Da wir vor unserem Hochtourenkurs am Dachstein noch ein paar Tage Bergabenteuer anhängen wollten, wanderte auch das Kletterzeug in den Kofferraum, der sich dann mitsamt Auto und uns Richtung Salzburg bewegte. Das erste Ziel war der Pidinger Klettersteig, der bei bestem Wetter äußerst schnell und schön über die Bühne ging. Für das dann folgende Wochenende hatten wir dann verschiedene Mehrseillängen im Blick: das Endziel sollte die Südwand des Werfener Hochthrons werden. Und davor noch ganz entspannt was Kleines. Zum Glück. Denn am Folgetag würden wir nach einem brutal frühen Start, ein Grenzerfahrung in Sachen Elektromobilität und 1000 Höhenmetern Zustieg am Werfener Hochthron feststellen, dass Tami ihre Kletterschuhe auf dem Balkon vergessen hat. So ist der alte Weg am Donnerkogel die einzige Kletterei des Wochenendes – was im Nachhinein betrachtet vielleicht auch besser war. Eine durchaus überraschende und etwas eigenartige Tour auf 6 Seillängen durch die 200 Meter hohe Westwand am Donnerkogel.
Irgendwie war ich also mal wieder im Internet falsch abgebogen und über diese Tour gestolpert, hatte sie aber direkt etwas auf die Resterampe gestellt. Sah schon irgendwie ganz interessant aus. Eine leichte aber mutmaßlich vegetationsreiche Kletterei über ein Pfeilersystem nur wenige Meter neben der auf Instagram fast schon legendären Himmelsleiter am Großen Donnerkogel. Mittlere Absicherung – was auch immer das heißen soll, in der Topo sind doch Haken eingemalt – und teilweise etwas kryptische Wegbeschreibungen. Nicht ganz überzeugend.
Nun hatten wir aber einen sonnigen Samstag vor unserem Hochtourenkurs am Dachstein zur Verfügung und wollten es vor den 11 Seillängen am Hochthron und nach dem Pidinger Klettersteig etwas entspannter angehen lassen. Also doch den Donnerkogel aus dem Mülleimer holen, einmal kurz abstauben, die Seilbahn mit ins Gesamtkonzept “chilliger Klettertag” integrieren und zack feddich. Tagesprogramm. Optimistisch wie wir waren, haben wir uns direkt eine Berg- und Talfahrt gekauft. Wir würden es ja leicht innerhalb der Öffnungszeiten wieder zurück schaffen.
Zustieg
Nach einem kurzen Blick über den gut besuchten und tatsächlich ganz hübschen Gosausee schummeln wir uns die 600 Höhenmeter mit der Gosaukammbahn in die Höhe. Von dort sind es nochmal 350 Höhenmeter auf leichten und gut besuchten Wegen um den kleinen Donnerkogel herum und unter die Westwände des Gr. Donnerkogels. Bereits hier wird man mit einer Vielzahl von Eindrücken bombardiert: der schöne Blick in die hohen Tauern, das ständige Klimpern aus dem Klettersteig die offensichtliche Überforderung bei kleinsten Ier Stufen ohne Drahtseil.
Ich möchte mich gar nicht aus dem Fenster lehnen, da auch ich gerne mal Klettersteige gehe, wir erst am Vortag genau so unterwegs waren und überhaupt vor einem Jahr niemals unserer kleine Mehrseillänge als Option in Betracht gezogen hätten. Aber gerade hier, gerade jetzt, gerade an einem sonnigen Samstag spielte der Klettersteig am Donnerkogel schon alle Karten aus, die ein negatives Bild von Klettersteigen und ihren Besuchern vermitteln könnten. Wir fühlen uns – obgleich wir selbst keine Ahnung haben was wir da eigentlich tun – zwischen den stolpernden & bis an die Zähne mit Equipment bewaffneten Klettersteigern etwas fehl am Platz.
Fehl am Platz war auch meine Interpretation des Zustiegs ab Verlassen des Normalwegs auf den gr. Donnerkogel. Tatsächlich läuft man nämlich, wenn man den angenehmen und wie sich später herausstellt auch offiziellen Weg nehmen möchte, ein gutes(!) Stück an der Wand und der schon aus der Ferne erkennbaren Kletterroute vorbei. Bis der Normalweg zum Donnerkogel auf Wandhöhe ums Eck geht. Hier zweigt nach links ein kleiner Pfad ab und man hält sich ohne Höhenverlust angenehm am Wandfuss wieder zurück zur Route. Dieser Pfad ist auch der Notabstieg aus dem Donnerkogel-Klettersteig. Wir hingegen steigen, getrieben von meinem Tatendrang, ein erdiges, steiles Schotterfeld direkt zum Einsteig und sparen uns damit 500 Meter Fußweg aber eben auch Nerven & entspanntes Gelände. Grundsätzlich nie ein guter Deal.
1. Seillänge (IV-)
Die erste Seillänge beginnt im Schatten des Pfeilers, der Name der Tour ist hier rot angeschrieben und den ersten Bohrhaken in etwa 10 Metern Höhe kann man auch schon erspähen. Die Wegfindung, immer entlang der Kante ist auch offensichtlich und so starte ich, nachdem wir unser Material an unseren Gürteln verteilt haben motiviert in die erste Seillänge meiner zweiten alpinen Mehrseillänge überhaupt ein. Und kriege rasch einen Dämpfer.
Unsere erste – zugegeben wenig ruhmreiche – aber trotz mangelnder Erfahrung auch wenig heikle Tour war das Geheimnis der Gallier am Karkopf. Eine sehr flache und für den teilweise auch nur II. oder III. Grat bei minimaler Exposition maximal abgesicherte “Übungstour für die ganze Familie”.
Hier nun also die eigentlich logische Lektion, dass der Hakenabstand eine größere Rolle spielt, als zunächst vermutet. Vor allem wenn es etwas luftiger zur Sache geht. Die losen Griffe und etwas wackeligen Graspolster dazwischen machen die erste und mit 45 Metern für mich auch ziemlich lange Seillänge durchaus spannend. Die zwei in der Topo eingezeichneten Sanduhren sind dank Seil leicht zu finden, ich stelle mich aber trotzdem ziemlich an noch zusätzlich meine Schlingen mit dazu zu fädeln und achte auch nicht auf einen guten oder sicheren Stand mit den Füßen. Insgesamt also alles etwas hektisch und im Nachhinein unsauber geklettert – da ich den abverlangten Grad (eine IV-) aber mit ausreichend Puffer beherrsche, komme ich ohne nennenswerte Krisen an dem gebohrten und sehr angenehmen ersten Standplatz auf einem Absatz rechts der Kante an. Die Krisen kommen jetzt.
Gut man hätte nach 45 Klettermetern und dem Schritt um’s Eck damit rechnen können, dass Kommunikation ein Problem wird. Aber gleich so?
Ich höre absolut nichts von Tami. Ist sie schon fertig und wartet auf ein “Nachkommen” von mir? Das hat sie aber schon 10x bekommen. Mittlerweile weiß der ganze Donnerkogel-Klettersteig gegenüber Bescheid und kommt nach. Irgendwas unverständliches von unten. Griff zum Telefon – hier hat man immerhin allerbesten Empfang – und es wird nicht der letzte gewesen sein. Stellt sich heraus, dass ich etwas zu optimistisch mit dem Seil nachholen war und Tami das Seil zum einbinden weggezogen habe. Wir haben uns nämlich aus der Erfahrung eines ziemlichen Seilchaos am Karkopf dazu entschieden, dass wir die erste Seillänge mit Körpersicherung machen und Tami sich dann erst zum Nachkommen einbindet. Wir kriegen das also alles geklärt und ich bin froh, dass wir beide Kommunikationsprobleme vs. der Seilpartner ist ein Depp scharf trennen können. Das vernichtende Urteil zur Kletterei fällt dann aber sehr ähnlich aus.
Seh ich nämlich auch so. Das waren aber auch noch schöne Zeiten, als Tami ähnliches Gelände als anspruchsvoll und ausgesetzt empfunden hat. Mittlerweile wäre sie noch nichtmal warmgeklettert und ich müsste bereits Traumabewältigung in Form eines Blogs betreiben.
2. Seillänge (IV)
Wir bauen um und Tami steigt vor. Die nächste Seillänge ist mit einer glatten IV bewertet und die Schlüsselstelle der Tour. Die Wegfindung ist gar nicht mehr so trivial und es dauert lange, bis ich unter einem kleinen Überhang / Vorsprung 20 Meter über uns einen Bohrhaken erkenne. Es geht also zunächst einfach einige Meter über eine etwas grasige Rampe bevor man ein kurzes Stück absteigt und an die gegenüberliegende Wand quert. Hier verstecken sich auch noch weitere Haken, die man vom Standplatz nicht gesehen hat. Und auch hier sind die größten Herausforderungen eher botanischer Natur. Durch die weichen, losen Mooskissen und erdigen Stufen muss man durchaus konzentriert treten. Zwischen einigen Latschen hindurch geht es wieder an die steile und glatte Wand. Ein ziemliches Kontrastprogramm.
Ich empfinde die Meter unter dem Überhang als deutlich schwieriger – der Überhang selbst lässt sich schön aber etwas exponiert über die rechte Kante klettern und ist mit dem direkt darunter liegenden Bohrhaken auch bestens abgesichert. Einen oder zwei etwas kräftigere Züge später steht man auch schon am nächsten Standplatz. Generell sei hier zu erwähnen, dass die Standplätze und Zwischensicherungen für einen alten Weg ziemlich neu und hübsch sind. Klar besser geht immer, aber wir finden eigentlich überall zwei solide, unverbundene Bohrhaken vor.
Dieser Standplatz ist dem vorherigen ansonsten erschreckend ähnlich. Man steht immer noch zwischen festen, weißen Kalkplatten mit einigen grasigen Stufen. Man befindet sich immer noch am Pfeiler, der sich aber zunehmend zusammenzieht.
3. Seillänge (III-)
Die nächste und dritte Seillänge durchbricht dieses Muster. Es ist kein weiterer Bohrhaken zu sehen, es gibt aber eigentlich auch nur eine logische Richtung: durch leichtes Gelände gerade hinauf. Rechts und links ist immer weniger Platz und Auswahl, der Fels ist hier aber sehr gutmütig und gestuft. Die Seillänge ist auch nur mit III- und II bewertet. Deshalb auch nur ein Bohrhaken irgendwo in der Mitte.
Dass man sich davon nicht zu schnell täuschen lassen sollte merke ich, als ich am Ende des Pfeilers angekommen bin und es vor mir nicht mehr höher geht. Rechts, links und hinter mir pfeift es gute 100 Meter in die Tiefe und der einzige Weiterweg ist ein, an der schmalsten Stelle keinen Meter breiter, kurzer Verbindungsgrat. Immer noch keine Sicherung. Wie eine schmale Brücke zieht sich der Grat hier von dem Pfeiler an dem wir bisher geklettert waren zurück an die Hauptwand. Gegenüber, zum Greifen nah und auf Augenhöhe, sehe ich schon den nächsten Standplatz auf einem breiten Absatz. Dort hat man keinen Stress mehr. Hier schon.
Gerade mit der Tatsache im Hinterkopf, dass wir durchaus schon einige lockere und sehr lockere Felsen gefunden haben ist dieses mutmaßlich leichte Gelände dann doch recht abenteuerlich. Der Bohrhaken ist übrigens auf der Rückseite eines Felsblocks. Er fällt einem erst auf, wenn man fast an ihm vorbei ist. Am höchsten Punkt stehend, habe ich mich innerlich schon darauf eingestellt, den Haken irgendwo verpasst zu haben. Und die Seillänge ohne sinnvolle Zwischensicherung zu gehen. Umso mehr freue ich mich, als ich ihn doch noch entdecke. Nach wenigen Metern sehr bedachter Gratkletterei hänge ich mich am Stand ein und hole Tami nach. Vom Stand aus gesehen ist der kleine Grat übrigens unfassbar fotogen. Tami natürlich auch.
Nach diesem Traum von Fotospot und Chillout-Area von Standplatz habe ich die Kamera nicht mehr rausgeholt. Zum einen weil wir zeitlich doch nicht so gut unterwegs waren wie ursprünglich gedacht und wir noch die leise Hoffnung hatten unser bereits gekauftes Ticket für die Talfahrt verwenden zu können. Zum anderen weil die folgenden Seillängen von den ersten drei in Sinnhaftigkeit und Klettergenuss deutlich übertrumpft werden.
4. Seillänge (III)
Tami steigt wieder vor. Die 4. Seillänge beginnt zwar direkt hinter dem Stand mit einem kurzen, steilen und ausnahmsweise bombenfesten Wandstück (III), löst sich dann aber in einen unübersichtlichen Latschendschungel auf. Wir müssen wieder telefonieren und gemeinsam die Topo diskutieren, bis Tami den Stand entdeckt. Um zu ihm zu gelangen, quert man eine breite, zugewucherte Rinne und klettert kurzweilig wirklich mehr an Holz als an Fels. Die bei unserer Begehung mit einem orangenen Seil gefädelte Sanduhr rechts oben gehört nicht zu der Route. Sie hat uns zwar zunächst zum Stand gelockt, mich dann in der 5. Seillänge aber dazu verleitet einen äußerst bescheidenen Seilverlauf in Kauf zu nehmen.
5. Seillänge (I-II)
Tatsächlich darf man hier nämlich sämtliche Felsaufbauten getrost ignorieren und stattdessen weit ausholend nach links in (diesmal wirklich) leichtem Gelände aufsteigen. Die Bewertung II ist beinahe übertrieben – Gehgelände & Schrofen trifft es besser. Man findet trotzdem zwei Bohrhaken. Der Weg will hier auch erst gefunden werden. Das Gelände ist zu einfach und weit um eine wirklich logische, leichte Linie zu offenbaren. Man läuft hier im wesentlichen auf einer Wiese den Berg hinauf und soll aber trotzdem einen Standplatz finden. Dieser befindet sich nach 30 Metern rechts in einer Niesche zwischen zwei Felsaufbauten. Lustigerweise habe ich hier erneut die Sanduhr in der linken Wand zuerst entdeckt und bin erst auf dem Weg zu dieser über den Standplatz gestolpert. Huch. Nehm ich.
6. Seillänge (III+)
Hier folgt ein letzter, plattiger Aufschwung (III+), den ich nochmal als sehr schön in Erinnerung habe. Leider ist der Spaß auch nach wenigen Metern wieder vorbei und man landet am letzten Standplatz. Wir packen die Seile weg und freuen uns auf “in 10 Minuten zum Gipfel, max. II”. Und tappen in die selbe Falle wie in der dritten Seillänge.
Abstieg
Ohne die Tour dramatischer klingen zu lassen als sie war – es handelt sich um eine leichte Kletterroute – aber die nächsten Meter hatten es schon nochmal in sich. Ob da nicht Seillängen weiter unten eher die Aufschrift “in 2 Minuten zum Stand gehen” verdient hätten? Wir beherrschen das Gelände zwar – wer aber eine exponierte II – III nicht absolut fehlerfrei klettert, wird hier nochmal ein kleines Finale erleben. Wir schieben uns mit den schweren Rucksäcken in einige kleine Verschneidungen, überklettern ein paar ausgesetzte Grattürmchen. Und prüfen viele Felsen und Wurzeln auf ihre Festigkeit, bevor es zum Gipfel hin dann wirklich leichter wird.
In einer Masse aus schwirrenden Drohnen und begeisterten Klettersteiglern bleiben wir nicht lange am Gipfel – wir hatten einige Stunden in einer komplett einsamen und schönen Kletterei und würden den gegenüberliegenden Hallstädter Gletscher und das Dachsteinmassiv morgen aus der Nähe sehen. Im Abstieg wird klar, dass wir mit 30 Minuten zur letzten Gondel nicht hinkommen und wir wechseln vom anfänglichen Sprint in ein angenehmes Tempo, stranden auf eine Runde Käsespätzle an der Gablonzer Hütte und flitzen im langsam einsetzenden Abendlicht zurück zum Gosausee. Und dann wesentlich weniger dynamisch mit den letzten Prozenten Akkuladung zu einer Wald- und Wiesenladesäule. Aber das ist eine andere Geschichte.
Schwierigkeit, Material und Versicherung
Das fixe Material ist gut, die Stände gebohrt und in Ordnung. So richtig alt sieht hier nichts aus. Ich schreibe hier viel aus der Perspektive von Anfängern, die zwar auf dem Papier schon ein bisschen was klettern können aber im Fels und Alpin kaum Erfahrung haben. Denn das waren wir zu dem Zeitpunkt. Ich glaube, dass es gerade in dieser Position viel verlockender ist in eine leichte Route einzusteigen als eine schwerere aber gut versicherte Sportkletterlinie zu wählen.
Die Abstände sind also stellenweise durchaus alpin gewählt, in dem eigentlich leichten Gelände ist das aber auch in Ordnung. Es lassen sich ja auch noch ein paar Sanduhren finden. Der Schwierigkeitsgrad sollte speziell in dieser Tour – so zumindest mein Geschmack – durchaus beherrscht werden. Ansonsten findet man sich nämlich schnell in einer unübersichtlichen Landschaft bei kniffligerer Routenführung und dünner Absicherung wieder. Durch die viele Seilreibung und experimentellere Wegwahl halte ich an vielen Ecken einen Sturz für viel problematischer als in einer steilen, “schweren” Wand. Am Ende der Tour sollten noch einige Reserven für die kurze Gratkraxelei zum Gipfel übrig sein, eine sinnvolle Abseilpiste gibt es nicht und an ein paar Stellen ist nochmal einiges an Trittsicherheit gefragt. Wir waren mit 60m Doppelseil, einigen Exen und Schlingen unterwegs.
Zusammenfassung
Muss ich nicht nochmal machen – an dem Tag aber eine super Route und entgegen unserer Erwartung recht fordernd gewesen. Mal psychisch, mal navigatorisch, mal klettertechnisch – die Seillängen könnten unterschiedlicher nicht sein. Am Ende des Tages hat man mit relativ wenig tatsächlicher Kletterei aber viel spannendem Gelände eine abenteuerliche kleine Linie auf einen weniger abenteuerlichen Berg gewählt.