Himmelsleiter der bayrischen Voralpen

Silvester 2021, allerfeinstes Wetter, kalte Luft und ein erstes, richtiges „Bergjahr“ im Gepäck. Als würdigen Abschluss dessen haben Tami und ich uns auf die bekannte und beliebte Überschreitung von Herzogstand zum Heimgarten eingeschossen. Bei winterlichen – aber nicht zu abenteuerlichen – Bedingungen und zu relativ später Stunde.
Im Sommer ist dieser Gratweg für Wanderer wohl das, was der Jubiläumsgrat für den Kletterer / Bergsteiger sein dürfte: eine bestechend schöne Linie mit moderaten Schwierigkeiten. Ein absoluter Klassiker. Der rund 2,5 Kilometer lange Grat erstreckt sich herrlich direkt und homogen scharf zwischen den beiden Gipfeln und zeichnet dabei eine markante Skyline über die Dächer von Kochel. Der Tiefblick in das Alpenvorland und auf die umliegenden See ist grandios – im Winter bilden sich hier vor allem Morgens auch sehr regelmäßig ausladende Wolkenmeere. Nach Süden lassen sich zudem unvergleichliche Einblicke in das Wettersteingebirge und vor allem auch das gegenüberligende Karwendel gewinnen. Dabei ist der Grat selbst nirgends schwer oder exponiert. Bis auf das Schlehdorfer Kreuz, ein kleiner Gipfel in der Gratmitte, geht es überwiegend recht horizontal durch gemütliche Latschengassen. Wo kurze Felspassagen anstehen oder ein etwas abschüssigerer Abschnitt zu queren ist, hängen Stahlseile in der Landschaft.
Zustieg von Walchensee
Wir entscheiden uns für den Aufstieg von Walchensee zum Berggasthaus Herzogstand. Der südseitige Steig ist heute schneefrei und leicht zu begehen – und bietet sich damit an. Zumal sich so eine sehr schöne und logische Rundtour realisieren lässt. Wer sich hier beinahe alle Höhenmeter sparen möchte, kann natürlich auch die Herzogstandbahn nutzen. Dann sind die Höhenmeter aber im Abstieg zu bewältigen. Außer man geht den Grat wieder zurück. Aber wer macht denn sowas?
Wir gewinnen rasch und in fast unwirklich warmer Nachmittagssonne an Höhe. Die steilen Grashänge, die die Südflanken am Herzogstand schmücken, sind goldgelb und trocken. An einigen Stellen entdecken wir die Spuren von Nassschneelawinen. Bei schneereichen Bedingungen ist der Anstieg über den Reitweg von Urfeld definitiv der konservativere Ansatz. Der südseitige Direktanstieg quert durchaus Hänge von bis zu 45° – auch wenn es „nur“ der Herzogstand ist – in Rinnen und Querungen steiler Grashänge kann das reichen um wirklich heikle Bedingungen zu erzeugen.

Herzogstand (1731m)
Am Gasthaus vorbei und dem gut besuchten und gespurten Normalweg zum Herzogstand gefolgt und zack – Gipfelfreuden. Die eigentliche Wanderung steht aber noch bevor. Am übervollen Gipfel halten wir es ohnehin nicht lange aus. Es hat eine gewisse Tradition am Silvesterabend hier oben zu biwakieren und die Vorbereitungen mancher Gruppen sind dafür schon im vollen Gange. Unser Grat hingegen sieht leer aus. Auf der gesamten Strecke zum Heimgarten werden wir alleine sein und kontrastreiche Ruhe in traumhafter Landschaft erleben dürfen.
Gratweg
Der Abzweig zum Gratweg ist beschildert – es handelt sich auf dem Papier um einen schwarzen Bergweg, der in vielen Karten als T3 vermerkt ist. Das kommt hin. Für seinen schwarzen Punkt kommt die Überschreitung sogar ziemlich gemächlich daher. Der Abstieg auf den Grat, die ersten 40 Höhenmeter, die man nach dem Abzweig wieder verliert, enthalten ein paar steilere Stufen, die aber kaum ausgesetzt sind. Danach geht es sanft absteigend am Grat entlang. Bei passablen Bedingungen wird man den Grat fast nie ohne Spur vorfinden – auch im Winter ist die Überschreitung der beiden Gipfel eine beliebte und häufig frequentierte Tour.

Wir finden ideale Bedingungen vor. Wo Schnee liegt ist dieser tragend, hart und gut gespurt. Einige südseitige Querungen sind bereits aper und auch nordseitig liegt kompakter Schnee. Bei der ohnehin dünnen Schneelage gibt es keine Wechten am Grat, welche im Hochwinter für höheren Anspruch sorgen können. Grödeln oder gar Steigeisen werden heute nicht benötigt.

Während die Schatten im Alpenvorland schon länger werden nähern wir uns dem Heimgarten. Anders als der mit Latschen überdeckte Herzogstand gibt es hier einen einigermaßen großen und offenen Nordosthang. Dieser ist mit Blick auf das Lawinenbulletin mit Vorsicht zu genießen – und könnte sogar Anlass dafür sein, ein LVS mitzunehmen. Nicht für uns, nicht heute. Aber generell, wenn man sich die Überschreitung in den Wintermonaten vornimmt. Der Steig verlässt hier kurz den relativ sicheren Grat und quert nach links in den rund 30° steilen Hang.

Uns machen hier vor allem der eisige Schnee und die tiefen Tritte zu schaffen – langsam aber sicher haben wir doch eine ganz ordentliche Strecke und Höhe erwandert und dabei auch auch nicht immer ein ganz nachhaltiges Tempo gewählt. Die Sonne steht schon tief und die Idee war es, zum Sonnenuntergang am Heimgarten zu sein und den oberen Teil des Abstiegs noch im Dämmerlicht anzugehen.

Heimgarten (1791m)
Wir erreichen mit den letzten Sonnenstrahlen den von eisigen Winden umspielten Heimgarten. Ein glühendes Karwendelgebirge und bunte Wolken begleiten die letzten Meter zum Gipfel. Und der Blick zurück bestätigt:
Ein Traumgrat!
- Rückblick auf den Grat im letzten Licht
- Alpenvorland mit Starnberger See und Ammersee
Abstieg
Es wartet ja noch ein pandemischer Silvesterabend – mit entsprechend kleiner Party. Trotzdem bieten die einsetzende Kälte und Dunkelheit Grund genug rasch ins Tal zu gelangen. Wir folgen dem Steig in Richtung Ohlstädter Alm und folgen immer dem Weg 445. Dieser quert nochmal ein bisschen abenteuerlich die Hänge unter dem Rotwandkopf und führt dann auf einen feinen, bewaldeten Grat der uns direkt auf die Lichter der Stadt zu führt. Als wir das Tal erreichen ist es stockdunkel. Nur der gelegentliche Blitz einer Silvesterrakete erhellt die Nacht. Das Böllerverbot wirkt.
In Summer ergibt sich so eine geniale Runde über zwei prominente Gipfel. Dank zahmen Winterbedingungen und epischer Dämmerung für uns aber eine wirklich eindrückliche Runde durch eine farbenfrohe aber auch abweisende Bergwelt.

Schwierigkeit, Versicherung und Material
Wie jede Winterwanderung steht und fällt auch der Gratweg zwischen Herzogstand und Heimgarten mit den Bedingungen. Wir hatten sehr wenig Schnee – dafür einige eisige Stellen. In Richtung Heimgarten – mit spürbar mehr Schattenanteil – waren Grödeln stellenweise angebracht. Bei höherem Schnee müssen Wechten und der Schwenk in den Gipfelhang vor dem Heimgarten bezüglich der Lawinengefahr berücksichtigt werden. Auch Zu- und Abstieg können je nach Schneelage ein paar heikle Querungen beinhalten – vor allem, wenn man den Herzogstand von Walchensee über den südlichen Anstieg angeht. Timing is key.
Dank geringer Höhe wird man den Grat aber oft in gespurten und gutmütigen Verhältnissen vorfinden und hat es dann mit einer herrlichen, konditionell fordernden und etwas anspruchsvolleren Winterwanderung zu tun.
Zusammenfassung
Pfiuuuuu….Bumm.