Ammergauer Kreuzspitze (2185m) & Kuchelbergkamm Winterüberschreitung (T4, I)
Ammergauer Kreuzspitze (2185m) & Kuchelbergkamm Winterüberschreitung (T4, I)

Ammergauer Kreuzspitze (2185m) & Kuchelbergkamm Winterüberschreitung (T4, I)

Aaaaaalso.

Es hat ja fast schon eine gewisse Tradition, dass der erste Schnee der Saison mit irgendeiner generischen Grattour in den Ammergauer Alpen zelebriert wird. Zumindest wenn man ziemlich genau ein Jahr nach der Ammergauer Hochplatte schon von einer Tradition sprechen kann. Fühlt sich aber so an.

Und dann wäre da eh noch der Epos an den Geierköpfen, der es aus Gründen nie auf diesen Blog geschafft hat.

Als dann im November eine unverhofft früher Wintereinbruch in den höheren Lagen einschlägt ist klar – jetzt wird gestapft. Irgendeine Tour, die man immer mal machen wollte aber im Sommer bei besten Bedingungen stets durch eine andere, tollere, größere Idee auf der Strecke blieb. Für diese Touren gibt es einen besonderen Platz in meinem Herzen. Und ich krame sie beim ersten Schnee hervor und seh zu, ob sich da was recyclen lässt. Und oft ist das der Fall. So auch heute. Tourenplanung abgeschlossen.

Hannah wollte eh auf die Kreuzspitze – weil sie halt von Hochplatte und Geierköpfen cool aussah. Naheliegend. Naja und Ben hatte einfach nichts anderes vor und nicht völlig auf dem Schirm, was auf ihn zukommt. Dafür aber als einziger eine Sonnenbrille dabei. Geschichten wie sie nur das Leben schreibt – aber dazu später mehr.

Irgendwie haben wir uns dann auch noch eingebildet – abhängig von den vorgefundenen Bedingungen – als Abstieg noch den Kuchelbergkamm zu überschreiten. Das ist zwar eine nette Idee, der Kuchelberggrat ist eine hübsche, langgezogene und nicht allzu wilde Gratlinie, die sich im Sommer als schöner Grasgrat von Norden zur Kreuzspitze zieht. Mit fast 4 Kilometern Wegstrecke zwischen Kreuzspitze und Ende des Grates stellt er uns aber vor eine weitere logistische Herausforderung. Die Tour endet ganz bestimmt nicht dort, wo sie begonnen hat. Und so deponieren wir einen Wagen in der Nähe von Schloss Linderhof und starten am Parkplatz “Bei den sieben Quellen” zu unserer Tour.

Zum Schwarzenköpfl

Wir queren kurz das breite, mit gefrorenem Kies gefüllte Flussbett des aktuell versiegten Neualmbachs, welches einen kurzen und wilden Blick auf den östlichen Geierkopf freigibt. Dann queren wir auf schneefreien Wanderwegen gen Norden und starten in sehr direkten Serpentinen den Anstieg zum Schwarzenköpfl, einem kleinen und unscheinbaren westlichen Vorbau der Kreuzspitze.

Hier sei auch nochmal erwähnt, dass Winterbergsteigen ganz arg mit den Bedingungen verknüpft sind. Wir halten uns für den Aufstieg entlang des Sommerweges, welcher im Winter mit leichten Abweichungen auch als Skitour gegangen wird. Die Kreuzspitze ist im Sommer eine “schwere Bergwanderung” und auch als Skitour “ziemlich schwierig” und damit auch durchaus lawinengefährdet. Dass wir hier so sorglos und ohne Schneeschuhe oder Skier durchs verschneite Gebirge spazieren liegt wirklich nur daran, dass nur eine marginale Pulverschneedecke liegt, die nicht tragfähig ist und so genau einmal im Frühwinter nach dem allerersten Schneefall vorzufinden ist. Später würde ich die Tour in diesem Stil nicht mehr gehen.

Wir sind heute nicht auf einer klassischen Winterwanderung unterwegs sondern gehen eine für uns im Sommer recht entspannte Runde mit erschwerten Bedingungen.

Ich bin erstaunt wie schnell man hier Höhe gewinnt. Der Anstieg ist wirklich sehr direkt und steil. Ab etwa 1400 Metern überschreiten wir langsam aber sicher die Schneefallgrenze und erreichen im Latschenbewuchs das nordseitige Kar unter der Kreuzspitze. Am Kamm ziehen irre Schneefahnen über unsere Köpfe – wir können nur erahnen was da oben abgeht. Hier unten, eingemauert zwischen den dunklen und abweisenden Abbrüchen der Kreuzspitze bekommen wir davon noch nichts mit.

Spurarbeit

Immer noch entlang des Sommerwegs – welcher unter der nur wenige Zentimeter messenden Schneedecke in Umrissen auszumachen ist, schlängeln wir uns das steile Schotterfeld hinauf und verlassen dieses nach Westen in einen vagen, bewachsenen Rücken. Hier gibt es die ersten ganz kleinen Stufen zu überklettern und wir wechseln langsam aber sicher in den Wühlmaus-Modus. Offenbar hatte nach den Schneefällen noch keiner die Idee die Kreuzspitze zu erwandern und zwischen den Latschen hat sich dann doch einiges an Schnee gesammelt. Bizarr ist auch der Blick ins Tal, wo die Herbstsonne noch knallrote Laubbäume und grüne Wiesen anleuchtet. So richtig Winter ist eigentlich noch nicht – aber in unserem kleinen Universum hier oben herrscht klirrende Kälte und trostloses Weiß.

Als wir nach einer Querung das Kar verlassen und kurz unter dem Schwarzenköpfl auf den Westgrat der Kreuzspitze treten ist die Begeisterung groß. Wir kriegen zum ersten Mal an diesem Tag Sonne ab. Die Geierköpfe gegenüber verströmen absolutes Himalaya-Feeling, da die Sonne noch keine Zeit hatte den vereisten Fels aufzutauen und für das normale Winterkleid der Berge zu sorgen. Von Süd-Osten rauschen gewaltige Windböen in die Berge, die Luft ist voller glitzernder Eiskristalle. Zwischen den Schneefahnen und dazwischen brechenden Sonnenstrahlen winkt das Gipfelkreuz der Kreuzspitze zu uns runter. Näher als gedacht. Weiter als gehofft. Zumindest dürfte der Gipfelaufbau jetzt nochmal spannend werden und einige Kletterstellen beinhalten.

Bei der aktuellen Schneeauflage darf man auf wenig Hilfe hoffen. Man steigt auf losem Geröll und vereisten Felsen und hat keine tragende Schneeschicht in die sich Stufen treten lassen. Das Gehen mit Steigeisen bietet je nach Untergrund auch nur zweifelhafte Sicherheit – man läuft eher Gefahr umzuknicken. Und die Pickel, die man an unseren Rucksäcken sieht haben auch eher dekorative Zwecke. Und trotzdem:

Ich mag die Magie und Ungewissheit dieser Frühwinter-Wanderungen. Wenn man das Element Schnee erst wieder kennen und lieben lernen muss. Wenn man in eine raue und ungespurte Bergwelt vordringt. Es waren fast die eindrücklichsten Touren der letzten Jahre. Das Abenteuer vor der Haustür – die leichten Touren im wilden Gewand.

Gipfelaufbau

Als wir uns dem Gipfelaufbau nähern spüren wir rasch, wo die Schneefahnen herkommen. Schlagartig – also im Rahmen weniger Meter – wird aus dem genüsslichen Staunen über die glitzernde Winterwelt ein Kampf um jeden Meter. Die Windböen peitschen so brachial in das vereiste und abgeblasene Gelände, dass es einem den Atem verschlägt. Ben hat als einziger eine Sonnenbrille dabei und kann sich den umständen entsprechend entspannt durch die brüchigen Serpentinen wurschteln. Hannah und ich – absolute Amateure – gehen regelmäßig in die Knie vom alle paar Sekunden aufflammenden Eispeeling und nutzen die kurzen Pausen zwischen den Böen um zu Ben aufzuschließen. Keine Ahnung was uns in dem Moment eigentlich angetrieben hat. Für einen kurzen Moment war ich mir sicher, dass wir bald umdrehen würden. So zumindest tut es die Gruppe hinter uns, die unserer Spur zum Schwarzenköpfl gefolgt ist.

Doch mit der Zeit gewöhne zumindest ich mich an den hier herrschenden Wahnsinn und stelle fest, dass wir eh fast oben sind. Links leuchtet strahlend weiß die Gratschneide des Kuchelbergkammes aus den Schneefahnen hervor. Rechts – keine Ahnung was rechts ist. Da gucken wir nicht hin. Da kommt der Wind her. Also außer Ben. Der hat ‘ne Sonnenbrille. Lachend und weinend (wegen dem Schnee in den Augen) bahnen wir uns den leichtesten Weg durch die steile Flanke, die sich allerdings leichter auflöst als man von unten meinen würde. Das Schotterfeld – ordentlich steil aber von den Serpentinen des Sommerwegs durchzogen endet nämlich sehr weit oben – ja eigentlich wirklich nur wenige Meter unter dem Gipfelkreuz.

Wir wechseln mit Beginn der ersten kurzen Kletterstellen doch noch auf Steigeisen, die den blanken Fels eher verkomplizieren – den gefrorenen Schotter aber erleichtern. Am Ende fühlt es sich dann doch ganz gut an, wenn man etwas an den Füßen hat, was man theoretisch den unberechenbaren Strukturen unter der Schneedecke entgegensetzen könnte. Und wenig später passieren wir schon das Schild, welches den Abzweig zum Kuchelbergkamm nach Norden markiert. Hier queren wir auf einem schmalen Band etwas exponiert nach rechts und erreichen auf einem von vielen möglichen Wegen den Gipfelgrat.

Himalaya auf Wish bestellt

Hannah macht DAS Bild von Ben und mir, welches seitdem unsere WG-Küche schmückt. Der Grat ist nicht mehr schwer, es gilt nur 50 Meter hinüber zum Gipfel zu überwinden und dabei möglichst nicht neben den tragenden Fels zu treten. Der Breite sei Dank keine wirklich schwere Aufgabe – da war die Ammergauer Hochplatte im letzten Jahr spannender. Im hier oben interessanterweise erträglichen Wind erreichen wir den bizarr verzuckerten Gipfel. Die Luft klirrt und funkelt um uns. Es ist einer der eindrücklichsten Gipfelmomente des Jahres. Das liegt wahrscheinlich an der Schönheit der Winterlandschaft, vor allem aber daran, dass ich noch vor wenigen Minuten ziemlich sicher war, dass wir hier heute nicht mehr hinkommen. Und dann ging alles ganz schnell. Und leicht. Eigentlich ein genialer Wintergipfel – vorausgesetzt man hat an dem Gelände Freude.

Die Gipfelrast fällt kurz aus. So gemütlich ist es nun auch wieder nicht. Als wir den Gipfel verlassen und zu unseren Aufstiegsspuren zurückkehren kommt uns noch ein Einzelgänger entgegen. Sind wir doch nicht die einzigen Verrückten. Ganz normales Wandern hier.

Während wir die wenigen Höhenmeter zur Abzweigung absteigen brennt uns noch eine Frage unter den Nägeln – was tun. Den bekannten Aufstiegsweg wieder absteigen und relativ planbar zurück zum Auto latschen. Oder erneut in ungespurtes Gelände begeben und unser kleines Abenteuer um den langen, schönen Grat vor uns verlängern. Ein Blick auf die Uhr zeigt – wir könnten uns das durchaus noch anschauen. Eine kurze Umfrage ergibt – fit sind auch noch alle.

Abstieg auf den Kuchelbergkamm

Und im Handumdrehen – die Diskussionen um die Wegwahl hielten sich nämlich überraschenderweise sehr in Grenzen – wühlt sich Ben schon das exponierte, schräg abfallende Band am Nordgrat entlang in die Tiefe. Kurze Stellen sind mit Stahlketten gesichert – dazwischen steigen wir langsam und sorgfältig das verschneite und steile Gelände ab. Die Pickel kriegen doch noch was zu tun und müssen doch noch an ein paar Felskanten halten um steilere Stufen abzuklettern. Dann flacht das Gelände wieder ab und der Wind nimmt wieder zu.

Kurz ist nicht ganz klar wo es weitergeht. Der offensichtliche und einfache Grasgrat liegt nochmal eine Stufe tiefer und der direkte Grat sieht absolut ungangbar aus. Ben argumentiert noch kurz, dass das schon irgendwie ginge. Ich zücke die Karte und stelle fest, dass der Sommerweg linkerhand durch die gestufte Flanke führt. Wir steigen ab und das Gelände entpuppt sich als einfach und gangbar. Erneut tauchen wir in den Windschatten ein, queren einige verschneite Felsstufen und erreichen den Punkt, an dem der felsige Gipfelaufbau der Kreuzspitze endet und der langgezogene, weiche Kuchelbergkamm ansetzt.

Abstieg auf den Kuchelbergkamm

YEEEHAWW

Den exotischeren Bedingungen zu trotz sind wir ziemlich fix und leicht bis hierher gekommen. Im Rückblick auf die gleichförmige und felsige Gipfelpyramide kaum vorzustellen. Unsere Spuren sind bereits nicht mehr auszumachen – oder schon vom Winter verweht.

Kuchelbergkamm

Mit spürbarer Schieflage um den heulenden Wind auszugleichen tänzeln wir über den sanften Wiesengrat. Beinahe komplett abgeblasen hat sich hier sehr gut gehbares Stapfgelände gebildet, die Steigeisen greifen gut in der gefrorenen Wiese. Das stetige Auf und Ab ist eine Geduldsprobe, bei der wir im tosenden Sturm schnell in eine Art Trance verfallen. Zumindest geht es mir so – und die anderen beiden haben mir Ähnliches berichtet. Wir reden nicht viel – man versteht ja eh nichts – und arbeiten uns in gleichmäßigem Tempo über den langen Grat.

Die erste Erhebung – der Kuchelbergkopf – geht im Gratverlauf ziemlich unter. Die Kuchelbergspitze mit einem kleinen Gipfelkreuz hingegen markiert für uns das Ende des Grates. Fairerweise ging es danach noch ziemlich lang am Grat weiter. Aber das sind vernachlässigbare Details. Die Kreuzspitze ist inzwischen spürbar in die Ferne gerückt, der Friedergrat zeigt seine imposanten Dimensionen und von Westen her wechselt das Wetter mit einer dunklen, bleiernen Wolkendecke.

Völlig im Flow rauschen wir die letzten Meter des nun abfallenden Kammes hinab, werfen die Steigeisen in den Rucksack und stoßen auf Spuren, die zur Kuchelbergspitze hinaufführen. Ein netter Service – wenigstens ein Abschnitt, den wir nicht spuren müssen. In schnellen Serpentinen verlieren wir die Höhe, die wir auf dem überwiegend horizontalen Grat lange gehalten haben, erreichen den Wald und die Schneegrenze und stehen wenig später absolut in Time an Hannah’s Auto. Die muss heute nämlich noch arbeiten.

Eine Hammertour mit Hammerleuten, die für uns nirgends schwer war und dabei aber auch gezeigt hat wie gut wir zu dritt und jeder für sich funktioniert hat. Wir freuen uns auf die kommenden Winter- und Skitouren. Wir haben perfekt harmoniert – denn bislang war ich meist entweder mit Hannah oder mit Ben unterwegs. Aber die Konstellation kann was. Denn abgesehen von den wild-winterlichen Eindrücken, dem Lerneffekt zum Thema Sonnenbrillen und der spaßigen Spurarbeit waren wir heute viel schneller und eleganter unterwegs als erwartet. Und der Kuchelbergkamm ist – egal ob nun im Sommer oder Winter – eine absolut geile Linie über dem Graswangtal.


Schwierigkeit, Versicherung & Material

Steigeisen und Pickel. Im Sommer wahrscheinlich T3 und maximal I am Fels. Die wirklich ernstzunehmenden Felskontakte sind sehr kurz – was man dem imposanten Gipfelaufbau sowohl vom Schwarzenköpfl als auch vom Kuchelbergkamm aus nicht unbedingt ansieht. Als Skitour ist die Kreuzspitze bestimmt auch ein schönes und interessantes Ziel – für das aber die Bedingungen passen müssen und mehr Ausrüstung erforderlich wird. Als Bergtour mit Schneekontakt im Frühwinter oder Spätwinter definitiv auch nicht abwegig oder nennenswert heikel – zumindest wenn man sich den Kuchelbergkamm als Option offen lässt und im Winter solide am Berg unterwegs ist. Der Kuchelbergkamm könnte im richtigen Winter mit Wechten, Windeinfluss und steil abfallenden, durchgehenden Hängen mit Grasunterlage nicht ganz so trivial sein wie der fast schneefreie Laufsteg, der sich uns aufgetan hat. Einige Querungen führen – vor allem im Gipfelaufbau der Kreuzspitze – durch Absturzgelände in dem bereits ein kleines Schneebrett fatale Folgen haben könnte. Gefühlt ist dabei der Abschnitt im Norden vom bzw. zum Kuchelberggrat etwas anspruchsvoller, länger und ausgesetzter. Der Anstieg vom Schwarzenköpfl ist kürzer und fühlte sich auch von Exposition und Gelände leichter an.

Fazit

Allerfeinstes Winter-Kickoff-Meeting, welches sich nahtlos in die wundervollen Touren zwischen Hochplatte, Drachenkopf & Friends einreiht.

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