Nun…es wäre übertrieben zu behaupten, dass ich bei der Routensuche in der Bavella einfach auf die absurdesten Tafoni-Strukturen gesprungen wäre. Ich kann aber auch nicht verneinen, dass der Fund eines Bildes aus der Route “U Haddad” an der Punta di u Peru nichts mit mir angestellt hat. Und so wandert auch diese Kletterei vom Post-It im Kletterführer über einen konkreten Plan und einen steilen Tag schlussendlich ins Tourenbuch.
Unser heutiger Berg ist bestimmt keiner der höchsten – im Gegenteil. Nur aus dem richtigen Winkel betrachtet tritt die knapp 250 Meter messende Wand überhaupt aus der sie überragenden Umgebung hervor. Aber sie ist eine der löchrigsten, steilsten und absurdesten Erscheinungen in den zahlreichen Türmen des Bavella-Tals und beherbergt ein paar abenteuerliche Felsformationen. Wie eine Wunde klafft ein gewaltiges Tafoni-Loch in der linken Seite der Punta di u Peru und auch sonst ist die Wand von den charakteristischen, wabenförmigen Verwitterungen überzogen, welche das Klettern in dieser Region zu einer so grotesken Entdeckungsreise machen. Und mitten hindurch windet sich die Führe “U Haddad”.
Die Route, mit dem zunächst eigentümlichen Namen, wurde 1999 erstbegangen und zu Ehren von Haddad benannt, welcher für viele Jahre die Bar in der Auberge du Col betrieb – einem Treffpunkt für Kletterer aus aller Welt. Ohne jemals selbst geklettert zu sein, muss er die Details einzelner Züge entlegenster Routen gekannt und wiedergegeben haben und sich damit einen regelrechten Legendenstatus im Bavella-Tal erarbeitet haben. Das war lange vor unserem Besuch. So lange, dass inzwischen auch Bohrhaken die 6b+ Schlüsselstelle entschärfen, die zu Zeiten der Erstbegehung und ohne Bohrhaken ein riskanter und folgenreicher Tanz über dem wenige Meter tiefer drohenden Damoklesschwert gewesen sein muss.
Zustieg
Am “Parkplatz” der erneut nur ein schwach ausgeprägter Seitenstreifen an der kurvenreichen Passstraße hinauf zum Col de Bavella ist, springen wir aus dem Bus. Ein Glück, dass unsere Wand relativ lange im Schatten liegt – im staubigen Gehölz staut sich die Hitze schon zu früher Stunde ganz gewaltig. Der Zustieg klingt auch heute wieder relativ einfach und geradlinig. Bei unserer Tour auf die Punta Caletta haben wir aber gelernt, mit ein wenig mehr Vorsicht an die Sache heranzugehen.
Wir folgen der Schotterstraße, auf die kurz vor uns schon eine deutsche Seilschaft abgebogen und (leider) aus unserem Blickfeld verschwunden ist. Auf jeden Fall haben sie das selbe Ziel. Wir überqueren den Flusslauf des San Petru und sollen unserem Führer zu Folge nun nach 500 Metern in einer rechtsdrehenden Haarnadelkurve links auf vage Pfadspuren abbiegen. Wir schlurfen weiter und biegen beim ersten Anblick einer Kurve nach rechts in das mit viel Kreativität gangbare Gehölz links ab.
Auch Hannah’s Karte zeigt exakt an unserer GPS-Position einen Pfad, der mit “Accèss Escalade” gar nicht so falsch klingt. Leider – so müssen wir uns schon nach wenigen Metern eingestehen – waren wir mal wieder zu ungeduldig und sind auf einem sehr sprichwörtlichen Holzweg. Wir überqueren einen kleinen Flusslauf und schlagen uns durch ein paar wilde, wurzelig-erdige Stufen in die Himmelsrichtung, in der wir die Punta di u Peru vermuten. Reichlich zerkratzt treffen wir einige (Höhen)meter später auf eine Pfadspur mit Steinmännern und können zwar stolz behaupten, unserer Linie treu geblieben zu sein. Rational betrachtet, war das aber ein ziemlicher Quatsch und wir nehmen uns für den Rückweg vor, der Pfadspur auf die wir nun gestoßen sind aus dem Wald zu folgen. Und dort dann vielleicht eines Besseren belehrt zu werden. Was Haarnadelkurven und abzweigende Pfade angeht etwa.
Die nun wieder häufigen Steinmänner leiten uns in ein nach rechts ansteigendes, schmales und ausgetrocknetes Flussbett. Das klingt wieder grob nach der Beschreibung im Führer. Wir schlagen den Weg ein und erreichen ein paar lustige Kraxelstellen und überraschend wenig Kontakt mit Botanik später den Wandfuss der Punta di u Peru. Der Einstieg in die Wand ist in unserem Fall durch die andere Seilschaft markiert – man läuft aber auch ohne andere Kletterer als Orientierung recht unweigerlich in den markanten, plattigen Pfeiler, der hier etwas vorgelagert im Waldboden versinkt.
Wir quatschen kurz mit den beiden (Grüße), bereiten unser Zeug her und beobachten den Einstieg der beiden, der gar nicht so trivial zu sein scheint. Die beiden wollen nach 4 Seillängen in die “Omerta” abbiegen, welche die “U Haddad” an ihrer Schlüsselstelle kreuzt. Diese Routenkombination scheint relativ etabliert zu sein – aus naheliegenden Gründen. Die “U Haddad” hat den tiefer liegenden und mit dem spektakulären Tafoniquergang auch vermutlich schöneren Einstieg. Die “Omerta” ist dafür im oberen Teil direkter, steiler und konstant zwischen 6a und 6b angesiedelt. Uns passen die eingestreuten 5er Längen der “U Haddad” aber ganz gut ins Konzept und so haben wir vor, unserer Route treu zu bleiben.
1. Seillänge (6a)
Hannah steigt in die erste Seillänge ein und überwindet den ersten, etwas eigenartigen Aufrichter ziemlich schnell und souverän. Das kann ich so sagen, denn weniger Minuten später und in Hannah’s Abwesenheit werde ich mir an dem eigentlich offensichtlichen Einstieg und wenige Zentimeter über dem Waldboden ziemlich die Zähne ausbeißen und ein paar eher unschöne Anläufe brauchen. Der erste Bohrhaken liegt etwas höher, sodass diese Passage vom Vorsteiger ziemlich obligatorisch geklettert werden muss.
Dann geht es plattig aber mit Bohrhaken gut abgesichert über den geneigten Pfeiler in die Wand hinein. An die hier unten gebotene Absicherung sollte man sich nicht gewöhnen – sie endet ziemlich genau jetzt. Ich staune nicht schlecht über die weiten Runouts, die Hannah hier im etwas leichteren Gelände auf sich genommen hat. In der etwas unübersichtlichen und plattigen Wand gehen sich kaum gute, mobile Absicherungen aus. Die Kletterei ist zwar keine 6a mehr sondern lehnt sich auf irgendwas im V. Grad zurück, ein paar spannende Stellen sind aber definitiv zu überwinden. Von schmalen Bändern und Absätzen geht es durch recht kompakte, reibungslastige Züge hinauf in einer Tafoni-Einbuchtung. Klare Griffe oder wirklich sichere Ruhepositionen erscheinen mir rar und ich spüre, dass ich mit dem schlampigen Kaltstart und der für mich nicht ganz flowigen Kletterei heute nicht so recht in die Route hineinfinde.
Ich erreiche den Stand in einer kleinen Tafoni-Höhle, wo Hannah an einem Haken und einer Schlinge Stand gemacht hat.
2. Seillänge (V)
Wir wechseln die Führung und für mich geht es mitten rein in die wirre Welt der Tafoni. Wir haben zuletzt gelernt, dass Tafoni-Kletterei ein ziemlicher Selbstläufer ist. Sie mag etwas eigenartig und oft steil bis überhängend sein. Aber sie passiert stets an genialen Henkeln und lässt sich in den zahllosen Sanduhren auch relativ einfach absichern.
Das funktioniert auch ganz gut, bis ich mir etwas zu viel Seilreibung erzeuge und auf den letzten Metern doch noch ganz ordentlich rupfen darf. Die Schattenseite der Tafoni-Kletterei – in der radikal dreidimensionalen Landschaft, lässt sich rasch eine ziemlich heftige Seilreibung erzeugen, weshalb die Absicherung trotz zahlreicher Möglichkeiten relativ dünn oder sehr bewusst gewählt werden sollte.
Die Kletterei ist dafür schön einfach. Es wird überwiegend leicht rechtshaltend hinaufgequert, wobei kurze, steile Aufschwünge an herrlichen Henkeln überwunden werden dürfen. Die Einbuchtung über dem Standplatz gehe ich relativ hart links an und erarbeite mir damit auf leichtem Wege eine gut gangbare Terrasse, auf der ich nach rechts zu einer fixen Schlinge quere. Knapp darüber – am Eck – wartet der einzige Bohrhaken der Seillänge.
Dann geht es kurz steil durch Sanduhren dankbar absicherbares Tafoni-Gelände, bevor eine zweite Einbuchtung diagonal nach rechts gequert wird und man mehr oder weniger selbstverständlich am Standplatz am linken Ende des gewaltigen Quergangs landet. Er wird an einem Haken und einem Köpfl eingerichtet.
3. Seillänge (V)
Der Quergang hält was er verspricht:
Der gegenüberliegende Standplatz am rechten Ausläufer der großen Einbuchtung ist bereits auszumachen. Auf dem Weg dahin müssen über eine Strecke von 45 Metern die bizarrsten Wabenstrukturen durchstiegen werden. Die genaue Wegwahl und Absicherung scheint dabei recht freizügig zu sein. Durch die Einbuchtung ziehen – so scheint es – auch einige Routen von unten nach oben und kreuzen die “U Haddad”. Entsprechend lassen sich auf den ersten Blick auch einige Bohrhaken, Standplätze und fixe Schlingen ausmachen, die aber nicht immer in der Ideallinie unserer Querung liegen. Zumal der Korridor, in dem die Wand nicht zu plattig (Unterseite) oder überhängend (Oberseite) ist, relativ schmal ausfällt. Hannah arbeitet sich überwiegend an selbst gelegten Sanduhrschlingen durch die fotogene und spektakuläre Seillänge.
Obwohl sie den wahrscheinlich einfachsten Weg anstrebt, führt ihr Weg an zwei Stellen durch kurze, griffige aber sehr kräftige Dächer um auf die jeweils nächsthöhere Tafoni-Terasse zu gelangen. Der V. Grad wird auch in der leichtesten Spur erreicht – vermutlich wird man es sich hier aber sogar einen Hauch schwerer machen.
Hannah erreicht den unbequem hohen Standplatz am Ende der Seillänge. Also – man hängt einfach sehr deutlich und am besten per Mastwurf verlängert unter den zwei soliden Bohrhaken – und erreicht seinen Standplatzkonstruktion je nach Körpergröße nur mit Kraftaufwand.
4. Seillänge (6a+, A0)
Auch der sehr hübsche Quergang hat wenig daran geändert, dass ich heute nicht richtig in den Flow komme. Entsprechend hoffnungslos ist die folgende Seillänge. Die je nach Quelle mit 6b+ oder 6c bewertete Crux teilen sich die Routen “Omerta” und “U Haddad”, um danach wieder ihre eigenen Wege zu gehen. Sie ist offenbar auch die einzige derart “einfache” Möglichkeit, um die markante Verwitterungszone in der Wand zu überwinden. Links müsste man lang und anhaltend überhängend klettern. Rechts von uns präsentiert sich ein berauschender Tiefblick und glatter, senkrechter Fels, der die 7c-Route Vecchia Felpa beherbergt. Und genau wo wir stehen, senkt sich ein Stück der oberen Wand bis auf zwei Meter an ein darunter aufragendes Köpfl hinab. Wer sich das nicht bildlich vorstellen kann:
Der Ernst des Lebens kehrt rasch zurück, als ich mich auf das luftige Köpfl stelle und versuche den quasi trittlosen Übergang in den diagonal ansteigenden Riss zu absolvieren. Dieser ist zwar mit engen Hakenabständen allerbesten abgesichert – aber bei Weitem nicht so griffig, wie es zunächst den Eindruck macht. Die Platte, in welcher gleichzeitig Tritte gefunden werden wollen ist extrem glatt und abschüssig.
Ich setze mich immer wieder ins Seil, greife aber in keine Expresschlinge – richtig Klettern kann man das aber sicher nicht mehr nennen. Die nur 10 Meter messende Schlüssellänge entpuppt sich als für mich wirklich hart und spätestens als ich mich am Ende der Rissspur in einer plattigen Delle wiederfinde schwindet die Vorstiegsmoral. Ich nutze einen Hakenrest als Tritt um nach rechts in eine vage Verschneidung und mit zwei kühneren Zügen ins leichtere Gelände zu gelangen. Hannah vermutet im Nachstieg noch, dass man hier vielleicht auch geradeaus hätte aussteigen müssen. Wirklich kletterbar wäre das für mich (uns) aber auch nicht gewesen.
Trotzdem liegt die Stelle dank Haken und der Möglichkeit hier im oberen VI. oder unteren VII. Grad durchzukommen rasch hinter uns und wir sind froh nun erstmal wieder etwas leichteres Gelände aufgetischt zu kriegen. Zumindest spricht das Topo davon.
5. Seillänge (V+)
Hier muss man sich wirklich bemühen, nicht in die Omerta abzubiegen. Sie lädt wirklich dazu ein – mit einem glänzenden Bohrhaken. Wir wissen nur, dass wir uns hier leicht rechts halten müssen und eine “line of weakness” ist auch rasch gefunden. Während direkt über uns Platte und darüber tiefe Tafoni-Löcher warten, führt nach rechts eine Rampe hinauf, die mit einem sehr offensichtlichen und tiefen Kamin kurz über dem Standplatz ansetzt und sehr kletterbar aussieht.
Wie so oft liegen Theorie und Praxis ein wenig auseinander. Speziell hier, sind wir uns aber ziemlich sicher, dass wir nicht in der “line of weakness waren” und uns vermutlich weiter rechts in steile Tafoni-Kletterei hätten stürzen müssen. Das haben wir aber nicht überprüft. Einen Blick um’s Eck wäre es aber vielleicht wert.
Vom Standplatz weg steigt Hannah kurz nach links und dann auf einem Band über mir zurück nach rechts zum Beginn der vagen Rampe. Die ersten, plattigen Meter lassen sich kaum absichern, der solide Bohrhaken neben dem Kamin gehört dann vermutlich zur “Omerta” – leistet uns in unserer Wegwahl aber dennoch gute Dienste. Hannah versucht sich an dem Kamin zwischen der plattigen Wand und einer abstehenden Schuppe. Ziemlich erfolglos. Nicht ganz dein täglicher Selbstläufer im oberen V. Grad. Irgendwann löst sie die Stelle am rechten Pfeiler bzw. außen an der Schuppe und gewinnt darüber ein wenig einfacheres und auch stellenweise wieder absicherbares Gelände. Oben raus findet sich eine fixe Schlinge – das einzige vorhandene und wegweisende Material in der Länge. Den Standplatz in einer weiteren, kleinen Tafoni-Bucht, sieht man dann trotzdem erst, wenn man wirklich vor ihm steht.
Im Nachstieg versuche ich mich auch an dem Kamin und komme mit ziemlich rustikalem Ganzkörpereinsatz durch. Ideal ist diese Variante aber kaum – und für einen Vorstieg geeignet gleich gar nicht. Danach staune ich erneut nicht schlecht über die Seillänge:
Luftig, anhaltend. Ein paar schöne Züge im oberen Teil. Aber auch ein paar sehr weite Runouts und eine mutige Wegwahl ohne genaue Routenkenntnis und wegweisende Absicherung.
Vielleicht bin auch noch etwas ramponiert von der Schlüsselstelle – aber ich empfinde diese Seillänge als eine der anspruchsvollsten.
6. Seillänge (V)
Das kann ich von meiner nächsten Seillänge nicht behaupten. Am linken Rand der Tafoni-Höhle verlasse ich diese mit wenigen Metern gewohnt steiler und begeisternder Bierhenkel-Kraxelei zu einem Bohrhaken, den man lieber in die vorherige Länge geschraubt hätte. Es folgt – zum ersten Mal in dieser ziemlich vertikalen Wand – einfaches Gelände, welches an Gehgelände grenzt. Wichtig ist nur auch hier nicht nach links in die Nachbarroute abzutauchen sondern sich hart nach rechts auf ein breites Band mit einem Bäumchen zu orientieren.
Die Seilschaft, die vor uns eingestiegen ist hat den Ausstieg bereits erreicht und seilt ab, während die ersten Sonnenstrahlen in die Wand treffen. Auch uns trennt nur noch eine lange Seillänge vom letzten Standplatz, an dem wir die Wahl der Qual haben. Direkt gemütlich abseilen oder noch weglos und im ~ IV. Grad den Gipfel der Punta di u Peru erreichen.
7. Seillänge (6a)
Vom Standplatz an zwei soliden Haken bieten sich erneut eine offensichtliche Linie und ein etwas weniger intuitiver Weg an. Und wie zuvor – der offensichtliche Weg ist der falsche. Nach oben (leicht linkshaltend) laden die Bohrhaken der “Vecchia Felpa” zum anklettern ein, die Länge ist allerdings mit 6c+ bewertet. Die leichtere aber mit 45 Metern nochmal ziemlich lange Seillänge unserer Route folgt einer schmalen Rippe nach rechts oben zu sichtbarer Vegetation. Ein Haken ist vom Standplatz auszumachen – allerdings ein gutes Stückchen weiter entfernt als das offensichtliche Material der Nachbarroute.
Hannah steigt vor, nimmt einen erneut recht beträchtlichen Runout zur Kenntnis und verschwindet dann aus meinem Sichtfeld. Einige Minuten später taucht sie viel weiter oben in der Wand wieder auf und sucht den Standplatz, findet ihn und holt mich nach.
Ich hätte diese Länge an diesem Tag und in meiner aktuellen mentalen Form nicht mehr klettern können. Hannah und ich haben bereits festgestellt, dass wir uns in der Verfassung oft gegensätzlich verhalten und immer abwechselnd unsere starken und schwachen Tage haben. Der Durchstieg der wilden “U Haddad” geht dabei definitiv auf Hannah’s Kappe. Und ich fürchte mich auf den letzten Metern ganz ordentlich die Wand hinauf. Erfrischend. Das hatte ich lange nicht mehr.
Die Seillänge führt kurz nach rechts und dann nach links auf eine steile und ausgesetzte Rissverschneidung zu. Auf dem Weg dahin – unter zwei markanten Löchern – kostet mich eine sehr glatte und unübersichtliche Reibungsstelle den letzten Nerv. Hannah hat die Stelle nicht als solche wahrgenommen, für mich war sie der definitive Schlüsselmoment der letzten Seillänge und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich hier mit Blick auf den Abstand zur vorherigen Sicherung nicht hochgekommen wäre. Bereits an diesem Punkt sind ein roter und ein blauer Totem in den Fels gewandert und die Kletterei damit bestimmt noch nicht übertrieben abgesichert.
Danach geht es in eine ideale, steile und anhaltende Rissverschneidung. Im Klettergarten wäre ein solches Stück Fels eine absolute Traumtour. Hier ist sie Anlass ein paar mehr Friends am Gurt zu tragen und auf den letzten Metern nochmal ordentlich zu steigen. Hat man hier – anders als ich – noch Nerven, Lust und Laune dürfte das aber eine brachial schöne Seillänge sein. Die Verschneidung wird nach oben hin etwas leichter und wird überwiegend in Gegendrucktechnik geklettert. Einen #2 und #0.4 BD bekommt Hannah hier noch untergebracht und verstärkt damit die sehr zweifelhaften Schlingen vor Ort. Am Ende der Verschneidung wird diese bei einem Tafoni sehr scharf nach links zu einem Bohrhaken verlassen, welcher dann zum Abseilstand an einem Band führt.
Abstieg
Wir entscheiden uns für die direkte Abseilfahrt und verzichten auf den Gipfel. In drei langen Abseilern geht es der “Omerta” folgend wieder hinab. Dabei bekommt man nochmal einen guten Eindruck dafür, wie absurd steil die eben erkletterte Wand mit etwas Abstand zu ihren Strukturen, Höhlen und Rampen eigentlich ist. Der Tiefblick auf die Baumwipfel und der Fernblick in die umliegenden Gipfel der Bavella sind ein Traum.
Beim letzten Abseiler, welcher kurz über der Schlüsselstelle ansetzt ist es lediglich wichtig, die richtige Seite des hier aus der Wand tretenden Grates zu erwischen. Mit 60 Meter Doppelseilen schaffen wir es aber gut auf den Boden. Mit Blick ins Tal möchte man hier die rechte Seite des plattigen Pfeilers anpeilen und damit in einer bewaldeten Rinne landen, aus welcher die “Omerta” unter dem wilden Tafoni-Dach startet.
Ohne der Wand ihre Schönheit oder ihre Genüsslichkeit absprechen zu wollen – ich bin heute einigermaßen froh, als ich wieder Boden unter den Füßen habe. Wir folgen den Steinmännern über einige leichte Stufen in der Rinne hinab zum wenige Höhenmeter tiefer liegenden Einstieg der “U Haddad” und von dort auf bekannten Wegen durch das kleine Bachbett zurück auf den Trampelpfad.
Naja und die Sache mit der Haarnadelkurve klärt sich dann auch noch auf. Am Ende des Bachbetts folgen wir dem Pfad, welcher hier recht konsequent und bei gleichbleibender Höhe nach Westen quert und dann ganz entspannt auf die Forststraße trifft. Wir waren einfach zu ungeduldig. Ob wir es jemals lernen werden?
Am Rückweg nehmen wir ein eiskaltes Gumpenbad mit und peilen dann den Col de Bavella an. Wir haben für den Folgetag noch eine letzte, lange Tour in diesem tollen Tal auf dem Zettel. Wenn auch nicht mehr ganz so schwierig.
Schwierigkeit, Versicherung und Material
Ein ziemlich lässiger und kühner Wanddurchstieg, der aber bestimmt nicht jedem gefallen wird. Der wahrscheinlich leichteste Weg durch die wilde Wand leidet ein wenig unter seiner nicht ganz intuitiven Wegführung. Für uns hat das definitiv gepasst aber oft lächeln einen die direkteren und etwas schwereren Linien von “Omerta” und “Vecchia Felpa” doch sehr an und man fragt sich stellenweise kurz, warum man sich stattdessen ohne nennenswerte Absicherung in ebenfalls nicht triviale Kletterei begeben hat. Die Schwierigkeiten passen, die Crux fällt nach meinem Gefühl recht hart aus, von den beiden 6a Längen ist die obere definitiv die anspruchsvollere. Wirklich leicht sind nur die 2. und 6. Seillänge, drumherum hat auch der V. Grad mangels klarer Wegführung und Absicherung durchaus seinen Anspruch und man wird je nach individueller Wegwahl auch schnell mal im VI. Grad landen. Die Absicherung, Absicherbarkeit und Qualität variiert über die Führe hinweg relativ stark – mir kam die Route in Summe dann doch relativ ernst vor. Gut – sie ist auch mit “TD” bewertet. Rückzüge wären allerdings fast immer und unproblematisch möglich.
Die Stände sind stets gut, oft an zwei Bohrhaken oder an einem Bohrhaken und einer oder mehreren soliden Schlingen. Die Abseilstände sind perfekt. Dazwischen wenig und recht inhomogen verteiltes Material. Die wenigen Bohrhaken in der Route (die auch wirklich zu dieser gehören) sind abseits der Crux an etwas eigenartigen Stellen gesetzt und oft bereits im leichten Gelände bzw. erst weit über heiklerer Kletterei anzutreffen. Dazwischen arbeitet man fast ausnahmslos mit (Tafoni-)Schlingen. Ein kleines Sortiment Friends sollte aber speziell für die letzte Seillänge dabei sein, wenn man nicht deutlich über dem geforderten Schwierigkeitsgrad klettert und gleichzeitig keine Lust auf Runouts über sehr morschen, dünnen Schlingen hat.
60 Meter Doppelseile, Friends (kompletter oder leicht reduzierter Satz) und einige Tafoni-Schlingen (ca. 60cm verknotete 6mm Hard-Line) waren für uns die Mittel der Wahl.
Zusammenfassung
Unser steilster und schärfster Tag in der dreidimensionalen Tafoni-Welt der Bavella-Gruppe – an dem ich nicht ganz sagen kann, warum ich nicht so viel Freude hatte. Hannah fand die Tour wunderschön und ich muss im Rückblick auch anerkennen, dass der überwiegende Teil der gebotenen Seillängen eine absolute Wucht waren und ich einfach nicht in bester Form und bester Verfassung eingestiegen bin.