Guten Morgen, Sarcatal und herzlich Willkommen zu einem neuen Kletterabenteuer. Nachdem wir am Vortag unfreiwillig rund 8 Stunden in der Il Mercurio Serpeggiante verbracht haben, haben wir heute zwei Maßnahmen ergriffen, um nicht wieder in diese Situation zu kommen. Zum einen sind wir früher aufgestand. Zum anderen haben wir uns eine Wand und Linie ausgesucht, in der wir deutlich weniger Andrang erwarten. Und diese Annahme beruht vor allem darauf, dass wir von der Parete Antiscudo bislang auch noch nichts gehört haben. Dann wird das auf die meisten anderen Seilschaften sicher auch zutreffen.

I Tre Soci
ist eine ziemlich junge Route. Also ehrlich jung. Denn während manche Wege, die wir hier wiederholen vor 100 Jahren erschlossen wurden, stammt unser heutiges Ziel aus dem Jahr 2024. Sie stellt denn leichtesten Weg durch L’Antiscudo dar – ein der Cima alle Coste vorgelagerter Felsriegel von knapp 100 Metern Höhe. Wenn man weiß wo man gucken muss, ist die Linie trotz ihrer Kürze reichlich markant. Sie teilt das Wändchen wie ein weißes Band in zwei nahezu gleich große Hälften und folgt einem grellen Streifen glatt anmutender Platten hinauf. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass das Antiscudo-Wändchen den deutlich höheren Wänden der Cima alle Coste vorgelagert ist und von diesen vielfach überragt wird. Der interessierte Blick aus dem Tal wird stets auf die ausladende Diedro Martini und ihr südlich vorgelagertes Plattenschild fallen. Und damit deutlich zu hoch ansetzen.
Die 130 Klettermeter teilen sich auf 5 Seillängen auf die sich fast ausschließlich im 5. und einmal für längere Strecke im oberen 6. Grad abspielen. Und nach einem schnellen Kaffee in der Bar am Fuße der Sonnenplatten geht es unter dem regen Rascheln der Wingsuits zunächst zum Sportplatz in Dro und dann zu Fuß weiter in Richtung Pietramurata.
- Frühstück in der Parete Zebrata Bar. Vis-a-vis mit den frühen Vögeln am Monte Brento.
- Kaum zu verfehlen
- Am Einstieg unseres heutigen Vorhabens
Ist man nicht zu ungeduldig bezüglich potentieller Abzweigungen, so ist der Weg an den Wandfuß wirklich schnell gefunden. Ein Fels mit Aufschrift markiert den Einstieg und ein entspannter, nur wenig ansteigender Pfad führt dann an den Wandfuß. Dort müssen wir noch einige Meter nach rechts wandern und landen prompt an einem blockigen Pfeiler, der unmissverständlich mit dem Routennamen verziert ist.
1. Seillänge (V+)
Die erste Seillänge – optisch gar nicht mal so ansprechend – fällt mir zu. Der gestufte Pfeiler ist zwar nicht schwer zu klettern, zwischen den Blöcken liegt aber viel Gras und Erde und die Hakenabstände sind an das leichte aber nicht überall solide Gelände angepasst. Nicht abschrecken lassen – oben werden sowohl Fels als auch Absicherung wesentlich besser.
Es folgt ein etwas abdrängender und luftiger Quergang nach rechts, welcher erneut nicht wirklich von den teils erdigen Platten profitiert. Dann erreiche ich den Punkt, an dem je nach Topo und Quelle ein optionaler Einzelzug im oberen 5. Grad wartet. In einer „linken“ Variante sei dieser im 4. Grad zu umgehen. Nun…wenn ich ehrlich bin ist an dieser Stelle nicht allzu viel Platz für Varianten. Die Bohrhaken geben ohnehin den Weg vor und nach oben hin wird man relativ rasch von dichtem Buschwerk begrenzt. Gemeint ist wahrscheinlich ein Aufschwung, welcher entweder direkt über erdigen Riss und Bäumchen geklettert werden kann oder rechts ein wenig diffiziler in einer rauen Platte gelöst werden darf. Ich entscheide mich für Letzteres und damit wahrscheinlich auch für die 5+ Variante, welche hier noch ziemlich zahm daher kommt.
Der anzupeilende Standplatz ist für eine lange Zeit nicht einzusehen. Als Orientierung hilft aber die Nachbarroute Lo Staffodromo, welche hier rechterhand offensichtlich und schnurgerade durch die Platte hinauf zieht. An der Kreuzung der beiden Linien befindet sich unser Standplatz. Ein Detail, dass ich ruhig mal einen Moment länger hätte im Kopf behalten können. Denn ein hier nicht ganz zu verneinendes Goldfischgehirn hat das Prinzip einer Kreuzung wenige Sekunden später wieder verdrängt und schickt seine Seilpartnerin erstmal in die falsche Route.

2. Seillänge (VI/VI+)
Schon da gerade rauf oder?
Nein, Jan. Einfach nein. Vom nicht allzu bequemen Hängestand lädt eine Bohrhakenleiter durch eine Platte mit Riss zum Weitersteigen ein und ich schicke Hannah fälschlicherweise dort hin. Tatsächlich – und das ist im Topo von Bergsteigen auch mehr als offensichtlich – führt die I Tre Soci hier aber nochmal markant nach rechts in eine ansteigende Plattenquerung zur Schlüsselstelle.
Der Umweg kostet Hannah einige Nerven, Körner und einen unnötigen Downclimb über dem Standplatz. Dann sind wir wieder in der Spur und rasch bricht Begeisterung über den grandiosen Fels aus. Gar so einfach macht dieser es einem aber nicht. Auf den folgenden 30 Metern darf anhaltend relativ schwer und trickreich geklettert werden, die Seillänge ist definitiv das Highlight der Tour, welches Hannah mit Bravour löst.

Zunächst gilt es ein griffarmes Plattenschild zu durchsteigen – mit viel Reibung auf dem noch herrlich rauen Gestein. Ein kurzer Quergang nach rechts leitet dann unter die Schlüsselstelle. Diese besteht aus wahrscheinlich 3-4 Metern entlang einer feinen Rissspur in sonst steiler, rauer Platte. Lösbar – ja. Für mich anders als für Hannah aber nicht auf Anhieb. Bei bester Absicherung aber eine durchaus hübsche Kletterstelle, die sauber geklettert werden will. Hat man den engen Riss überwunden, so öffnet sich ein steiles Meer an Leisten und Henkeln, welches sich sehr homogen im 6. Grad einordnen dürfte und einfach nur Spaß macht. Flow im besten Fels – richtig fein! Würde es nur so bleiben.
3. Seillänge (V-/V)
Das tut es leider nicht. Die 3. Seillänge – leicht linkshaltend – überwindet mit nun wieder etwas weiteren Hakenabständen einen etwas uninteressanteren Wandteil mit typischer, gestufter Kletterei. Einzelne Züge und eine interessante Platte kurz vor dem Standplatz machen definitiv Spaß. Ein paar lässige Sanduhren gibt es auch zu bestaunen. Allerdings gibt es hier auch ein paar brüchige Ecken und ein paar lose Henkel, die noch darauf warten ins Tal gezogen zu werden. Achtsam steigen macht sich bezahlt. Wenn diese Stellen mit einigen weiteren Begehungen nach und nach abgeräumt werden bleibt hier wahrscheinlich eine ebenfalls recht schöne, griffige und nicht allzu schwere Seillänge stehen. Aussicht und Tiefblick sind auf jeden Fall wunderschön und nach dem langen Winterschlaf ist die warme Morgensonne ein Geschenk.
4. Seillänge (V/V+)
- Am Ende der 4. Seillänge in perfekten Kalkplatten
- Hannah in der 4. Seillänge
- Nachstieg in der 2. Seillänge. Ein langer Weg durch Löcher, Leisten und raue Platten.
- Die Standplätze sind so frisch wie der Rest der Route
Ein Geschenk ist auch die nächste Seillänge – nun wieder in beeindruckend kompakter Plattenkletterei. Zunächst leicht an der Kante kletternd besteigt man rasch einen Plattenpfeiler, der von wenigen Taschen und Querrissen durchzogen in gerader Linie in den blauen Himmel führt. Hannah steigt die tolle Länge rasch vor und erreicht den vorletzten Standplatz im Plattenmeer. Spätestens hier ist man wirklich auf dem von Gestrüpp verschonten Streifen angelangt, den wir am Vortag schon von der gegenüberliegenden Talseite haben erspähen können.
5. Seillänge (V, A0)
Es stehen für den heutigen Tag eigentlich nur noch drei nennenswerte Entscheidungen aus. Ob wir im Abstieg noch eine andere Route anhängen. Welche Eissorten wir in Sarche wählen. Und welche Variante ich in der letzten Seillänge wähle. Denn der Weg ist in der Originalführe mit einer einige Meter messenden Techno-Direttissima in eine eigentlich vermeidbare Platte genagelt worden.
Die Kompressor-Route im Sarcatal

Heute – älter und weiser – würde ich mich für die rechtshaltende Umgehung der Platte entscheiden, die aber ein wenig dünner abgesichert ist. Damals – jung und naiv – meine ich aber, dass ich lange keine A0-Passage mehr geklettert bin und das ja eigentlich ganz witzig ist. Das pure Exengerupfe holt mich einigermaßen rasch wieder auf den Boden der Tatsachen zurück und das Urteil fällt dementsprechend aus:
Absurd.
Macht an der Stelle einfach wirklich nicht viel Sinn. Ein oder zwei Meter weiter rechts ist der Fels definitiv kletterbar und ich kann mir die eingebohrte Platte nur damit erklären, dass die Linie so auf einem Wandbild „cooler“ ausschaut, weil sie zentral in der Plattenlinie bleibt. Dem Flow und Stil der Route tut der unlogische Seitensprung nicht allzu gut, weshalb die Umgehungsvariante definitiv eine Alternative ist, die ich beim nächsten Mal vorziehen würde. Es kann aber sein, dass die Absicherung dort ein wenig rustikaler ist.

Ich erreiche den letzten Standplatz und hole Hannah nach, welche meine zumindest theoretisch vorhandene Begeisterung für A0-Kletterei überhaupt nicht teilt. Antibegeisterung am Antiscudo also. An einem so sonnigen und einsamen Tag im feinen Fels ist das aber Meckern auf hohem Niveau.
Abstieg
Ein Fixseil leitet noch einige Meter von der Kante weg. Wir machen eine Rast und inspizieren die beeindruckenden Wände über uns. Vor allem die markante Riesenverschneidung, die wahrscheinlich nicht um einen Besuch herumkommen wird. Eindruck machen auch die gigantischen Platten, durch welche ein paar der größeren und kühneren Reibungslinien des Sarcatals führen. Etwa die Transeamus.
Für uns geht es wieder Retour nach Dro und dann theoretisch auch wieder zurück in die Heimat. Eine letzte Hürde ist der Abstieg über eine faszinierende Plattenzone, welche zwar nicht allzu steil ist aber durchaus das alpine 1×1 der Reibungstritte schult. Im Zweifel gäbe es auch einige Haken, Fixseile und Drahtseile. Ist die große Platte erstmal überwunden, so geht es nur noch in gemütlichen Serpentinen zurück zur Forststraße. Und weil uns die Route noch nicht endgültig ausgelastet hat, biegen wir im Wald nochmal falsch ab und finden uns rasch an den Einstiegen zur Parete di Sherwood wieder.
Aber das ist eine andere (noch kürzere) Geschichte.
- Ein Blick in die potentielle ToDo-Liste für’s nächste Mal
- Platten im Abstieg. Nichts wildes – teilweise aber dennoch steiler als die Bilder suggerieren
- Eine Sache der Reibung – unten wie oben.
Schwierigkeit, Versicherung und Material
Eine recht gut abgesicherte Kletterei mit einer sehr schönen Seillänge und tollem Fels. Keine unlohnende Alternative, wenn ringsum, etwa an den Sonnenplatten oder an der Cima alle Coste zu viel los ist. Durch den im Vergleich minimal längeren Zustieg und die wenig markante Wand am Fuße deutlich größerer Flanken scheint das Antiscudo ein wenig unter dem Radar zu bleiben. Die I Tre Soci ist in den schweren Längen sehr gut, im leichten Gelände ausreichend mit soliden Bohrhaken abgesichert und beherbergt ein paar wirklich tolle und irrsinnig griffige Kletterstellen.
Als erfüllendes Tagesprogramm ist sie aber zu kurz und wer seine Zeit sonst in den großen Grill-Linien ringsum verbringt mag sich hier über die etwas weniger kreative Linienführung wundern. Zumindest ist für mich persönlich der Funke nicht komplett übergesprungen – es fehlt das gewisse Etwas. Und wenn es nur das Freilassen mobil absicherbarer Stellen ist, welches ich inzwischen beinahe mit dem Sarcatal verbinde. Das ist aber absolut subjektiv. Als sportliche, stressfreie und kurzweilige Linie in gutem Fels wird die I Tre Soci sicher ein breites Publikum begeistern. Die A0-Stelle vermochte uns nicht wirklich zu begeistern und hat den Flow auf den letzten Metern ein wenig getrübt – hier sind wir aber selbst Schuld. Eine Umgehung im Fels hätte es ja gegeben. Neben 13 Expressschlingen bedarf es eigentlich nur wenig Material. Ein Helm ist wie immer obligat, die Standplätze sind gebohrt und mit aktuell noch sehr frischen Schlingen verbunden. Die Route ist nicht zum Abseilen eingerichtet, was angesichts des (bei Trockenheit) unproblematischen Abstieges aber ohnehin keinen Sinn machen würde.
Zusammenfassung
Ein schöner Tag in und über dem Sarcatal in einer interessanten Linie durch ein für uns bisher unbekanntes Wändchen. Bester Fels, A0-Kuriositäten und zwei richtig tolle, plattige Seillängen. Ich für meinen Teil stelle aber immer wieder fest, dass ich an den verwobenen „Alpin“-Klassikern mehr Freude habe.