Gamsspitze (3114m) – Skitour über den Rußkopf (WS)
Gamsspitze (3114m) – Skitour über den Rußkopf (WS)

Gamsspitze (3114m) – Skitour über den Rußkopf (WS)

Tag 2 auf der Jamtalhütte und noch Zeit für eine halbwegs ausgedehnte Tour, bevor es wieder ins Tal und in die Heimat geht. Nachdem wir am Vortag eine episch-wolkig-windige Tour auf den Grenzeckkopf unternommen haben geht es heute mit hoffentlich mehr Sicht in Richtung Rußkopf. Auf den immerhin 2693 Meter hohen aber wenig markanten Gipfel konnten wir uns allesamt einigen, da er gänzlich ohne Gletscherkontakt zu erreichen ist. Und dann – mal schauen. Ich liebäugle insgeheim schon mit der Möglichkeit, mit wenig Mehraufwand noch die Gamsspitze mitzunehmen, weiß aber nicht ob sich das zeitlich ausgeht und ob ich mit der Idee nicht auch ziemlich alleine dastehe.

Absolute Einsamkeit
Von der Jamtalhütte zum Rußkopf

Die kleine, schneebedeckte Kuppel des Rußkopf haben wir bereits im Hüttenzustieg vor den wesentlich üppigeren Gipfeln des hinteren Jamtals ausmachen können. Er steht definitiv in wenig dankbarer Umgebung: direk nebenan wird er von den üppigen Mauern der Chalausköpfe um mehrere hundert Meter überragt – im Hintergrund dominieren mit Dreiländerspitze und Jamspitzen die Paradegipfel der Region den Horizont.

Der Aufstieg zu dem kleinen Gipfel gestaltet sich dann aber doch als landschaftlich schöner, länger und interessanter als ich vermutet hätte. Wir starten von der Hütte hinauf zum Steinmannli. In manchen Karten ist das Plateau südlich der Jamtalhütte sogar als eigener Gipfel eingezeichnet – ich weiß jedoch nicht, wie der unförmige Absatz zu diesem ruhmreichen Titel gelangen konnte. Schnell zeichnet sich ab, dass wir heute nicht alleine sind – zahlreiche Tourengeher befinden sich bereits auf dem Weg hier hoch und nur ganz wenige biegen nach Osten auf die Tour zum Pfannknecht ab. Zwar verteilen sich die Massen gut auf das weitläufige Gelände – vom gegenüberliegenden Hang aus gesehen muss es aber schon eine ziemlich bizarre Ameisenstraße gegeben haben.

Wir reihen uns ein und folgen den Massen über eine nun ansetzende, wenig steile Terassenwanderung gen Süden. Denn wir befinden uns hier rund 200 Höhenmeter über dem Talboden, von dem uns steile Abbrüche und berühmt-berüchtigte Lawinenhänge trennen. Auf der breiten Terrasse wandert sich hingegen sehr sorglos in einem angenehmen Auf- und Ab durch unproblematische Hänge. Lediglich in einzelnen, kurzen Querungen ist die etablierte Spur ein wenig kühner angelegt – diese lassen sich aber in vielen Fällen auch umgehen.

Es ist definitiv kein Gelände, in dem man schnell Strecke oder Höhe macht. Immer wieder sind kleine Hänge abzusteigen bzw. abzurutschen und in der hügeligen und unübersichtlichen Landschaft ist der beste Weg nicht sofort ersichtlich. Was hingegen ersichtlich ist, ist das traumhafte Hochgebirge und die abweisenden Gipfel, die hier dem fahlen Himmel trotzen.

Etwa auf halber Strecke zum Rußkopf zieht das Gelände spürbar nach links hinauf und führt auf den Chalausferner, über welchen zum Beispiel die anspruchsvollere Nördliche Augustenspitze erreicht wird. Wie viele andere entscheiden wir uns hier auch ein Stück aufzusteigen. Als wir den ersten Blick in die Querung zum Rußkopf werfen, der zuvor von einem sperrenden Felsriegel verborgen geblieben ist, müssen wir aber feststellen, dass wir uns nicht mehr auf der elegantesten Linie befinden.

Wer also keinen rund 100 Höhenmeter messenden Bonusanstieg auf sich nehmen möchte, bleibt unterhalb des Chalausferners auf knapp 2450 Metern und sucht auf dieser Höhe eine (in unserem Fall auch vorhandene) Spur, die weiterhin auf den verdeckten Rußkopf zuhält. Wir wollten hier zu früh zu hoch hinaus und mussten auf rund 2580 Metern in eine tiefe und von einem markanten Graben durchzogene Mulde abfahren. Unten treffen wir wieder auf die vernünftigere Spur, und folgen dieser in die offensichtliche Einsattelung südöstlich des Gipfels. Weiterhin gut gelaunt – nur mit einigen unnötigen Höhenmetern und einer nicht allzu spektakulären Abfahrt im Gepäck.

Am Rußkopf
Gipfel Rußkopf (2693m)

Über einen kurzen, mit Skiern begehbaren Rücken erreichen wir den Gipfel und einen perfekten Rundblick ins Herz der Silvretta. Solche Blicke haben wir im Schneesturm des Vortages vermisst – umso schöner, sie jetzt noch mitnehmen zu dürfen. Auf den umliegenden Hängen und Gletschern herrscht Hochbetrieb. Vor allem die Hintere Jamspitze und die Dreiländerspitze sind Publikumsmagneten – die flachen Gletscherbecken sind von Spuren durchzogen und es dürfte schwer fallen hier noch unberührten Schnee zu finden.

Okay und wie kommen wir hier jetzt runter??

Die Frage lässt sich beim durchaus hübschen Rundblick gar nicht so einfach beantworten. Die Terassenwanderung, die wir hinter uns haben, gibt mit regem Auf und Ab bestimmt keine lohnende Abfahrt her. Die direkten Abfahrten nach Westen und Süden schauen ziemlich steil und unübersichtlich aus – und unten wartet eine selbst bei der gerade absolut üppigen Schneedecke offenliegende Spaltenzone.

Auf dem Jamtalferner
Gamsspitze über den Jamtalferner

Bleibt eigentlich nur die Flucht nach vorne. Folgt man dem Kamm zurück in die Scharte, so lädt eine aufsteigende Querung gen Osten in Richtung Gamsspitze und Jamtalferner. Es ist auch der scheinbar einzige gespurte Weg, der vom Rußkopf weg oder zumindest weiter führt. Ist gekauft. Über den flachen Jamtalferner lässt sich ein kleiner Felsaufbau umgehen und dann auf etwa 2850 Metern hart nach Westen über die Gletscherzunge abfahren.

Hier teilt sich unsere große Gruppe in zwei kleinere Gruppen auf und ein Teil fährt direkt auf die Jamtalhütte ab. Lio, Sebastian und mich hat aber nun auf den allerletzten Metern doch noch die Lust gepackt, die mit nur mehr etwas unter 200 Höhenmetern äußerst greifbare Gamsspitze mitzunehmen. Auch wenn wir konditionell inzwischen ein wenig am flattern sind – der Anstieg löst sich dann doch einfacher und schneller als befürchtet auf. Man folgt dem Gletscher recht intuitiv an seinen höchsten Punkt und weiter die steilsten Hänge vermeidend auf den breiten und wenig ausgeprägten Nordostgrat. Wahrscheinlich wird man ohnehin nie in den Genuss kommen, diesen beliebten Skitourenberg ungespurt vorzufinden.

Unter bleiernem Himmel erreichen wir den Rücken und einen kühnen Tiefblick nach Süden. Bricht ordentlich ab in diese Richtung. Eindrucksvoll sind auch die kühlen Mauern von Ortler-Alpen und Berninagruppe, die sich in der Ferne abzeichnen. Den Gipfelaufbau haben wir für uns alleine, die Massen scheinen heute eher zu den gegenüberliegenden Jamspitzen gepilgert zu sein, auf denen trotz etwas unbeständigem Wetter und Wind einiges los ist. Auf einer markanten Schulter lassen wir die Skier (und das Splitboard) stehen und krabbeln die wenigen Höhenmeter durch eine kurze aber nicht exponierte Firnflanke auf den Gipfelgrat.

Gipfel Gamsspitze

Es sind nur 40 Meter hinüber zum bereits deutlich erkennbaren Gipfelkreuz. Je nach Bedingungen kann hier aber wahrscheinlich sogar der Einsatz von Steigeisen und / oder Kreativität gefordert sein. Obwohl der Grat nur auf einer Seite ausgesetzt ist, ist die Schneide auf der man sich auf den allerletzten Metern bewegt doch einigermaßen schmal und zwingt einem je nach Bedingungen auch noch einen kurzen Felskontakt auf. Wir erwischen ihn mit einer herrlichen Spur, wenig Eis und nur einer etwas heikel anmutenden Querung auf der entspannteren Seite. Kurz danach ist die Gamsspitze erreicht, ein Gipfelfoto geschossen und der Rückweg angetreten.

Zeitmanagement zu Zeiten bezahlter Mittagssuppen

Den Grat rückwärts abspulen, die Firnflanke kontrolliert und der Lehrmeinung entsprechend abpoporutschen und die Bretter einsammeln. Dass wir 25 Minuten später bereits unter der Jamtalhütte und dem Ausgangspunkt stehen, hätten wir nicht geahnt.

Die Mittagssuppe der Jamtalhütte ruft
Abfahrt

Eine Wucht von Abfahrt! So geil, dass ich nicht ein einziges Mal zum Fotos machen angehalten habe. Gut – ich bin vielleicht auch ein wenig gebrandmarkt von teils etwas holprigen und unterbrochenen Abfahrten auf hohen Bergen und habe das Trauma von der Ruderhofspitze noch nicht endgültig überwunden. Die Gamsspitze gibt sich aber reichlich Mühe, den damals gewonnenen Eindruck wieder zurecht zu rücken. Bei idealem Tiefschnee und einigen freien Flecken für eigene Linien rauschen wir den Jamtalferner hinab. Unter dem Rußkopf halten wir uns nach rechts in Richtung Hütte und kommen überraschenderweise ohne fast ohne Schieben durch das Tal zurück zur Hütte. Der kleine Gegenanstieg hinauf zum Suppenbuffet ist dann natürlich trotzdem obligatorisch und zu Fuß definitiv ergonomischer als auf Skiern.

Ich muss feststellen, dass ich als Skitouren-Jungspund immer noch kein richtiges Auge für lohnende Skitouren entwickelt habe und heute wieder eine Menge lernen durfte. Über die (wohl auch aus gutem Grund) sehr beliebte Querung zum Rußkopf gewinnt man landschaftlich reizvoll und schonend an Höhe, die man später absurd direkt und ungehemmt abfahren darf. Das macht richtig Sinn. Der Rußkopf ist eine schöne Beigabe – ich bin aber enorm dankbar, dass wir spontan doch noch die Gamsspitze angehängt haben. Als ich in den gigantischen, homogen steilen Hängen stehe und unseren Abfahrtsweg hinaufblicke kommt mir nur eines in den Sinn.

Tät ich nicht hochlatschen wollen..

Und das ist interessant. Denn ich hatte intuitiv angenommen, dass wir uns mit dem Rußkopf eher einen ungeschickten Umweg abseits des beschriebenen Normalwegs einkaufen würden. Stattdessen war das eine geniale und abwechslungsreiche Runde und zumindest in meinen naiven Vermutungen: viel viel hübscher als die Diretissima auf die Gamsspitze.


Schwierigkeit, Versicherung und Material

Bis zum Rußkopf sehr flaches, gestuftes aber teils unübersichtliches Gelände mit einigen Senken. Je nach Spurwahl oder Spuranlage sind bestimmt einige Umwege, zusätzliche Höhenmeter und auch kleinräumig ungeschicktere Entscheidungen möglich – insgesamt aber vor allem landschaftlich tolles und angenehmes Skitourengehen. Vor allem unter dem Chalausferner, sollte man sich nicht zu weit nach oben locken lassen. Die Route selbst ist nicht im Skitourenguru, die Silvretta ist (Stand 2023/2024) aber Teil einer Pilotphase und eines der Gebiete, in dem auch individuelle Tracks eingezeichnet und bewertet werden können. Insgesamt begegnet man auf der Tour wenigen wirklich steilen Hängen oder nennenswerten Schlüsselstellen / Gefahrenstellen und auch die Abfahrt spielt sich bei normaler Wegwahl unter 30° ab. Unsere direkte und sorglose Abfahrt profitiert übrigens von einer fast 4 Meter mächtigen Schneedecke auf dem Jamtalferner – gerade im Frühjahr gibt es hier durchaus Spaltenzonen, die zu beachten und umfahren sind und ggf. auch ein Seil erforderlich machen.

Der Gipfelgrat ist kurz und kann bei unpassenden Bedingungen bestimmt auch ausgelassen werden, ohne ihm jahrelang nachtrauern zu müssen – man ist bereits beinahe auf Höhe des Kreuzes und genießt die selbe, grandiose Fernsicht. Ansonsten gibt es hier kurz Fels im allerhöchstens I. Grad – der aber nach Süden reichlich steil und tief abbricht und kurz etwas Trittsicherheit erfordert. Ich persönlich würde zu der Tour nicht grundsätzlich Steigeisen oder Pickel mitnehmen – wohlwissend, dass ich aber auch rasch und konsequent umdrehe, wenn ich der Meinung bin hier nicht mehr zu 100% sicher zu sein.

Zusammenfassung

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