Kletterblog & Berggeschichten
Alpspitze (2628m) – Winterbegehung (45°)
Alpspitze (2628m) – Winterbegehung (45°)

Alpspitze (2628m) – Winterbegehung (45°)

Einmal Alpspitze im Jahr ist Pflicht!

Habe ich irgendwann mal gesagt. Gemeint war damit aber nicht in den Trubel der sommerlichen Ferrata einzutauchen sondern dessen frostiges Äquivalent. In den Trubel der winterlichen Ferrata einzutauchen. Denn ein Geheimtipp ist diese Winterbegehung ganz bestimmt nicht mehr.

Trotzdem kann ich dem pyramidenförmigen Plattenschild über den Dächern von Garmisch in den Wintermonaten wesentlich mehr abgewinnen. Dem einmaligen und beinahe unfreiwilligen Besuch im Sommer am Ende des Jubiläumsgrates stehen inzwischen vier begeisternde Winterbegehungen gegenüber.

Die Tour hat sich in meiner Wahrnehmung zum „Liebling der Bergführer“ gemausert und wird jeden Herbst und Winter rege beworben und begangen. Und das finde ich nichtmal schlimm. Denn so kann man sich auf halbwegs unverbindlichen und gespurten Winterzauber verlassen, wenn man nicht gerade nach massiven Schneefällen oder bei absurder Lawinenlage einsteigt.

Gondel rauf, Skier runter. Wellness für die Waden.

Unser Tag der Wahl scheint perfekt. Zum einen müssen vier Menschen überhaupt mal gleichzeitig Zeit und Lust haben. Zum anderen ist der Schnee gesetzt und hart. Die letzten nennenswerten Niederschläge liegen schon ein Weilchen in der Vergangenheit und der Lawinenlagebericht gibt eine einwandfreie „1“ aus. Und obwohl der Himmel grau und dramatisch wirkt – es ist auch nicht windig. Zutaten für ein episches Traumtagerl am winterlichen Berg.

Die Ferrata im Winter

Ganz offiziell ist die Alpspitz-Ferrata im Winter gesperrt. Ein Schicksal, welches sich die allermeisten Klettersteige teilen. Anders als bei richtigen Sportklettersteigen sind hier aber keine Seile abmontiert und Überwachsungskameras installiert. Stattdessen wird die in der seichten Flanke ohnehin vielerorts überflüssige Steiganlage im Winter rege besucht und dient auch als Zugang für die Skiabfahrt der Alpspitz-Ostflanke. Und wer die notwendige Routine (und Ausrüstung) mitbringt, wird die allermeisten Stahlseile unter dem Schnee ohnehin nicht vermissen.

Bei meinen bisherigen Begehungen hat sich herauskristallisiert, dass die Alpspitz-Ferrata im Winter meistens aus drei Teilen besteht. Je nach vorherrschenden Bedingungen – welche im Winter bekannterweise das Maß der Dinge sind – warten in diesen drei Teilen recht unterschiedliche Herausforderungen:

  1. Beginn bis Scharte der lustigen Bergler – hier warten in Summe wahrscheinlich die meisten Schwierigkeiten und Gefahren. Die Spuranlage habe ich in diesem Abschnitt schon sehr unterschiedlich gesehen. Tendentiell verstecken sich hier die steilsten Passagen, der meiste Schnee (verdeckte Stahlseile) und das höchste Lawinenrisiko.
  2. Nordflanke – entweder den meist überwiegend (aber nicht überall) freien Seilen am rechten Rand der Flanke folgen, dann aber teils recht exponiert. Häufig führt auch eine Spur linkerhand durch die konstant 40-45° steile Firnflanke. Bei Eis / hartem Firn durchaus ernst.
  3. Gipfelausstieg – oft abgeblasen und eisig, die Seile sind fast immer frei, was in der luftigeren Querung vor der Schlussrinne ein recht dankbarer Zustand ist
Zustieg

Wir schweben mit der ersten Gondel zum Osterfelderkopf und haben die Skier im Gepäck um später heiter durch das Skigebiet abzufahren. Die Zeit und Kraft diese Tour als dicke Skitour aus dem Tal heraus anzugehen habe ich mir noch nicht genommen – da gibt es reizvollere Ziele. Wir folgen der Spur hinüber zum Einstieg der Ferrata, werfen ein Steigeisen den Hang runter, retten es wieder und deponieren unsere Skier.

1. Teil: Bis Scharte der lustigen Bergler (je nach Bedingungen Stellen > 50°)

Wir steigen ein und ich bin gespannt, wie die Spur in diesem Jahr gelegt ist. Tatsächlich bin ich hier jedes Mal anders gegangen und der leichteste Weg kann kleinräumig sehr unterschiedlich ausfallen. Hier unten liegt wirklich viel Schnee und der Aufschwung zu den ersten freigelegten Treppenstufen und Stahlseilen geht als vertikales Schneebouldern durch. Heute hält sich die Linie aber überwiegend auf dem Sommerweg und führt überwiegend gesichert durch das verschneite Gelände. Sehr viel steiler als hier wird der Schnee übrigens nicht mehr – bloß exponierter. Wer hier bereits Probleme hat oder sich unwohl fühlt, sollte von einer weiteren Begehung absehen.

Im Frühjahr habe ich es auch schonmal erlebt, dass im unteren Abschnitt alle Stahlseile unter Schneemassen begraben waren und man sich stattdessen in den recht logischen Gullys bzw. Rinnen hält. Etwa im März 2022, als wir den Steig komplett in den im Topo von Bergsteigen.com grau eingezeichneten Rinnen umgehen und dafür kurz richtig alpines Schneesteigen spielen dürfen. Erinnert fast ein wenig an die Idealrinne an der Tiefkarspitze – allerdings in vielfach freundlicherem Ambiente.

Zwei Jahre zuvor: Im Frühjahr 2022 geht es anstelle der Leitern durch ein steiles Firngully empor

Für die meisten meiner BegleiterInnen ist das heute die erste Wintertour in diesem Kaliber und entsprechend beeindruckend erleben wir das tief winterliche Gelände. Im Aufstieg begleitet uns auch stets der Gedanke an den Abstieg – will man nicht gerade über die Ostflanke abfahren oder anspruchsvoller ins Grieskar ausweichen, so bleibt eigentlich nur der Abstieg über die Ferrata. Und speziell im Schnee und bei fortschreitender Tageszeit können solche Abstiege spannend werden.

2. Teil: Nordflanke (bis 45°)

Wir erreichen die Scharte und das kurze, im Sommer dramatisch überversicherte Flachstück. Dieses leitet in die hübsche Nordflanke, welche rechts von den markanten, plattigen Abbrüchen begrenzt wird. Wir halten uns kurz auf dem Fels und in dem abgeblasenen Klettersteig, wechseln dann bei erster Gelegenheit aber rasch in den weichen Firn links der Stahlseile.

Westseitiges ist oft abgeblasen

Der Weg durch die Flanke ist bei günstigem Schnee tatsächlich angenehmer. Was man am Klettersteig an Sicherheit gewinnt, das verliert man in Form von Eis, Tiefblicken, unnötigen Kurven und kurzen, verschneiten Abschnitten ohne Stahlseil. Die direkte Flanke stapft sich dagegen homogener und weniger exponiert – erfordert aber sicheres Steigen und das Wissen darum, wie ein Rutscher im Firn gefangen werden kann. Speziell im Frühjahr – mit vereister oder abgeblasener Oberfläche kann es hier ehrlich interessant werden und ich bin jedes Mal überrascht wie hübsch und steil die Flanke oben raus doch ist. Da kriegt man viele klassische Hochtouren in Tirol einfacher.

Wir erreichen den Grat und erhalten einen ersten Blick in das Ausstiegsgelände, welches auf der windzugewandten Seite oft mit weniger aber punktuell aufgewehtem Schnee garniert ist.

Teil 3: Gipfelausstieg

Die Querung gelingt dank guter Spur und freien Seilen rasch. Es ist einiges los heute und auf dieser Seite des Berges pfeift ein eisiger Wind aus dem Höllental empor. In der Ferne versteckt sich die Zugspitze in einer bleiernen Wolkendecke.

Die Gipfelrinne ist nur noch eine soziale Schlüsselstelle – den hier wird es mit entgegenkommenden Bergsteigern oft eng. Freundlich bleiben und vorausschauend wandern. Dafür habe ich hier fast noch nie Schnee gesehen und würde behaupten, dass es hier normalerweise mit Felskontakt unschwierig empor geht. Sollte es mal anders sein, kann ich mir gut vorstellen genau hier umzudrehen – luftig ist es schon.

Wir erreichen den Gipfel und den fantastischen Ausblick auf die graue, raue Schönheit des Wettersteinmassivs. Der Jubiläumsgrat ist mit weißen Wächten bestückt, gegenüber blitzt die schmale Nordrinne am Hochblassen hinüber. Die Dreitorspitzen bilden ein mächtiges Bollwerk vor den düsteren Wolken. Eine ziemlich eindrückliche Stimmung für eine Begehung der Alpspitze – obgleich die Bedingungen wirklich gut sind. Denn wir müssen uns für den Abstieg nicht auf weicheren, stollenden Schnee einstellen, wie es an schöneren Tagen rasch der Fall sein kann.

Abstieg

Nach einer windbedingt kurzen Gipfelrast treten wir den Rückweg an. Matze und Maren wollen noch die Gondel erwischen, Uli und ich mit Skiern abfahren – der Weg zurück in das bunte Treiben der Skipisten ist lang. In der Flanke entscheiden wir uns von dem Halbseil Gebrauch zu machen, damit zwei von uns das steilste Stück abseilen können. Danach geht es mit kleinen Abweichungen in der selben Spur wieder zurück zum Einstieg, wobei die meisten Stellen im Abstieg kniffliger ausfallen. Ein paar eisige Platten kurz vor der Scharte beschäftigen uns noch ein bisschen länger – waren die vorher auch schon da?

Für zwei von uns macht die Crux der Firnflanke im Abstieg per Abseilfahrt mehr Spaß

Am Einstieg angekommen trennen sich unsere Wege und Uli und ich rauschen durch das Skigebiet dem Tal entgegen. 5% in den feinen Pulverhängen unter der Alpspitz-Nordwand. 95% auf Pisten, über dessen Sinn und Unsinn man sich in diesem Jahr wirklich kräftig streiten darf. Spätestens auf dem schmalen Matschstreifen inmitten grüner Wiesen dürfte wohl jeder die Botschaft mitbekommen haben.

Wir haben ein Problem

Mit einem menschgemachten Klimawandel und reger Beschneiungswut in wirklich aussichtslosen Wärmeperioden – Spaß hat auf der legendären Talabfahrt nach Garmisch wirklich niemand. Zum Glück sind wir bereits vorher auf unsere Kosten gekommen – auf einem herrlich winterlichen Steig an einem tollen Berg.


Schwierigkeit, Versicherung und Material

Die Alpspitze ist ein interessantes und entsprechend beliebtes Winterziel, welches sich wahrscheinlich vor allem an erfahrenere Skibergsteiger oder mindestens Hochtourengeher richtet. Mit der Sommerbegehung hat die Tour wenig gemein und eine heitere Winterwanderung ist sie auch nicht – auf die nicht immer vorhandenen Stahlseile sollte man nicht angewiesen sein. Die tatsächlichen Risiken halten sich für eine Winterbegehung auf einen hohen Berg im Wetterstein in Grenzen – eine gute Spur ist häufig den gesamten Winter über zu finden und die Lawinengefahr beschränkt sich bei normalen Bedingungen auf einigermaßen überschaubare Stellen im Bereich des Einstiegs. Dazwischen gibt es Firn, Tiefschnee, blankes Eis, kalten Fels, Wind und spannende Einzelstellen, die sicheres Steigen mit Steigeisen vorraussetzen.

Ein Klettersteigset sollte auf jeden Fall beim ersten Mal dabei sein – gerade im Bereich des Gipfels ist man je nach Bedingungen doch teils froh um die Möglichkeit sich einzuhängen. Daneben sind ordentliche Steigeisen mit Frontzacken obligat – ebenso wie ein Pickel. Mit unsicheren Aspiranten kann sich auch die Mitnahme eines Seils lohnen – etwa um verschneite Stellen per Fixseil zu entschärfen oder die Option auf eine Abseilfahrt zu haben.

Zusammenfassung

Der Winterklassiker im Wetterstein – mit entsprechendem Andrang und unbestreitbar schönem und anregenden Gelände.

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