7.7 km
1230 hm
20 hm
4 h
T3+
Der eigentliche L1 startet von Garmisch durch das Rheintal hinauf auf das Zugspitzplatt und nennt dabei sogar oft das Kreuzeckhaus als ersten Wegpunkt. Diese Varianten wollte ich – sofern irgendwie möglich – komplett vermeiden. Mein ganz nüchternes Urteil – mit dem Wettersteingebirge als Hausgebirge vor der Tür – ist nämlich “so ein Schmarrn”. Bitte im Hinterkopf behalten, dass das alles Geschmacksache und jeder Herr seiner eigenen Langstreckenwanderung ist. Aber ich finde diesen Einstieg unlogisch. Nehmen wir an man möchte – wie der L1 es ja letzen Endes auch tut – das Wettersteingebirge überqueren und dabei die Zugspitze mitnehmen. Nehmen wir auch an man möchte dies zwar landschaftlich eindrucksvoll aber irgendwie auch auf einer effizienten Linie und ohne unnötige Höhenmeter machen. Wir sind immerhin mit schweren Rucksäcken unterwegs und erst am Beginn einer langen Reise.
Wenn wir uns mit diesen beiden Annahmen halbwegs einig sind gucken wir doch nochmal auf die Zahlen. Ein paar Überlegungen meinerseits: Das Kreuzeckhaus erreicht man unter Aufwand von 9 Kilometern und 950 Höhenmetern aus Garmisch heraus überwiegend entlang des Skigebiets. Von einem Naturerlebnis oder einem anregenden Start in die Alpenüberquerung kann nicht die Rede sein – und trotzdem: die Etappe wäre gar nicht so ohne. Erreicht hat man am Ende des Tages nichts. Wir befänden uns Luftlinie nichtmal einen Kilometer über Garmisch und haben einige Höhenmeter auf Forststraße und Pisten gemacht. Die werden sich aber doch bestimmt noch lohnen? Leider nein.
Am Folgetag werfen wir das alles wieder weg. Wir queren weiter das Skigebiet und halten uns unter der Alpspitze, passieren den Stuibensee. Dann steigen dann entweder etwas anspruchsvoller über die Maurerscharte und den Schützensteig oder, die Schwierigkeiten umgehend, über den Bernadeinsteig in das wunderschöne Reintal ab. Mit mächtig Strecke, vielen Höhenmetern und großen Anteilen im Skigebiet sind wir jetzt also endlich hier. Wieder 300 Meter unter dem Kreuzeckhaus. Einen maximal Halbtagesmarsch von Garmisch weg. Der Zugspitze oder der Überquerung des Wettersteingebirges kaum näher. Aber zwei volle Tage ärmer. Ich fasse mich nun etwas kürzer, das Schema wiederholt sich. Der nächste Tag sieht einen Zustieg zur Knorrhütte und eine optionale Besteigung der Zugspitze vor. Ein zäher Anstieg, den ich bewusst sonst nur im Abstieg laufe. Wenn man über diesen Weg die Zugspitze erreicht – Gratulation. Wir haben den höchsten Berg Deutschlands in 3 Tagen und unter Aufwand von fast 3500 Höhenmetern und 25 Kilometern erschlagen. Der Berg ist aber nur 2962 Meter hoch. Und über fast jeden anderen Weg mit der Hälfte des Aufstiegs, einem Drittel der Strecke und der Hälfte der Zeit zu haben. Und sogar ohne sich alle Formen und Farben von Liften aus unterschiedlichen Richtungen anzuschauen.
Ziemlich genau vor einem Jahr sind wir vom Eibsee in der selben Gruppe in Richtung Zugspitze aufgebrochen. Damals war das ein ganz ordentliches Ziel, das vor allem meine Eltern mit dem zähen aber schönen Abstieg durchs Reintal einiges abverlangen würde. Heute ist das Ziel viel größer aber auch nicht mehr wirklich greifbar. Und wir sind natürlich besser vorbereitet – mental wie körperlich. Aber das Ziel “die Alpen zu überqueren” fühlt sich so abstrakt und unverbindlich an.
Was sind denn die Alpen überhaupt? Wo fangen die an, wo hören die auf? An welchem Punkt hat eine Alpenüberquerung ihr Ziel erreicht? Mit dem Absolvieren der letzten Etappe ungeachtet des Weges, der dort hin geführt hat? Mit dem Passieren der Schlüsselstelle? Mit dem höchsten Punkt der Tour? Mit der Nacht in der letzten Unterkunft? Mit dem Ortsschild Meran?
Und mit solchen Gedanken im Kopf geht es in der prallen Mittagssonne auf den bekannten Pfaden entlang der Wiesen und Wälder, die im Winter die Skiabfahrt Riffelriß bilden. Wir passieren all die wichtigen Punkte. Den Gartenzwerg am Wegesrand, das Wasserbecken, den Wegweiser mit der “Alpenjuwelen” Markierung. Die Alpenjuwelen bezeichnen sich selbst als “die komfortabelste Alpenüberquerung” und sind ein Running-Gag, da wir für einen kurzen Moment dachten, uns mit der gleichnamigen Doku auf unsere Tour vorbereiten zu können. War ein netter Versuch.
Auf der andere Seite…es ist brutal heiß, der Rucksack ist schwer und überhaupt. Vielleicht hätte man doch die Alpenjuwelen machen sollen?
Da wir den Weg alle kennen, halten sich die Überraschungen diesmal allerdings in Grenzen, die Kräfte sind sinnvoll einteilbar und wir kommen gut voran. Das Schotterfeld, der Steig der sich steil und elegant durch die Abbrüche hinauf zum Gamskar schlängelt, der erste und wilde Blick nach Ehrwald und auf die gewaltige Westwand des Zugspitzmassivs – alles fliegt so vorbei.
Hier erreichen wir das “Schwalbennest”, die alte Mittelstation der Tiroler Zugspitzbahn die heute einen brauchbaren (und komplett begehbaren) Unterschlupf für Wetterumschwünge bildet und etwa 2/3 der Tour vom Eibsee zur Wiener-Neustädter-Hütte markiert. Hier trennen sich theoretisch auch die Wege. Links geht es über steile, erdige Serpentinen und stellenweise etwas exponierter auf felsigen Bändern zur Seilbahnstütze. Rechts unter dem Schwalbennest querend erreicht man ein großes Schotterfeld, das Gamskar, in dem es zwar bröselig aber weniger exponiert in die Höhe geht. In dieser Variante hat man auch das Ziel direkt vor Augen – ich mag sie deshalb lieber.
Es wird also etwas alpiner – im Schotter des Gamskars nochmal 100 Höhenmeter machen und dann über schmale Pfade über dem tiefblauen Eibsee bis zur Wiener-Neustädter-Hütte. Lief heute wirklich gut alles – trotz der Hitze und der schweren Rucksäcke. Ein gutes Omen für die Alpenüberquerung?
Die Hütte ist wieder gut besucht. Wir checken ein, ziehen uns etwas Frisches an und machen es uns gemütlich. Wir sind vergleichsweise früh hier und haben einige Zeit zum Abendessen totzuschlagen. Aber in der Sonne lässt es sich gut aushalten. Zum Abendessen gibt es dann das selbe wie immer – so will es scheinbar die Tradition. Wenn die meisten Zugspitzaspiranten eh nur für eine Nacht bleiben, fällt das bestimmt keinem auf. Aber ich hab den Laden durchschaut. Und die Nudeln Tomatensauce sind besser als das Geschnetzelte. Auch so will es die Tradition. Dann geht eh alles recht schnell und nachdem alle mit dem Essen fertig sind dämmert es draußen auch schon ein wenig und Mama & Papa verkriechen sich schon im Lager.
Tami und ich gehen die Extrameile für den Sonnenuntergang, die heute einfach nur darin besteht noch einen Moment länger draußen sitzen zu bleiben. Was folgt ist einer der farbenfrohsten Sonnenuntergänge, die ich hier oben erleben durfte. Ich habe schon einige Abende im österreichischen Schneekar und an der Wiener-Neustädter-Hütte verbracht aber ein solch intensives, rotes Alpenglühen wie heute habe ich noch nicht gesehen. Hinter uns leuchtet der Stopselzieher für einen kurzen Moment kristallklar und unwirklich auf. Dann ist die Sonne weg und es wird schnell kalt und still.
Das kann man von der Hütte heute leider nicht behaupten. Wir sind irgendwie im Lager neben der Stube gelandet und ich vermute fast, dass der Hüttenwirt unsere Reservierung nicht auf seinem Zettel hatte als er bei unserer Ankunft kurz blättert, zögert und uns dann dort unterbringt. Es wird getrunken und ist reichlich laut – immer wenn jemand die Treppe neben dem Lager raufpoltert schrecke ich kurz hoch. Den anderen ging es wohl ähnlich. Kein guter Start was die Schlafbilanz angeht. Und das wo der Wecker ausgerechnet um 2:00 klingelt.
Strategische Punkte:
- Station Riffelriss der Zahnradbahn als möglicher Unterstand bei Gewitter, macht nur vor der Querung des Schotterfelds Sinn
- Die alte Mittelstation der Zugspitzbahn als guter Unterstand bei Gewitter, ggf. im Notfall sogar betretbar
Schlüsselstelle & Schwierigkeit
Überwiegend leichte Wegfindung, mittelschwere aber recht steile Wanderwege, an einigen Ecken rutschig / sandig. Stellenweise Quergänge mit einseitig stark abfallenden Gelände. Ein Helm kann bereits Sinn machen. Kurze Stufen mit Stahlseilen und Stiften, keine wirkliche Kletterei. Ab dem Übergang nach Ehrwald unter der alten Mittelstation sind zwei Wege möglich: links (deutlicher zu erkennen) steil in Serpentinen aufwärts oder rechts kurz absteigend auf die große Wand zu, unter der alten Mittelstation vorbei und dann im Gamskar auf dem Georg-Jäger-Steig mit mehr Schotter aber weniger Absturzgefahr etwas sanfter hinauf. Die Wege treffen sich nach ca. 25 Minuten wieder.
Theoretische Alternativen (Schwierigkeiten & Zeitbedarf beachten):
- Zugspitze übers Höllental mit Stützpunkt Höllentalangerhütte
- Einfache (Schlechtwetter-)Umgehung Wettersteingebirge über Ehrwald und dort Zugang ins Gaistal
- Überquerung Wettersteingebirge via Meilerhütte, Söllerpass und Scharnitzjoch