Die Heimgarten Nordwand ist ein subtiles Stückchen Gemüse.
Denn während eine benachbarte Jochberg Nordwand ihre eisigen Gullys weithin sichtbar in das Alpenvorland präsentiert, muss man hier schon etwas genauer hinsehen. Sehr genau hingesehen hat offenbar Ludwig Karrasch, der hier in den letzten Jahren eine Vielzahl von Winter- und Mixedlinien entdeckt und erschlossen hat. Eine davon ist der 2018 erstbegangene Zwergentanz, welchen wir uns als Silvestertour für den Jahreswechsel 2024/2025 ausgedacht haben.

Die Wand
Die Nordwand und ihre Routen findet man nicht – wie man vielleicht vermuten möchte – in der schneedurchsetzten Nordostflanke, die über dem Kochelsee und neben dem Herzogstand aufragt. Diese würde sich zwar nahtlos neben Bene und Joe in die Reihe der lässigen Voralpen-Nordwände einordnen, zeigt aber eben marginal in die falsche Richtung und beherbergt meines Wissens auch keine lohnenden Eislinien. Anders sieht es auf der Ohlstädter Seite des Berges aus. Dort, wo hinter der Bärenfleckhütte der Schwarzraingraben zu einer Schlucht mit unübersichtlichen Flanken wird, bildet sich ziemlich zuverlässig Eis. Die kleine Kühlbox präsentiert gleich eine ganze Reihe Zapfen, Säulen und Rinnen und manche von Ihnen wurden zu lohnenden Routen verbunden. Die wahrscheinlich bekannteste und offensichtliche von ihnen ist unser heutiges Ziel – der Zwergentanz.
Die Tour
Zugegeben. Bei meinem ersten Besuch an der Heimgarten-Nordwand war ich zu früh dran. Zu föhnig war das Wetter gewesen, zu jung der Winter. So endete mein Versuch die etwas felsigere Nachbarroute Dornröschen bei suboptimalen Verhältnissen anzugehen noch vor dem ersten Haken mit der Erkenntnis, dass eine Begehung auf ein Umgraben des gesamten Berges hinauslaufen würde. Die zweite Erkenntnis ist aber, dass ich wieder kommen will. Speziell am Zwergentanz tut sich was. Die bereits jetzt erahnbaren, pfiffigen Linien in der nicht gar so bedrohlichen Nordwand sehen wirklich kreativ und interessant aus.
- Ein paar Wochen zuvor: viel zu wenig Eis im Dornröschen
- Die markante Einstiegsrampe des Zwergentanzes – auch hier alles noch viel zu dünn
Der Zwergentanz führt in 5-6 Seillängen zum Routenbuch, an dem eine Entscheidung fällig wird. Linkerhand gibt es noch eine letzte Mixed-Seillänge zu klettern, rechterhand kann über einfacheres Stapfgelände zum Gipfelgrat ausgestiegen werden. Über die Route kann auch abgeseilt werden. Auf jeden Fall kommt man auf rund 200 Klettermeter in winterlichem Ambiente. Der Eiskontakt beschränkt sich auf zwei steilere Stufen im Bereich WI3 und die bereits von weiten sichtbare Säule. Sie ist das Herzstück der Tour und wahrscheinlich auch eines der größten Eisgebilde in der unübersichtlichen Wandflucht. Je nach Bedingungen pendelt sie sich irgendwo im 4. Eisgrad ein. Ringsum überwiegt einfaches Wintergelände mit flacheren Eispassagen oder sehr kurzen Mixedpassagen – dass sich bei der entsprechenden Schneelage aber recht sorglos stapfen lässt.
Zustieg
Wir sind heute zum Silvestertag mit der Seilschaft Janos und Janos unterwegs. Um Website-Speicher und Ressourcen zu sparen ab hier einfach Janos². Nachdem wir uns in den vorherigen Tagen in der Taschachschlucht bereits die Birne (und ich mir die Achillessehne) weggepickelt haben, steht heute mal etwas längeres und vor allem natürliches auf dem Wunschzettel. Dafür starten wir zu humaner Uhrzeit am Parkplatz in Ohlstadt und gehen den nicht ganz kurzen Zustieg in Richtung Bärenfleckhütte an. Der Tag verspricht stabiles Wetter bei brauchbaren Temperaturen – eilig haben wir es nicht. Zu unserer Überraschung werden wir außerdem die gesamte Wand für uns alleine haben.
Der Zustieg führt rechts an der Hütte vorbei und auf rund 1320m kurz absteigend auf Pfadspuren nach links in den bereits sichtbaren, ausladenden Graben. Hier führen wenige Höhenmeter in der Winter-Wunderland. Die einzelnen Routen und insbesondere die markante Rampe des Zwergentanzes sind unschwer auszumachen.
1. Seillänge (WI2 & M2)
Ich liebäugle nochmal kurz mit dem Dornröschen. Die Nachbarroute, welche ich mir bereits beim letzten Besuch vorgenommen habe, steht heute gravierend besser da. Irgendwie lacht mich ihre steile und logische Linienführung durch schmale Kamine ein bisschen mehr an. Die Masse (Janos²) sieht sich heute aber eher im Zwergentanz und auch Hannah und ich, nach den letzten Tagen überraschend angeschlagen, entscheiden uns für einen Versuch.
Janos² steigt ein – wir klemmen uns an ihre Fersen. Die erste Seillänge führt über eine kurze, nette Eisstufe, welche sich rechts im Schnee auch sehr einfach umgehen lässt. Danach folgt man eine ganze Weile der geneigten Rampe empor. Stapfen mit gelegentlichen Eis- oder Felsberührungen. Falls weniger Schnee liegt ist es hier bestimmt brachial brüchig und sandig – zumindest bin ich bei meinem Dornröschen-Abbruch in sehr ähnlichem Gelände abgesoffen.

Wir finden in dieser Seillänge zwei mögliche Standplätze vor und beziehen den zweiten, höheren von ihnen. Der im Topo der Erschließer eingezeichnete Standplatz befindet sich ein wenig tiefer am rechten Rand der Rampe und ist zum Abseilen eingerichtet. Uns lachen aber zwei frische Bohrhaken oberhalb der Rampe und direkt neben dem ersten, steilen Eisvorhang an. Bisher haben wir eine gute Zeit. Der Schnee ist bestimmt nicht perfekt aber bedeckt den Bruch in akzeptablem Maße. Das Eis – wo vorhanden – ist halbwegs soft und gut ausgebildet.
- Auf der Rampe – einfaches Gelände
- Wer schonmal in der Region klettern war dürfte vom rustikal-lehmigen Würfel-Bruch wenig überrascht sein. Zum Glück braucht man ihn hier nicht zum Vorankommen.
2. Seillänge (WI3 oder M3)
Ich übernehme den Vorstieg und entscheide mich in Anbetracht des ziemlich dünnen Eisvorhangs für die Mixed-Umgehung auf der linken Seite.
Im klassischen Sinne klug ist diese Entscheidung nicht.
- Delikate Voralpen-Glasur
- Janos (rechts) macht’s richtig, Jan (links) eher nicht
- Hannah steigt aus dem kurzen Eisvorhang aus
Statt (wie alle anderen beweisen) kletter- und absicherbarem Eis schlage ich mich mit einer marginalen Glasur auf losem Schutt, Gras und Erde rum. Nichts Ganzes und nichts Halbes. Und mit Querung über besagten Eisvorhang auch nicht weniger exponiert. Einen Meter unter dem Stand geht sich tatsächlich noch eine 10cm Schraube aus, welche man sich an diesem Punkt aber wahrscheinlich auch hätte sparen können. Kurzum – wenn der Vorhang steht lohnt es sich definitiv diesen zu klettern. Es ist die Variante mit dem üppigeren Eis und die Mixed-Umgehung scheitert im Detail zumindest am Tag unserer Begehung am rustikalen Bruch bei nahezu identischer Steilheit.

Irgendwie schaffe ich es neben Janos an den Standplatz links der großen Eisstufe der 3. Seillänge zu pickeln und hole Hannah nach. Da ich ohnehin keine Absicherung auf meinem Weg unterbekommen habe gibt es für sie auch absolut keinen Grund meine Bruch-und-Schauder-Umgehung zu mimen. Stattdessen folgt sie den anderen über den steilen Vorhang und schließt wenig später am Standplatz zu uns auf.
3. Seillänge (WI4-)
Ohne Janos² wäre hier wohl Feierabend gewesen. Was für Viele wahrscheinlich die „einzig lohnenden Eismeter“ des Zwergentanzes sind ist für uns in Steilheit und Ausgesetztheit am heutigen Tag eine Nummer zu wild. Obwohl das Eis recht soft daherkommt und gut abzusichern ist trauen wir uns den Aufschwung im Vorstieg nicht zu. Anders Janos, der sich das steile Herzstück der Route emporarbeitet und uns damit den Weiterweg ebnet.
Kudos für einen kühnen Vorstieg inmitten von Jammerlappen 😉

Im Nachstieg wächst mein Respekt nochmal. WI4- ist eigentlich etwas, das wir uns an guten Tagen durchaus zutrauen würden. Hier kommen sie mit der aktuellen Ausprägung der Stufe aber reichlich steil, kräftig und stets etwas abdrängend daher. Der Streifen, in dem geklettert werden kann ist einigermaßen dünn. Später im Winter habe ich die Stelle auch nochmal deutlich vernünftiger aufgebaut gesehen – die hier anfallenden 15 Meter sind trotzdem recht anhaltend und zornig. So zumindest mein naiver Eindruck vor Ort.
Dass ich mich für die eher stumpfen Mixed-Hauen auf meinen Eisgeräten entschieden habe schont zwar die filigranen Pure-Ice-Hauen, die daheim in der Wärme des Kamins kuscheln. Zurück in der Gegenwart vermisse ich sie aber doch ein wenig.
- Ausreichend aufgebaut – aber überraschend kräftig
- Hannah geht die etwas abdrängende Eisstufe an
- Luftig! Ahnt man in der zerklüfteten Wandflucht gar nicht.
Irre ist dennoch, dass sich solche feinen Eisgebilde hier mit so großer Zuverlässigkeit formen und dann teils auch lange Bestand haben. Richtig interessantes Eis mit Blick auf Staffelsee und Voralpenland darf durchaus als ziemliches Privileg gehandelt werden. Am benachbarten Jochberg ist die Saison, sofern sie überhaupt stattfindet, auf jeden Fall kürzer.
Die Eisstufe lehnt sich zurück und führt linkerhand wenige Meter von der Kante entfernt zum Standplatz.
4. Seillänge (Gehen)
Ein Stückchen Gehgelände lässt nur wenige Fragen offen. Die Rinne, welche zum nächsten kleinen Eisaufschwung führt ist nicht zu verfehlen oder übersehen und das Gelände wenig steil. Ein gebohrter Standplatz im Fels auf der rechten Seite taugt zwar zum Abseilen – ist bei der niedrigen Schneelage aber fast einen Hauch zu hoch gelegen. Körpersicherung aus dem flachen Schneeplateau am Fuße der letzten Eislänge tut es auch.
- Leichtes Gelände in der 4. Seillänge
- Blick über Ohlstadt zu Staffelsee, Vorland und die Ausläufer der benachbarten Ammergauer Alpen
5. Seillänge (WI3-)
Die Janosse sind bereits um’s Eck verschwunden als Hannah die kurze, senkrechte Stufe angeht, welche sich dann in eine angenehm geneigte Rampe zurücklehnt. Erneut finden wir hübsches, recht softes und mit 13cm Schrauben einwandfrei absicherbares Eis vor. Der Kraftakt und Dämpfer der 3. Seillänge ist bereits am Horizont verschwunden und diese letzten Meter machen reichlich Spaß. Im Alpenvorland und an der gegenüberliegenden Hörnle-Gruppe färben sich die trockenen Wiesen schon wieder in ein herrliches Gold – ein wilder Kontrast zum tiefblauen Schatten unserer kleinen Nordwand.
- Die kleine Eisstufe der 5. Seillänge (WI3-)
- Genüssliche Meter in gutem Eis
Rasch endet die hübsche Eisrampe und geht mehr und mehr in Schnee, steiles Gras und zwei Meter brauchbaren Turf über. Grundsätzlich hat man im nun breiteren Kessel zahlreiche Möglichkeiten. Oder in unserem Fall eine eingestapfte Spur, die zu dem links an einem Felsriegel liegenden Standplatz führt. Hier befindet sich das Wandbuch für die kleine Kletterei und für uns auch das Ende der Kletterei. Es gäbe die Möglichkeit rechtshaltend über leichteres Gelände zum Grat zum Heimgarten auszusteigen. Es fehlen durchaus noch einige Höhenmeter – rein landschaftlich und ästhetisch ist das aber bestimmt die schönste Variante.
Die Erschließer bieten hier auch noch eine finale Mixed-Länge in der Größenordnung M4 an, welche über weitere 35 Meter zu einem Latschenstand führt und dabei auch besagten Felsriegel über eine vage Rinne überwindet. Die Tatsache, dass keiner von uns hier über den ersten Haken hinweg kommt schieben wir souverän auf den fehlenden Schnee und somit tiefen Ausgangspunkt. Mangelndes Talent oder zu wenige Tage im Drytooling-Klettergarten des Vertrauens sind aber auch nicht auszuschließen – zumindest in meinem Fall.

Hat man dieses Finale überwunden wird man aber trotzdem mindestens einmal abseilen müssen und kann sich dann für den Ausstieg zum Grat oder die Abseilfahrt über die Route entscheiden. Für uns wird es heute Letzteres.
Abseilfahrt
Dank entsprechend vorbereiteter Standplätze geht das rasch von der Hand. In den Genuss einer Eissanduhr kommen wir heute nicht. Sehr wohl aber in den Genuss eines berauschenden Tiefblicks beim Abseilen über die Eisstufe der 3. Seillänge.
Echt steil
- Retour – bereits auf der großen Rampe der 1. Seillänge
- Am Wandfuß
Am Boden gelandet verstauen wir unsere Ausrüstung und spazieren im Dämmerlicht und unter einsetzendem Donnern ferner Feuerwerkskörper wieder gen Ohlstadt. Ein bisschen lädiert sind Hannah und ich schon. Ich habe mir in den letzten Tagen Taschachschlucht irgendwie die Achillessehne strapaziert. Umso schöner, dass nun ein ruhiger Silvesterabend mit freudig erwarteten Abendessen ansteht. Dafür müssen wir nur noch ein paar Kleinigkeiten einkaufen. Finde den Fehler.
Zwergentanz > Dinner
Happy New Year
Und damit geht ein weiteres Bergjahr zu Ende, welches rückblickend vor allem durch eine große Vielfältigkeit geprägt war. Nie zuvor ging es für mich innerhalb von 365 Tagen in so unterschiedliche Ecken Europas. Zwar bildet der Bergsport jeweils den gemeinsamen Nenner – die Ausprägung dessen fiel aber teils gravierend unterschiedlich aus. Vom hellen Kalk der Tannheimer Berge über grauen Granit im Zillergrund hin zu surrealen Tafonis auf Korsika. Neben obligatorischen Besuchen in Arco verschlug es uns auch erstmals in die wilden Weiten über Chamonix. Mit der klassischen Hochferner Nordwand und dem Watzespitze Nordpfeiler gingen sich jeweils recht unverhofft und kurzfristig die zwei „größten“ Bergtouren des Jahres aus, welche einen bunten Blumenstrauß an neuen und alten Fähigkeiten abfragen und Lust auf Meer machen. Mit der Fiameskante fiel die erste, vergleichsweise zahme Tour aus Pause’s Kultführer Im extremen Fels.
Mal sehen, was 2025 im Gepäck hat.

Schwierigkeit, Versicherung und Material
Der Zwergentanz ist eine spaßige Eis- und Mixedlinie in einer interessanten und zerklüfteten aber nicht allzu vertikalen Nordwand. Abgesehen von der für mein Empfinden recht harten Schlüsselseillänge überwiegt einfaches Stapf- und Pickelgelände mit zwei weiteren, interessanten Eisaufschwüngen. Für die Crux sollte man sich im 4. Eisgrad durchaus wohl fühlen. Ich habe keine allzu üppigen Vergleiche parat – mit der in der selben Saison gekletterten Perla Azzurra (WI4+) in den Dolomiten nimmt sich die zentrale Eisstufe in Sachen Steilheit aber nicht wirklich viel – sie baut sich nur deutlich filigraner auf.
Die guten Standplätze nehmen dann aber doch viel Ernst aus der Tour und erlauben ein rasches Abseilen. Das Ambiente ist vielleicht nicht gar so imposant wie am Jochberg – dafür bildet sich das Eis hier zuverlässiger und über längere Zeiträume hinweg. Zur weiteren Absicherung (es stecken sehr vereinzelt Bohrhaken) empfehlen sich einige Schrauben (ggf. auch eher kürzere) und Schlingen für Latschen. Der Felskontakt fällt bei guter Schnee- und Eislage minimal aus und das recht rustikale Gestein ist wenig aufnahmefreudig für Cams / Keile, sodass sich die Mitnahme solcher erübrigt. Wir waren wir immer mit 60 Meter Halbseilen unterwegs.
Zusammenfassung
Feiner Endspurt in den Silvesterabend und ein erneut absolut liebenswürdiges Voralpen-Nordwändchen. Rückblickend hätten wir an dem Tag mit einigen körperlichen Gebrechen und fahrlässiger Abendessen-Planung aber auch eine bisschen mehr Ruhe und Achtsamkeit vertragen können. Aber dafür gibt es ja nun ein ganzes, neues Jahr.