Literatur: Panico Skitourenführer Karwendel Rofan Wetterstein*
Sonst halt Wankreise…
Aus Spaß wurde Ernst. Denn wirklich ernst gemeint war diese Aussage im ersten Moment nicht. Im Zweiten auch nicht. Erst als wir den Gipfelhang der Wankspitze hochstapfen und auf eine grenzwertig eisige Abfahrt zwischen Stock und Stein hinabblicken dämmert es mir. Wie war das nochmal mit dieser Wankreise?

Die Wankreise ist im Grunde nur die ausladende WNW-Rinne der Wankspitze, welche in den Wintermonaten wohl eine der beliebteren „Freeride-Varianten“ an diesem Berg ist. Uns – also Hannah und mich – verbindet aber noch eine andere Geschichte mit diesem Fleckchen Berg. Bei einer rückblickend recht rauen Winterbegehung des Wankspitze-Klettersteigs sind wir nur 50 Meter vor dem Gipfel und dem Zugang zu leichtem Gelände auf ein überwechtetes Türmchen gestoßen, dessen ostseitige Umgehung uns zu heikel schien. Mangels Stahlseil oder Sicherheitsmöglichkeit suchen wir auf der Westseite des Grates nach einer Lösung und finden sie. Damals beschriebe ich das so:
Wir steigen rechts vor dem Türmchen in eine bröselige und schneereiche Rinne ab. Diese ist wie ein Y geformt. Wir können also über eine Rinne hinab und dann hoffentlich über den benachbarten Arm wieder hinauf auf den Grat und dort unschwer die letzten Meter an den Gipfel. Immer abwechselnd steigen und rutschen wir so kontrolliert wie möglich ein kleines Stück runter, während der jeweils andere das Seil über einen Felskopf führt und einen Umlenkpunkt schafft. Ich führe das steile Stück in den Rinnengrund an – dank hohem Schnee kann man sich hier relativ sicher bewegen. Unter uns verengt sich die Rinne zu einem kurzen Eisschlauch, der dann hinaus auf ein weites Schneefeld führt. Die Wankreise – eine wildere Abfahrtsvariante von der Wankspitze. Da müssen und wollen wir jetzt zum Glück nicht durch.
Zwei Jahre später wollen wir. Und müssen folglich.

Skitour Wankspitze (WS)
Wir haben eh so ein Händchen dafür uns mit vermeintlich leichten Skitouren das Leben schwer zu machen. Die Wankspitze wird im Panico-Führer als WS gehandelt – was bei guten Bedingungen auch zutreffen mag. Das Gelände ist nirgends wirklich steil oder kompliziert. Was aber kompliziert ist, sind die Verhältnisse, bei denen wir uns diese südseitige Prachttour ausgesucht haben. Beruhigen tut mich lediglich die Tatsache, dass wir damit bei herrlichem Wetter nicht allein sind und wir somit auch nicht die einzigen sind, die sich zu dieser Fehlkalkulation hinreißen lassen haben.
Die Wankspitze ist ein wenig markanter Vorgipfel, welcher südlich der Mieminger Kette ins Inntal zeigt und fast aus jeder Perspektive von den gnadenlosen Kalkmauern von Grünstein & Grießspitzen überragt wird. Uninteressant ist der Gipfel deshalb nicht – zu fast jeder Jahreszeit zieht es Bergsteiger auf den tollen Aussichtsberg, welcher für das Gebirge in dem er sich befindet recht erschwinglich daherkommt. So auch die Skitour vom Arzkasten aus. Mit einem kleinen Haken.
Kurzum – die Wankspitze braucht für 70% des Aufstieges eine sehr gute Schneeauflage. Der Berg ist sauber in die Sonne gedreht und führt bis kurz unter den Gipfel durch dichte Latschen oder Wälder hindurch. Was in anderen Skitouren eine „kurze Waldstufe zu Beginn“ oder ein „vernachlässigbarer Latschengürtel“ ist, ist hier das Groß der Unternehmung. Von unserer schneereicheren Winterbegehung hatten wir noch recht romantische Erinnerungen an den pulvrigen Abstieg, den wir zu Fuß neben der Skiroute bestritten haben. Der Frühling 2025 steht zwar ganz im Zeichen der Romantik – an Pulver fehlt es aber komplett. An Schneeauflage auch. An Unterlage auch.
- Es drängen sich W-Fragen auf…
- Abschnallen wäre effizienter – wirklich einfach ist hier nichts
Direkt hinter dem Lehnberghaus, welches wir auf schmalen, rutschigen Steigen und der wahrscheinlich nicht ganz idealen Wegwahl erkämpft haben tauchen wir in den absurd eisigen Dschungel ein. Ob oder wie sowas mit Genuss abzufahren ist bleibt unklar. Die uns entgegenkommenden SkifahrerInnen geben ein wenig inspirierendes Bild ab. 150 Höhenmeter über dem Lehnberghaus steht bereits ein Abbruch zur Debatte. Die einzige Hoffnung: besserer Schnee am weniger bewaldeten Rücken, den wir bald erreichen werden. Dort scheint ja die Sonne, dort ist es dann weich.
Fehlanzeige
Mit jedem Schritt hinauf wachsen die Sorgen um die Abfahrt. Also – man käme schon runter. Aber zu welchem Preis. Hannah ist mit ihren ganz neuen Tourenski unterwegs. Meine sind zwar Kummer gewohnt, wirklich scharf bin ich aber auch nicht auf das Spektakel. Ich bin zwar ein brauchbarer Flummiball was solche Abfahrten angeht aber die Freude, die in fest vorgegebenen Kurven entsteht, ist übersichtlich.

Am Gipfel bin ich fest entschlossen einen sehr akribischen Blick in die weitläufige WNW-Rinne, die Wankreise, zu werfen. Ich rechne mir keine sonderlichen Chancen aus hier heute abzufahren – vermute dort aber das lohnender und wesentlich sichere Skigelände. Auch wenn die 25 – 35° steile Rinne auf dem Papier natürlich etwas schwieriger und steiler ist. Hannah hat mir ihre Teilnahme an solchen Abfahrten bereits vor dem ersten Schneefall verneint und alleine sehe ich mich dort auch nicht runterstapfen.
Schaut echt besser aus!
Hannah
- Wankreise: Check
- Eingang zum steilen Gully: Check
- Das kurze, sehr steile Gully begehen wir zu Fuß
Ich versichere mich nochmal, dass ich das richtig gehört habe. Für mich ist die Wankreise ein kleines Ziel, welches ich diesen Winter sehr gerne gemacht hätte. Einfach weil sie mir seit unserer Klettersteig-Odyssee im Kopf geblieben ist und weil ist es ein bisschen leid bin mich durch ausgefahrene, flache Latschenhänge zu schlagen während es nebenan perfekte Hänge mit marginal höherem Gefälle hat.
Wissen tu ich das aber auch nicht. Es kann auch sein, dass der Schnee dort unten ähnlich bescheiden ist wie am Rest des Berges. Dann haben wir ein Problem. Es sind zwar vage Spuren in der Wankreise zu erkennen – richtig neu sieht aber keine von ihnen aus.
Probieren wir’s
Abstieg zur Wankreise
Zunächst kurz vom Gipfel am Grat entlang gen Norden in die erste Scharte absteigen. Links ist der Einstieg in das enge, steile Couloir kaum zu übersehen. In unserem Fall finden wir hier sogar noch gute Spuren unserer Vorgänger vor. Aufgrund der geringen Schneelage sind heuer sogar zwei kleine, unproblematische Felsstufen abzuklettern. Jeweils kaum einen Meter hoch – im brüchigen Fels und der imposanten Kulisse schaut man aber doch etwas genauer wo man seinen Fuß hinsetzt. Wirklich heikel oder schwierig ist das Gully bei passenden Bedingungen allerdings nicht. Es wird rund 45°-50° steil sein. Es gibt aber auch flachere Absätze und im Endeffekt sind es nur 30 Meter in dieser Manier um durch die Engstelle hinaus in das flachere und offenere Kar zu gelangen.

Für uns ist besonders lässig zu sehen, wie viel sich seit 2023 getan hat. Gut – wir waren damals auf einer anderen Mission und das Gully nur ein Mittel zum Zweck. Dennoch fühlt es sich hier heute berauschend komfortabel an. Wohlfühlgelände geradezu. Das war 2023 definitiv noch anders.
- Kleine Felsstufen verlangen kurz präzise Tritte
- Hannah im schmalen Gully
- Kurz vor dem selbsternannten Anschnallpunkt
Einfahrt Wankreise (max. 35°)
Am Ende des Gullys macht die Rinne ein bisschen auf. Grad so, dass sie (für uns) befahrbar wird aber immer noch schmal genug um einen interessanten Einstieg in die Wankreise bereit zu halten. Auf einem kleinen, aufgewehten Absatz passt genau ein Paar Ski. Ich habe mich mit meinem Glauben an den Abfahrtsspaß in der Wankreise für den Vorkoster qualifiziert und schlüpfe in einen Ski. Bei dem anderen glaube ich nur, dass ich in ihn geschlüpft sei. Einen Schwung später verabschiedet er sich mangels korrekt geschlossener Pinbindung bereits vom Fuß. Lessons learnt.
- Auf einem dankbaren, aufgewehten Absatz geht es auf die Latten
- Rückblick in das Gully mit den zwei kurzen Felsstufen
Ein richtiger Sturz geht sich dabei nicht aus und ich bin froh grundsätzlich nicht in Gelände unterwegs zu sein, in dem der Verlust eines Ski mit dem Verlust des Lebens gleichzustellen ist. Den Nervenkitzel braucht’s nicht und dafür gehen speziell meine Tourenski doch einen Hauch zu früh auf. Aber das ist ein anderes Thema. In dem Fall war einfach nur Eis in der Pinbindung.
Klick
Auf ein Neues. Hannah hat ihre Ski inzwischen auch an den Füßen und folgt mir in die noch relativ steile Rinne. Anders als ich behält sie ihre Ski und der bisher schönsten Abfahrt des Winters steht nichts mehr im Wege.
- Die ersten Meter – steiler als es im Bild den Anschein macht
- Im oberen Teil der Wankreise – gegenüber die ordentlich verspurte Abfahrt vom Hölltörl
In beeindruckender Kulisse und ein paar kühne Felszacken passierend gleiten wir hinaus in das weite Kar. Der Schnee ist hart und mit Lawinenresten übersäht – mit einem weiten Bogen nach Links finde ich aber hindernislosen und weicheren Schnee. Und plötzlich passt’s. Unfassbar schnell rauscht die wilde Berglandschaft an uns vorbei während der Schnee mit jedem Meter besser wird. Die Sonne kommt um’s Eck, jeder Schwung staubt. Die Tourengeher im Talboden müssen sich ihren Teil gedacht haben, als wir vor Freude jauchzend aus der Wankreise gedüst kommen. Wären wir auf dem Normalweg im Süden geblieben, so hätten wir wohl jeden Meter verflucht. Hier wünsche ich mir insgeheim, dass die Abfahrt nie endet. Und zu meiner Begeisterung bin ich damit auch nicht alleine. Hannah fühlt’s auch.

Im flacher werdend erreichen wir den in herrliche Nachmittagssonne getauchten Talboden. Der dortige Latschengürtel wird seinem Namen gerecht und ist wirklich schnell überwunden und durchfahren. Nichtmal 15 Minuten nach Abfahrt in einer brüchigen Rinne hocken wir schon auf der Sonnenterrasse des Lehnberghauses.
- Unten raus weicher Schnee und massig Platz
- Happy End – Abendlicht am Wannigstock
Einen Germknödel später gilt es nur noch die brutal eisige Rodelbahn zum Gasthof Arzkasten abzufahren und dabei nicht seitlich in den steilen Hängen abzuschmieren. Anders als in der Wankreise fühlt sich das nämlich beinahe gruselig an. Gut, dass wir unseren Spaß hatten. Und was für einen. Man könnte sagen, dass wir obwohl wir eigentlich auf der völlig falschen Tour waren aus Versehen noch eine ziemlich gute Entscheidung getroffen haben. Und so kommt der Tag zu einem Happy End. Mögen noch ganz viele von dieser Sorte folgen.
Schwierigkeit, Versicherung und Material
Wirklich tolle Variante durch ein immer breiter und flacher werdendes Kar in vor allem oben eindrucksvoller und alpiner Umgebung. Die Skitour auf die Wankspitze ist bei guten Verhältnissen (also nicht so wie hier geschildert) bestimmt auch eine freundliche und recht kurzweilige Unternehmung. Die Wankreise selbst lässt sich (unterer Teil) vom Gipfel bereits einsehen und kann theoretisch über mehrere Wege erreicht oder eingefahren werden. Wir haben uns für den gespurten Fußabstieg durch das offensichtliche Gully links der ersten Scharte am Grat entschieden. Ein kurzer Abstieg (evtl. brüchige Stufen im I. Grad, Schnee bis ca. 50°) führt nach 30 Metern in eine etwas breitere Rinne. Von hier zunächst noch relativ steil hinaus und dort unfassbar homogen zum Talboden. Man trifft hier auf die Auf- und Abstiegsrouten zu Grünsteinscharte & Stöttltörl und steht nach wenigen Minuten wieder am Lehnberghaus.
Erfordert eine sichere Lawinenlage – ist unter den Freeride-Varianten um die Wankspitze aber der zahmere Kandidat mit oft sicheren Verhältnissen als im ebenfalls beliebten Wankleger auf der Nordseite. Übliche Skitourenausrüstung sollte genügen – eventuell können Steigeisen oder ein kleiner Pickel in der Zugangsrinne angenehm sein. Die Tour und Abfahrt ist gewiss nicht extrem oder nur außerordentlich guten Skifahrern vorbehalten. Es gibt keine nennenswerten Hindernisse oder objektiven Gefahren in der Rinne. In Summe aber eine etwas alpinere Einstiegsdroge in die Welt der Rinnen, die sich wahrscheinlich irgendwo im Rahmen einer ZS+ Skitour bewegt. Wer sich die Verhältnisse in der Rinne vorab anschauen will, kann auch über die Wankreise aufsteigen. Gerüchten zufolge wird das gemacht.
Zusammenfassung
Ein unverhofft feines Erlebnis an einem kleinen Berg, der inzwischen wohl einen besonderen Platz in unseren Herzen verdient hat.