Um direkt die Quelle maximaler Verwirrung zu eliminieren: der Maldongrat ist kein Grat sondern ein Gipfel in den Lechtaler Alpen. Der hier beschriebene Weg ist eine Auf- bzw. Abstiegsvariante zum Gipfel des Maldongrates, welcher zufällig über einen Grat verläuft. Wir gehen also gemeinsam über den Westgrat auf den Maldongrat.
Was kompliziert klingt ist bei Licht betrachtet eigentlich ziemlich simpel. Als eine der äußersten Erhebungen der langen Kalkmauer der Heiterwand ist der Maldongrat vom Hahntenjoch aus über den Normalweg mit lächerlich wenigen Höhenmetern und Mühen zu Erreichen – ein hoher Ausgangspunkt macht’s möglich. Gleichzeitig bewegt man sich ziemlich plötzlich auf durchaus alpinen Pfaden jenseits der 2000-Meter-Grenze und darf sich mit Ausblicken, Bedingungen, Flora, Fauna und Fels beschäftigen, den man sich woanders mit mindestens 1000 Höhenmetern hart verdienen müsste.
Gerade dieser schnelle Zugang zu vermeintlich interessanterem Gelände hat mich schonmal im Frühjahr 2023 hier her gelockt. Es ist ein durchaus wiederkehrendes Problem, dass es nach einigen Wochen Latschen, Wurzeln und Erde in den Ammergauer Alpen auch mal ein erquickendes höheres Ziel benötigt um die Wanderlust aufrecht zu erhalten. Und der Maldongrat schien die perfekte Lösung. Bis mich ein steiles Altschneefeld kurz vor dem Gipfel zur Umkehr zwang und die einzige gangbare Umgehung über einen kurzen, unheimlich exponierten und plattigen Reitgrat jenseits meiner Komfortzone lag.
Anstieg zum Steinjöchle
Ich hab mich spontan mit Marina zusammengetan, die an die frische Luft will ohne nach Krankheit direkt zu viel Strecke oder Höhenmeter machen zu müssen. Und nachdem wir die üblichen Verdächtigen im Nahbereich verworfen haben, fällt mir dieses Eck in den Lechtaler Alpen wieder ein. Wir haben einen perfekten, stabilen Sommerabend vor uns – grünes Licht für eine Revanche am Maldongrat.
Wir starten am Hahntenjoch und folgen dem gemütlichen Pfad, der hier nach Osten auf die bereits sichtbare, wenig markante Erhebung des Maldongrates zu führt. Bevor wir den eigentlichen Gipfel in Angriff nehmen heißt unser Zwischenziel “Steinjöchle” – ein wunderschöner Durchgang auf fast 2200 Metern, der den Übergang zur Anhalter Hütte vermittelt und tolle Blicke in die Grasberge der nördlichen Lechtaler Alpen offenbart.
Hier gibt es zwei denkbare Gipfelziele, die extrem schnell erreicht sind. Im Westen lässt sich der formschöne Falsche Kogel ersteigen – mit nur 400 Metern Wegstrecke und hauchzarten 160 Höhenmetern. Genau gegenüber liegt der Maldongrat, der aus dieser Perspektive ein wesentlich schlechteres Bild abgibt und dennoch die doppelte Wegstrecke und doppelten Höhenmeter von seinen Aspiranten verlangt. Im Vergleich mit jeder anderen Bergtour sind das hier trotzdem winzige Dimensionen. Ausgangspunkt, Hütte, verschiedene Gipfel – egal was man sich in den Kopf setzt sollte in 30 Minuten erreicht sein. Applaus auf Strava gibt es dafür auf jeden Fall nicht.
Wir wägen ab und entscheiden uns für den Maldongrat. Dieser war nämlich überhaupt nicht in Stein gemeißelt sondern eine von Marina’s Verfassung abhängige Option, die nun in herrlicher Abendsonne zum Tragen kommt.
Normalweg Maldongrat (T4, I)
Der Normalweg auf den Maldongrat ist wirklich eine hübsche Übung für alle, die sich in etwas ernsterem Bergwandern versuchen wollen, ohne dabei die normalerweise erforderlichen konditionellen Opfer bringen zu müssen. Nachdem ein paar Serpentinen auf den noch grasigen Grat führen, schlängelt sich der gut markierte Pfad etwas unterhalb des Westgrates durch die von eindrucksvollen Rinnen durchzogene Südflanke des Berges. Schlagartig wechselt Wiese zu Kalk und der Ernst nimmt zu. Zwar gibt es stets einen guten und offensichtlichen Pfad – das umliegende Gelände darf sich stellenweise aber schon Absturzgelände nennen und auch Steinschlag kann ein Thema werden. Wir haben hier tatsächlich Helme dabei und verwenden diese auch.
Wir gelangen zu der Stelle, an der ich vor über einem Jahr hab umdrehen müssen. Nach einigen sanft ansteigenden Querungen erreicht man eine breite Rinne, die nun auf dem Weg des geringsten Widerstandes erstiegen und den Markierungen folgend an geeigneter Stelle rechts verlassen wird. Im Frühling war genau diese Rinne mit steilem, harten Schnee gefüllt und hatte einen durchaus ungeschickten Auslauf in darunter liegende Abbrüche. Erst hier habe ich damals den Normalweg verlassen und bin auf den Grat aufgestiegen – in der Hoffnung dort im leichten Fels noch zum Gipfel kraxeln zu können.
Heute ist die Situation natürlich gänzlich anders. Rinne raufstapfen. Steinschlag beachten – wobei wir zum Glück nur auf uns gegenseitig Acht geben müssen und den Berg für uns alleine haben. Bisschen queren, bisschen kraxeln – die Exposition hält sich in Grenzen. Dann führt ein etwas unangenehmes, sandiges Stück auf den Gipfel, dessen Gipfelkreuz ich irgendwie potenter in Erinnerung hatte.
Ich folge noch einige hundert Meter dem Grat, weil ich mal einen Blick auf den Weiterweg zur Gabelspitze werfen will. Was hier ansetzt schimpft sich Heiterwand und darf sich mit 7,5 Kilometern die längste durchgehende Wand der nördlichen Kalkalpen nennen. Keiner ihrer Gipfel ist über klassische Wanderwege erschlossen – die Gesamtüberschreitung lässt in Zahlen und Fakten einen Jubiläumsgrat reichlich alt aussehen: anhaltend T6 und stellenweise IV. Grad. Höllenritt aus dem Bilderbuch. Wenn auch einer von der reizvolleren Sorte. Für heute genügt der Maldongrat allemal.
Wir machen eine kurze Gipfelrast, genießen die brachiale Weitsicht auf unzählige, schroffe Gipfel und treten dann in der mittlerweile tief stehenden Sonne den Rückweg an.
Abstieg über den Westgrat (ca. T5, II)
Ich entscheide mich mit Marina’s Segen, den direkten Grat nochmal anzugehen – diesmal im Abstieg. Denn eigentlich führt hier einige Höhenmeter über dem Normalweg ein durchgehender, kompakter und interessant anmutender Grat zurück zum Steinjöchle, der durchaus auch als solcher gegangen wird. Einige große Steinmänner an neuralgischen Punkten zeugen von regem Verkehr. Für Marina ist die Kletterei heute noch nichts – wir bleiben aber in Sicht- und Rufweite – jeder im Gelände seiner Wahl.
Vom Gipfel weg geht es zunächst über einfachen, gestuften Fels hinab. Rasch erreiche ich den Einschnitt, an dem der kurze Reitgrat ansetzt, den ich mir beim letzten Besuch im Aufstieg nicht zugetraut habe. Er befindet sich direkt hinter einer kleinen Scharte am Grat, welche nach Süden in die markante Rinne des Normalweges abfällt. Ich klettere südseitig einige Meter etwas kleingriffiger ab und erreiche die andere Seite von der Scharte. Nun wenige Meter empor und dann auf die Nordseite und mitten rein in die exponierte Platte.
Es sind wirklich nur 3 Meter – nach Norden sind diese aber unheimlich ausgesetzt und so richtig viele Tritte oder Griffe wirft der kompakte Grat nicht ab. Ein wenig eigenartig ist es schon, hier rüber zu hangeln. Im Vergleich zum Vorjahr habe ich nun aber das Vertrauen in die Schuhe und die Ruhe für einige Sekunden Luft unterm Hintern. Wirklich schwer ist die Stelle nicht – nur eben luftig. Und umgehen könnte man sie – wie beinahe alle Schwierigkeiten am Grat – auf der Südseite. Ich befinde mich also in einem äußerst selbstgewählten Glückszustand.
Weiterer Gratverlauf
An einem großen Steinmann geht es erstmal markant aber kaum schwer oder exponiert nach unten. Der Grat ähnelt ungefähr dem, was man am Kleinen Waxenstein oder Hohen Gaif vorgesetzt bekommt – fällt wahrscheinlich sogar eine Spur einfacher aus. Die schwierigsten Stellen befinden sich stets im Bereich der Scharten bzw. an den Übergängen von steileren aber einfachen und horizontalen aber (so mein Eindruck) etwas kompakteren und schärferen Passagen. Insgesamt aber ein herrliches Auf- und Ab an einer kurzweiligen und lohnenden Gratschneide aus Kalk.
Das Licht schwindet und wir haben das perfekte Timing – in herrlichem Abendlicht arbeite ich mich durch den hübschen Kalk und staune über die goldenen Grasflanken, die sich ringsum abzeichnen.
Ein zweiter, markanter Abschwung mit Engstelle wartet kurz vor dem Ende des Grates. Auch diese Stelle ließe sich linkerhand über eine Rippe über dem Normalweg umgehen – es besteht auch immer wieder die Möglichkeit auf den Normalweg abzusteigen. Mir taugt die sonnige Kraxelei aber noch ziemlich, sodass ich mir auch diese kleine Crux aus der Nähe anschaue. Eine kleine Scharte trennt den von oben kommend letzten Grataufschwung vom Rest des Grates ab. Ich klettere relativ steil aber über einer südseitigen Rinne nicht allzu exponiert ab und quere dann etwas kleingriffig und abdrängend in die Scharte. Marina hat auch dieses Manöver vom Normalweg aus dokumentiert:
Dann ist nochmal ein kurzer, scharfer Aufschwung zu überklettern, bevor der Grat langsam aber merklich in den Wiesengrat zum Steinjöchle übergeht, an Schärfe verliert und mit dem Normalweg zusammenführt. Ein kurzer Blick zurück in die goldenen Wände der Heiterwand bestätigt: mindestens der Übergang zur Gabelspitze steht nun definitiv nochmal höher im Kurs. Aber das ist eine andere Berggeschichte.
Für heute ist Schluss mit lustig und inmitten glühender Gipfel erreichen wir am Aufstiegsweg wieder die Stelle, an der der Pfad in die Südflanke abknickt. Ein kurzer Blick nach Norden lohnt aber nochmal. Wenn ich ehrlich bin sind die Bilder & Impressionen dieses Sonnenuntergangs auch der Hauptgrund, warum es diese kleine und spontane Tour in meinen Blog und damit in die Zeitkapsel geschafft hat.
Wir erreichen das Steinjöchle und biegen wieder nach links ins Tal ab. Vom Falschen Kogel steigen auch einige Leute ab – auch von dort muss der Sonnenuntergang brachial gewesen sein. Umso feiner ist es aber, dass wir den Maldongrat, seinen Normalweg und seinen Westgrat komplett für uns hatten. Kaum 30 Minuten später stehen wir bereits wieder am Ausgangspunkt. Ein wenig frech ist das schon, dieses Hahntenjoch. Eine solche Tour sollte man eigentlich nicht einfach so geschenkt bekommen.
Schwierigkeit, Versicherung und Material
Schöner und relativ kurzweiliger Berg mit sehr zugänglichem, alpinen Gelände. Der Normalweg ist mit ca. T4 und leichter Kletterei im I. Grad eine schöne Tour um in etwas alpineres Bergsteigen reinzukommen ohne diese Erfahrung direkt mit 1500 Höhenmetern erlaufen zu müssen. Der Westgrat ist eine lohnende Variante für jeden, der sich im (evtl. oberen) II. Grad wohl fühlt und ein kleines Abenteuer am Wegesrand nicht scheut. Natürlich könnte man den Westgrat auch im Aufstieg gehen und über den Normalweg absteigen – die Kletterstellen ändern sich dadurch nur geringfügig. Lediglich der Reitgrat bzw. der schmale und plattige Abschnitt kurz vor dem Gipfelaufschwung ist im Aufstieg meiner Meinung nach etwas härter, da man von unten kommend nicht richtig sieht, wie sich die Stelle auflöst und wo man wieder mit weniger Ausgesetztheit auf die Südseite wechseln und abklettern kann. Von oben kommend ist die Stelle rasch durchschaut – und verliert ein wenig ihren Schrecken.
Drumherum feinstes Kalkgratwandern im I. und selten II. Schwierigkeitsgrad, vielen möglichen Varianten, fast durchgehenden Möglichkeiten wieder auf den Normalweg zu gelangen und nur sehr selten zwingend in Kauf zu nehmender Exposition durch die absolut senkrechten Nordabbrüche der Heiterwand.
Zusammenfassung
Unverhofft kommt oft – ein spontanes Miniabenteuer aus dem Bilderbuch.