir herum trage – für uns stellt sich an dieser Stelle aber die Frage, ob und wie wir einen Rückzug gestalten. Denn für einen Gipfel gehen wir kein Risiko ein. Die heutige Tour war beeindruckend genug.

Dass wir einen Zugang zum Gipfel finden liegt vor allem daran, dass der uns nun bekannte Zustieg durch das brüchige Geröll zwar im Bereich des Möglichen liegt aber definitiv nicht die günstigste Variante zu sein scheint. Hannah experimentiert an einem Abstieg in eine steile Rinne, welche in der Falllinie unter dem Gipfel liegt und unten (in der Wolke) sogar zurück in den zentralen Teil der Riffelrinne und an den Punkt unseres kleinen Verhauers zu führen scheint. Falls wir diese Rinne erreichen hätten wir gleich zwei Sachen gewonnen. Einen mutmaßlich einfacheren und sehr direkten Abstieg zurück ins bekannte Gelände. Und – sofern sich die gegenüberliegende, extrem steile Schneerampe richtig deuten lässt – eine Chance auf den Gipfel. Doch genau hier fehlen zwei Meter in den tiefen Schnee der Rinne, die sich nicht sauber Abklettern lassen. Die wenigen Tritte bröseln unter den Stiefeln weg. Nicht auszumalen. Würde man hier den Halt verlieren, so würde man…

Geht!

Hannah entdeckt die Sprungstelle, die uns den Zugang zum Gipfel erlaubt

…weich landen! Hannah löst die Stelle mit einem beherzten Sprung in die Rinne, welcher sofort vom tiefen Schnee abgefangen wird. Ein mutiges Stück Dynamik, welches einem abseits der legendären Sprungstelle am Südgrat der Vorderen Brandjochspitze am Berg eher selten begegnet – und welches in keinem Fall als valide Technik missverstanden werden soll. Dass das hier funktioniert ist das Resultat aus einer winzigen Portion Glück, einer durch fallende Steinchen evaluierte Konsistenz der Schneedecke und den bisher beobachteten, unkritischen Lawinenverhältnissen.

Am Grund der Rinne kehrt die Zuversicht zurück. Die gerade, weiße Linie hinab erspart uns den brüchigen Fels der östlichen Schotterflanke, welcher im Abstieg definitiv nochmal anspruchsvoller gewesen wäre. Und auch die steile Rampe, die hier von Westen an den Gipfel heranführt sieht gangbar aus. Mit einigen absurd steilen Metern (kurz ca. 60-70°) im tragenden Schnee erreichen wir einen schmalen Grat unter dem Gipfel, umrunden diesen nach Westen und gelangen über gestuftes Gelände im II. Grad auf den Gipfel des Grünstein.

Nullsicht.

Die Wolkendecke hat uns inzwischen wieder eingeholt. der Gipfel ist in ein gespenstisches Weiß getaucht. Uns stört das überhaupt nicht mehr. Der Weg war das Ziel und hat sich aus zahlreichen spannenden aber überraschend lösbaren Einzelstellen zusammengesetzt. Glaubt man dem Gipfelbuch, so war lange keiner mehr auf dem Grünstein. Ist ja auch Winter. Die Wolken stören nichtmal unseren Abstieg – wir haben eine Spur und einen Plan in den Berg getreten und sind uns ziemlich sicher, dass wir die Skier rechtzeitig erreichen um bei Licht durch das Skigebiet nach Biberwier abzufahren.

Am Gipfel angekommen

Abstieg

Der kalte Wind treibt uns dann doch einigermaßen rasch vom Gipfel. Der Abstieg gestaltet sich wie für die vorherrschenden Schneeverhältnisse üblich ziemlich problemlos. Unterhalb des Gipfelblocks biegen wir wieder auf die steile Rampe ab, die uns in die markante Rinne in Falllinie des Gipfels bringt. Hier biegen wir von unserer Spur ab. Dass wir unsere Sprungstelle nicht wieder hinaufspringen steht außer Frage. Stattdessen folgen wir der steilen Rinne hinab.

Nach wenigen Minuten in der Rinne reißt die Wolkendecke auf und lässt ein grelles, goldenes Licht durch. Zum ersten Mal seit Beginn des Aufstiegs in der Riffelrinne ist der Talboden wieder sichtbar. Und mit dem Licht haben wir auch rasch die Gewissheit, dass uns Gespür hier richtig lag: wir sind bereits wieder im zentralen, weniger steilen Becken der Riffelrinne. Unten erkennen wir sogar unsere Spur.

Was für eine irre Stimmung!

Fahles Licht durchbricht die dünne Wolkendecke – vor Hannah öffnet sich wieder die zentrale Schneeflanke der Riffelrinne

Die Zeit, die wir im Aufstieg in der brüchigen Flanke verloren haben holen wir hier rasch wieder rein. Um das mal kurz in ein greifbares Verhältnis zu setzen. Wo wir im Aufstieg ab Beginn der breiten Schneeflanke 1:30h zum Gipfel gebraucht haben sind es nun im Abstieg nur knapp über 15 Minuten zurück zu diesem Punkt. Ganz vielleicht ist es die erste Poporutschbefahrung der Riffelrinne. Ein alpinistischer Meilenstein.

Es steht nur noch eine große Entscheidung aus. Die untere Steilstufe hatten wir im Aufstieg durch die vom Hölltörl aus gesehen linke Rinne überwunden. Das war zwar okay – die plattige und schwere Kletterei dürfte im Abstieg aber nicht wesentlich angenehmer ausfallen. Eher ist vom Gegenteil auszugehen. Nun gibt es auch noch die zweite Rinne. Die von unten gesehen rechte, welche wir zuvor gekonnt ignoriert haben. Bleiben wir auf dem bekannten Weg – wissend dass uns ein paar schwere Meter vom gangbaren Gelände trennen? Oder stürzen wir uns nochmal in eine neue, unbekannte Rinne und hoffen, dass sich diese gut auflöst?

Andere Rinne / „Sommerweg“

Wir entscheiden uns für Letzteres. Und landen damit im normalen Sommerweg, der sogar einige wenige Stahlseile bereithält. Eine große Hilfe sind diese unter dem eingewehten Schnee zwar nicht – sie bestätigen aber wenigstens, dass wir nicht vollkommen auf Abwegen sind. Im Hintergrund brechen wilde Lichtstrahlen durch die imposanten Wolkenformationen während wir uns in das deutlich verwinkeltere Rinnensystem begeben.

Rückblickend war diese Variante nicht wesentlich leichter. Nur gestufter und etwas weniger ausgesetzt ging es vielleicht zur Sache. Der Fels war an den entscheidenden Stellen solider, die Kletterei steiler aber dafür etwas konkreter und kontrollierbarer. An einigen Stufen haben richtige Eisglasuren gebildet, welche guten Halt für zaghaftes Abklettern bieten. Spätestens nach zwei oder drei Schlägen mit dem Pickel verschwinden aber auch sie ins Tal. Die Kletterei bleibt filigran und anspruchsvoll – irgendwo zwischen M2 und M3 ohne Seil dürften sich einzelne Passagen schon abgespielt haben. Als uns nur noch wenige Meter vom Ausgang aus dem Rinnensystem trennen sind wir zum ersten Mal an diesem Wintertag in feinem, goldenen Sonnenlicht.

Beste Bedingungen um die letzte nennenswerte Schlüsselstelle abzuklettern: ein steiles 3-Meter Wändchen mit positiven Griffen und Tritten im trockenen, sonnigen Fels. Genuss pur – irgendwo am oberen Ende des 2. Schwierigkeitsgrades.

Die kurze II+ Stufe in der Abstiegsrinne

Euphorisch kraxeln, steigen und rutschen wir dem Hölltörl entgegen. Eine ganz große Tour im Schnelldurchlauf. Die Gondelunterstützung zum Marienbergjoch macht’s möglich. Aber auch danach ging es wie schwebend durch die wilde Landschaft auf einen großen Gipfel der Mieminger Kette. Lange hatte ich mich auf diese Tour gefreut – dass es so flowig und imposant wird hatte ich aber nicht auf dem Schirm. Grünstoa, du hast uns gefordert. Auf eine gute Weise. Eine ideale, kombinierte Tour, die sich in die Reihe der ganz besonderen Winterunternehmungen einordnen wird.

Und Abfahrt!

Kurven ins Glück! Hinter der Rechtskurve wartet nur noch triviales Gelände zurück zu unseren Skiern.

Wir erreichen unser Skidepot. Gegenüber im Abendlicht präsentiert sich die Wankreise an der Wankspitze – eine Rinne die uns erst vor einigen Wochen ein riesiges Grinsen ins Gesicht gezaubert hat. Wieder mal ist die Mieminger Kette Schauplatz der tollsten Wintermomente. Schnell sind die Skier angeschnallt, das Schneefeld abgefahren und der Schwenk zurück zum Marienbergjoch eingeleitet.

Die Wolken haben sich fast gänzlich gelichtet und für ein paar Minuten begleiten uns rechterhand noch die glühenden Wände des Berges, den wir gerade haben erleben dürfen. Mittendrin die Rinnen, Rampen und Flanken, welche uns heute so vielseitig beschäftigt haben. Dann geht es über Stock und Stein durch die eisige Latschengasse und zurück auf die inzwischen leeren Skipisten.

Oben links die 4 markanten Riffeln

Wenige Minuten später rauschen wir bereits ins abendliche Tal. Nichtmal 5 Stunden waren wir unterwegs. Fühlt sich surreal an. Im Gepäck haben wir nun also eine Halbtagestour der etwas anderen Art. Und eine lustige Geschichte über den Tag, an dem wir unsere neue Wohnung besichtigt haben. Denn genau die wurde es schlussendlich.

Resonanz

Schwierigkeit, Versicherung und Material

Üppige Winterunternehmung, die wahrscheinlich alle Bereiche des Winterbergsteigens fordert und wie immer gravierend von den Bedingungen abhängt. Was im Sommer irgendwo zwischen T5 und T6 liegt, wird im Winter nicht durch Zauberhand einfacher – aber den brutalen Bruch kann man sich wenigstens in Teilen sparen. Ansonsten anhaltend Schnee bis 50° (Stellen ggf. auch steiler) und Fels je nach Wegwahl bis II+ / III-. Bei unserer Begehung hat sich besonders im „korrekten“ Weg im unteren Teil der Rinne auch etwas einfaches Eis gebildet, mit welchem man umgehen können sollte. Auch Turf ist – sofern richtig identifiziert – an einigen Stellen entscheidend für einen sicheren Auf- und Abstieg.

Drumherum überwiegt Stapfgelände welches lawinengefährdet ist und durch die sonnige Lage besonnen beurteilt werden will.

Wir waren mit Steigeisen, Leichtpickel und Skitourenausrüstung unterwegs. Mit Seil kann vielleicht mal provisorisch abgelassen werden – so richtig hilfreich ist das in der großen Flanke aber nicht. Der Fels ist bis auf wenige Ausnahmen im unteren Teil sehr brüchig und unzuverlässig. Der Gesamtanspruch dürfte sich grob irgendwo im Bereich einer ZS-Hochtour im Sommer einpendeln.

Foto vom Wannig: man erkennt das Riffeltal, die beiden Rinnen im unteren Abschnitt und unser Verhauer im oberen Teil.
Zusammenfassung

Eine wahnsinnig feine Unternehmung an einem beeindruckenden Berg – untermalt von faszinierenden Stimmungen, vielseitigen Hürden im Schnee und Fels und möglich gemacht durch ein paar krächzende Liftanlagen.

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