Kletterblog & Berggeschichten
Gartnerwand Nordgipfel (2362m) via Nordgrat (T5, B, II)
Gartnerwand Nordgipfel (2362m) via Nordgrat (T5, B, II)

Gartnerwand Nordgipfel (2362m) via Nordgrat (T5, B, II)

Mama ich will 4000er…

„Wir haben noch 4000er zuhause“

Manchmal braucht es gar nicht allzu viel Kreativität um eindrucksvolle Bergmomente mit minimalem Aufwand abzustauben. Ein Garant für solche Augenblicke des Staunens sind definitiv unüblichere Bedingungen – wie man sie oft am Rand der Wandersaison vorfindet. Ob es das obligatorische Wolkenmeer im Herbst oder das teils winterliches Ambiente im Frühsommer ist, die Chance auf eine (hoffentlich) gewollte Überraschung ist unwesentlich höher, je weiter man sich vom Hochsommer entfernt.

Surreal – der Weiterweg zum Westgipfel verschwindet im Nebel

Für den Nordgrat auf die Gartnerwand sind wir ziemlich früh dran. Der unglaublich niederschlags- und schneereiche Winter 2023/2024 hat Spuren hinterlassen, die deutlich in den Frühling hineinragen. In anderen Expositionen darf schon gemütlich geklettert und gewandert werden. Nordseitig schaut es vielerorts aber noch halbwegs düster aus und die Schneemengen haben groteske und zu dieser Jahreszeit überaus wackelige Gebilde geformt, die nur darauf warten einzubrechen und ins Tal zu rauschen.

Für eine spontane Feierabendtour fällt uns aber ein kleiner Grat in der Nachbarschaft ein, von der wir erwarten, dass man trotz etwas alpinerem Ambiente schon relativ gemütlich an jeglichem Schneekontakt vorbeischlüpfen kann und sich auch dem Problem abschmierender Wechten nicht exponiert. Unsere Erwartungen werden nicht enttäuscht.

Gartnerwand Nordgrat

Den Nordgrat der Gartnerwand habe ich bereits im Rahmen einer ebenso impulsiven Überschreitung im Herbst schonmal unternommen. Beeindruckend ist das kleine Massiv allemal. Obwohl sich der Berg geschickt aus fast jeder talnahen Perspektive hinter Thaneller, Bleispitze und Grubigstein versteckt wartet hier eine fast 500 Meter messende Nordwand, die von markanten Schichten durchzogen ist. Halbiert wird diese durch einen teils scharfen und reichlich brüchigen Nordgrat, welcher direkt in den nördlichsten der drei Gipfel mündet.

Wir starten gegen 17:00 im winzigen Bichlbächle in Richtung Sommerbergjöchle. Das ist die Einsattelung, die die graue und schroffe Gartnerwand von den steilen Grasflanken der Bleispitze trennt. Licht und Schatten – im Sinne der Bodenbeschaffenheit. Für uns geht es heute aber ohnehin reichlich schattig zur Sache. Die Berge sind von tiefen Wolken eingehüllt . Wir rechnen uns keine großen Chancen aus, dass es noch spürbar aufzieht oder wir mit unserem 2363 Meter messenden Gipfelziel über die Wolkendecke gelangen.

Und selbst besagter Gipfel scheint fraglich. Vor allem mit Blick auf die Uhrzeit. Wir befinden uns wie so oft auf einer „Feierabendtour“ mit wenig Zeit und anders als im Hochsommer auch noch wenig Routine und Kondition für solche Späße. Zumindest krieg ich keine PS auf das neblige Steiglein, hab einen Puls von 287468732 und ärgere mich ein wenig, dass ich nicht öfter nach der Arbeit zum Laufen gehe. Positiv anzumerken sei aber, dass es um diese Uhrzeit reichlich einsam ist in diesem Eck der Lechtaler Alpen.

In Wolken gehüllt erreichen wir das Sommerbergjöchle und wenden uns dem Grat zu. Rund 300 Höhenmeter werden auf 700 Metern Geh- und Kraxelstrecke erschlagen. Das impliziert bereits einen einigermaßen steilen Grat. Ist auch korrekt. Je nachdem wo man guckt, kriegt man den Nordgrat der Gartnerwand als T5, Kletterei bis II oder Klettersteig B präsentiert. Die Wahrheit liegt wie so oft irgendwo in der Mitte. Eigentlich sind alle relevanten Aufschwünge mit soliden Stahlseilen und Trittstiften entschärft. Dazwischen liegt Abschnittsweise alpineres Gehgelände und stets kurze, wenig ernste oder luftige Kletterei. Markant ist aber das höllisch brüchige Gestein, dass sich hier auch deutlich von einfachen Klettersteigen im benachbarten Wettersteingebirge abhebt. Besagte Stahlseile sind die einzige Konstante. Alles abseits davon – auch große und logische Griffe und Tritte – sollten, wenn überhaupt, mit Bedacht angefasst werden.

Unser Weg, der wie bekannt und somit erwartet auf der SW-Seite der Gratschneide verläuft, ist schneefrei. Jackpot in Sachen Timing. Beeindruckend sind dennoch die dieses Jahr wahnsinnigen Wechten, welche auf äußerst kippeligen Beinen auf der sonnenabgewandten Seite des Grates der Schwerkraft trotzen. Oder halt auch nicht. Mit einem bedrohlichen Rauschen verabschiedet sich eine große Wechte und reißt Geröll und Schnee mit sich. Vermuten wir. Die Sicht lässt keine weitere Analyse der Situation zu. Sie betrifft uns auf der gewählten Linie auch in keinem Moment. Wir schleichen uns am durchaus vorhandenen Lawinenrisiko vorbei. Mit respektablem Abstand – und stets Fels unter den Fingern.

An einer unscheinbaren Stelle im oberen Teil liegt ein Seil dann doch noch unter Schnee begraben. Statt nun also mit dem nicht vertrauenswürdigen Altschnee zu flirten weichen wir in den weglosen Fels aus und erreichen tatsächlich den äußerst brüchigen II. Grad, dem man dank der klettersteigartigen Versicherung unter normalen Bedingungen nicht wirklich begegnet.

Gipfel

Dann ist auch schon der mit einem winzigen Blechkreuz ausgestattete Nordgipfel der Gartnerwand erreicht. Für uns ist hier Schluss. Der Hauptgipfel liegt zwar nur 100 Meter weiter – der Grat dort hin ist aber schneebedeckt und dramatisch überwechtet. Uns gefällt die Tatsache ohne Schneekontakt auf die optisch noch reichlich winterliche und dramatische Gartnerwand gelangt zu sein gut genug und die Sonne wird auch bald untergehen. Bevor sie das tut taucht sie den Gipfelbereich aber nochmal in ein fahles, mystisches Licht.

Fein!

Abstieg

Abstieg wie Aufstieg, wobei die kraxelige Umgehung des kleinen Schneefeldes nochmal deutlich mehr Körner kostet als der gewöhnliche Weg. Dann geht es in gewohnter Vorsicht den hübschen Grat entlang zurück ins Jöchle. Einen steilen und luftigen Stahlseil-Abschwung später stehen wir schon wieder auf den sanften Wiesen im Angesicht der Bleispitze.

Zurück am Sommerbergjöchle

Bei meinem letzten Besuch hatte ich diesen interessanten und formschönen Grasberg spontan noch an die Überschreitung der Gartnerwand angehängt. Diesen Ausflug sparen wir uns heute. In raschem Tempo geht es retour nach Bichlbächle, wobei die Sonne konsequent hinter dicken Wolken bleibt und die Landschaft weiterhin nur kurzweilig und punktuell aufzieht. Eine magische Stimmung begleitet uns ins Tal. Sowas sollte man viel öfter tun.

Noch vor der Dunkelheit erreichen wir Bichlbächle und schauen zurück auf einen kurzweiligen aber eindrücklichen Ausflug ins dieses Jahr noch einigermaßen raue Gebirge. Ein wenig Kondition reicher und hoffentlich auch auf einem guten Weg noch ein wenig alpines Allround-Gedöhns aufzubauen, bevor es in wenigen Wochen erstmals nach Chamonix geht. Dort sollte das kleine Wander-ABC inklusive scharfer Grate dann auf jeden Fall sitzen.


Schwierigkeit, Versicherung und Material

Der Steig ab dem Sommerbergjöchle unterliegt in den Wintermonaten aus gutem Grund einer Wintersperre, welche auch sonst Alles zwischen Gartnerwand Westgipfel und Grubigstein abdeckt. Auch wenn hier als Feierabendrunde mit ein paar szenischen Aufnahmen dokumentiert, ist die Gartnerwand und insbesondere ihr Nordgrat keine typische oder empfehlenswerte „Frühlingstour“. Da gibt es südseitig wesentlich lohnendere Ausflüge in der Gegend die auch das Umgehen kleinerer Schneefelder vertragen und erlauben. Dafür ist der Spielraum hier nämlich wirklich klein. Der Grat ist scharf und der Fels äußerst schlecht. Wie so oft ist jeder selbst für sein Tun am Berg verantwortlich und dieser Blog ist nicht als Kochanleitung zum Nachwandern misszuverstehen.

Ansonsten erwartet einen hier ein landschaftlich eindrucksvoller und recht rasch erreichbarer Grat, dessen kurze aber steile Aufschwünge gut mit Stahlseilen (B) versichert sind. Dazwischen überwiegt brüchiges Gehgelände. Ohne Versicherung muss nie wirklich ernst geklettert werden, vielleicht mal kurz im oberen I. Grad. Es ist aber auf jeden Fall etwas mehr Umsicht gefordert – allein um sich selbst oder seinen Nachfolgern keine allzu großen Blöcke auf den Kopf zu ziehen. Die Mitnahme eines Helms ist unter normalen Bedingungen und bei etwas mehr Frequenz durchaus anzuraten – ein Klettersteigset kann je nach Geschmack die Nerven schonen, wird hier aber bestimmt nicht grundsätzlich von jedermann mitgenommen. Das Gelände ähnelt recht stark dem des Mittenwalder Höhenweges. Natürlich auf deutlich kürzerer Strecke.

Zusammenfassung

Ein fantastischer kleiner Ausflug, bei dem wir uns einen eigentlich noch sehr rauen und ungangbaren Gipfel erschlichen haben. Vielleicht genau der richtige Auftakt um sich wenig später spontan auf einen weglosen und scharfen Abschnitt des Wettersteingrates zu schwingen.

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