Kletterblog & Berggeschichten
San Paolo – La Fuga dall’Hades (VI)
San Paolo – La Fuga dall’Hades (VI)

San Paolo – La Fuga dall’Hades (VI)

Literatur: Arco Plaisir*

Ooops, I Arco again

Einer meiner am Silvesterabend gehauchten Vorsätze für 2025 war es, mieses Wetter am Wochenende auch in der Heimat einfach mal anzunehmen und auszuhalten. Man könne an solchen Tagen ja auch anderen adrenalingeladenen Tätigkeiten nachgehen. Steuererklärung etwa. Nachdem aber mehrere solcher Wochenenden ins Land gegangen sind und ich die Steuererklärungen bis einschließlich 2050 fertig gemacht habe, weicht selbst der stärkste Vorsatz langsam auf. Ab nach Arco.

Vorgenommen haben wir uns eigentlich die Via Esculapio an der imposanten Padaro-Wand – welche ihrerseits Sarcatal-Neuland für uns gewesen wäre. Direkt auf den ersten Metern rächt sich hier aber die bei uns dieses Jahr noch sehr verhalten ausfallende Routine im Fels. Vor allem in Fels, der nicht durch Bohrhaken entschärft ist. Die nicht wirklich angenehme und auch nicht richtig gut absicherbare 1. Seillänge im oberen fünften Grad zwingt Hannah zur Umkehr. Mein Versuch gelingt dann mehr schlecht als recht und mündet in einem Rendezvous mit einer Kreuzotter, die sich in einem Griff unter dem Standplatz sonnt. Ich: fluchend Abklettern. Kreuzotter: fluchend in den Kamin Schlängeln, der unser Weiterweg hätte sein sollen. Wir: Rückzug. 1:0 für die Natur.

Die Default-Antwort auf mieses Wetter in den Nordalpen

La Fuga dall’Hades

Da sich jetzt den ganzen Tag Eis essen auch nicht richtig anfühlen würde, beschließen wir uns eine etwas einfachere und kürzere Linie zu suchen. Etwa in der kleinen Paolo-Wand, die ohnehin auf dem Heimweg liegt und in der wir beim letzten Mal die kurzweilige und sehr hübsche Lecciomania Migliorata geklettert sind. Auf der Liste steht noch die Fuga dall’Hades, ein beliebter, knapp über 200 Klettermeter messender Klassiker im rechten Teil besagter Wand. Nimmt man den Kaltstart-Überhang zu Beginn mit braucht man den 6. Grad und etwas Reichweite. Lässt man den Kaltstart-Überhang aus…nja…dann braucht man das selbe. Ringsum ist die Route in ihren 7 Seillängen schon einfacher, wirft aber immer wieder interessante Stellen und homogene Kletterei in durchgehend steilem Ambiente ab. Auf jeden Fall klingt das wie ein Plan mit dem wir – dem späten Start sei Dank – alleine sind. Und wir werden geröstet. Was wohl auch der Grund dafür ist, das wir alleine sind.

Zustieg

Vom Wasserwerk unter der Wand folgen wir der Straße zur Einsiedelei Eremo di San Paolo. An diesem etwas eigenartigen Platzerl geht es linkerhand in den Wald, aus dem oft schon das Rufen, Klappern und Klimpern diverser Seilschaften ertönt. Mit ein wenig Ab und Auf passiert man den einigermaßen markanten Einstieg zur Pilastro Themis (weißliche Rissverschneidung mit Schlinge) und gelangt danach zu den Einstiegen von Fuga d’all Hades und der Nachbarroute Helena, die nur wenige Meter trennen. Wir bereiten unser Zeug vor und vergewissern uns, dass die sichtlich überforderte und bald abseilende Seilschaft in der Helena nicht dabei ist in die Fuga d’all Hades zu queren. Das ist nämlich möglich, beliebt & umgeht den Überhang der 1. Seillänge. Wollen sie aber nicht. Bühne frei.

1. Seillänge (VI)

Nach dem nicht gar so flowigen Tagesbeginn an der Padaro-Wand, darf ich mir den Überhang im Vorstieg angucken. Nicht, weil ich den sonderlich viel besser klettern könnte. Aber Hannah lacht er jetzt auch nicht direkt an. Und im Zweifel läuft es vielleicht doch irgendwie auf Reichweite & Rupfen heraus, was in raren Momenten in der Vergangenheit doch irgendwie meine Schlüsselkompetenz war. Der Aufschwung ist nicht nur ganz schön steil, abgegriffen und unlogisch – er findet seinen Höhepunkt auch an einem gigantisch, angeklebten Henkel mit schwindligen Schlingen. Aber er gewährt – die Helena-Variante ignorierend – einen Einstieg in eine sonst sehr hübsche Linie.

Also was soll’s…

Ich robbe die Stelle von Links an, was wahrscheinlich direkt falsch ist. Aber auf dem abschüssigen, speckigen Vorbau kann ich mich kurz hinstellen und die Lage unter die Lupe nehmen. Die Querung nach Rechts ist dann folglich ziemlich absurd und endet in einem Hänger. Unter Aufwand des magischen Doppel-R (Reichweite & Rupfen) geht’s an das angeklebte Köpfl, wo sich erstmals ein wenig Rasten lässt. Und auch hier löst sich der Überhang noch nicht gar so gut auf. Zwar gibt es oben raus ein paar tolle Griffe, es gehört aber doch ein wenig Wucht und Zorn dazu an einem Loch links oben zu blockieren und die Füße rechts irgendwie so hoch zu bekommen, dass man aufstehen und nach irgendeiner rettenden Kante greifen kann.

Ist das gelungen, so lässt einen die Seillänge noch nicht ganz los. Der Bauch zur nächsten Schlinge auf der Platte geht besser, wenn man sich ein Stückchen rechts hält und rasch findet man sich auf dem plattigen Quergang wieder, der einen weit weniger kräftigen aber fokussierteren Kletterstil fordert. Hier also den Sanduhren folgend super rau aber kleintrittig und technisch hinüber zu einem bauchigen Wulst, dessen Querung nochmal einen kleinen Schlüsselmoment darstellt. Ich erreiche den Standplatz und bin nicht nur dehydriert und überhitzt – im Rückblick liegt eine ziemlich facettenreiche Seillänge, die es mir zu Beginn gar nicht so einfach gemacht hat. Vielleicht hätte man ja doch öfters in die Kletterhalle gehen sollen?

Hannah folgt, hat wenig Freude am Doppel-R des Überhangs und wackelt beim Quergang mindestens so sehr wie ich. Was aber auch daran liegen dürfte, dass die Abstände der Schlingen den Nachstieg ähnlich fordernd gestalten wie den Vorstieg.

2. Seillänge (V+)

Ich biete an mir auch die zweite Seillänge anzusehen, die nun in ähnlicher Manier nach rechts wegzuziehen scheint. Zumindest hatte ich gerade etwas mehr Freude an der ersten Seillänge und hoffe, dass sich das auch auf den nächsten Metern nicht grundlegend ändern wird. Die Crux sind für mich auf jeden Fall die ersten Meter vom Standplatz weg in eine luftige, glatte Platte. Diese löst sich zwar an einigen wenigen großen Löchern und Kanten gut auf – ich brauche aber ein kurzes Auf und Ab um die erneut mittelprächtige Sanduhr einzuhängen und dann wieder etwas tiefer in den kletterbar anmutenden Bereich der Platte zu gelangen.

An einer sehr glatten Passage senkt sich von oben ein kleiner Wulst mit Untergriffen ab. Hier meint das Topo nochmal eine V+ veranschlagen zu wollen – tatsächlich löst sich die Stelle aber an tollen Henkeln auf dem Wulst sehr schön auf. Es folgt rauer und plattiger Fels mit feinen Rissen und Tropflöchern und einem etwas kühneren Runout zum Standplatz unter einem sperrenden Wändchen.

3. Seillänge (V)

Hannah übernimmt die Führung und steigt in die breite Rinne rechts vom Standplatz ein. Gegenüber blinken – nur durch etwas Buschwerk von uns abgetrennt – die wenigen Haken der Nachbarroute Pilastro Themis, durch welche ich mich vor über einem Jahr mehr schlecht als recht gewurschtelt habe. Ich bin froh heute auf dieser Seite der Wand zu stehen und in der etwas zahmeren, genüsslicheren Linie unterwegs zu sein.

Im Hier und Jetzt gelangt Hannah rasch durch die Rinne, welche genüsslich beginnt und nach oben immer schwieriger wird. Der Schlüsselzug ist mit einem Bohrhaken dankbar entschärft – muss um diesen zu erreichen aber auch schon geklettert worden sein. Begeisternd ist erneut die homogene, griffige und steile Kletterei in wirklich gutem Fels. Das Paolo-Wändchen zeigt sich von seiner besten Seite, welche lediglich ein bisschen weniger heiß sein könnte.

Endlich Schatten unter dem Dach – Ender der 4. Seillänge

4. Seillänge (IV)

Und es folgt ein weiterer Parade-Vierer. Kein gestuftes, buschiges, schrofiges Irgendwas. Nein, ein steiles Wändchen mit Löchern und Henkeln – wirklich schöne Kletterei. Unterbrochen wird diese von einem kurzen Schwenk nach links, welcher in eine gelbliche Tropflochplatte führt. Der steile Aufschwung in diese glänzt an den neuralgischen Stellen verdächtig. Wird es hier jetzt etwa doch ein bisschen Speck haben?

Der Fels entpuppt sich als durchaus griffig und rau. Das ist auch gut so, denn die Hakenabstände werden hier oben raus wieder ein bisschen freizügiger. Klettern tut sich das nun auch ein bisschen anders als die grauen Henkel zuvor. Es benötigt ein bisschen mehr Vertrauen in die Sohlen und ein bisschen weniger Anspruch an die Griffe. Dass ich eine Seillänge im 4. Grad überhaupt so ausführlich beschreibe spricht definitiv für die Route…

5. Seillänge (IV)

Quergang o‘ Clock

Sonst hätte man ja beinahe vergessen, dass man sich gerade im Sarcatal befindet. Für Hannah geht es hinüber zu einem punktuell noch etwas nassen Sinter. Ganz generell ist wohl ein Learning aus inzwischen viel zu vielen Kletteraufenthalten in und um Arco, dass es lohnt Routen mit „prächtigen Sintern“ am Tag nach Regenfällen konsequent auszusparen.

Hinter dem Sinter, der mehr Deko und Sicherungsmittel als wichtiger Griff ist geht gilt es ein kurzes, raues und recht luftiges Wändchen zu ersteigen. Zweimal sauber treten, was im noch sehr rauen Fels keine größeren Probleme bereitet. Im Zweifel bleibt man dabei etwas tiefer und gelangt rasch nach links in leichteres Gelände und oben an Henkel – die hier vielleicht sogar kurz mal auf ihre Festigkeit zu prüfen sind. Eine einfachere Plattenquerung später ist der Standplatz unter der markanten zweiten Schlüsselstelle erreicht und Hannah holt mich nach.

6. Seillänge (VI-)

Irgendwie habe ich mich heute morgen ja ohnehin schon unfreiwillig für den Vorstieg von Überhängen qualifiziert. Da trifft es sich gut, dass auch die folgende etwas schwierigere Stelle wieder mir zufällt. Ganz so leicht ist das steile, löchrige Miniatur-Dachl gar nicht zu lesen. Ehrlicherweise – es klettert sich für mein Empfinden sogar ähnlich schwierig wie der oft umgangene Einstiegs-Überhang, welcher deutlich schärfer bewertet ist. Während es sich links der Absicherung erstmal ganz flott und lässig ein riesiger Henkel anklettern lässt ist nach wenigen Zügen plötzlich Schluss. Einige Versuche später muss ich einsehen, dass es mit meinem aktuellen Klettervermögen wirklich nur rechts des Schlaghakens sinnvoll lösen lässt, was einen ordentlichen Zug und hohen Tritt auf diese Seite erfordert.

Dann geht es steil, rau und griffig empor, bis eine kurze Platte (die eigentlich die 6- Stelle sein soll) überraschend wenige Mühen macht. An kleinen Leisten ist rasch ein solider Henkel im Untergriff und leichteres Gelände erreicht. Danach geht es – den nun wieder weiter auseinander liegenden Schlingen und Haken folgend über eine kurze, plattige Delle mit einem Hauch von Runout und hinein in perfekt griffige Lochplatten. Im Flow der Risse und Henkel sollten lediglich ein paar längere Expressschlingen eingehängt werden. Sonst wächst die Seilreibung bis zum Ende der rund 40 Meter langen Länge auch ohne eigene Placements ganz brauchbar an.

7. Seillänge (IV)

Hannah führt uns aus dem kleinen Paolo-Wändchen und selbst der obligatorische „Ausstiegs-Vierer“ ist ein Genuss. Bis zum letzten Meter dominiert fester Fels mit phänomenalen Griffen. Ein kurzes, steiles Wändchen mit tiefen Furchen und Rissen macht nochmal richtig Spaß. Als ich den Ausstieg erreiche und über die perfekte Platte auf die grünen Felder hinab schaue fällt mir ein, dass ich genau diesen Ausstieg schonmal beim Abstieg aus der Pilastro Themis gesehen habe und mir damals schon dachte:

Uii das sieht aber fein aus!

Anders als damals weiß ich jetzt, zu welcher Route er gehört. Und auch wenn heute wirklich nicht alles nach Plan gelaufen ist – das Paolo-Wändchen kann da am wenigsten für und hat sich erneut als ideales Ausweichziel erwiesen.


Schwierigkeit, Versicherung und Material

Der Fels ist fast ausnahmslos sehr gut, die Politur hält sich noch arg in Grenzen und auch in den leichteren Passagen gibt es kaum fades Schrofengelände oder Blockkletterei. Stattdessen begeistern auch hier steile Platten mit Löchern, Rissen, Rillen und Henkeln. Wer den Überhang am Wandfuß meidet, darf sich oben auf ein kleines Abenteuer freuen – denn wirklich viel nehmen sich die beiden Stellen nicht und es ist stets die Reichweite, die hier gewinnt. Für mich aber bisher eine der besten Routen im Sarcatal was das Verhältnis von Kletterstrecke zu lässiger Kletterei und abwechslungsreicher Kletterei angeht. Und das – wie schon mehrfach betont – auch in den niedrigeren Graden und Quergängen. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Auf der kurzen Strecke ist wirklich eine Menge geboten.

Unter den Grill-Klassikern in dieser und den benachbarten Wänden dürfte die Fuga dall‘ Hades einer der gemäßigteren Wege sein. Die Absicherung im Kontext dieser auch überraschend gut. Die meisten Schlingen machen einen brauchbaren Eindruck und sind recht zahlreich über die Route verteilt, dazwischen befinden sich einige wohlplatzierte Bohrhaken. An drei leichteren aber plattigen Stellen muss ohne Möglichkeit auf Zwischensicherung ein paar Meter von der letzten Sicherung weggestiegen werden.

Anders als in auf dem Papier ähnlichen Touren ringsum, hätten wir hier eigentlich keine Friends, Keile oder Schlingen benötigt. Eine kleine Auswahl hatten wir natürlich wieder am Gurt baumeln – wo wir sie gesetzt haben hatten sie aber eher symbolische Wirkung und wurden rasch von fixem Material abgelöst. Wichtig sind wie immer Helm und speziell hier und mit Blick auf die teils langen und etwas verwinkelten Seillängen: Alpinexen! Die ganz Langen.

Zusammenfassung

Für alle, die keine Quergänge scheuen, ist die Fuga d’all Hades ein lässiges, kurzweiliges aber lohnendes Kletterziel mit frech minimalistischem Zu- und Abstieg.

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Cookie Consent mit Real Cookie Banner