Literatur: Panico Skitourenführer Karwendel Rofan Wetterstein*
Aprilscherz?!
Auf den letzten Metern eines in unseren Breiten ohnehin sehr dünnen und unentschlossenen Skitourenwinters gibt es doch nochmal eine Portion Neuschnee. Vor einem Monat haben wir mit einer südseitigen Winterbegehung am Grünstein bereits den Frühling eingeläutet. Oder wenigstens das magische Zeitfenster für feine Alt- und Restschneetouren. Aber jetzt liegt da doch tatsächlich nochmal neues Zeug in den Bergen und es schaut – obwohl es eigentlich bereits viel zu warm ist – für einen kurzen Moment sogar recht weihnachtlich aus. Die Grundlage fehlt trotzdem. Auf dem Boden und in unseren Waden. Die goldene Mitte scheint ein Ausflug in die Nordkare der Mieminger Kette mit Seilbahnunterstützung und Jahresticketnutzung zur Ehrwalder Alm.

Von der Ehrwalder Alm ins Brendlkar
Es ist der allererste Tag nach dem Schlechtwetter. Wir sind früh dran und der Himmel ist noch wolkenverhangen als wir an der Ehrwalder Alm auf den Ziehweg in Richtung Seeben Alm abbiegen. Wir erhoffen uns brauchbaren Schnee von kurzer Dauer. Denn auch wenn die Gipfel und Bäume im Nebel noch wunderschön eingeschneit und der Schnee fluffig weich ist: die Sonne hat bereits viel zu viel Kraft. Oberhalb von 2200 Metern ist eine Lawinenwarnstufe von 3 ausgegeben worden. Es gibt eigentlich alles gleichzeitig. Ein Altschneeproblem, ein neues Triebschneeproblem und mit der tageszeitlichen Erwärmung auch Lockerschneerutsche.
Die Idee ist es, mal einen vorsichtigen Blick ins Gelände zu werfen. Die relevanten Hänge um das Hintere Tajatörl liegen knapp über besagter 2200 Meter Grenze und sind nicht allzu steil. Optional ließe sich noch der Südgrat auf den Hinteren Tajakopf anhängen – der dann aber eher Winterbergsteigen auf wahrscheinlich viel zu dünner Schneeauflage fordert.
- Im Nebelmeer
- Es reißt auf
- Es werde Licht
Wir folgen der Forststraße auf das Plateau über den Seebenwänden und folgen der Straße bis hinter einer Schranke linkerhand der Ganghofer Steig abzweigt. Diesem auf vorhandener Spur folgend geht es in stetigem Auf und Ab durch den hübschen, winterlichen Wald. Auf 1580 Metern zweigt die Spur nach links ab und folgt einem vagen, weiterhin dünn bewaldeten Rücken hinauf. Der Winterweg folgt damit nicht ganz dem Verlauf des Sommerwegs sonder hält sich einige Meter östlich von diesem. Die Wolkendecke haben wir bereits überschritten und schon jetzt eröffnet sich ein wilder Blick auf die abweisenden Griesspitzen, deren Gipfel noch von kleinen Wolkenfetzen überflossen werden.

Nach einigermaßen steilen 200 Höhenmetern und einigen Spitzkehren lichten sich die Latschen und der Blick auf die Ostabbrüche des Vorderen Tajakopfes wird frei. In den feinen Hängen befinden sich auch schon erste Spuren. Zwei gerade abfahrende Tourengeher demonstrieren, dass das heute möglicherweise sogar Spaß machen und halbwegs materialschonend ablaufen könnte.
Ein rares Gut.
- Die mächtigen Griesspitzen schmücken unseren Weg
- Das Gelände öffnet sich. Kurz vor dem Übergang ins flachere Brendlkar.
- Kurz vor dem Aufschwung zum Tajatörl. Im Hintergrund Igelskopf, Hochwanner und Breitenstein.
- Ungeduld > Sicherheit. Kann man durchaus kritisch hinterfragen und beim nächsten Mal besser machen.
Im Brendlkar
Das Gelände flacht ab und die Jacke fällt. Im nächsten Abschnitt ist kupiertes Gelände zu durchqueren – mit ausreichend Abstand zu den großen Hängen am Tajakopf sogar durch eine kurze Abfahrt in eine Mulde. Wir entscheiden uns ob der bisher vertrauensstiftenden Schneedecke für die bereits gespurte Querung durch den großen Hang. Ehrlich reflektiert ein Fehler, mit dem wir davonkommen. Aus dem Hang ist bereits einiges an Lockerschnee herausgerollt. Später werden wir selbst vom Grat heraus ohne es mitzubekommen eine Lawine auslösen, die glücklicherweise ohne Konsequenz bleibt und auch keine gewaltigen Dimensionen annimmt – die aber einige Entscheidungen an diesem Tag in ein anderes Licht rückt. Also Notiz an mich – der Schwenk nach links mit Verlust einiger Höhenmeter wäre definitiv die reflektierte Wegwahl gewesen. Zumindest unter den vorherrschenden, recht unübersichtlichen Bedingungen.

Ein weiterer Hang befördert uns in die Rechtskurve hin zum Tajatörl. Wir kommen gut voran. Die beiden Scharten im Bereich des Hinteren Tajatörls präsentieren sich noch dünn verspurt. Der Hang unter dem linken, südlicheren Einschnitt liegt noch im Schatten und wird unser erstes Ziel. Getrennt werden die beiden von einem kühnen Felsriegel. Im Hintergrund wabern dicke Wolken um die Gipfel des Mieminger Hauptkamms. Igelskopf und Breitenstein geben ein feines Bild ab. Landschaftlich – wie von dieser Ecke gewohnt – ein absoluter Traum.
Linke Scharte
Rund 80 Höhenmeter im kühlen Schatten der Griesspitzen bringen uns ins Hintere Tajatörl. Windig ist es. Wir verlieren keine Zeit, fellen ab und schwingen uns in die kurze aber spaßige Abfahrt in gerade noch brauchbarem Schnee. Obwohl dieser Hang nach dem Schneefall noch gar keine Sonne gekriegt hat ist der Schnee bereits überraschend schwer.

Rechte Scharte und Südgrat
Zurück am Flachstück fällt die Entscheidung leicht. Energie und Lust für den ebenso kurzen Aufschwung in die rechte Scharte und den Grat zum Hinteren Tajakopf ist schon noch da. Wenige Spitzkehren später ist der zunächst noch einigermaßen breite Grat erreicht. Auch hier machen Hang und Schnee einen guten Eindruck. Das ist auch wichtig. Ein bisschen steiler geht es hier schon zur Sache und 30-35° werden im oberen Abschnitt schon erreicht.
Vor uns präsentiert sich ein ungespurter, stellenweise schmaler und immerhin 150 Höhenmeter überwindender Schneegrat. Dass der Hintere Tajakopf im Skitourenführer als WS (=wenig schwierig) geführt wird mag für den bisherigen Routenverlauf passen. Ganz so billig gibt es den Gipfel dann aber nicht. Je nach Schneelage und Schneequalität ist hier durchaus ein wenig alpines Allerlei gefragt – das Ambiente ähnelt dem einer Hochtour.

Die Bedingungen für den Gipfelanstieg sind nicht ideal. Der rutschige und kaum tragende Schnee überdeckt die meisten Felsen – verbirgt aber auch den darunterliegenden Bruch. Wir legen eine bewusste und vorsichtige Spur über die teils schmale Gratkante. Die teils durchschimmernden roten Punkte des Sommerweges bleiben oft zugunsten einer sicheren Linie unbeachtet – sie führen heute ein wenig zu weit in die steile und durchfeuchtete Flanke. Den Gipfelaufbau ersteigen wir frontal durch eine kleine Felsrinne, welche kurz Kletterei im II. Grad erforderlich macht. Wie gesagt – kriegt man mit tragendem Schnee bestimmt schöner hin. Für uns gab es heute leider nur rutschigen Fels mit wenig hilfreicher Schneeauflage und reichlich Raum für Fehler.
- Gar nicht so mal so flach und im rutschigen Schnee sogar ziemlich ausgesetzt
- So richtig hilfreich ist das weiße Etwas hier nicht
- Stapfen & Spuren
Den mit einem winzigen Holzkreuz geschmückten Gipfel erreichen wir in strahlendem Sonnenschein. Gegenüber die Felsbastion des Grünsteins. Hach war das eine wilde Tour. Ringsum weiße Weiten, große Wände und wilde Wölkchen. Eine wirklich schöne Tour – und durch den alpineren Grat sogar noch um ein wenig alpineres Schnee- und Felsgelände bereichert. Das große Kreuz am Westgipfel sparen wir uns. Der Übergang ist nochmal ernst und der Westgipfel ist der niedrigere von den beiden. Und so ein kleines Holzkreuz versprüht ohnehin mehr Charme als das große Geschoss am Ende des Klettersteigs.
- Das kleine Gipfelkreuz am Ostgipfel, welcher aber der höhere der beiden ist
Nach einer Rast auf dem schmalen Gipfel überlassen wir diesen zwei weiteren Tourengehern, die sich über unsere Spur gefreut haben und uns gefolgt sind. Der Abstieg ist noch anspruchsvoller – die kleinen Schneepakete sind inzwischen von 4 Begehungen schon so weit bewegt worden, dass sich der Bodenkontakt aus einem instabilen Bruch-Schnee-Mix zusammensetzt.
Stichwort „bewegt“
Beim Begehen des Grates rollen immer wieder Schneebälle seitlich in die Flanke. So weit so gut. Etwas „größeres“ war da nicht dabei. Als wir die Scharte und das Skidepot wieder erreichen staunen wir nicht schlecht. Ob nun durch uns oder die beiden anderen ausgelöst: die Lawine, die die halbe Aufstiegsspur bedeckt war vor 5 Minuten noch nicht da. Und ihr Auslöser muss winzig gewesen sein.
Wir schnallen die Skier an und fahren den Hang ab. Steinkontakt gibt es auch noch. Es ist wirklich kein guter Winter für das Material. Wir begutachten den Lawinenkegel und den Anrisspunkt unter dem Südgrat. Der Rutsch ist nicht groß – wahrscheinlich hätte er keine Person verschütten können. Viel eindrucksvoller ist aber, wie viel Schnee sich in der schneearmen Südostflanke kumuliert hat und wie stillschweigend sich hier Schneemassen über den Aufstiegsweg geschoben haben. Man kann noch so viele Lehrbücher lesen und Ausbildungen machen – für die persönliche Risikobewertung habe ich heute auf jeden Fall etwas praxisnäheres gelernt.
- Huiiii
- Links die frische Lawine in die Aufstiegsspur – rechts die ebenso steilen Hänge der Griesspitzen. Auch wenn die Tour selbst nicht allzu steil ist – von den Seiten gibt es einige bedrohliche Hänge.
- Das ist neu?!
Abfahrt
Wir überwinden die Flachstücke, fahren über einen steilen Hang ins zentrale Brendlkar ein und halten uns hier nun mittig und mit etwas Abstand zur Tajakopf-Ostflanke. Vom Brendlsee aus halten wir uns links unter den Wänden und nun dem Ganghofer Steig folgend hinab durch einen kurzen Latschengürtel. Wenige Minuten später stehen wir schon wieder auf der Forststraße, auf welcher wir wieder auffellen. Es folgt eine Schiebepassage, die sogar den kleinen Gegenanstieg zur Kurve ins Skigebiet bereit hält. Wahrscheinlich der einzige Schönheitsfehler dieser sonst sehr feinen Skitour. Auf der Piste sind dann bereits Schwimmflügel angebracht und im Tal kann auch direkt die Badehose ausgepackt werden. Ein Skitourenwinter aus dem Bilderbuch.
Schwierigkeit, Versicherung und Material
Wirklich schöne Skitour mit kleinen Mühen im Bereich der Forststraße und des Latschengürtels. Danach ein tolles, sanftes Kar mit ein paar feinen Hängen in grandioser Landschaft. Zum Tajatörl hin zwei Varianten und am südlicheren Hang andauernder Schatten. Der Gipfelanstieg sollte trotz einiger anderslautenden Berichte nicht grundsätzlich unterschätzt werden – je nach Bedingungen wird hier durchaus alpine Erfahrung an scharfen, winterlichen Gratschneiden abgefragt. Steigeisen und Pickel können notwendig werden. Von den vielen Spuren ins Tajatörl, die oft auch im Rahmen der Grünsteinumfahrung gezogen werden, biegen nicht allzu viele auf den Südgrat zum Gipfelkreuz ab.
Auch wenn die Tour selbst nicht allzu steil ist wird sie von großen und steilen Hängen unterschiedlicher Ausrichtung bedroht, denen nicht immer gut ausgewichen werden kann. Bei ausgeprägter Lawinengefahr handelt es sich um einen durchaus ernsten Ausflug ins Gebirge – trotz Nähe zum Skigebiet und Möglichkeit der Seilbahnunterstützung.
Zusammenfassung
Ein würdiger Abschluss der Skitourensaison? Fast! Wir werden noch einen letzten Versuch in der Silvretta unternehmen und dort die markante Dreiländerspitze besteigen. Gravierend schöner wird es dort aber auch nicht und die Skier haben ohnehin einige Wunden zu lecken – der Winter war hart.