Kletterblog & Berggeschichten
Karlkopf (1848m) – Blutwurst (VI+)
Karlkopf (1848m) – Blutwurst (VI+)

Karlkopf (1848m) – Blutwurst (VI+)

Kontrastprogramm im Chillertal

Eigentlich ging es die Tage überwiegend um das Abheben. Mit einer Plastiktüte. In der stillen Morgenluft über Mayrhofen. Doch wenn neben der Gleitschirmausbildung am Abend aber noch ein wenig Zeit bleibt, dann zieht es uns in die Berge. Heute sogar mal ganz wortwörtlich.

Morgendlicher Abgleiter vom Melchboden

Bild gesehen, Notiz gemacht, Dawillichhin!

So schnell kann es gehen. Eine zumindest den Bildern zufolge sehr exotische Kletterei, welche in zwei Seillängen in und durch den Berg führt und dabei den oberen 6. Schwierigkeitsgrad erreicht? Da kommt durchaus Vorfreude auf. Gut – bloß der Name untermauert vielleicht nicht ganz an die im Geiste ausgemalte Ästhetik – da in der Wand aber auch noch Halbblut (VI-/VI), Herzblut (VI-) und Vollblut (VI+/VII-) zu finden sind, wird das schon alles mit rechten Dingen zu gehen.

Die Linie gibt es auf jeden Fall seit 2021 nach Erstbegehung durch Gerhard Gritzer und Bettina Hanser und sie über- und durchwindet einen südwestlich ausgerichteten Felsriegel einige hundert Höhenmeter über den bekannten Ewigen Jagdgründen. Also DEM Granit-Sportkletter-Mekka hinter Ginzling. Prominente Nachbarschaft. Weniger prominent dafür der Karlkopf, an dem sich unsere Tour befindet. Allenfalls der Gratausläufer vom Gratausläufer vom Vorgipfel eines Gipfels.

Zustieg

Bedingt durch die täglichen Gleitschirmflüge kommen wir erst nachmittags los. Der Zustieg ist wirklich steil, länger als man meinen würde und wirft zumindest kurzweilig die alte Frage auf, warum man sowas eigentlich freiwillig tut. Man verlässt den Klettergarten am nördlichen Ende über einen mit Trittstufen versehenen Block und hält sich (Betretungsverbot?) ganz links am Rand der Wiese. Dort fallen bereits die ersten, steilen Höhenmeter an, die Pfadspur ist nicht allzu ausgeprägt. Auch der Übergang ins Buschwerk – am höchsten Punkt besagter Wiese – ist reichlich subtil und zugewachsen. Schwache farbige Markierungen weisen zwar theoretisch den Weg, je nach Jahreszeit machen Machete oder FSME-Impfung aber bestimmt Sinn. Im Zweifel einfach beides. Nach einigen rustikalen Kehren hat der Spuk ein Ende und wir treffen auf einen offensichtlicheren Pfad und folgen diesem nach rechts. Nach ziemlich genau 400 Meter (man darf dem Pfad ruhig eine Weile folgen) auf gleicher Höhe biegt links ein relativ deutlicher Steig in den steilen Bergwald ab.

Urgestein-Wäldchen sind aber auch eine Klasse für sich

Ordentlich steil und rutschig geht es auf einem Kugellager aus Nadeln empor, wobei stets dem Verlauf eines Rückens neben einer schwach ausgeprägten Rinne auf der rechten Seite gefolgt wird. Der Pfad ist mal mehr und mal weniger ersichtlich und zeugt von keinem zu großen Ansturm auf die Routen am Karlkopf. Mit einem kurzen Schwenk nach links lichtet sich der Wald und ein erster Blick auf den unübersichtlichen Felsriegel öffnet sich. Flacher wird es deshalb nicht. Dafür hat’s jetzt Sonne und Brennnesseln.

Ein erster Blick in die Wand – bis zum Einstieg darf schon noch eine Weile gestrampelt werden

Der offensichtlichste Einstieg ist der zur Nachbarroute Herzblut, welche genau dort in die grauen Platten führt, wo der Pfad erstmals den Wandfuß berührt. Um zum Einstieg der Blutwurst zu gelangen muss am Wandfuß noch einige Höhenmeter aufgestiegen werden – man passiert sogar eine vage Schlucht / Einbuchtung in der Wand und peilt darüber einen etwas eingerückten Wandbereich an.

1. Seillänge (VI)

Wir bestücken unsere Gurte mit Expresschlingen und einigen Klemmgeräten. Obwohl eigentlich als „Plaisir-Route“ beschreiben, hatten wir von einem Bekannten die Info bekommen, dass es hier anders als in der benachbarten Herzblut doch ein wenig rustikaler zur Sache geht. Mal schauen.

Hannah startet in die erste Seillänge, welche gleich vom Boden weg erste Fragen aufwirft. Ein sehr abgesprengt anmutender Block mit blauer Schlinge markiert den Einstieg – ob diese nun aber wirklich als Sicherung zu verwenden ist? Wir entscheiden uns dagegen und peilen den ersten Bohrhaken darüber an. Einem seichten Risssystem durch mittelmäßigen Fels folgend macht man die ersten Meter und stößt dann rasch auf eine Barriere aus Buschwerk und Gras. Die Bohrhaken führen hier nach links in eine eigenartige Schlüsselstelle, welche Hannah einige Anläufe beschert und auch im Nachstieg nicht allzu viel Freude macht. Ein rustikaler Aufrichter in einer vagen Delle.

Am Einstieg – die erste Seillänge folgt zunächst dem seichten Riss und biegt dann links in etwas erdig-plattiges Gelände ab.

Die Platte, die es dabei zu überwinden gilt ist erdig und die wenigen, feinen Leisten entweder dreckig oder brüchig oder beides. Hat man den Schritt zur Seite überwunden gelangt man an eine Pfeiler und in ein reges Wechselspiel aus Fels, Steilgras, Erde und Botanik. Definitiv kein Highlight diese Seillänge.

2. Seillänge (V+)

Ich schließe auf, übernehme die Führung und steige im Grasfleck zu Beginn der 2. Seillänge viel zu hoch. Tut das nicht! Unten bleiben. Für mich führt das zu einem grasigen, rutschigen und irrsinnig steilen Abklettermanöver mit Potential zum Standplatzsturz. An einem zu dieser Jahreszeit von Gras überwucherten Block versteckt sich sogar ein Bohrhaken – und die Querung zum Weiterweg ist eigentlich auch offensichtlich, wenn man den routinemäßigen Aufwärtsdrang ein wenig gezügelt bekommt.

Hier setzt ein wirklich feines Stückchen Fels an. Eine kurze Plattenquerung führt mich auf die linke Seite eines Pfeilers, der wenige Meter über mir von einem markanten und homogenen Faustriss gespalten wird. Ganz so einfach ist dieser gar nicht zu erreichen – hat man ihn aber, lässt er sich ziemlich genüsslich klettern. Für meine Handbreite geht er sich auch ideal als klemmender Faustriss aus – man kommt aber auch ohne ausgereifte Rissklettertechnik gut hoch und findet neben dem Riss immer wieder brauchbare Tritte. Die Absicherung ist ausreichend – ich lege unten am Beginn des Risses einen Friend – allerdings eher, damit er nicht völlig ungenutzt bleibt.

Kurz vor dem Standplatz auf einem äußerst schmalen Band darf noch eine kurze, interessante Querung nach rechts vollzogen werden, welche aber ebenfalls dem griffigen Riss folgt. Abgesehen von der abschüssigen Wiesenquerung eine bequeme und sehr interessante Seillänge. Nur der Standplatz in der Platte ist nicht allzu bequem.

Hannah schließt in der warmen Abendsonne zu mir auf und übernimmt die Führung in der nachfolgenden 3. Seillänge.

3. Seillänge (VI-)

Vom Standplatz geht es erneut dem Faustriss folgend für 2 Meter empor auf ein bewachsenes Band. Eigentlich hätte man den Standplatz ja auch dort hinlegen können? Während ich also in den Seilen hänge verschwindet Hannah am Horizont und taucht wenig später am anderen Ufer der Rinne links von mir auf. Ich folge ihr durch eine abwechslungsreiche aber auch erneut etwas eigenartige Seillänge. Der Riss ist erneut schön zu klettern. Danach stellt sich ein leider sehr kurzes aber lustiges Wändchen mit lässigen Leisten und Seitengriffen in den Weg. Kalkkletterei im Granit? Für wenige Atemzüge.

Der Weiterweg in der 3. Seillänge. Ziel ist die erkennbare Schlinge am Baum links im Bild

Dann gilt es nach links zum Standplatz am Baum zu queren und die Rinne zu überwinden. Das geschieht durch eine absteigende Querung, welche bei ungünstiger Exenwahl bestimmt reichlich Seilreibung erzeugen kann. Ganz einfach zu klettern ist die etwas abdrängende Stelle auch nicht. Spart sich der Vorsteiger hier den letzten Haken, so hat der Nachsteiger ein anregendes, ungesichertes Stück zum Abklettern. Woher ich das weiß?

4. Seillänge (VI+)

Vor uns liegt die nominelle Schlüsselstelle der Tour, welche mit einer bereits vom Standplatz ersichtlichen A0-Schlinge entschärft werden kann. Gemeint ist ein kurzer Mantle – also eine Schiebe- bis Schwingbewegung um ein Eck in eine kleingriffige Platte. In Wechselführung kletternd fällt mir diese Seillänge zu. Aufgrund der schon fortgeschrittenen Tageszeit und der kontinuierlich abnehmenden Lichtverhältnisse plane ich nicht hier besonders viel Mühen oder Zeit zu versenken. Umso überraschender, dass mir die Stelle einigermaßen rasch und in freier Kletterei gelingt.

Zunächst wird die Stelle über eine gespaltene Platte erreicht. Nicht aber auf dem direkten Weg sondern – den Haken folgend – mit einem etwas eigenartigen Schwenk nach rechts und durch ein kleines Buschwerk. Die Schuppe ist dann einigermaßen gut zu greifen, die Sicherung, welche die Crux absichert ist schnell geclippt. Ein paar Versuche benötige ich – aber eigentlich gilt es dann nur mit etwas Mut zur Lücke einen Fuß in die auf den ersten Blick sehr glatte Platte zu stellen und sich um die Kante zu drücken. Aus irgendeinem Grund hebt das dann sogar auch. Einen erlösenden Henkel oder Haken gibt es hinter der Stelle nicht mehr. Bis zu einem wenige Meter höher liegenden Baum darf sorgfältig an kleinen Leisten und Tritten geklettert werden.

À propos Baum…

In der Hoffnung nicht zu viel zu meckern nimmt die Route hier erneut einen etwas eigenwilligen Verlauf. Anstatt den Baum über der Schlüsselstelle in einer breiten Rinne links zu passieren und die sich dort anbietende Schlinge als Zwischensicherung mitzunehmen muss man sich zu Gunsten des Weiterwegs rechts am Baum vorbeizwängen. Das sagt einem aber natürlich niemand. Auch kein Topo. Ich lande also erstmal auf dem gangbaren Band, erkenne meinen Fehler und steige nochmal ab um mich um den Baum zu hangeln und das Seil auf der anderen Seite entlang zu führen. Die Blutwurst verläuft hier sehr dicht an der Nachbarroute Herzblut – die Verwirrung kommt aber erstmal noch aus der Linie selbst und nicht aus den Haken der Nachbarn.

Aaaalso

Statt auf dem breiten Band zu bleiben geht es hart rechts auf und an den Block (BH), an dessen Fuße sich zuvor auch der Mantle versteckt hat. Hat man sich auf dieses vermeidbare Hindernis hinauf gewuchtet, so findet man am luftigen Eck einen sehr tiefen und unergonomischen Standplatz vor. Ich versuche hier für einen Moment Stellung zu beziehen, empfinde es aber als dermaßen unbequem und unpraktisch, dass ich den Zurufen eines Solo-Kletterers in der Herzblut folge. Er meint der Standplatz wäre höher. Das ist rückblickend irreführend und falsch – zumindest wenn man hier wert auf die exakte Linie legt. Ich war schon richtig. Den Standplatz finde ich in seiner Position trotzdem sehr unlogisch. Die 3 Klettermeter auf den Block werten die Route an der Stelle kaum auf und bei der dann anfallenden Querung zurück ins Beinahe-Gehgelände des Bandes liegen ein paar ziemlich große, lose Blöcke mit denen man normalerweise gar nicht in Kontakt kommen müsste.

Unten rechts der Baum mit Schlinge am Ende der Crux. Ich befinde mich am mobilen Standplatz am Fuße der Rinne, welche vom Baum aus auf einem gangbaren Band erreicht werden könnte. Hannah klettert den Schwenk in die Platte an dessen hinteren Eck sich der unbequeme Standplatz befunden hätte.

Ich lande also nach dem Schwenk auf den Block wieder auf dem Band, auf dem ich eigentlich direkt nach der Schlüsselstelle schon war. Dort sehe ich aber, dass die Blutwurst nun rechts in einer Rinne abbiegt. Die 5er Stelle der fünften Seillänge. Meine Sorge ist, dass wir, wenn ich nun in gerader Linie den 4. Standplatz der Herzblut anklettere (was definitiv möglich wäre), nicht mehr in die Rinne kommen, die dann in den Berg hinein führen soll. Ich baue also einen mobilen Standplatz an Rissen und hole Hannah nach, die die Qualität meiner Konstruktion mit einem Sturz am Mantle testet. Granit halt – völlig fein. Placements aus dem Bilderbuch.

5. Seillänge (V)

Die Irrungen und Wirrungen sind an dieser Stelle leider noch nicht wirklich zu Ende. Bisher würde ich zwar die Meinung vertreten, dass ein etwas überflüssiger und in verfügbaren Topos kaum ersichtlicher Schwenk am Ende der 4. Seillänge und ein Zuruf aus der Nachbarroute die kleineren Verhauer induziert haben. Diesmal – in der 5. Seillänge – sind wir selbst Schuld. Ein schwacher Trost ist, dass wir damit nicht ganz alleine sind:

…die Routenfindung ist erschwert und wir haben uns tatsächlich verhauen dort wo sich die zwei Routen kreuzen…

Janos, wenige Tage zuvor

Für Hannah geht es also von meinem improvisierten Stand gerade hinauf in eine schöne Spreizpassage in einer Rinne. Wär ich am vorgesehenen Standplatz geblieben, hätte sie halt zuvor noch die Plattenquerung vom Block weg zurück auf das Band machen müssen. Es überwiegt schöne Kletterei bis der nächste Verhauer lockt. Die Rinne mündet rasch dort, wo die Herzblut links der Rinne an den Spalt im Berg heranführt. Hannah folgt hier den Haken und klettert die Kante (IV/IV+) der Herzblut bis auf den Klemmblock, an dem sie spreizend und ohne Zwischensicherung einige Meter über dem Boden in den Spalt einsteigt. Für den Nachsteiger ist das erneut ein relativ grausiges Manöver zumal der Fels dort oben wirklich nicht vertrauenswürdig ist. Stattdessen – man lerne aus unseren Fehlern – muss offenbar wirklich hart am Grund der Rinne geklettert werden bis man den Standplatz mit Tourenbuch im Berg erreicht. Wir sind an diesem Punkt schon längst zu der Übereinkunft gekommen heute definitiv nicht ganz so sehr im Flow und Einklang mit dem Fels zu sein. Obwohl’s klettertechnisch bisher echt fein gepasst hat. Ob sich das im inzwischen stockdunklen Inneren des Berges noch ändern wird?

6. Seillänge (VI)

Ich werd definitiv kein Höhlenforscher

Wir tragen uns fix ins Routenbuch ein und entscheiden uns für einen – inzwischen reichlich düsteren – Ausflug in den Spalt. Gerüchten zufolge hat man hier besonders am Nachmittag ein ziemlich feines Licht. Wir sind aber so weit nach Mittag, dass Licht auch draußen zur Mangelware wird und sich die Kletterei neben dem Kegel der Stirnlampe in beinahe kompletter Dunkelheit abspielen wird. Ein abenteuerliches Manöver für alle Sinne.

Ich steige in den engen Kamin und gucke mir den Weiterweg an. Die Aufgabe präsentiert sich rasch. Es geht rechterhand an einem relativ filigranen Riss empor. Die Seillänge ist mit 15 Metern ziemlich kurz – sollte aber nicht unterschätzt werden. Auf der kurzen Strecke passiert eine ganze Menge. Vielleicht ist es mit etwas mehr Licht ein wenig gemütlicher – im empfinde das Ambiente aber als mental und körperlich fordernd. Die Rückseite des Kamins ist recht glatt und wirft zu Beginn keine oder nur sehr wenige wirklich hilfreiche Tritte ab. Es wird also Wandkletterei an feinen Leisten und Rissen, welche mit etwas Reserve beherrscht werden will. Obwohl die Absicherung auch hier gut ist, stellt man rasch fest, dass ein richtiger Vorstiegssturz in dem engen Gemäuer in jedem Fall vermieden werden sollte. Die Möglichkeiten sich weh zu tun sind im dreidimensionalen Raum grenzenlos und die Hakenabstände reichen trotzdem für wenig einladende Sturzweiten oder Pendelbewegungen.

Ich kämpfe mich im Schein der Stirnlampe durch die Risspassage und erreiche einen entspannenden Absatz auf halber Strecke zum Standplatz. Von hier (wie gesagt…obacht mit Pendel) gibt es dann plötzlich doch geniale Tritte und Griffe auf beiden Seiten des Kamins! In flowiger Spreizerei lässt sich der Standplatz erreichen, welcher auf der in Kletterrichtung „Rückseite“ des Kamins versteckt ist und frei über dem dunkeln Schlund hängt. Wilde Sache. Höhlenforscher werde ich trotzdem nicht.

Tiefblick in den oberen Teil der 6. Seillänge

Hannah steigt souverän nach und erreicht den Standplatz, an dem erst kürzlich eine Flasche Blutwurz deponiert wurde. Was jetzt? Wurst oder Wurz? Fragen über Fragen. Noch brennender interessiert uns aber der Weiterweg aus dem Kamin in das inzwischen fahle Dämmerlicht der Außenwelt.

7. Seillänge (VI-)

Erinnerungen an die dreidimensionale Tunnelkletterei der Zanahoria werden wach, als Hannah das Licht am Ende des Tunnels in Angriff nimmt. Das war auch ein wilder Ritt. Seufz. Zunächst darf aber nochmal wild gespreizt werden, wobei man sich nicht von allen vorhandenen Haken verleiten lassen sollte. Hier kommt aus beiden Richtungen Licht – es gibt auf beiden Seiten des Spaltes einen Ausgang. Die Kletterei führt aber wieder nach Süden bzw. in die Richtung, über die wir auch in den Spalt gelangt sind. Ein erster Haken über dem Stand ist aber eher ein wenig gen Norden versetzt und macht für uns bei genauerer Betrachtung gar nicht so viel Sinn. Generell ist hier nicht allzu viel Platz zum Rangieren und der Weiterweg ist ein Drücken, Schieben und Steigen zwischen Haken auf beiden Wandseiten. Ein paar längere Expressschlingen mildern den reibenden Effekt dessen ab. Und wo wir schon bei reibenden Effekten sind. Die Kletterei ist nochmal ziemlich interessant und gar nicht mal so einfach. Ein paar saubere Tritte und Gewichtsverlagerungen bedarf es schon um im Zickzack über den kleinen Abgrund zu navigieren. Die 10 Meter fühlen sich erneut lang und abwechslungsreich an, der Fels ist hier drinnen deutlich glatter und unübersichtlicher als die rauen, grauen Platten die wir draußen vorgefunden haben.

Den gegenüberliegenden Großen Greiner (3201m) treffen die allerletzten, roten Sonnenstrahlen als wir wieder aus dem Berg auftauchen. Ein bisschen berauscht sind wir schon von den abenteuerlichen Klettermetern in den Innereien des Karlkopfes. Am Blutwurz kann es auf jeden Fall nicht liegen.

8. Seillänge (V)

Die Stelle im 5. Grad ist kaum mehr als solche wahrnehmbar. Auch das liegt bestimmt nicht am Blutwurz. Über etwas moosigere Platten geht es querend zum bereits sichtbaren Standplatz an und unter einem Baum. Hier taucht auch aus dem feinen Plattenmeer unter uns die Nachbarroute Herzblut auf, welche man bestimmt auch nochmal besuchen sollte. Ohne viel Zeit zu verlieren machen wir uns an die Abseilfahrt. Mit den 60 Meter Halbseilen brauchen wir 3 Abseiler zurück an den Fuß der Wand. Es gibt aber mehrere Möglichkeiten, Schlingen und Standplätze auf dem Weg. Egal wie – man landet wahrscheinlich ein paar steile Meter unter dem Einstieg der Blutwurst – wer also etwas deponieren mag, tut das ggf. etwas weiter unten.

Ohne Garantie auf Richtigkeit seilen wir wie folgt ab: zunächst ca. 50 Meter über steile Platten zu einem gebohrten Abseilstand, der sich ein Stück unter dem Band (mit ebenfalls nutzbaren Baumschlingen) im Bereich der 5. Seillänge befindet. Von dort auf den bewaldeten Absatz an dessen im Abstiegssinne linken Ufer wir eine Schlinge an einem Baum anpeilen. Und dann ein letztes Mal über den kompakten Plattenpanzer zurück in die grasige Flanke. Endlich Feierabend.

Wir packen unsere sieben Sachen und spazieren in einem halbwegs angestrengten Tempo wieder gen Tal. Irgendwas raschelt im Wald.

Zu dunkel für El Schuppo, genau richtig für eine Bärenattacke.


Schwierigkeit, Versicherung und Material

Eine äußerst interessante und spektakuläre Linie, welche in sehr ungewöhnlicher Manier durch den Fels führt und dort ehrlich faszinierende Klettermeter beschert. Dabei sind die Highlights aber definitiv in den kurzen, oberen Längen anzusiedeln, welche man sich unten teils ein wenig mühsam und botanisch verdienen muss. Ob diese Rechnung für jeden aufgeht wird eine sehr individuelle Sache sein. Ohne die Mühen und genialen Ideen der Erstbegeher schmälern zu wollen habe ich mich vor Ort gefragt, ob nicht auch eine Kombination mit den ersten Seillängen der Herzblut lohnender wäre. Das könnte man dann Herzwurst taufen. Oder Blutblut.

Die Schwierigkeiten sind in Ordnung, Einzelstellen fallen aber schon sehr interessant aus. Die etwas dreckige Plattenquerung in Länge 1 gibt es absolut nicht geschenkt und auch in der Höhle muss für den Grad sorgfältig gekraxelt werden. Hier sollte wirklich einkalkuliert werden, dass der mögliche Sturzraum nicht immer freundlich ist, sodass trotz solider Absicherung mit einem gewissen Ernst an die Sache herangegangen werden darf. Da ich sonst viel im Kalk unterwegs bin, soll hier auch der kleine Hinweis nicht fehlen, dass sich das Zeug schon einfach völlig anders klettert. Die nominelle Schlüsselstelle kann dafür auch technisch überwunden werden, stellt aber auch in freier Kletterei einen lösbaren und kurzweiligen Einzelzug dar. Die Linienführung ist in Summe schon logisch – lässt sich aber nicht immer sofort intuitiv erkennen. Wer den kleinen Seitensprung in der 4. Seillänge und die Möglichkeit den Einstieg in den Spalt zu hoch anzugehen auf dem Schirm hat, sollte aber ohne Probleme durchkommen.

Die Absicherung ist gut aber nicht übertrieben, stellenweise muss man zwischen den Haken schon ein Stück klettern. Klemmgeräte braucht’s eigentlich nicht. Als Backup beim Versteigen oder zum verkürzen einiger Risspassagen kann man sich aber auch ein paar Kleinigkeiten an den Gurt hängen. Auf jeden Fall dabei sein sollten ein paar Alpin-Exen. Nässe tut der Route definitiv nicht gut – eventuelle Niederschläge der Vortage sollten im Blick behalten werden. In den ersten Seillängen gibt es viele sehr steile grasig-erdige Passagen und die Höhle machte zumindest bei unserer Begehung auch den Anschein, als wenn sie etwas länger zum Abtrocknen braucht.

Zusammenfassung

Spannender Tag im Fels! Gar nicht mal so schnell und fluffig, wie wir uns das ausgemalt hatten – ein paar kleinere Verhauer und aktuell wenig Mehrseillängen-Routine machen’s möglich. Hintenraus dann aber doch ein sehr feines Abenteuer im Zillertaler Gneis-Granit-Gedöhns, welches ein wenig Botanik mit vielen abwechslungsreichen Kletterpassagen anreichert und sich zu einem wilden Finale steigert.

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4 Kommentare

  1. Ricki spiecker

    Herausforderung nr. 1: Einstieg zu finden: weder steht die Route herzblut angeschrieben wie auf bergsteigen.com angegeben noch findet sich bei blutwurst am Einstieg ei ne gelbe schlinge! Das verwirrt und kostet unnötig Zeit. Auch muss man sich im Wald durch tiefsten Dschungel kämpfen, der Pfad verliert sich nämlich. Die 1.sl wurde dem Berg gewaltsam abgetropft, durch die botanik. Die 2. sl ist schöne risskletterei. Die 3. sl führt unter der wand an bh nach links mit baumumrundung und abklettern zu baumstand. das ist eine grobe Missachtung der wunderschönen granitwand mit einer genialen piazschuppe am anfang und vielen risssystemen , die yosemitefans begeistern könnten. Leider wurden die Chancen vergeben und die Route verläuft weiter vielfach in einer unlogischen und unlohnendes Linie. Schade!

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      Jan

      Servus Ricki,

      das klingt aber bisschen arg frustriert 🙂 am besten platzierst du deine Infos und Erfahrungen auch bei bergsteigen.com, dort holen sich wohl die Allermeisten Topo, Zustieg und aktuelle Infos. Meine Artikel haben Aufrufe im ein- bis zweistelligen Bereich. Ich schreib hier auch nur meine Erfahrungen von vor paar Wochen nieder (blaue Schlinge am Einstieg, kurz rustikaler aber doch recht offensichtlicher Zustiegspfad) und die sind stets maximal subjektiv und abhängig davon, was ich ringsum gerade so treibe.

      Den Routenverlauf finde ich an der von dir genannten Stelle auch eigenartig – wie auch andere Seillängen definitiv und in Anbetracht der Wand nicht wirklich logisch oder schön gelegt sind. Ob der Ausflug für einen selbst lohnend ist, muss wohl jeder selbst entscheiden. Schade, dass das bei dir nicht der Fall war.

      Auf weiterhin schöne Tourentage,
      Jan

      1. Ricki spiecker

        sorry, dass du meinen abwertenden Kommentar abbekommen hast. Nach wie vor verstehe ich nicht, warum laut bergsteigen.com steht, dass sich am Einstieg eine gelbe schlinge befindet und herzblut in gelben Buchstaben angeschrieben ist. Das stimmt einfach nicht! Richtig ist deine Bemerkung, dass man Machete und fsme impfung brauchen kann. Meine Tochter hat sich im zustiegsdschungel eine Zecke eingefangen.

        1. Avatar-Foto
          Jan

          Hey Ricki,

          alles fein! Ich glaub ehrlich gesagt die machen auch einfach an einem Datum X die Tour, dokumentieren den Stand der Route nach bestem Wissen und Gewissen (wobei die gelben Buchstaben dann schnell verblasst sein müssen 😉 ) und leben danach auch davon, dass Änderungen in den zahllosen dort beschriebenen Linien von anderen Seilschaften gemeldet werden. Ist ja immerhin ’ne kostenlose Website, die Vielen wahrscheinlich den Kauf diverser Bergbücher erspart hat. Was ich auf jeden Fall in der Vergangenheit beobachtet habe: oft fließen solche Änderungen dann relativ schnell in die Topos oder die Textbeschreibung ein. Deshalb die Idee, die Infos von deiner Begehung auch dort zu platzieren.

          Viele Grüße,

          Jan

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