Impressio
Anfang Mai, mitten in der Übergangszeit und nach einer langen Zeit auf Sardinien und Korsika haben wir Zeit um endlich mal wieder heimische Bergluft zu schnuppern und Kalk anzufassen. Allzu hochtrabende Pläne trauen wir uns nicht zu schmieden. In den Hochlagen liegt noch ernsthaft viel und aufgrund außergewöhnlicher Mächtigkeit auch relativ heikler Altschnee. Die Meldungen zu schneebedingten Unfällen und schweren Gleitschneelawinen überschlagen sich. Am Alpenhauptkamm stehen Skitouren noch auf dem Tagesprogramm – zu Recht. Klettern waren wir zuletzt auch im Überfluss und sehnen uns nach einem bergsteigerischen Kick-Off der hoffentlich nahenden Wandersaison 2024.
Mit dem 12-Apostel-Grat am Säuling haben wir ein Ziel gefunden, das schon lange auf der Liste stand aber immer hinten angestellt wurde. Eigentlich eine schöne Linie über einen nahezu horizontalen, gezackten Grat, den man schon häufig vom Fernpass aus bewundert hat. Irgendwie war dann immer etwas anderes wichtiger. Heute passt er uns perfekt. Er setzt auf 1759 Metern am Pilgerschrofen an und dürfte damit ziemlich genau unter der Schneegrenze liegen, die wir ringsum beobachten. Dann geht es über zahllose Türmchen dem Säuling entgegen – wobei die zwölf markantesten von Ihnen nach den zwölf Aposteln benannt sind und kleine Schilder tragen. Viel spannender für uns sind aber die dazwischen liegenden Kletterstellen und je nach Gusto Abseilpassagen auf einer knapp 1 Kilometer langen Gratschneide über den Dächern der Königsschlösser.
Zustieg
Mit dem Ausgangspunkt am Parkplatz “Wassertal” in Pflach wählen wir bestimmt nicht den schönsten Zustieg. Zumindest würde es mich sehr wundern, wenn man hier keine bessere und landschaftlich hübschere Wegführung hinbekommen würde. Wir eiern von dort in einem ziemlichen Zickzack zwischen dem Normalweg zum Säulinghaus und den horizontal verlaufenden Forststraßen hin und her. Ziel ist es eigentlich nur an die Westseite des Pilgerschrofen zu gelangen, wo dessen schwieriger Normalweg auf der Grenze zwischen Bayern und Tirol ansetzt.
Ein paar Forstraßen und abgeholzte Waldabschnitte später ist der Abzweig schon erreicht und nach knapp über einer Stunde eher trostlosem Zustiegsgehatsche freuen wir uns auf etwas alpineres Gelände. Der Pilgerschrofen zeigt sich einigermaßen abweisend bis rustikal und ist auch auf seinem Normalweg bestimmt kein ganz üblicher Wandergipfel.
Normalweg Pilgerschrofen (I – II)
Als relativ unmissverständlicher Einstiegspunkt dient eine blau-weiße Stange auf dem breiten, bewaldeten Westgrat des Pilgerschrofen. Hier zweigt nach rechts der Weg zum Säulinghaus ab, während es nach links auf der Nordseite nach Bayern und Hohenschwangau geht. Wir kommen an dieser Stelle direkt von Westen auf relativ schwachen Pfadspuren an – es wäre aber genauso denkbar vom Säulinghaus aus zuzusteigen. Wahrscheinlich – so vermute ich – profitiert man dann sogar von den feineren Wanderwegen und hübscheren Landschaften. Dafür packt man sich aber im Vergleich zu unserer Variante mehr Höhenmeter und etwas mehr Wegstrecke ein. Wie so oft.
An der Stange vorbei führen deutliche Pfadspuren geradewegs hinauf in steileres, erdiges und schrofiges Gelände. Einige Steinmänner und die oft einigermaßen deutliche Spur weisen den Weg. Rasch öffnet sich ein hübscher Tiefblick auf den blauen Alpsee und das Schloss Hohenschwangau. Immer wieder darf kurz gekraxelt werden – die Schwierigkeiten bleiben sehr moderat, der Fels ist aber eher auf der brüchig-grasigen Seite des Lebens. Bei Nässe – und je nach bergsteigerischen (Un)Geschick auch bei guten Bedingungen – ist der Pilgerschrofen kein Selbstläufer. Irgendwann enden die relativ deutlichen Serpentinen und führen in einer längeren Querung nach rechts gen Süden. Wir wenden uns am Ende der Querung nach links in eine breite, gestufte Rinne in der es anhaltend im 1. Grad zwischen Fels und Grasstufen empor geht.
Viel zu schnell tauchen oben solide Felswände und kleine Türmchen auf. Bestückt mit dem österreichischen Gipfelkreuz. Das ging jetzt doch flotter als erwartet.
Der sagenumwobene Spreizschritt stellt die Schlüsselstelle am Normalweg zum Pilgerschrofen dar und klemmt wenige Höhenmeter unter dem österreichischen Gipfelkreuz des zweigipfligen Berges. Was von unten kommend neben überhängenden Wänden recht gruselig aussieht entpuppt sich aus der Nähe als relativer Blindgänger. Das Fixseil wird eigentlich nicht benötigt, der Spreizschritt ist kaum als solcher auszumachen und darüber warten feine Griffe im festen Fels. Ganz so luftig wie in der Draufsicht befürchtet ist die Stelle auch nicht.
An den beiden Gipfeln angekommen, taucht erstmals wieder der Säuling auf. Dazwischen eine verflochtene Gratlinie mit zahllosen Latschen und einigen markanten Türmchen. Allein der erste Aufschwung auf den eigentlichen Grat schaut von hier recht imposant aus. Wir checken nochmal das Wetter. Ein etwas seltsamer Tag ist es schon. Das Wetter war schon ausreichend gut vorhergesagt um auf eine trockene Begehung zu hoffen – wirklich glauben können wir das gerade aber nicht. Hinter den Tannheimer Bergen ziehen düstere Fäden vom Himmel. Auch im Süden rauschen offensichtliche Schauer in und durch die Lechtaler Alpen. Der einzige Trost ist eine minimale Gewitterneigung.
Wir entscheiden uns für den Weiterweg und legen noch vor dem Grat die Gurte an um an eventuellen Abseilstellen rasch handlungsfähig zu sein. Der Gurt ist heute aber wirklich leicht bestückt, wir gehen nicht davon aus, dass wir abseits der Abseilstellen von dem Halbseilstrang den wir mitführen Gebrauch machen werden.
12-Apostel-Grat
Der Einstieg in den Grat sieht aus der Nähe betrachtet immer noch wild aus. Was für eine kühne, kompakte Kante! Was für ein schmaler Grat. Zum Glück wird die Kante, die entfernt an den markanten Gmelchturm an der Kampenwand erinnert, nicht direkt erklettert. Stattdessen geht es auf ihrer linken Seite in ein gestuftes Risssystem und dort an großen und überwiegend festen Griffen empor. Im Gesamtanspruch würde ich diese Stelle sogar als eine der schwierigsten verbuchen. Zumindest wenn man wie wir die lange Abseilstelle in der Mitte des Grates abseilt. Die Kletterei ist zwar nicht wirklich schwer – ein sehr authentischer IIer – aber vergleichsweise anhaltend und ausgesetzt. Auch wenn später auf dem Papier noch später noch etwas schwerer geklettert werden darf, kamen uns diese Ecken dann kurzweiliger vor.
1. Abseilstelle (V+)
Schon nach kurzer Strecke im Gehgelände auf der hübsch ausgetretenen Gratschneide bricht der Grat vor uns wieder ein kurzes Stück ab. Soweit so planbar. An einer Latschenkiefer befinden sich Schlingen, um die kurze Passage abzuseilen. Irgendwo hatte ich allerdings gelesen, dass man diese Stelle auch recht stressfrei abklettern kann. Ein Blick hinunter scheint das zu bestätigen. Unten wartet eine breite Scharte mit keinem wirklich nennenswerten Absturzrisiko und der Boden sieht so greifbar aus, dass ich der seilfreien Variante einen Versuch schenken möchte. Ich klettere eine kurze, griffige Rampe nach rechts ab und finde auf einem erstklassigen Vorsprung eine dankbare Ruheposition. Das war bereits von oben einsehbar. Darunter fehlen “nur” noch 2 Meter in denen das Wändchen wesentlich steiler ist als die kurze Rampe zuvor. Sobald man sich an guten Griffen in das kleine Wändchen gehängt hat, verschwindet allerdings die Ausgesetztheit der Südseite und an überraschend dankbaren Tritten und Griffen erreiche ich die Scharte. Das Ganze findet in Absprunghöhe über dem Absatz statt.
Hannah steigt nach und ist mental durchaus gefordert. Das war ich auch, bis ich gesehen habe wie hübsch sich die Stelle unten auflöst. Die letzte seilfreie Grataction im steilen Kalk liegt schon ein Weilchen in der Vergangenheit. Umso schöner, dass vor uns noch eine brauchbare Strecke in genau diesem Gelände liegt, das man spätestens für die Abstiege sommerlicher Mehrseillängen fehlerfrei beherrschen sollte. Wir notieren uns aber, dass wir die nächste Abseilstelle zur Abwechslung abseilen und nicht grundsätzlich versuchen dem Grat eine komplett seilfreie Begehung abzuringen. Wir haben das Seil dabei und werden es nach Ermessen verwenden. Rückblickend ziemlich erfolgreich – denn von den 3 in den meisten Topos vermerkten Abseilstellen verwenden wir nur eine – und fühlen uns damit sicher und der Umgebung angepasst.
Panico vergibt für diese Stelle übrigens eine V+. Das halte ich zumindest im Abstieg für maßlos übertrieben – wenn man nicht aufpasst bekommt man sowas in anderen namhaften Touren als III+ vorgesetzt. Die Wahrheit wird irgendwo im IV. Grad liegen und da sich die Stelle auch gut abseilen lässt ist sie aber auch überhaupt nicht verpflichtend zu absolvieren. Geht man den 12-Apostel-Grat in umgekehrter Richtung wird man hier aber mal kurz anpacken müssen.
Ganz allgemein muss man feststellen, dass der Grat in seiner üblichen Begehungsrichtung von West nach Ost, also vom Pilgerschrofen zum Säuling, deutlich einfacher ausfällt als bei einer Begehung in entgegengesetzter Richtung.
Nach der Abkletterstelle wechselt die Pfadspur kurz auf die Nordseite des Grates, wo ein Türmchen auf schmalen Grasnaben umgangen wird. In solchen Momenten wird auch klar, warum von einer Begehung bei Nässe vielerorts explizit abgeraten wird. Bei normalen Bedingungen sind solche Ecken nicht wirklich erwähnenswert – das Gelände ist aber über den steilen Nordabbrüchen folgenschwer und dürfte sich mit etwas Feuchtigkeit oder Schneeauflage rasch in eine grüne, matschige Hölle verwandeln.
Viel dankbarer sind da die Passagen im griffigen, relativ festen und herrlich weißen Kalk. Immer wieder werden Türmchen im I. bis II. Schwierigkeitsgrat direkt erklettert und sind dabei oft mit Henkeln und ehrlich hübschen Kraxelpassagen bestückt. Im Kontrast zu den gleichermaßen vorhandenen Wald- und Wiesenpassagen eine wohltuende Abwechslung. Diese Abwechslung hält leider oft nur für wenige Meter an und ist selten wirklich exponiert. Wer abseits der Kletterei aufmerksam ist, wir auf den jeweiligen Türmchen auch die Namensschilder der zugehörigen Apostel finden.
2. Abseilstelle (IV)
Der Grat bricht erneut ab. Diesmal – das erkennt man schon von oben – auch ein gutes Stück weiter und steiler. Und weil wir hier die lauernde Kletterei nicht einsehen können zücken wir kurzerhand das Seil und seilen die 12 Meter in die folgende Scharte ab. Im Vorbeischweben entpuppt sich das als eine ganz feine Idee. Der Doppelriss, der hier abzuklettern wäre, liegt irgendwo im IV. Grad und ist auf seiner Strecke ziemlich anhaltend und nicht überall richtig übersichtlich. Wir können in der Draufsicht nichtmal entscheiden, ob die linke, kompakte oder rechte, stufige und mutmaßlich brüchigere Spur die bessere Wahl wäre. Zum Glück ist das erneut ein sehr optionales Problem, an dem wir uns dank Seil nicht zu lange aufhalten.
Schlüsselstelle (III)
Aus der Scharte heraus baut sich die klettertechnische Schlüsselstelle in diese Laufrichtung auf. Zumindest ist sie das, wenn man sonst die Abseilmöglichkeiten verwendet. Ein kurzer Aufschwung von 3-4 Metern ist zu an einer etwas unübersichtlichen Rippe zu überwinden. Zwar bieten sich ein paar relativ große Henkel an – einer davon oben links ist gefährlich locker – die Stelle kommt aber doch recht abdrängend und luftig daher und fordert ein wenig besonnene Kletterei über einer steilen, wenig einladenden Schrofenrinne.
Hier befindet sich übrigens auch das Wandbuch zur Tour, welches wir heute links liegen lassen. Im Süden rauschen erneut dicke Schauer in die Lechtaler Alpen und wir ahnen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis einer der kleinen Wolkenbrüche auch uns einholt.
Der Grat wirft nun nochmal ein paar interessante Einzelstellen ab, ein Großteil der Kletterstrecke liegt bereits hinter uns. Auf kleine Raum gibt es nun aber nochmal ein paar markante Punkte zu absolvieren, die durchaus ihre Tücken haben. Es lohnt sich, die Konzentration auch nach der numerischen Schlüsselstelle weiter aufrecht zu erhalten.
Latschenrinne (II)
Recht unmittelbar auf den nach der kurzen Wandstelle im III. Grad leichteren Aufschwung folgt ein erneuter Abbruch von einem schmalen Türmchen hinab in einer weitere Scharte. Erst im Rückblick offenbart sich, wie schmal dieses Türmchen eigentlich war. Oben – in reichlich Latschen eingepackt – fehlt diese Perspektive noch. Der Weiterweg ist klar, denn in den dichten Latschen tut sich nur eine gangbare und sichtlich ausgetretene Rinne auf. Hier bestünde erneut die Möglichkeit sich abzuseilen obwohl das in den meisten Topos nicht vermerkt ist.
Verlässt man erstmal die rutschige und steile Latschengasse erkennt man rasch, warum hier schonmal jemand abseilen wollte. Die Kletterei ist zwar nicht schwer aber ernsthaft exponiert und nicht überall zuverlässig. Hat man die schützend-flauschigen Latschen verlassen befindet man sich in einer ziemlich steilen Schrofenpassage, welche sich einige Meter tiefer in den wahrscheinlich schärfsten Gratabschnitt der ganzen Tour verjüngt. Hannah und ich wählen dabei kleinräumig relativ unterschiedliche Wege. Hannah hält sich in Bewegungsrichtung links und steigt auf luftigen Graspolstern und nicht wirklich solide anmutenden Stufen hinab, bis sie den Grat nordseitig umgehen und in einer grasigen Verschneidung auf der gegenüberliegenden Seite wieder aufsteigen kann. Ich halte mich im Fels und damit eher rechts in vermutlich kurzweilig etwas schwierigerer aber kompakterer Kletterei. Dafür lässt sich der schmale Grat dann ziemlich entspannt gehen und in der grasigen Verschneidung treffen unsere Wege wieder zusammen – wobei ich mir noch zwei rutschige Meter letzterer gespart habe.
Der folgende Aufschwung erfolgt dann über ein paar steile, grasige Schrofen und lehnt sich rasch in eine erdige Rinne zurück, der wir zum letzten horizontalen Gratabschnitt folgen. Dieser führt uns kurzweilig auf den nun sichtbaren Gipfel des höchsten Gratturms.
Inzwischen tropft es.
Zackengrat und letzte Abkletterstellen (III-IV)
Der Abstieg vom letzten Gratturm ist vielerorts sehr ausführlich beschrieben und dokumentiert – offenbar kann man hier also einiges falsch machen. Mir kommt der Weg dann aber doch recht intuitiv und einleuchtend vor. Statt also direkt auf den Säuling zu zu gehen und sich dann über die senkrechten Abbrüche des Gratturms zu wundern hält man sich dem offensichtlichen Pfad folgend leicht links in die Latschen. Dort verliert man erst in einigen Serpentinen und später auf einer brüchigen Schrofenrampe knapp 60 Höhenmeter. Hier ist vieles wieder überraschend lose und brüchig – wenn noch andere Bergsteiger vor einem sind ist es bestimmt eine sehr feine Idee, hier ein wenig Abstand zu halten. Die Kletterstellen liegen lange in der Falllinie der Schrofenrampe und sind von oben schwer einzusehen.
Am Ende der Rampe verlässt man im Angesicht eines scharfen Zackengrats die Gratschneide nach links und umgeht ein paar bizarre Türmchen nordseitig. Sehr rasch und ohne nennenswerte Schwierigkeiten erreichen wir die letzte Abseilstelle, bei der wir das Seil erneut am Rucksack lassen. Das liegt diesmal vor allem daran, dass die Kletterei ideal einsehbar ist und wir die hier aufgerufene Stelle im IV. Grat wie schon bei der ersten Abseilstelle als marginalen Hopser in die dahinterliegende Scharte ausmachen. Für eine Abseilfahrt wirkt das Gelände auch fast ein wenig zu flach und weitläufig.
Die Eleganz besteht dann vor allem darin, einen gangbaren Weg durch die sehr brüchige Flanke zu finden und an den vielen, losen Schuppen auf ein etwas tiefer liegendes Band zu queren. Das gelingt mit etwas reduziertem Tiefblick dann aber doch ziemlich gut und dürfte sich bei günstiger Wegwahl kaum jenseits des oberen II. Grades abspielen. Die Abkletterstelle in die Scharte ist dann steil, kurz und löst sich mit einem präzisen Tritt sauber auf. Im Notfall kann man hier aber erneut kontrolliert abhüpfen und läuft in der breiten Scharte kaum Gefahr, aus Versehen vom Berg zu hüpfen.
Dann wird der gegenüberliegende Grat angegangen, ein kleiner aber nochmal sehr hübscher Durchschlupf durchschritten und eine kurze, steile und etwas anspruchsvollere Verschneidung abgeklettert. Diese entlässt uns dann endgültig in die breite Grasflanke, die hier rund 160 Höhenmeter zur Säulingwiese empor zieht. Der minimale Schneekontakt wirft durchaus die Frage auf, warum ich eigentlich zwei Eisgeräte am Rucksack habe. Sicher ist sicher?
Anstieg zur Säulingwiese (II)
Während sich im Hintergrund dann finale der Regenschauer anbahnt, der uns gleich erwischen wird, gehen wir das unübersichtliche Gelände an. Rechterhand gibt es eine relativ kompakte Rippe mit wahrscheinlich wirklich gutem Fels im III. oder IV. Schwierigkeitsgrad – eine Verlängerung des Grates, die auch im Kletterführer vermerkt ist. Wir suchen uns im Angesicht des einsetzenden und zunehmenden Regens aber den leichtesten und schnellsten Weg und folgen einer kaum sichtbaren Spur des geringsten Widerstandes hinauf. Bei winterlicheren Bedingungen kann ich mir diese Flanke hinter den eigentlichen Schwierigkeiten als relativ abenteuerlich vorstellen. Steiles Gras, lose Blöcke und kurze Felsstufen wechseln sich ab und mimen dabei den Anstieg zum Pilgerschrofen – im Absturzgelände.
Im lauen Sommerregen, der sich keinen besseren Zeitpunkt hätte ausdenken können, erreichen wir die Säulingwiese und das Ende der Schwierigkeiten.
Säuling Normalweg
Rasch nehmen wir noch den wolkenverhangenen Gipfel des Säuling mit und leisten uns hier eine längere Pause in herrlicher Einsamkeit, die nur von einigen neugierigen Dohlen gestört wird. Die Sehnsucht nach Sommer ist groß. Der Winter war genial und gespickt mit wilden Touren und Erfahrungen. Aber so richtig feine Grate mit T-Shirt und kurzer Hose – das wäre mal was. Der nächste Schauer rauscht in die Tannheimer Berge.
Abstieg
Wir packen langsam zusammen, steigen vom Gipfel ab, inspizieren die aus der Ferne erkennbaren Kletterrouten in der Südwestwand des Säuling und begeben uns dann auf den recht direkten Abstieg zum Säulinghaus und zurück zum Parkplatz.
Der Abstieg von der Säulingwiese zum Säulinghaus verdient mal wieder das Prädikat “gar nicht so ohne”. Zumindest bin ich immer wieder erstaunt, in was für heikles Gelände man sich mit so mancher Modetour und Wanderung begeben kann. Ganz klar – der Steig verlangt nichts wirklich abwegiges von einem. Aber einen Helm kann man an gut besuchten Tagen bestimmt mal anziehen. Und ausrutschen mag man hier auch nicht. Und wie so oft sind die Stahlseile eigentlich genau an den gefühlt sicheren und einfachen Stellen angebracht und dienen dort allenfalls als Stolperstelle. Naja. Irgendwas wollte uns der Künstler bestimmt damit sagen.
Schwierigkeit, Versicherung und Material
Lohnende Grattour mit viel Gehgelände, einigen schönen Kletterstellen im II. und III. Grad und drei mehr oder weniger optionalen Abseilstellen. In Länge und Umfang relativ überschaubar, wenn das Gelände gut beherrscht wird. Viele und unterschiedliche Stellen im II. Grad im teilweise (aber nicht immer) exponierten Gelände. Von sehr festem Fels bis Bruch, Gras, Erde und steilen Latschengassen ist alles vertreten. Die mittlere Abseilstelle erschien mir relativ kühn zum Abklettern und lässt sich kaum einsehen, die 1. und 3. Abseilstelle hingegen haben ihre Schwierigkeiten stets auf dem letzten Meter und in weniger heikler Exposition, was das Abklettern trotz nomineller Schwierigkeit sehr gemütlich gestaltet. In unserer Bewegungsrichtung muss einmal im III. Grad für knapp 5 Meter sauber geklettert werden – der Anspruch liegt aber eher in der anhaltenden Navigation durch alpines Gelände.
Drei Abseilstellen von guter Qualität, dazwischen kaum fixes Material. Seilsicherung dürfte hier ohnehin kaum sinnstiftend sein, man sollte den Grat eher als anspruchsvolle Bergtour mit Abseilstellen verstehen und trotz des klangvollen Namen keine Mehrseillänge erwarten. Auch wenn man einiges an Latschen und Köpfen absichern könnte – es sind auch vergleichbare Stellen in Gras- und Erde zu steigen, wo man mit Seil definitiv nicht weiter kommt.
Helm, Bergschuhe / Zustiegsschuhe (Kletterschuhe in der Erde definitiv nicht von Vorteil). Wenn abgeseilt werden soll genügt ein 30 Meter Seil. Gutes, stabiles Wetter mitbringen 😉
Zusammenfassung
An dem Punkt wussten wir noch nicht, dass wir auch den ganzen weiteren Sommer 2024 vor Regenfronten wegrennen werden – so gesehen also eine tolle Übung, nicht nur im Sinne der Kraxelei.