Und wenn die alten Gelehrten das schon wussten, bleibt uns kaum etwas anderes übrig, als dem Folge zu leisten. Was mir an Geschichtswissen fehlt habe ich nämlich an Motivation für Kalk und Sonne nachdem ich einige Tage bei bestem Wetter (und besten Bedingungen) flach lag. Auch Ben ist nicht allzu fit und so stecken wir rasch einen Plan ab, mit dem sich arbeiten lässt. Wir wollen uns möglichst gar nicht bewegen, möglichst viel Vitamin-D in der Sonne tanken und dabei dem Tod ins Auge sehen. Denn letzteres habe zumindest ich im Rahmen meiner Männergrippe in den letzten Tagen ohnehin im großen Stil geübt.
Kurzum: wir suchen eine kurze, talnahe und sonnige Wand für einen anregenden Sonntagsspaziergang an der frischen Luft. Wie gut, dass ich ein paar Tage zuvor über ein Bild der “Via Theresa” an der Burschlwand gestolpert bin.
Die Burschlwand liegt im Oberinntal zwischen Imst und Landeck über dem Örtchen Zams und erinnert in ihrem Format an eine Taschenversion der bekannteren Geierwand und Martinswand. Denn durch sie führen kaum Routen mit mehr als 150-200 Metern Länge. Dafür ist sie auf der geringen Höhe konstant reichlich steil und bietet überwiegend schwerere Kletterei und mit der darüberliegenden Hasliwand lassen sich beliebige Routenkombinationen und ausgiebige Klettertage spinnen. Uns genügt heute der leichteste Weg durch die Burschlwand, die von Paul Stachowitz im Jahr 2003 erschlossene “Via Theresa”. Sie misst nur 4 Seillängen – eine weitere kommt oben dazu um die Wand zu verlassen. Wir wählen hier erneut den leichtesten Weg über die letzte Seillänge der Route “Pegasus”, die mit V/V+ bewertet ist und damit gut ins Gesamtbild passt.
Markant ist die “Via Theresa” vor allem, da sie konsequent durch eine lange, fette und symmetrische Verschneidung im rechten Teil der Wand führt und dieser schnurgerade gen Himmel folgt. Oder gen Fernwanderweg E5. Welcher dem Himmel aber ziemlich nahe kommen dürfte. Und da ich mir seit der Gran Diedro einbilde Verschneidungen zu mögen, schlage ich Ben die Tour vor und kriege ihn rasch begeistert.
Zustieg
Der Zustieg ist kein solcher. Er ist mit 5 Minuten wohl der kürzeste seiner Art und stellt selbst die Zustände im Sarcatal in den Schatten. Vom Parkplatz am Burschlweg geht es nach rechts über eine kleine Brücke über die Autobahn. 100 Meter weiter findet sich ein Durchschlupf in den recht eindrucksvollen Felsschutzeinrichtungen. Definitiv ein Gutes Gefühl in eine steile Wand einzusteigen, die man wenige Meter weiter mit allen Mitteln versucht am Berg und über den Dächern zu halten. Aber irgendwer wird sich da schon irgendwas bei gedacht haben.
Zum Einstieg folgt man dem Pfad einige Meter nach links auf die Wand zu und gelangt dann eigentlich immer auf der breitesten Spur an eine kleine, vorgelagerte Felsstufe unter der markanten Rinne, die den Einstieg in die Tour darstellt. Die Felsstufe ist mit einem Haken versehen, wenige Meter darüber befindet sich das Blechschild mit dem Routennamen und ein geklebter Standplatz. Kurzum – der Vorbau lohnt definitiv nicht als eigenständige Seillänge und wäre rasch seilfrei überwunden. Es macht aber Sinn, den Gurt und die Kletterschuhe noch unten im Schotter oder falls schon andere Seilschaften in der Wand sind auch mit etwas Abstand anzulegen. Wir machen es auf jeden Fall anders bis falsch und hüpfen auf dem kleinen Block umher um in unsere Schuhe zu gelangen.
1. Seillänge (V-)
Ben ist motiviert und springt in die erste Seillänge. Die Absicherung ist für den geringen Schwierigkeitsgrad fast schon zu üppig. Die Kletterei fällt sehr einfach und gestuft aus – der Fels ist allerdings vielerorts brüchig und lose. Aber der Kaltstart ist heute definitiv ein Warmstart, die Sonne brennt in die Wand und es ist kaum zu glauben, dass wir Mitte Februar haben. Die Rinne führt entspannt nach rechts und macht dann einen kurzen Knick nach links bevor ein winziges, etwas kniffligeres Wändchen zum perfekt eingerichteten und mit Kette verbundenen Standplatz führt.
2. Seillänge (V-)
Ich steige weiter. Erneut splittriger Fels. Ich bin vor allem bemüht, keinen Griff auf Ben zu werfen. Obacht – ich bin absolut kein Geologe. Aber anders als an der (wie ich finde) recht festen und löchrigen Geierwand ist der Fels hier zwar dunkel und rau, wirkt im direkten Vergleich aber etwas blockiger und gezackter. Wobei die Blöcke und Zacken im unteren Teil nicht immer fest mit dem Fels verwachsen sind. So ergibt sich trotz leichtem Gelände ein nicht ganz so genüssliches Steigen und die Auswahl potentieller Griffe und Tritte ist kleiner als in der Draufsicht vermutet.
Wenig später öffnet sich die Rinne zu einem kurzen Spreizkamin, der auf der rechten Seite verlassen werden will. Der Weg führt uns auf ein einige Meter breites, sandiges und abschüssiges Band. Hier starten eine Vielzahl von Routen in die nun beinahe senkrechte Wand. Um in der “Via Theresa” zu bleiben wählt man den rechten Stand unter der markanten und offensichtlichen Verschneidung mit den gewohnten Klebehaken.
3. Seillänge (V/V+)
Der Ben ist wieder dran mit dem Vorstieg. Und ich kann schon vorwegnehmen, dass die rustikale Kletterei hier endet und die nächsten zwei Seillängen für bisheriges entschädigen. So zumindest mein Eindruck. Aber zunächst kann ich Ben beobachten, der sich souverän durch die steile Verschneidung arbeitet. An einem Absatz befindet sich ein Stand auf der rechten Seite, der aber zu einer anderen Route gehört. Generell sind die Routen hier extrem nah beinander. Man könnte beinahe von Verbohrung sprechen – uns stört es weniger. Aber alleine die Verschneidung und ihre Schenkel werden auf wenigen Metern von mindestens 3 eigenständigen Routen genutzt.
Zurück zum Stand. Man kann diesen durchaus im Sinne der Seilführung als Zwischenstand verwenden. Das folgende Stück zum eigentlichen Standplatz lässt sich aber auch problemlos anhängen.
Ich steige nach und die beiden rustikalen Einstiegslängen sind sofort vergessen. Geiler, fester Fels und spannende Kletterei mit eher wenigen aber guten Kanten und Leisten. Was oft schwer aussieht löst sich eingespreizt herrlich auf und die Kletterei ist kraftschonend und dreidimensional. Mir taugt’s extrem. Der zweite Teil nach dem optionalen Zwischenstand ist dann sogar noch schöner und liefert steile und luftige Klettermeter in einer griffigen Rissverschneidung. Die Bewertung ist für meinen Geschmack recht passend, die Absicherung gut.
4. Seillänge (VI-)
Über uns thront das Herzstück unserer heutigen Tour. 45 Meter beinahe ungebrochene und anhaltende Verschneidungskletterei im oberen V. und unteren VI. Schwierigkeitsgrad. Ben gesteht, dass er bewusst so eingestiegen ist, dass ich die Crux bekomme. Sauerei. Ich hab zwar Lust auf die Seillänge, habe aber auch gemerkt, dass ich vor allem im Kopf nicht ganz so fit bin und mir die Höhe und Steilheit der Burschlwand ein bisschen mehr ausmacht als ich es sonst gewohnt bin. Aber genau solche Herausforderungen braucht es manchmal.
Ich steige ein und bin direkt vom ersten Meter an völlig eingeklemmt zwischen den beiden Seiten der Verschneidung. Erneut lässt sich diese angenehm und kontrolliert klettern. Ich neige sogar eher dazu von dem Überangebot an Tritten und Griffen erschlagen zu werden. Die Hakenabstände sind hier gefühlt höher als in den leichten unteren Seillängen. Zumindest sind sie mit der zunehmenden Schwierigkeit und nicht immer sturzfreundlichen Verschneidung kaum geringer geworden und so darf zwischendurch auch mal geklettert werden.
Etwa auf halber Stelle stellt sich die erste Schwierigkeit in den Weg, die mich etwas länger beschäftigt. Ein leichter Schwenk nach rechts unterbricht die Verschneidungskletterei. Oben gibt es nur brüchige, gelbe Blöcke. Rechts nur eine sehr glatte, plattige Fläche. Ich verschwinde einmal ganz tief in der Verschneidung und schiebe mich dann eher schlecht als recht über die Platte in den Weiterweg. Das geht bestimmt schöner.
Es geht steil weiter und man weiß nie so recht, welches Körperteil einen nun eigentlich am Fels hält. Klettergenuss für alle Sinne auf jeden Fall. Die Schlüsselstelle wartet ganz oben in Form einer kurzen, leicht überhängenden Stelle. Ich versuche sie einige Male – brauche dann aber die Pause, die den Rotpunkt ruiniert und weiche mit meiner Rastschlinge kurz in die benachbarte und hier nur einen Meter entfernte “Pegasus” aus. Als ich wieder in die Verschneidung zurückkehre, die Stelle sauber spreize und über den kleinen und griffarmen Überhang fasse ärgere ich mich kurz. Das wäre auch ohne Hänger gegangen. Aber der Kopf wollte es nicht. Zumindest löst sich die Stelle meiner Meinung nach auf der linken Seite sehr schön und überraschend henkelig auf. Die “Via Theresa” wird mich allein wegen diesem Meter nochmal sehen.
Nach dem kleinen Überhang lassen die Schwierigkeiten schlagartig nach und es geht an großen, klar getrennten Blöcken und Stufen an einer luftigen Wand hinauf zu einem kleinen Vorsprung.
Hier führen nach rechts Fixseile aus der Wand. Frontal gibt es drei Standplätze zur Auswahl, die jeweils zu anderen Routen gehörend in einer letzten, kurzen Seillänge aus der Wand führen. Zur Wahl stehen die letzten Seillängen von “Unterländer HG”, “Mon Cherie” und “Pegasus”. Wir nehmen letztere und damit die am weitesten links liegende Linie über eine exponierte Kante. Da diese und vor allem Ben’s Entscheidung zu der Zeit aber noch gar nicht steht mache ich frontal am rechten Ende des Vorsprungs Stand. Wenn man weiß, dass man in der Pegasus weitermachen will, lohnt es sich wahrscheinlich direkt aus der Verschneidung heraus mit einer Alpinexe am letzten Haken zum linken Stand zu queren. Aber das sind nur Details, die ich beim nächsten Mal optimieren würde.
5. Seillänge (V/V+)
Ben steigt in einem Zug nach – guter Mann – und taucht wenig später in der leichten IVer Wand am Ende der markanten Verschneidung auf. Über den Dächern von Zams hängen wir nun als einzige in der inzwischen trüben Nachmittagssonne auf einem schmalen Band in der Wand. Ben entscheidet sich für die “Pegasus” als Ausstieg und wir uns dafür, dass die zwei Meter, die ich weiter rechts stehe wohl kaum so viel Seilreibung verursachen werden. Ich bleib also wo ich bin und Ben knattert in die letzte Seillänge.
Kaum ist er um’s Eck verschwunden kommt er zu einem verheerenden Urteil.
Gute Sache. Ich weiß nur überhaupt nicht, was er meint, weil ich ja immer noch hinter meinem Block versteckt bin und keine Einsicht in die “Pegasus”-Länge habe. Kurz darauf sitzt Ben im Gurt und berichtet von schwerem Fels und unfassbarer Exposition. Nachdem er sich kurz gesammelt hat arbeitet er sich dann aber durch die Länge, taucht nochmal kurz in meinem Blickfeld auf und verschwindet dann im Gebüsch über der Wand. Als ich nachkomme weiß ich was er meinte. Direkt um’s Eck gelangt man über den zentralen und senkrechten Wandteil. Da die gesamte Kletterei heute eingelullt in Verschneidungen und Rinnen stattgefunden hat, kickt der Tiefblick besonders. Und die Tatsache, dass nur eine bröselig-sandige Rinne die Kletterschuhe über dem Abgrund hält macht es kaum besser. Einen Meter weiter oben tauscht man den Sand gegen den einzigen wirklich speckigen Tritt des Tages und gelangt dann in eine steile und technische kleine Wand.
Obwohl es auf den Blick viele Risse und Kanten in der zersplitterten Platte gibt, wollen diese geschickt verknüpft werden. Definitiv ein kühner Vorstieg von Ben, der im harten Kontrast zur bisherigen Kletterei steht. Der Schlüsselmoment dieser Länge wird ein luftiger Schritt nach links an die Kante sein, wobei der linke Fuß nur gegen eine abschüssige Platte gestellt werden kann während unklar ist, ob der Henkel an der Kante nicht ausbricht. Die Sorge ist unbegründet, der Henkel wird schon einige Seilschaften vor uns gesehen haben und hoffentlich auch noch einige Seilschaften nach uns sehen. Dann geht es sehr einfach über der Wand an einer gestuften Kante ins Buschwerk und auf einem Band an den letzten Standplatz von dem ein Stahlseil nach rechts aus dem Absturzgelände führt.
Abstieg
An einer eindrucksvoll roten und eindrucksvoll ungemütlichen Bank entlang geht es auf Pfadspuren schnell zum E5 Fernwanderweg. Hier könnte die Hasliwand angehängt werden, die ebenso steil aber wesentlich kompakter und plattiger zu uns runterschaut. Nächstes Mal. Auf dem Pfad gelangen wir in kürzester Zeit wieder ins Tal, laufen noch einmal unter unserem Tagwerk vorbei und stehen nach einem obszön entspannten Abstieg wieder am Parkplatz im Burschlweg. Sonntagsspaziergang halt. Die Männergrippe ist verflogen und einer subtilen Lust gewichen, hier noch ein paar andere Routen anzuschauen.
Schwierigkeit, Versicherung und Material
Die “Via Theresa” ist eine recht homogene und überwiegend kraftschonende Route in einer für mein Empfinden eigentlich sehr begeisternden und logischen Linie. Man erkauft sich dabei zwei sehr schöne Seillängen mit zwei weniger spannenden Längen zu Beginn. Da diese sehr kurz sind, fallen sie aber kaum ins Gewicht und die steile und interessante Verschneidung entlohnt reichlich. Auch die Pegasus-Ausstiegslänge ist nicht schlecht und ein lustiger Stilbruch auf den letzten Metern. Die Schwierigkeiten empfand ich als recht passend, die Schlüssellänge ist aber schon ordentlich lang, anhaltend und technisch.
Die Absicherung mittels verbundener Standplätze und Klebehaken ist perfekt, die Abstände in den unteren leichten Seillängen fast zu gering. Oben raus dann passend, wenn auch an wenigen Stellen einen Hauch weiter als man es vom Sportklettern gewöhnt ist. In der zentralen Verschneidung muss also schon etwas geklettert werden – die Mitnahme von Klemmgeräten ist aber eigentlich nicht notwendig. Die Hauptschwierigkeit mag teilweise darin bestehen, nicht aus Versehen in eine andere Route auszuweichen und sich in dem Routengewirr zurechtzufinden. Im Zweifel folgt man aber immer den Klebehaken oder noch viel einfacher – der logischen Linie durch die Verschneidung.
Ein Helm ist in der teils brüchigen Wand das Mindeste. Daneben waren wir mit 15 Exen und 60m Halbseilen bewaffnet. Viel zu beachten gibt es nicht – erwähnenswert ist höchstens noch, dass ein Abseilen über die Wand zum Schutze anderer Seilschaften ausdrücklich nicht erwünscht ist.
Zusammenfassung
Schnelle Nummer an einer sehr zugänglichen, ordentlich steilen und nicht immer festen Wand. Für das Arco-Feeling im Hochwinter aber ein spannendes Fleckchen Erde, dass uns heute mit einer quirligen (ich finde einfach das Wort passt zum Wesen der Tour), logischen und interessanten Route begeistert hat.