Hier schließt sich ein kleines Kapitel ab, das von zwei nicht allzu rumreichen Bergfahrten gezeichnet ist. Beginnend mit einem jung-naiven Ausrutscher auf einem Schneefeld 2021 beim ersten Versuch. Fortgeführt von einer lehrreichen Alpinkletter-Odysee mit Tami im Frühling 2022. Und nun, im Sommer, endlich vollendet. Rückblickend hätte man auch einfach mal den Wanderweg nehmen können. Und trotzdem ist es schön, nun wieder Raum für neue Schicksalsberge zu haben. An der Stelle nochmal der Verweis auf Teil 1 – und den Grund für mein leicht gestörtes Verhältnis zu diesem Stückchen Fels:
Kampenwand (1669m) Überschreitung – Abbruch (IV)
Jeder hat ihn oder kriegt ihn an irgendeinem Punkt: den Schicksalsberg. Ich hab meine Wahl ziemlich früh getroffen und lag damit gar nicht so falsch. Eine unerwartet lange Bergfahrt voller Selbstreflexion, Erkenntnissen und schlechten Entscheidungen.
Ich hatte ja einige Dinge bei meiner ersten Runde Kampenwand-Überschreitung gelernt. Zum Beispiel, dass Zwillingsseile am Grat erstmal keinen wirklichen Mehrwert bieten. Dass man strategisch durchaus auch mal ein paar Stücke seilfrei gehen sollte, wenn man nur Gehgelände und I-II vorfindet. Dass eine IV+ ganz schön gruselig aussehen kann, wenn man sich mit etwas angeknackstem Selbstvertrauen darunter stellt. Und dass man sich nicht unbedacht auf die erstbeste Topo verlassen sollte. Zumindest nicht, wenn man so gar nicht auf Überraschungen steht.
Von meiner ersten Begehung kenne ich den größten Teil der Route, der mich beim letzten Mal viel Zeit und Nerven gekostet hat. In durchweg leichter aber dennoch alpin angehauchter Linie führt die Kampenwand-Überschreitung vom Westgipfel zum Hauptgipfel der Kampenwand, welcher auf dem normalen Wanderweg nicht erreicht wird. Dabei überwindet sie optional auch zwei kleine Grattürmchen, den bizarren Gmelchturm und den Teufelsturm.
Und so beschließen Hannah und ich – auch als Übungstour für die Dolomiten – es nochmal zu wagen. Bei meinem ersten Versuch der Kampenwand-Überschreitung war ich zum Sonnenaufgang am Einstieg. Es folgte eine tagesfüllende Odyssee. Diesmal schaffen wir es erst nach Mittag zum Wanderparkplatz Aigen, den Ausgangspunkt der Tour. Wir haben also subtilen Zeitdruck oder um es anders zu sagen – diesmal muss einiges besser laufen.
Es ist ein eigenartiger Tag für Mitte August. Eine bleierne und geschlossene Wolkendecke hängt tief und verdeckt die Gipfel. Der Zustieg ist rutschig, es ist fast schon herbstlich kalt. Wir rechnen uns aus, dass der Andrang auf die Kampenwand diesmal eher moderat ausfallen könnte. Optimale Bedingungen für unser Vorhaben sind es zwar auf den ersten Blick auch nicht, es soll aber immerhin nicht regnen. Und so stapfen wir auf kleinen, schlammigen Pfaden hinauf.
Der Zustieg ist ähnlich spektakulär wie die Aussicht und wir erreichen zügig den Einstieg. Wir gehen seilfrei in IIer-Gelände bis vor das Tor des Torwegs – die erste kleine Optimierung der Route, die ich mir beim ersten Mal überlegt habe. Hier ist mehr als genug Platz, um das Seil rauszuholen und die Gurte anzuziehen und wenig später gehe ich die erste kurze Seillänge durch das Tor und dann nach links durch eine kurze, speckige Verschneidung. Mit der nun deutlich verringerten Seilreibung viel entspannter als beim ersten Mal. Hoffentlich bleibt das so.
Ich mache Stand und überlasse die nächste (und wie ich finde) sehr schöne Seillänge Hannah. Es geht hinter der glatten Verschneidung kurz über einen einfachen, schrofigen Hang in eine plattige Verschneidung mit großen Henkeln. Auf dem Papier eine III+, die der Bewertung auch gerecht wird. Dank guter Absicherung und klarer Wegführung eine absolut genüssliche Seillänge, die auf dem Grat in Richtung Westgipfel mündet. Von hier geht es am laufenden Seil weiter. So gesehen auch nicht weiter sinnvoll, wir hätten es auch einfach aufnehmen können. Aber wesentlich besser als das Gehgelände von Stand zu Stand zu sichern und so kommen wir flott voran und holen die einzige andere Seilschaft ein, die sich in der Suppe auf der Kampenwand befindet. Zwei Sachsen im mittleren Alter – weniger am Berg unterwegs aber offenbar durchaus rustikale Kletterer mit einer Passion für eigene, kreative Sicherungen. Vermutlich muss man so auch unterwegs sein, wenn man sonst in der sächsischen Schweiz klettert. Während ich mit meinem laufenden Seil an der nachkommenden Person vorbeiziehe, bewundere ich 60 Meter wildeste Sicherungspunkte. Reepschnüre an kleinen Wurzeln, Exen in Latschen und keine Köpfelschlinge die ausgelassen wird. Beeindruckend. Wir unterhalten uns ein bisschen, die beiden sind superlieb und arbeiten sich total entspannt über den Grat. Das benutzte Vokabular für die üblichen Seilkommandos kann ich zwar nicht rekapitulieren, war aber übertrieben lässig. Und wenn lustige, sächsische Rufe durch den Nebel hallen, klettert sich grundsätzlich viel beflügelter.
Wir widersprechen der, durch unsere nicht vorhandene Sicherung am Grat, entstandenen Annahme, dass wir die totalen Profis sind. Sind wir nicht. Echt nicht. Lest euch mal meinen ersten Versuch an der Kampenwand durch. Aber es stimmt, dass wir uns hier oben etwas wohler fühlen und uns ohne Standplätze schnell vor die beiden setzen, den Westgipfel überschreiten und dann aus dem Nebel den bizarren Gmelchturm erscheinen sehen.
Während wir da so über den Grat spazieren – die Sicht wird vielleicht 30 Meter betragen – schallt von unten Blasmusik von einem Volksfest hinauf. Alle 10 Minuten ballert ein Prosit der Gemütlichkeit durch den Nebel. Es fällt schwer, hier heute noch irgendwas ernst zu nehmen. Es ist alles so absurd – die Tatsache, dass wir uns hier durch die Wolke hacken. Die akustische Begleitung durch Volksmusik und sächsische Seilkommandos. Es ist einfach eine Kleinigkeit, die mir extrem wichtig geworden ist. Es ist total egal auf welchen Berg du gehst. Wie hoch er ist. Wie schwer er ist. Das einzige was zählt ist das Wann – und ich wurde mit dieser Einstellung bis heute nie enttäuscht. All die Dinge, die hier passieren, all die Begegnungen die man weder planen noch absehen kann und die teils völlig unwiederholbaren Bedingungen einzelner Touren. Ich würde immer wieder losgehen. Und selbst wenn es immer der selbe Berg ist. Er würde mich trotzdem überraschen. Und so ist es auch heute.
Wir erreichen den Gmelchturm. Eine wilde, kleine und plattige Felsnadel, die hier auf den Grat geklebt ist. Er lässt sich links leicht umgehen – beherbergt aber zwei spannende Klettereien – eine Verschneidung III+ und eine direkte Kante VI-. Beim ersten Mal wurde es die glatte Verschneidung gefolgt von einer sehr unschönen Abseilfahrt und wegen Abziehfehler auch zweimaligen Aufseilfahrt. Damals lagen die Nerven schon dermaßen brach, dass wir im Traum nicht in die VI- eingestiegen wären. Aber heute lief alles durchaus reibungslos.
Wir fordern unser Glück also etwas heraus: Hannah ist motiviert und steigt, während von hinten die beiden Sachsen anrücken und unsere alpinen Schandtaten bestaunen, in die kurze Kante auf den Gmelchturm ein. Der Schwierigkeitsgrad sitzt bei uns beiden zwar im Klettergarten, ich erwarte dennoch einen raschen Abbruch. Alpin und so ausgesetzt ist das schon nochmal was ande…oh…ist es nicht. Hannah ist oben.
Eingelullt in den dichten Nebel lässt sich die kurze Kante durchaus gut klettern. Wirklich schwer kommt sie mir dabei auch nicht vor – lediglich die letzten zwei oder drei Griffe sind etwas kühner und kleiner. Aber mit einem Tritt um die Kante und in die linke Wand über der Verschneidung findet man eine gute Position um auch den letzten Meter auf den winzigen Zacken zu klettern. Oben angekommen ist kaum Platz zum rangieren. Alles was geht ist – an einer Bandschlinge gesichert – an der Seite des Türmchens zu stehen. Kein ideales Brotzeitplatzerl. Direkt hinter uns vollenden die beiden Männer die kleine Verschneidung und landen damit auf einem kleinen Felsen wenige Meter neben uns. Ich höre es kurz grummeln.
Jep. Diese Gedanken hatten wir bei unserer ersten Runde auch mal. Wir warten, bis die beiden abgeseilt haben und werfen unser Seil hinterher. Diesmal nicht auf den nächsten Turm zu sondern runter in die Verschneidung. Eine Kleinigkeit, die ich bei unserer ersten Runde ebenfalls gelernt habe. Genau hier ist mein Seil mehrfach hängen geblieben. Diesmal läuft es perfekt. Und das trotz der Bonus-Runde über die schwere Variante am Gmelchturm.
Die beiden sind schon in der Seillänge auf den Teufelsturm, als wir wieder auf dem Grat stehen. Wir hängen uns mit ausreichend Abstand wieder an ihre Fersen. Als ich, einen Bohrhaken und einen mittelmäßigen Klemmkeil später oben am Teufelsturm rauskomme, stelle ich fest, dass sie in die selbe Falle getappt sind wie Tami und ich vor zwei Monaten. Da die beiden auf dem Weg sehr viele Schlingen gelegt haben, hat die hohe Seilreibung einen Zwischenstand an einem Köpfl erfordert. Ich habe diesmal bewusste die dünne Absicherung in Kauf genommen, um oben den ganzen Grat bis zur Abseilstelle gehen zu können. Und auch dieser Plan geht auf.
Nun gilt es nur noch zweimal abzuseilen und die Schlüsselstelle der klassischen Überschreitung in Angriff zu nehmen. Genau vor dieser habe ich zuletzt einen Rückzieher gemacht und bin durch die erdige Rinne abgeseilt. Bloß weg vom Grat und den Menschenmassen. Heute ist vieles anders. Aber die Verschneidung sieht auchjetzt etwas düster und abweisend aus – einfach ein Stückchen höher als man sich wünschen würde und ein Stückchen steiler als in der Draufsicht angenehm zu sehen. Zudem erkennt man auf die Ferne nur die 3 Bohrhaken und übersieht die dunkeln Normalhaken, die sich an der einen oder anderen Stelle zusätzlich verstecken. So kommt in Summe doch zu einer recht passablen Absicherung. Die IV+ will trotzdem geklettert werden und kommt recht scharfkantig und unübersichtlich daher. An ein oder zwei Stellen muss ich mich schon kurz zusammenreißen und mich überreden den nicht ganz perfekten Griffen und meiner Fähigkeit sich an ihnen festzuhalten zu trauen. Ein bisschen erleichtert bin ich dann doch, als sich das Gelände zurücklehnt und der letzte Standplatz vor mir aufblitzt.
Als ich mich umdrehe um Hannah nachzuholen fällt mir zum ersten Mal auf, dass sich die Wolken etwas angehoben haben und der Tiefblick auf die grünen Almen und den heute dunklen Chiemsee frei geworden ist. Ich hätte heute Mittag nicht gedacht, dass wir hier so einen tollen und einsamen Klettertag erleben. Von hier steigt Hannah die letzte, relativ einfache aber komplett unversicherte Seillänge zurück auf den Grat.
Über den plattigen Grat geht es seilfrei weiter. Unsere beiden Kletterwegbegleiter lassen wir an dieser Stelle endgültig hinter uns. Sie haben vermutlich noch einige Zeit mit der Schlüsselseillänge und dem Absichern des längeren Gratabschnitts verbracht. Absolut wertfrei. Die beiden waren super entspannt und souverän in nicht alltäglichem Gelände unterwegs. Ich glaube sie hatten einen absolut wilden und einsamen Bergtag und hoffe, dass sie noch lang genug in den Felsen waren um das rote Abendlicht durch die Wolken blitzen zu sehen. Wir sind hier wieder richtig schnell unterwegs und kraxeln sicher und routiniert durch das leichte aber exponierte Gelände zum Hauptgipfel. Hier machen wir die erste wirkliche Pause und lassen die Stille, die seltsame Wolkenstimmung und die hinter uns liegende Tour auf uns wirken.
Direkt hinter dem Hauptgipfel gibt es verschiedene Möglichkeiten – mir gefallen sie alle nicht so sehr. Theoretisch könnte man eine ausgesetzte und auf den ersten Blick eher griffarme Platte im III. Grad abklettern. Es ist nur ein kurzes Stück, aber als ich von oben runterschaue weiß ich direkt, dass ich darauf jetzt – sofern vermeidbar – keine Lust mehr habe. Wir sind jetzt so lässig durchgekommen. Links geht eine kurze Verschneidung auf eine geneigte aber großflächige Platte. Auch hier könnte man vermutlich abklettern. Weniger exponiert – ein Sturz wäre aber ähnlich fatal und ganz vertrauenserweckend sehen die großen, etwas bröselig anmutenden Blöcke auch nicht aus. Lange Rede, kurzer Sinn. Wir holen das Seil wieder raus und seilen ein letztes Mal ab. Es sind wirklich nur 2 oder 3 Meter. Aber wir müssen uns heute nicht mehr allzu viel beweisen.
Über einen schmalen Pfad und einige überschaubare Felsstufen erreichen wir den Wanderweg. Er führt durch die Kaisersäle, eine enges Schluchsystem zwischen senkrechten Kalksäulen, zum Abzweig Richtung Steinlingalm. Wir (Ich) möchten der Kampenwand nun aber endgültig den Rest geben und den Ostgipfel mit dem 12-Meter-Gipfelkreuz mitnehmen. Wenn schon, dann richtig. Der Berg ist hart verdient und auch wenn das nie ein ernsthaftes Ziel war und es andere Wege gegeben hätte: es hat nun doch fast zwei Jahre und zwei lehrreiche Rückschläge gebraucht um hier hin zu kommen.
Am Ostgipfel halten wir es nicht mehr so lange aus. Die Wolken ziehen wieder rein und die Sonne geht bald runter. Nichts wie runter. Im Wald unter der Steinlingalm durchbrechen wir die Wolkendecke und tiefrote Sonnenstrahlen fallen in den Laubwald. Ein unverhofftes, kleines Finale für einen sonst grauen Tag in der Natur. Danke für die kleine Reise, liebe Kampenwand. War im Rückblick gesehen dann doch alles ganz lustig.
Schwierigkeit, Versicherung und Material
Die Kampenwand ist an und für sich gut versichert – es bleibt aber ein gewisser alpiner Charakter erhalten. Ich finde das liegt vor allem an den teils langen Hakenabständen, der doch vergleichsweise schwierigen Kletterei (es gibt deutlich einfachere IIIer und IVer Routen) und dem manchmal etwas unübersichtlichen und abgegriffenen Gelände. Wir waren diesmal mit einem Einfachseil von 80 Metern Länge unterwegs und so viel schneller und agiler als mit den Doppelseilen aus dem ersten Versuch. Keile und Schlingen sind nett zu haben und sind je nach Empfinden auch mal gut zu verwenden – gehen allerdings auf Kosten der Seilreibung die stellenweise ganz ansehnlich werden kann. Der Gmelchturm ist an der VI- Kante für meinen Geschmack etwas überbewertet, die IV+ Verschneidung hingegen eher etwas unterbewertet. Wenn man sich umschaut, bin ich mit dem Eindruck auch nicht ganz alleine. Die Möglichkeit schwierige Stellen zu umgehen oder im Notfall relativ schnell vom Grat zu kommen ist Gold wert, erfordert aber trotzdem souveränes und seilfreies Gehen.
Zusammenfassung
Wenn sie nicht so überlaufen wäre, wäre das eine wunderschöne Felsfahrt. Mit ihren kleinen Türmchen, den abwechslungsreichen aber überschaubaren Kletterstellen und der tollen Landschaft. Ein Tanz auf Messers Schneide über den grünen Almen, läutenden Glocken und schmetternden Volksfesten. Ich befürchte aber, dass es erstmal mein letztes Mal war. Ich würde wahrscheinlich nur für eine Winterbegehung nochmal kommen.
Find es super dass ihr es erneut probiert habt und das es diesesmal perfekt für euch lief. Super geschrieben, die Bildergalerie mega. Lässt sich super lesen auch für kletterlaien wie mich. Spannend geschrieben vom Anfang bis zum Ende und gelegentlich fieberte ich mit. Die Begegnung mit den beiden Sachen fand ich schon interessant wie sie am Berg kletterten mit Leichtigkeit. Ja die sächsische Schweiz hat auch was zu bieten was klettern betrifft, kenn ich von meinem Urlaub dort. Obwohl ich noch nie geklettert bin, ist es doch ein Gefühl von Freiheit was einem gegeben wird