Kletterblog & Berggeschichten
Daniel (2342m) & Upsspitze (2332m) – Hike & Fly
Daniel (2342m) & Upsspitze (2332m) – Hike & Fly

Daniel (2342m) & Upsspitze (2332m) – Hike & Fly

Mal ehrlich. Wenn ich irgendwelchen generisch-moosigen Schlabber-Wander-Wald fotografiere steht es wirklich schlecht um mich, die Aussicht und die Tour.

Ist aber so passiert!

Eine ATEMBERAUBENDE Wegführung

Und eigentlich hätte dieser Tag ohnehin ganz anders laufen sollen. Das sagt man meist, wenn etwas Gutes, Schönes und Geplantes nicht funktioniert hat. Ich sage es heute genau aus der gänzlich gegenläufigen Perspektive. Geplant war etwas eher Zweckmäßiges und Simples, bekommen habe ich ein Meer an Emotionen und ein paar Stunden in Trance.

Plan A

Angesagt war, dass sich der Bodennebel, welcher im Oktober oft den morgendlichen Himmel verdeckt, rasch auflöst. Ein wenig zäher soll es am Alpennordrand zur Sache gehen – aber inneralpin? Sonne pur.

Auch wenn Lermoos jetzt vielleicht noch nicht die Definition einer inneralpinen Region ist, bin ich doch recht enttäuscht als ich um 10:00 vormittags in einer undurchdringlichen, nasskalten Brühe an der Talstation der Grubigsteinbahn stehe. Eigentlich wollte ich fliegen gehen. Ganz stumpf. Mit Gondel. Wie so ein richtiger Gleitschirmflieger. Man verzeihe mir hartnäckige Vorurteile. Einfach mal ein bisschen herbstliche Abgleiter-Airtime in einem schönen Gebiet sammeln, in dem ich ohnehin schon mal geflogen bin. Beim Blick auf die Windrichtung und Webcam am Gipfel des Grubigsteins denk ich mir:

Manchmal kann man auch einfach im Bett bleiben

Generisch-moosiger Schlabber-Wander-Wald
Plan B

Plan B(ett) hätte also konsequenterweise wieder unter die weniger graue, weniger kalte und weniger nasse Decke führen können. Stattdessen überquere ich ohne richtig so richtig nachzudenken die Straße und steige zum Panoramabad auf. Das ist es zwar nass. Aber nicht kalt. Tatsächlich ist es aber ohnehin nicht mein Ziel. Erst als ich auf dem kleinen, steilen Steig in Richtung Tuftlalm ins Schwitzen gerate, fällt mir auf wie unbeholfen mein trotziger Ausweichmarsch eigentlich ist.

Ich habe auf dem Rücken einen dicken Rucksack mit einem Gleitschirm, den ich wohl kaum verwenden werde und der für Gondel-Genuss-Fliegerei gepackt ist. Was fehlt ist so ziemlich Alles, was für einen 1400 Höhenmeter Marsch nett wäre. Etwa Stöcke. Oder die Kniebandage, die ich im Jahr 2025 für Abstiege brauche, da ich mich sonst relativ rasch in einen Zustand der absoluten Imobilität wandere. Ich habe nichtmal ein Wasser dabei. Das liegt im Auto – man kann ja zwischen den Flügen kurz tanken.

Ups

Am Grünen Ups – bei brachialer Aussicht

Ich trotte am Kohlberg vorbei. Ich überlege, ob man mal auf der kleinen Erhebung im Wald stehen müsste. Man könnte sie dann ins Gipfelbuch schreiben. Neee. Ich husche an der Tuftlalm vorbei, die heute still und wenig einladend im Nebel liegt. Forststraße, Steiglein. Mir kommt eine kleine Gruppe entgegen, die weiter oben umgedreht ist. Es mache nicht auf – keine Chance. Einem argwöhnischen Blick auf meinen Rucksack folgt die Frage, ob ich biwakieren will. Als ich von meiner Abstiegshilfe erzähle, wird der Blick neugierig und wandert rasch fragend in den weiterhin undurchbrochenen Nebel.

Viel Glück!

Grüner Ups (1852m)

Als ich auf den steilen Steig abbiege, der vom Grünen Ups zur Upsspitze hinaufzieht ist meine Motivation so gering wie selten. Ich bin nicht richtig in Form. Der Sommer war oft statischer unterwegs, die Knieverletzung hat kaum richtige Konditionstouren zugelassen. Angesichts einiger Klettereien ist das immer noch Meckern auf hohem Niveau – aber ich vermisse die Tage an denen ich aus Spaß „mal kurz“ nach der Arbeit auf den Daniel gesprungen bin. Vom Gipfel trennen mich immer noch 500 Höhenmeter. Das ist eigentlich nochmal eine Tour für sich. Vielleicht doch einfach Plan Bett.

Plötzlich wach.

Innerhalb zweier Serpentinen wird es erst gleißend hell und dann schält sich ein wolkenloser, blauer Himmel aus dem Dunst heraus. Die Temperatur springt um gefühlte 10 Grad in die Höhe und folgt dabei meiner Laune. Mehr Leistung bringe ich zwar nicht mehr auf den steilen Steig – aber für mich steht nun fest, dass ich zunächst der Upsspitze und dann dem unwesentlich höheren Daniel einen Besuch abstatten werde. Den Startplatz unterhalb der Upsspitze ignoriere ich erstmal gekonnt – der ist ein Problem für Irgendwann. Frühestens für den Abstieg. Denn mit der geschlossenen Nebeldecke wird’s ohnehin nichts mit der Abstiegshilfe.

Upsspitze (2332m)

Nach wenigen, felsigen Höhenmetern und einem heute durch fluffige Wolken gemilderten Tiefblick in die imposanten Nordabstürze des Danielkamms ist der Gipfel schon erreicht. Gegenüber, nur wenige Meter höher, ragt die hübsche Gipfelpyramide des Daniels aus dem weißen Meer. Dahinter bauen sich Wettersteinmassiv und Zugspitze auf. Ich ahne noch nicht, was ich übermorgen in ihrer Nordwandführe Eisenzeit erleben werde. Aber da ist eine andere Geschichte.

Der elegante Annika-Grat zum Daniel, dahinter die Zugspitze

Daniel (2342m)

Ich quere rüber zum Daniel – wo ich erstmals auf richtig viele andere Bergsteiger treffe, die den etwas direkteren Anstieg von der Tuftlalm genommen haben. Mir ist es ein wenig zu stressig und voll am Gipfel – und mit meinem riesigen Rucksack fühle ich mich ohnehin ein wenig deplatziert. Fast, als hätte ich etwas zu verbergen. So nervös war ich auf dem Daniel – eigentlich eine klassische Feierabendtour – noch nie. Ich marschiere wieder rüber zur Upsspitze, überschreite deren Gipfel nochmal und lege mich am offiziellen Startplatz in das herbstlich-goldene Gras. Als ich die Augen wieder auf mache, ist die Nebeldecke von Reutte her markant eingerissen. Ein Keil der Sicht treibt ins Tal, die Nebeldecke zerreißt in kleine Fetzen und Türmchen. Ich fummel das kleine, blaue Flatterband heraus und halte es in den Wind. Stark ist er nicht – aber die Richtung passt nicht ganz. Ein bisschen zu sehr West. Der Startplatz ist eher nach Süden und Südwesten gedreht – lässt aber keinen richtigen Lauf nach Westen zu. Aber – alle paar Minuten zupfen kleine Ablösungen aus der nun sonnengerösteten Südflanke der Upsspitze empor und drehen das Flatterband in eine günstigere Richtung. Tendenz steigend. Und schon wird der Rucksack neben mir zur tickenden Zeitbombe:

So weit hatte ich gar nicht gedacht

Startvorbereitung

Es fühlt sich surreal an, den Rucksack hier oben so alleine auszupacken. Auch wenn diesen Sommer schon einige Flüge in nicht immer trivialen Gebieten zusammengekommen sind – so alleine und isoliert stand ich mit meinem Schirm noch nie in der Landschaft. Auch wenn ich wenige Male „allein“ zum Fliegen gegangen bin – so waren doch stets Piloten und Trubel an Start- und Landeplatz. Heute muss ich zum ersten Mal völlig für mich Entscheidungen treffen. Etwa die Entscheidung für einen Startversuch. Die Entscheidung über den geeigneten Platz zum Auslegen. Die Entscheidung darüber, ob die Abweichung der Windrichtung vom Ideal vertretbar ist. Die mentale Last all dieser Punkte, die sonst immer auf irgendeine Form von Gruppendynamik abgewälzt wird, habe ich unterschätzt.

Zunächst lege ich den Schirm sehr weit oben am Grat aus. Über dem Pfad. Dies vor allem in dem Glauben, dass mir das mehr Platz und Zeit für einen Startlauf geben würde. Die vielen Felsblöcke machen das Auslegen zur Fleißarbeit, als ich mir und dem Schirm einen Ruck gebe kommt er ziemlich schief hoch. Zu schief, als dass ich mir zutrauen würde ihn zu korrigieren.

Abbruch.

Ich steige ein paar Meter ab und lege den Schirm erneut aus. Diesmal unter dem Pfad. Weniger Felsen, hübschere Wiese, weniger Strecke zum Rennen. Aber einen Versuch wert. Zwei weitere Male breche ich den Start ab und lege den Schirm erneut aus. Der Mut und die Motivation schwinden – vielleicht passen der Wind und meine Verfassung doch nicht zusammen? Denn es sind weniger die äußeren Umstände, die mich wieder und wieder abbrechen lassen – mit fehlt vor allem der Funken Selbstbewusstsein um einen wirklich scharfen Startlauf zu unternehmen. Ein letzter Versuch.

Als ich gerade starten will, kommt ein Wanderer daher. Bisher hatte ich bei meinen Versuchen den Luxus absoluter Ruhe. Jetzt also auch noch mit Vorführeffekt? Optimistisch wie ich bin, kommentiere ich mich selbst mit einem „wird eh wieder Nichts“. Er so – „will ich trotzdem sehen“.

Also alles nochmal. Ruck geben. Schirm gerade? Kontrollblick. Immer noch gerade. Ein paar Schritte in die steile Wiese machen. Schirm trägt? Stolpermulde ausweichen. Und schon entfernt sich die steile Schrofenflanke unter meinen Füßen – ruhig und lautlos gleite ich hinaus in die grelle Herbstsonne und die filigranen Nebelfetzen.

Die Luft ist unglaublich ruhig. Ich hatte mich auf vieles eingestellt – aber nicht auf einen so ruhigen und stillen Flug. Den kleinen Wolkenturm vor der Upsspitze umrunde ich mit ausreichend Abstand, das Tal liegt frei und klar unter mir. Den Landeplatz in Lermoos kenne ich bereits – er wird bei diesen Verhältnissen überhaupt kein Problem sein. Einen Moment habe ich einen Kloß im Hals. Da träumt der Mensch seit jeher vom Fliegen – frei, eigenständig und leicht – und wir leben zufällig genau in der Zeit und Region, in der das einfach so geht. Privileg wäre eine Untertreibung.

Inversion, verschwindende Nebelreste und ruhige Luft

Ich fliege eine Zeit lang an den Flanken des Grünen Ups entlang und quere dann noch kurz rüber zum Grubigstein. Die Luft bleibt durch alle Lagen hindurch und auch unter der Inversion ruhig – mein Schirm reagiert direkt, ruhig und sanft auf jede Gewichtsverlagerung. Die vom etwas impulsiven Aufstieg müden Beine baumeln in der Luft. Das Talwindsystem, das hier an schönen Tagen zur Mittagsstunde mit ordentlicher Wucht anspringt schläft heute komplett.

Bei Nullwind dreh ich meinen letzten Kreis über den Dächern von Lermoos und lande am offiziellen Landeplatz neben der Grubigsteinbahn. In andächtiger Stille packe ich meinen Schirm zusammen. Der Tag war überraschend intensiv. Ein Teil von mir tut sich schwer damit, das Erlebte überhaupt einzuordnen. Durch die Stille und Einsamkeit auf der Upsspitze bin ich da oben in eine Art Trance verfallen. 15 Minuten später am Talboden, fällt es schwer an die Gedanken und Gefühle zwischen den Startabbrüchen und Überlegungen anzuknüpfen. Und der euphorische Flug steht ohnehin wie eine Mauer zwischen dem sonnigen Jetzt in Lermoos und dem tristen Grau auf dem Weg zur Upsspitze.


Schwierigkeit, Versicherung und Material

Normal kommt hier ja ganz viel Blahblah zur Absicherung einer Klettertour. Heute liegt der Fokus natürlich ein bisschen mehr auf den fliegerischen Aspekten.

Die Tour zur Upsspitze und zum Daniel ist eine beliebte und recht einfache Wanderung, bei der aber schon ein paar Höhenmeter zusammen kommen. Der Anstieg über den Grünen Ups ist definitiv keine allzu empfehlenswerte Variation im Aufstieg, ich finde den direkten Weg zum Daniel von der Tuftlalm wesentlich schöner und lohnender. Der Grat zum Daniel ist einigermaßen ausgesetzt aber gut markiert und bei trockenen Verhältnissen gut zu gehen – irgendwas in Richtung T3/T4 halt.

Der Startplatz an der Upsspitze ist bei gutem Wind bestimmt relativ einfach und wir einem erfahrenen Piloten (wie ich es definitiv noch nicht bin) nicht allzu viel abverlangen. In Burnair ist er immerhin als „Schwer“ kategorisiert. Das wird vor allem daran liegen, dass die Startwiese relativ kurz ist und in steile Schrofen abbricht. Es ist auch nicht so eben und hindernisfrei, wie man sich das vorstellen würde. Einige Hügel, Mulden, Felsen und Stufen erschweren einen Startlauf – bei zu wenig Wind oder ungünstiger Richtung wird’s bestimmt rasch heikel. Ein wirklich beherzter Lauf ist (sofern notwendig) fast nur nach Süden sicher möglich, möchte man nach Südwest bis West starten ist das zwar theoretisch möglich – ein Hügel verkürzt die nutzbare Strecke aber deutlich und rechterhand lauert eine ernste Nordflanke / Absturzgelände.

Gelandet wird in Lermoos, Infos gibt es bei Alex Rauter. Hier ist es wichtig wirklich den richtigen Feldabschnitt zu erwischen, der leicht geneigt ist und bei Talwind kein Selbstläufer ist.

Zusammenfassung

Aus allen bisherigen Flügen war das der Schönste und Emotionalste – man entschuldige also den sehr nach Innen gerichteten und wenig objektiven Bericht dieses Marmeladenglasmoments.

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