Frühsommer-Kraxelträume werden wahr. Die klassische Südostwand der Roten Flüh stand zwar bis einen Tag zuvor überhaupt nicht auf meiner Liste, die steile Wand über Nesselwängle wollte ich aber schon immer mal durchsteigen. Und auf den von Süden durchaus formschönen Berg auch. Und überhaupt – während ringsum noch alles in Altschnee und Gleitschneelawinen versinkt sind die Südwände der Tannheimer Berge ein perfekter Zufluchtsort für alle, die den Sommer einfach nicht mehr erwarten können.
Zustieg
Wie so oft geht es vergleichsweise gemütlich und spät im bereits jetzt schwülen Nesselwängle los. Die Magie der Tannheimer Berge besteht in der Übergangszeit aus trockenen und sonnigen Südwänden mit coolen aber relativ berechenbaren Routen, die mit etwas Kondition rasch erreicht werden können. Im Hochsommer würde ich zu handelsüblichen Zeiten vermutlich nichtmal mit vorgehaltener Waffe in diese Südwände einsteigen. Über einige Wände kann man auch halbwegs elegant abseilen, sodass man sich nicht einmal mit Altschnee in den meist nordseitigen Abstiegen auseinandersetzen müsste. Außer man ist so drauf wie die zwei Kollegen, die wir am Nachmittag dabei beobachten wie sie, obwohl sie mit dem Hochwiesler wahrscheinlich die feinste Abseilpiste der Kalkalpen erwischt haben, über dessen geschätzt 2387° steile Nordseite absteigen.
Die Südwand der Roten Flüh ist schnell erreicht, obwohl ich mal wieder ziemlich über meine gefühlt schneller als bei meinen Mitmenschen schrumpfende Ausdauer schimpfe. Die Hitze und das Gewicht auf dem Rücken machen wir zu schaffen und bei all der Kletterei, die wir zuletzt in Korsika und Sardinien hatten: so richtig viel gelaufen sind wir in der Zeit nicht. “Richtig viel laufen” wird dem radikal kurzen Zustieg aber auch nicht gerecht. Und das befeuert meinen Frust. Teufelskreis. Egal. Irgendwie zum Gimpelhaus, links in den Wald, aus der dampfenden Latschengasse hinaus und dann ohne erschlagen zu werden unter dem Hochwiesler hindurch zur Südwand der Roten Flüh.
Mit der Südostwand haben wir uns heute eine ziemlich klassische Linie vorgenommen, deren Erstbegehung 1929 durch H. Schertel und Gefährten erfolgte. Im Zustand von damals ist sie natürlich nicht geblieben. Zwar merkt man der Route ihr Alter in der konsequenten Linienführung durch die Schwachstellen der steilen Wand an – die (für uns) 9 interessanten Seillängen wurden inzwischen aber mit Klebehaken sanft saniert und eine neue, plattige und übliche Einstiegsvariante hat sich etabliert. Mit einer Kletterlänge von 300 Metern und zwei kurzen Schlüsselstellen im (oberen) 6. Grad reicht sie bestimmt nicht ganz an den Nimbus des naheliegenden Pause-Klassikers heran – was bleibt ist aber dennoch eine ziemlich interessante und lohnende Felsfahrt, die mangels Ruhm und Ehre auch nicht allzu speckig ist.
Als wir die Wand erreichen ist schon einiges los. Unsere Route ist davon verschont geblieben. Der Fokus liegt auf den zwei Platzhirschen am benachbarten Hochwiesler: Via Anita und Alte Südwand. An der Roten Flüh selbst scheinen die Südverschneidung, die relativ leichte Südwestwand und die Route “Im Westen nichts Neues” den regeren Besuch abzubekommen. Gut für uns.
Den Einstieg finden wir rasch an einem plattig-bauchigen Pfeiler im rechten Wandteil. Ich hab mir das vorab aber auch gut angeschaut – wohlwissend, dass es hier ein ziemlich irres Routengeflecht gibt. Eigentlich muss man einfach an den elendig steilen, gelben Wänden zwischen Hochwiesler und Flüh vorbei, zwei relativ markante, dunklere Wasserläufe passieren (die bei unserer Begehung im Frühjahr ihrem Namen gerecht werden und funkelnde Wassertropfen in der Luft verteilen) und dann nach Haken Ausschau halten. Wenn man die in der Wand erkennbare Terrasse mit drei großen Bäumen passiert hat, ist man schon viel zu weit gewandert.
Die Schlüsselstelle liegt genau am Anfang der Tour – wenige Meter über dem Boden und wir bestücken im Angesicht dieser recht nichtssagenden, kompakten Stufe unsere Gurte. Wie eigentlich immer startet Hannah in die erste Seillänge.
1. Seillänge (VI+)
Ein wenig von links ansteigend erreicht Hannah ein solides Band und den ersten Haken. Von dort gilt es eine abdrängende und trittarme Felsformation ziemlich frontal zu übersteigen – die wenigen guten Löcher im Fels liegen an der Stelle bereits unter einem. Genau wie der letzte Haken, sodass man sich durchaus Gedanken über das Risiko eines Bodensturzes machen darf. Die Gefahr eines solchen ist dann aber durch die hier relativ zahlreichen Haken auch einigermaßen schnell gebannt – die erste Seillänge ist an der entscheidenden Stelle eng und gut abgesichert.
In der Schlüsselbewegung gilt es ein paar wirklich und ernsthaft kleine bis schmerzhafte Leisten zu festzuhalten, zu verknüpfen und sich dann irgendwie nach oben auf ein offensichtliches Band zu wuchten. Obwohl das Band als Ziel offensichtlich ist, ist es der Weg dahin nicht wirklich. Am Band warten nicht wie so oft rettende Henkel oder Blöcke sondern unübersichtlicher und in meiner Erinnerung leicht nach unten geschichteter Fels. Hannah arbeitet sich souverän durch den Kaltstart und erreicht das Band. Im Nachstieg habe ich in der Crux direkt einen Hänger.
Das Gelände wird zwar leichter, die Hakendichte lässt aber auch sofort und spürbar nach. Das ist insofern wichtig, als dass man immer wieder kurz verleitet wird, der mehrfach kreuzenden Welcome to Tijuana (8+/9-) zu folgen. Diese ist allerdings mit Bohrhaken ausgestattet und hebt sich eigentlich schon sehr deutlich von unserem Wanddurchstieg ab. Hannah steigt nach links weiter, legt den ersten Friend (natürlich den heiligen Lila Totem) erreicht mit einigen Runouts den ersten Standplatz am Eck links über der Einstiegswand. Auf dem Weg dahin wird noch ein kleiner Pfeiler sehr frontal angeklettert und dann auf einer feinen Spur nach links umgangen. Auf eine leichtere Querung folgt noch ein Aufschwung im oberen 5. Grad.
Wir hadern kurz, ob wir weitermachen sollen und vor allem wollen. Das liegt vor allem am selbstgemachten Druck pünktlich für eine Pizza ins Allgäu zu kommen. Die Kletterei war doch relativ hart, wir fühlen uns nicht ganz in mentaler und geistiger Bestform und auf dem Papier kommen schon noch ein paar spannende und vor allem dünner abgesicherte Momente auf uns zu.
2. Seillänge (IV)
Ich steige in die zweite, nun deutlich einfachere Seillänge ein und der Flow übernimmt ein wenig. Ich rechne laut Panico-Topo mit einem einzigen Bohrhaken auf 35 Metern. Je nach Stil, kann das auch im 4. Grad ein ganz ordentliches Thema darstellen – so weit sind wir im Leben schon gekommen. Tatsächlich finde ich aber auf dem Weg einige Klebehaken mehr vor und komme ohne mobile Absicherung und beinahe erfrischt am nächsten Standplatz an.
Die Kletterei ist steil und nicht immer zu 100% fest, löst sich aber stets schön auf und lässt sich mit ein wenig Umsicht ganz genüsslich machen. Großartig unlohnend ist die Länge dabei auch nicht – einige der Aufschwünge machen sogar richtig Spaß.
3. Seillänge (IV)
Es ist wieder an Hannah ein paar Meter in der hier sehr gestuften Wand zu machen. Spannend ist die Linie durchaus – man spürt förmlich wie die Erstbegeher einen möglichst leichten und logischen Weg durch den in der Draufsicht vertikalen Fels zu legen. Dass sich hier ganze Gehwege und Forststraßen verstecken ahnt man von Weitem nicht. Und doch sind wir hier: am Fuße einer ziemlich breiten, flachen und grasigen Rinne.
Die Absicherung fällt dünn aus, was im Beinahe-Gehgelände aber auch angebracht ist. Die größten Herausforderungen bestehen erstmal daran keinen Schutt von den Stufen zu treten – man hält sich also ein wenig rechts auf dem kompakten Felsriegel – und keine nassen Füße zu kriegen. Bei unserer frühlingshaften Begehung ist der Rinnengrund schlammig und der Übergang an den Fels an ihrem Ende nass.
Besagter Übergang erfolgt nach links in einen Kamin. Hier geht es steil und für den 4. Grad überraschend technisch hinauf, es überwiegt erneut fester und interessanter Fels. Hier wäre ich wohl auch hinauf gegangen, wenn ich die Wahl gehabt hätte. Ziemlich intuitiv – ziemlich lässig. Ein paar Haken beruhigen erneut die Nerven, dazwischen darf aber auch mal einige Meter geklettert werden.
4. Seillänge (V-)
Die folgende Seillänge dürfte ein bisschen der Hidden-Champion der Südostwand sein und wir hatten reichlich Respekt vor der Tatsache, dass sie wohl immer nass sei und dann ziemlich heikel ausfällt.
Kamine scheinen in klassischen Routen eh eine eigene Welt zu sein und die 4. Seillänge bestätigt diesen Eindruck erneut. Eigentlich ist das auch ganz logisch. Ein Kamin ist eine absolut offensichtliche und naheliegende Schwachstelle im Fels, die häufig vergleichsweise viele Tritte und Griffe abwirft und damit in einer sonst geschlossenen Wand eine absolut naheliegende Wegwahl ist. Ohne Kletterschuhe, welche zu Zeiten der Erstbegehung noch lange nicht erfunden waren, sind Kamine das Mittel der Wahl. Und entsprechend geübt war man früher in solchem Gelände.
Heute ist der oft benötigte dreidimensionale Kletterstil eher unüblich. In Hallen oder Boulderhallen wird man bis auf seltenste Ausnahmen keine Kamine finden. Ein konsequenter, klassischer Kamin ist auch in den unteren Schwierigkeitsgraden eine wirklich spannende Geschichte und ringt zumindest mir jedes Mal ein wenig Arbeit abseits der Komfortzone ab. Schema F lässt sich einfach nicht anwenden, die 6b von der Platte juckt nicht. Relevant ist nur, wie viele Körperteile du gleichzeitig gewinnbringend einsetzen kannst und ob du dabei den Überblick behältst welcher Teil von dir dich jetzt wo und warum an der Wand hält.
Die gute Nachricht für uns, mich und meinen Vorstieg ist aber erstmal, dass es gar nicht gar so nass aussieht im Kamin. Nur ein nasser Streifen direkt über dem Stand zwingt mich in ein recht plattiges Manöver vor dem ersten Haken. Dann geht es hinein in den düsteren, feuchten Kamin. Direkt 10° kühler. Aber der Schein trügt nicht – dafür dass es gerade massiv taut und an den Vortagen auch ordentlich geregnet hat, schaut das echt in Ordnung aus.
Ob man die Kletterei nun als 5- durchgehen lassen mag ist Auslegungssache. Mir persönlich kommt diese Länge markant schwieriger vor – in einer homogenen Route jüngeren Baujahrs – etwa im Sarcatal – würde ich Kletterei in diesem Stil eher im unteren 6. Grad erwarten. Die Hakenabstände sind weit, dazwischen darf ordentlich und stellenweise kühn gestemmt werden, wobei ein Sturz in diesem Gelände absolut ausgeschlossen sein muss. Die potentielle Fallweite und Umgebung ist wirklich nicht ohne und obwohl ich einiges an Klemmzeug am Gurt habe bekomme ich nur einen lila Totem im Kamin und einen BD #3 am Ausstieg unter. Luxuriöse Zustände sind damit noch nicht geschaffen.
Ich bin ziemlich froh, dass ich vor einem halben Jahr am Gimpel mit dem Südostkamin schonmal eine sehr ähnliche und anhaltende Tour in diesem Stil vorsteigen durfte und ein bisschen auf diese Erfahrung zurückgreifen konnte.
Der Kamin ist mit knapp 40 Metern ganz schön lang und in seiner Länge auch recht homogen wobei sich knifflige Aufschwünge mit etwas entspannteren Passagen abwechseln. Die Schwierigkeiten nehmen gefühlt nach oben hin zu, an einer Stelle wechsel ich kurz auf die Kante um eine glatte, abdrängende Stelle im Kamin zu umgehen – natürlich mit reichlich Abstand über dem letzten Haken. Der Ausstieg aus dem Kamin erfolgt über eine lose Schuppe und einen nicht ganz solide wirkenden Klemmblock. Dann hat der Spuk ein Ende und eine leichte aber extrem luftige Querung über eine feine Platte mit Wasserrillen führt hart nach links auf einen recht gemütlichen Absatz mit Standplatz.
Wenn der Kamin – wie wir jetzt leider nur teilweise bestätigen können – oft und lange nass ist, ist auf jeden Fall eine Spur Respekt angebracht. Die Hakenabstände sind zu weit für Experimente – man sollte hier wirklich weit über den angegebenen Schwierigkeiten stehen, die doch recht tief gegriffen sind und frech demonstrieren, wie unverschämt sexy und routiniert man vor 100 Jahren offenbar Kamine durchstiegen hat.
5. Seillänge (V+, Zwischenstand)
Hannah steigt in die nächste Seillänge ein, die erneut einer sehr offensichtlichen Schwachstelle über dem Standplatz folgt. Rechts über direkten, geschlossenen und schweren Fels gäbe es erneut die Möglichkeit in die Nachbarroute zu wechseln – wer bisher widerstehen konnte wird es aber auch hier schaffen.
Die Südostwand steigt dagegen in einer markanten, etwas breiteren Rinne auf. Oben erwarten wir mit dem “Pfannenquergang” die zweite Schlüsselstelle im 6. Grad. Wenn eine Kletterstelle einen eigenen, kreativen Namen erhält, heißt das normalerweise, dass sie in irgendeiner Form markant ist und aus dem Geschehen heraussticht. Eine Pfanne sieht man von hier noch nicht. Aber das kann ja noch werden.
Erstmal arbeitet sich Hannah hinauf in die Rinne, in deren Mitte ein steiler, stellenweise abdrängender Wulst bezwungen werden muss. Die vor allem zu Beginn kleingriffige und erstmals auch etwas rutschige Kletterei weiß wieder zu beeindrucken – selbst mit Kletterschuhen sind hier durchaus ein paar spannende Züge gefordert und die wenigen aber guten Haken, denen man auf dem Weg begegnet fordern auch eine gewisse mentale Schlagfertigkeit. Die hat Hannah zum Glück. Mehr als ich.
Die Südostwand ist übrigens meiner naiven Meinung nach ein ganz gutes Beispiel, für eine recht gelungene “sanfte” Sanierung. Das Material vor Ort ist perfekt – die Route aber weiterhin auf ihrem Niveau ernst und die Mitnahme von mobiler Absicherung angebracht. Das ist bestimmt keine universell gültige Meinung und andere werden bestimmt schimpfen, dass hier überhaupt saniert wurde. Aber ich kann mich (bisher) mit diesem Stil recht gut anfreunden. Eine uralte und verstaubte Route, die mangels Wiederholer in Vergessenheit gerät und irgendwann verschwindet bringt auch keinem was.
Hannah erreicht – einen #1.8 Totem später – das Ende der Rinne und die Stelle und Höhe, an der ein “Pfannenquergang” ansetzen soll. Eine Pfanne ist aber scheinbar noch nicht zu sehen. Ich bin aus Wandbildern interpretiert auf jeden Fall der Meinung, dass es hier ganz gewaltig nach links gehen soll, bevor man höher wieder zurück nach rechts in die Falllinie des Standplatzes quert. Meine Meinung ist so gefestigt, dass ich Hannah’s Argument, dass unsere Haken eher geradeaus bis leicht rechts aus der Rinne führen mit knallharten Argumenten abtue.
Hannah erreicht eine brüchige Rampe, die auf ein Band führt. Hier ist zwar noch ein Klebehaken der auch zu unserer Route gehört aber links davon befindet sich ein Standplatz mit andersartigen Bohrhaken.
Ich bin weiterhin der Meinung, dass es hier deutlich nach links weggehen müsste und wir rechts erneut in die Tijuana queren würden. Was wir ja nicht wollen. Wir klettern keine 9-. Ich liege damit nur leider völlig falsch und möchte mit meinem etwas übertriebenen Zitat-Exzess lediglich dafür sensibilisieren, hier keine großartige Pfanne und keinen nennenswerten Quergang zu erwarten. Und den Schwenk nach links in manchen Topos nicht und Wandbildern nicht zu ernst zu nehmen. Alles was hier passiert, spielt sich auf ganz wenigen Metern direkt über der Rinne ab und ist nicht so markant oder intuitiv wie ich mir das ausgemalt habe.
Da wir auf keinen grünen Ast kommen bezieht Hannah den Standplatz einige Meter links neben der Rinne, der vermutlich zum “Zentralpfeiler” gehört. Das kommt ihr wenige Minuten später sogar relativ gelegen. Der Pfannenquergang ist ein Problem, welches es mit Länge zu lösen gilt und so fällt ihr die 7. und konstant herrliche Seillänge zu. Einen Moment brauchen wir trotzdem um unsere Irrungen und Wirrungen zu entknoten. Das liegt vor allem daran, dass man den eigentlich nur wenige Meter entfernten Standplatz unserer Route im Gefecht nicht wirklich sieht.
6. Seillänge (VI)
Wir bauen eine sehr kurze Zwischenlänge ein, die lediglich daraus besteht, dass ich die 10 Meter vom Standplatz des Zentralpfeilers zurück nach rechts in unsere Route begehe und dabei den überraschend kurzen Quergang löse.
Dieser fällt dann für den 6. Grad für meinen Geschmack auch ehrlich dankbar und human aus. Ein etwas merkwürdiger Zangengriff ist zu halten während man mit weiten und tiefen Tritten durch die Stelle navigiert. Luftig ist es hier bestimmt – man hat immerhin die eben von Hannah erstiegene, steile Rinne und dann weitere 200 Meter an den Wandfuß unter dem Hintern. Aber die Schwierigkeiten beschränken sich auf einen Zug und eine Bewegung und die Absicherung ist mit engen Hakenabständen wirklich gut.
7. Seillänge (V)
Wir sind wieder in der Spur und Hannah startet in die letzte nennenswerte Seillänge, die sich als anhaltender und kühne Plattenfahrt entpuppt. Eine Hammerlänge. So toll, dass es aus ihr gar kein Bild gibt. Ich staune aber nicht schlecht. Bisher war die Linienführung der Südostwand sehr naheliegend und offensichtlich – hier höllisch exponiert ums Eck zu steigen und eine sehr plattige Rampe zu ersteigen ist aber ein spannender Schachzug. Es ist erneut die Schwachstelle der Wand. Nur ist es diesmal eine, die nicht sofort als solche erkennbar ist und sich erst in der Bewegung manifestiert.
Auf den folgenden 30 Metern darf nochmal sauber geklettert werden mit einer neuen und unheimlich intensiven Exposition. Hier rächt sich kurz, dass man bisher recht gemütlich in Rinnen und Kaminen eingepackt gewesen ist. In bombenfesten Fels und mit inzwischen gewohnt zuverlässigen aber weiten Hakenabständen geht es zunächst eine begeisternde, steile Kante entlang. Eine kurze, knifflige Delle muss an kleinen, speckigen Griffen und kaum vorhandenen Tritten überwunden werden und fällt (ebenfalls gewohnt) recht diffizil aus. Dann noch über Plattensequenzen zum nächsten Standplatz in einer breiten, grasigen Gipfelschlucht uuuund…Feierabend.
8. Seillänge (IV-)
Jetzt ist eh nur noch Spaß – und wir sind gut in der Zeit. Zum Beginn der 8. Seillänge, die in einer kleinen Einbuchtung startet, verlässt man diese über ein hübsches, steiles und griffiges Wändchen. Danach folgt nur noch Gehgelände und kurze Stufen im IIer Bereich. Viel Gras und überraschend wenig Schotter. Ich hatte schlimmeres gelesen und erwartet. Mit etwas Achtsamkeit kommt man hier aber gut hoch und hat eigentlich keinen Anlass sich oder tiefer liegende Routenverläufe mit Steinen zu bombardieren.
9. Seillänge (III-)
Von den zwei möglichen Grasrinnen wählen wir die rechte was wohl auch rechtens ist. Total egal, das Gelände ist einfach und die vereinzelten Haken an Blöcken nur mehr Deko. Lediglich die Länge kommt uns minimal spanisch vor. Hannah steigt vor, findet keinen Standplatz und zieht dann einfach zum Gipfelkreuz der Roten Flüh durch. Theoretisch sollte auf dem Weg noch einer sein. Ob man den in diesem Gelände noch suchen muss ist eine andere Frage.
Das 60-Meter-Seil reicht für so ein Manöver auf jeden Fall ganz knapp nicht und als Hannah kurz vor dem Gipfelkreuz ist steige ich nach und wir erreichen am laufenden Seil unser Tagesziel.
Gipfel
Die Rote Flüh ist von allen Seiten gut besucht. Der Friedberger Klettersteig erhält schon einige Begehungen und auch der Normalweg ist üppig ausgetreten. Nach einer kurzen Rast wenden wir uns dem von hier aus unfassbar hübschen Gimpel zu und gehen den Abstieg an. Wir rechnen uns aus, dass sich mit kleinen Ausflügen in die Disziplinen “Trailrunning” und “Altschneesurfing” sogar noch ein Apfelkuchen am Gimpfelhaus ausgehen könnte.
Abstieg
Einfach runter. Irre was in den Wänden am Gimpel los ist und schön, dass wir uns unwissentlich für einen ganz schön einsamen Weg auf die Rote Flüh entschieden haben. Obwohl auch in deren Südwand einige Seilschaften zu Gange waren durften wir unseren Wandabschnitt in absoluter Einsamkeit genießen. Rasch steigen wir den tief eingespurten Normalweg hinab, folgen den Drahtseilen ins Kar und stehen wenige Minuten später am Gimpelhaus.
Schwierigkeit, Versicherung und Material
Eine für meinen Geschmack sehr interessante und lohnende Tour in einer herrlichen Felswand. Für den kurzen Zustieg wird man mit einer tollen, alpinen Bergfahrt belohnt und darf ein paar sehr unterschiedliche Seillängen in fantastischer Landschaft genießen. Man kann der Südostwand bestimmt eine gewisse Inhomogenität vorwerfen – die mich im Rahmen eines klassischen und alten Weges durch die Wand aber überhaupt nicht gestört hat. Die Route ist logisch, schön gelegt und auch die “leichten” Seillängen haben stets mindestens eine und oft mehrere interessante Einzelstellen und Felsformationen zu bieten. Die Schwierigkeiten sind sehr diffus über die Route verteilt, gefühlt muss man hier an sehr vielen Stilen Spaß haben oder sich zumindest mit ihnen arrangieren können. Die 6+ Einzelstelle zu Beginn ist kleingriffig und kurz zach aber lösbar und erinnert in ihrem Stil eher an Sportkletterei, der Pfannenquergang kam mir relativ einfach und unscheinbar vor. Sieger der Herzen ist Alles im 5. Grad. Der Kamin ist für seine Bewertung eine beeindruckende und nicht ganz triviale Länge, die Rinne unter dem Pfannenquergang hat ein paar echt kräftige und steile Momente und die Platten oben raus sind was für den Kopf. Der Fels ist selten wirklich speckig – man spürt, dass die prominente Nachbarschaft den ganz großen, neuzeitlichen Ansturm aus diesem Fleck Fels herausgehalten haben muss.
Die Route ist sanft saniert – für mein Empfinden auch einigermaßen erfolgreich. Fairerweise – gerade in den ganz leichten Längen hätte man sich noch den einen oder anderen Haken sparen können – die sitzen teils an ulkigen Stellen. Aber im Großen und Ganzen ergibt sich doch ein ziemlich stimmiges Bild, in dem die Tour einen angemessenen Anspruch (Panico sagt E2-3) aber auch Sicherheit für Wiederholer bereit hält. Die Schlüsselstellen sind sehr gut versichert, bei den oben erwähnten Längen im 5. Grad wird es abschnittsweise schon spannend.
Für uns wurden es insgesamt über die ganze Route vielleicht 4-5 mobile Placements (BD 0.5 – 3). Man sollte mit einem recht reduzierten Satz Cams bereits eine gute Zeit haben, wenn man deutlich härter klettert kann bestimmt auch ohne Schlosserei einsteigen. Für Schlingen haben wir keinen Einsatz gefunden. Die Standplätze sind nicht verbunden – oft aber mit Ring und Klebehaken eingerichtet, sodass ein Rückzug theoretisch denkbar ist. Helm. Seile. Zeug halt. Ein paar lange Exen schaden nicht für die Eckpunkte der Seillängen, die in ihrem Verlauf einen markanten Knick enthalten (1,3,4,5).
Zusammenfassung
Wir waren pünktlich zur Pizza! Und es war geil.