Ich hab im Bericht zur Wirklich oben bist du nie bereits rumgeheult, dass ich vom Lechtalblick nicht mehr so frisch war. Natürlich alles billige Ausreden. Das Problem bleibt aber bestehen und nachdem wir den “Lechtalblick” noch ganz fein gekraxelt sind, in der “Wirklich oben bist du nie” gut an Grenzen gestoßen sind folgt heute nur noch allerfeinstes Durch-Die-Wand-Gemurkse am gerade so abgetrockneten Hochwiesler. Zumindest ist das meine verheerende Selbstdiagnose.
Irgendwann um 5 schrecke ich mal kurz aus dem viel zu leeren Lager des Gimpelhauses. Bei der Wettervorhersage auch keine ganz große Überraschung. Draußen ist es im Dämmerlicht mächtig am schütten und hageln. Wir müssen also ganz bestimmt nicht früh aufstehen, wenn wir heute was klettern wollen.
Was klettern wollen ist eh ein Thema – während dem Frühstück blättere ich locker 10 Mal durch den Kletterführer. Relativ kurz und leicht soll es sein, unsere Ressourcen für das Wochenende haben wir gestern schon verschossen. Wir wollen aber auch nicht in irgendeine rustikale, alte Bröseltour mit dünner Absicherung einsteigen. Die leichten Routen am Gimpel-Vorbau und Zwerchenwand reizen uns auch nur bedingt. Irgendwie sind wir ganz schön anspruchsvoll heute.
Beim Blick aus dem Fenster sieht die Südwand am Hochwiesler, einem imposanten Klotz in erster Reihe, schon relativ trocken und einladend aus. Hier gibt es überwiegend schwierige Touren. Letzten Endes schießen wir uns aber auf eine Routenkombination ein, die den oberen 5. Grad nicht überschreiten sollte und von der Hütte sehr rasch erreicht werden kann.
Die “alte Südwand”, bereits 1928 erstbegangen führt dabei in 5 Seillängen durch die nicht hohe aber steile Wand und stellt bis auf eine speckige Verschneidung wohl den leichtesten Weg dar. Noch leichter wird es nur, wenn man die jüngere “FöVe 97” als Einstiegsvariante nutzt und die ersten beiden Seillängen der alten Südwand links in angeblich besserem Fels bis V+ umgeht. Bohrhaken gibt es auch. Darüber warten nur noch 3 leichte Seillängen der alten Südwand und dann ist Feierabend.
Zustieg
Staus werden wir heute nicht haben. Es ist Montag und das Wetter war weit schlechter vorausgesagt als es nun tatsächlich ist, das Gimpelhaus war reichlich leer und der Ansturm auf die schönen Wände der Tannheimer Berge hält sich in Grenzen. Dafür haben wir eine mystische, tiefhängende Wolkendecke, welche sich aber so schnell bewegt, dass reichlich Sonne durchkommt und die Landschaft im Minutentakt ihr Gesicht wechselt. Hübsch einfach.
Zwischen Hagelkörnern und Latschen kämpfen wir uns den steilen und rutschigen Pfad zum Hochwiesler hinauf. Gerade mal 600 Meter und 200 Höhenmeter wollen gemacht werden. Absoluter Luxus – so einen kurzen Zustieg hatte ich (glaube ich) noch nie.
Als wir die Wand erreichen, steuern wir auf einen kleinen Vorbau zu. Ich habe mir das Wandbild eingeprägt und die Routen (und Schwachstellen dieser Wand) sind relativ schnell auszumachen und anzupeilen. Eigentlich kann man sich eine große Rinne / Verschneidung merken, die recht tief in der Wiese ansetzt und auf eine vorgelagerte Schulter führt. Wem das nicht reicht, der folge einfach Tami’s Blick im Bild unten rechts.
Ein beeindruckendes Stück Fels ist das hier aber allemal. Der Blick nach oben beflügelt die Fantasie und lässt den Respekt vor dem 8. Grad wachsen. Der mittlere Wandbereich sieht unüberwindlich und glatt aus und trotzdem schlängeln sich hier einige Touren durch die fast schon dolomitenhafte Vertikale.
Wir erreichen den Einstiegsbereich und einmal um die Ecke herum finden wir die markante Einbuchtung mit einer kompakten Platte die nach leicht rechts in die Route führt. Hier stecken auch (offensichtlich) neue Bohrhaken. Und als wir auch noch feststellen, dass die befürchtete Nässe im unteren Teil der Route sich auf einen kleinen Streifen neben der eigentlichen Kletterei beschränkt steht dem Abenteuer Hochwiesler nichts mehr im Wege.
1. Seillänge (V+, Zwischenstand)
Da Tami gestern eingestiegen ist und wir diesen Wechsel die letzten Tage konsequent aufrecht gehalten hatten bin ich heute wieder dran. Ich springe in die Schuhe, bestücke meinen Gurt mit Exen und einigen Klemmgeräten und flitze höchstmotiviert in die Platte.
Der erste Tritt auf Reibung fällt mir schwer. Die Suche nach Alternativen fühlt sich hektisch und unentspannt an. Obwohl ich genau vor dem Bohrhaken stehe bin ich ziemlich gestresst. Und mir dämmert, dass sich nicht nur die Arme und Füße von gestern erholen müssen sondern auch der Kopf. Für mich ist schnell klar, dass ich ordentlich ausgebrannt bin und heute keine großen Züge mehr reißen werde. Auf jeden Fall eine neue Erfahrung – dem Zustand bin ich in der Vergangenheit noch nicht begegnet.
Also zieh ich mich an der Exe über die entscheidende Stelle und krampfe dann mehr Schlecht als Recht durch die etwas kleingriffigere Platte und ins leichtere Gelände. Von hier geht es gerade hoch und nach einer kurzen (mentalen) Erholung in leichten Schrofen hänge ich schon wieder eingeklemmt zwischen Platten und subtilen Rillen und habe eine gar nicht so gute Zeit. Eine Sanduhr weiter weiche ich instinktiv einen Meter nach rechts zu einem wulstigen, langen Riss aus. Dieser erscheint mir kletterbarer – hier habe ich den Umständen entsprechend mehr Spaß und oben sehe ich bereits einen soliden Standplatz. Was ich übersehe, ist dass ich bereits hier unfreiwillig in die alte Südwand gewechselt bin und ab jetzt nur noch Augen für die falsche Route habe.
Und was ich auch übersehe ist ein Traum von Bohrhaken nur einen Meter neben dem Riss, durch den ich mich mit Einsatz zweier Totem Cams hochschiebe. Mein sonst immer eher gutes Routengespür habe ich wohl irgendwo in den Sportklettereien der letzten Tage verloren. Ich erreiche reichlich durch den Wind den Standplatz und hole Tami nach.
Die Wolken rauschen immer wieder in die Wand, mal hängen wir im Nebel und mal in der prallen Sonne während unten Dunstfelder durch die Wälder über Nesselwängle ziehen. Eigentlich wunderschön und einsam. Genießen kann ich es gerade trotzdem nicht ganz und dass ich den falschen Stand erwischt habe sehe ich spätestens im Angesicht der glatten Verschneidung über mir auch ein. Genau das Ding wollten wir heute eigentlich umgehen. Jetzt hat Tami die Stelle an der Backe. Denn ein zurückqueren in die links durch die Platten führende “FöVe 97” wäre ähnlich schwierig und vor allem äußerst ungeschickt in der Seilführung.
2. Seillänge (VI)
Tami bleibt also in der von mir eingeschlagenen Spur und steigt die speckige Verschneidung vor, die dann letzten Endes an den Standplatz für soll, an dem die beiden Routen zusammenlaufen. Die Verschneidung stellt sich dabei als gar nicht gar so hübsch heraus und ist im Detail schwieriger als sie aussieht. Bereits vor dem ersten Haken werfen wir noch einen lila Totem in den Riss und dann kloppt sich Tami – souverän aber angestrengter als normal – durch die etwas unrunde Seillänge.
Beim Nachsteigen muss ich ihr Recht geben. Die Verschneidung ist an den entscheidenden Stellen unfassbar poliert – wirklich Freude kommt hier auch im Nachstieg nicht auf. Darüber sind wir einer Spur von Haken in etwas eigenwilliger Wegführung gefolgt. Nach der Verschneidung links auf einen plattigen Absatz. Dort wieder nach rechts in einen nun leichteren Kamin. Auf einem weiteren Absatz stark nach links und etwas umständlich in die große Rinne queren. Dort findet Tami nach einigem Suchen etwas höher als vermutet den nächsten Standplatz. Ob das wirklich ganz richtig war so?
Wir sind auf jeden Fall noch in der Route und nun auch an der Stelle, an der die FöVe 97 in die alte Südwand mündet. Wir sind auch am offiziellen Ende der Schwierigkeiten – der 4. Grad sollte nun nicht mehr überschritten werden. Aber ein wenig schräg war das Stück schon, obwohl die Richtung eigentlich klar und die Sicherungsmöglichkeiten zahlreich sind. Nächstes Mal bleibe ich trotzdem in der FöVe 97. Und bin hoffentlich auch einen Hauch fitter.
3. Seillänge (IV+)
Ich steige wieder vor und stelle mich nichtmal im IVer Gelände so richtig gut an. Über ein griffiges, henkeliges Wändchen geht es geradewegs hinauf, die Absicherung ist mit zwei Bohrhaken zwar recht dünn, es lassen sich aber noch ein paar alte Schlaghaken und Sanduhren finden. In einem anderen Zustand als heute wäre diese Länge vermutlich reiner Genuss gewesen, der Fels ist wirklich schön, fest und einfach. Lediglich im oberen Teil der Seillänge gilt es einen Übergang auf die Schulter zu finden – in meinem Fall über eine etwas abdrängenden Kamin linkerhand, der mir sehr unübersichtlich vorkommt. Hier wird schon mal kurz ein oberer 4er benötigt – sobald ich mich überwinde mich an die linke Wand zu hängen geht es aber gut und griffig weiter. Auch hier brauche ich mehrere Anläufe, ich traue heute gar keinem Körperteil mehr. Vielleicht war mein Ansatz irgendwie eingespreizt in dem Kamin höher zu steigen aber auch einfach Quatsch. Dennoch ein sehr interessantes Phänomen. Und gut zu Wissen für kommende Kletterwochenenden.
4. Seillänge (IV, vmtl. Zwischenstand)
Während epische Wolken nur 30 Meter über uns durch die vertikale sausen steigt Tami die vorletzte Seillänge vor. Links gibt es bereits die extrem kompakte, leicht überhängende Wand zu bestaunen, über welche die erste der zwei Abseilfahrten führt.
Auch bei uns ist der Fels schön fest und die gelben Stellen fühlen sich kurz an wie mitten in den Dolomiten. Tatsächlich die für uns schönste Seillänge des Tages mit einer Mischung aus leichter aber lässiger Kletterei, wilder Aussicht und tollen, in einigen Stufen sehr steilen, Wandabschnitten. Ob wir wirklich den richtigen Stand erwischt haben, wage ich aber zu bezweifeln. Tami peilt 30 Meter über uns ein paar große Blöcken an hinter denen man schon das leichte Band erkennt, dass aus der Wand hinausführen soll. Auf den allerletzten Metern gibt es dann aber doch mehrere Kamine, durch die die kleine Barriere überwunden werden könnte. Als Tami einen Stand findet muss sie ein Stück abklettern und luftig nach links and einen Block queren.
Hier oben laufen generell wieder einige Routen zusammen – ich vermute, dass wir in der “Kombifahrt” gelandet sind, welche hier unsere Route kreuzt. Ein paar Meter weiter rechts schlängelt sich die “Via Anita” in unfassbar eleganter Linie durch die steile Wand. Sie steht auf jeden Fall noch ganz oben auf der ToDo-Liste.
Bei all den Haken hier oben lassen wir uns aber nicht mehr wirklich stressen – die Tour ist im wesentlichen schon lange geschafft und das grasige Ausstiegsband kann man nicht verfehlen.
5. Seillänge (IV+)
Eigentlich nur noch eine sehr leichte Quergangslänge nach links – da unser Stand ein paar Meter zu tief ist, verschlucke ich mich aber kurz nochmal an einem senkrechten, abdrängenden Aufschwung (IV+) in eine Rinne. Dieser ist in der Topo eingezeichnet und gehört noch zur 4. Seillänge. Da Tami zuvor aber schon eine sehr ähnliche, griffige und steile Wand geklettert ist, haben wir die Stelle kaum vermisst. So komme ich auch nochmal in den Genuss etwas fester an einem Felsen zu ziehen und dahinter finde ich den eigentlichen Standplatz. Nagut.
Jetzt wird es wirklich leicht (und für uns leider auch nass) und ich arbeite mich wie auf Scherben durch den luftig, moosigen Quergang. Hier wären Bergschuhe bestimmt angenehmer gewesen, meine Kletterschuhe halten auf der rutschigen Erde nichts und links geht es überschlagend senkrecht nach unten. Drei Bohrhaken entschärfen die Länge, die am Ende in einer kurzen IIIer Wandstelle mündet und einen dann in eine leichte Wiese entlässt. Ich setze auf dem Weg noch eine #0.4 Cam und lasse irgendwo eine Köpflschlinge liegen und ziehe dann mit etwas mehr Seilreibung direkt zum Abseilstand links vom Ausstieg.
Tami folgt, und das es windig und ungemütlich ist machen wir uns relativ schnell an die Abseilfahrt. Im Internet stand irgendwas mit “perfekte Abseiltechnik notwendig, sehr ausgesetzt”.
Abseilfahrt
Ich habe direkt die Szene aus Tommy Caldwell’s Film “The Dawn Wall” im Kopf. Der Satz fällt, als die beiden sich von oben über den El Capitan abseilen und von einem Schritt zum nächsten in dessen volle Höhe und Exposition treten. Gut, der Hochwiesler ist nicht El Capitan. Und ich bin nicht Tommy Caldwell. Heute noch viel weniger als sonst. Aber der 50 Meter lange und überwiegend freihängende Abseiler am Hochwiesler ist eine Attraktion für sich.
Die Wand selbst ist gar nicht so hoch aber der Tiefblick nach Nesselwängle und über den Haldensee ist anders wild. Und so rauschen wir an der nahezu makellosen Kalkwand hinab auf das Grasband inmitten der Wand. Ich weiß nicht ganz, wofür genau die perfekte Abseiltechnik hier gebraucht wird. Abseiltechnik sollte immer perfekt sein – das liegt in der Natur der Sache. Das Seil ist zumindest leicht abzuziehen, das Steinschlagrisiko hält sich in Grenzen und die Abseilstände sind leicht zu finden und in bestem Zustand. Luftig und absolut freihängend ist es trotzdem. Und das sollte man vielleicht schonmal gemacht haben.
Die zweite Abseilfahrt ist dann weniger spektakulär und birgt in ihren 40 Metern ein paar mehr Steinchen zum rumwerfen – alles in allem steht ma aber sehr schnell und komfortabel wieder auf dem breiten Pfad am Wandfuss. Endlich Apfel, endlich Abstieg und endlich Feierabend. Das war ein langes und ausgefülltes Kletterwochenenden mit drei Touren in denen ich mich dieser Jahr noch nicht gesehen hatte und bei denen es eine Menge zu lernen gab. Zum Beispiel die ulkigen und bis in den IV. Grad reichenden Ausfallerscheinungen des heutigen Tages. Vielleicht sollte ich doch in die Bonsaizucht einsteigen.
Schwierigkeit, Versicherung und Material
Ein eigentlich schöner aber auch recht inhomogener und kurzer Durchstieg im schwächsten Wandbereich der Hochwiesler Südwand. Für den Tag, die wilde Wolkenstimmung und die Einsamkeit eine nette Tour, die ich Freunden aber nicht empfehlen würde. Den Hochwiesler ganz bestimmt. Das ist eine völlig geniale Wand. Aber ich bin mir sicher, dass es hier schönere und viel schönere Wege gibt, auch wenn man für diese etwas schwerer Klettern muss. Fortsetzung folgt.
Mindestens 2 x 50 Meter Halbseile sind sehr angenehm für die Abseilfahrt – wir waren mit 2 x 60 Meter eh wieder overequipped. Einen Stand weiter links käme man zwar auch mit 2 x 45 Metern runter, darf oben aber nochmal komisch exponiert queren. Und überhaupt, wer hat schon 45 Meter Seile?
Ich war froh, dass wir nicht nur Expresschlingen dabei hatten: die eine oder andere Bandschlinge für Köpfl und Sanduhren macht schon Sinn. Auch ein oder zwei verlängerbare Alpinexen erleichtern an einigen Ecken die Seilführung. Und für uns speziell haben auch Cams zwischen #0.4 und #1 immer wieder ihren Weg in den Fels gefunden. Das wäre bestimmt nicht immer notwendig gewesen, die Absicherung ist für den Grad ausreichend. Reines und sorgloses Sportklettern, wie in vielen Routen nebenan am Gimpel-Vorbau scheint aber weder in der FöVe 97, noch in der alten Südwandführe angesagt zu sein, sodass es nicht schadet ein paar Sachen mitzubringen.
Fazit
Tolle Wand, wilde Wolken, genialer Fels – und leider ein wenig zu kaputt um das voll auszunutzen. Wir kommen wieder.