Täfelekopf (1713m) via Fingersteig (D)
Täfelekopf (1713m) via Fingersteig (D)

Täfelekopf (1713m) via Fingersteig (D)

Klettersteige sind eine eigenartige Spezies. Irgendwie sind sie der Kanarienvogel unter den Bergsportdisziplinen. Nur eben nicht der mit der lieblichen Singstimme und dem bunten Federkleid, sondern der, der schonmal halb von einer Katze gefressen wurde und seitdem ein bisschen Schlagseite hat.

Worauf ich mit der verheißungsvolle Einleitung hinaus will – über den Sinn und Unsinn von Klettersteigen darf gerne diskutiert werden. Meine “intensive” Klettersteigphase dauerte 2021 höchstens ein halbes Jahr an. Danach hatte ich mit Begehungen am Pidinger Klettersteig, der Tajakante, dem Hochthron-Klettersteig und vielen anderen Klassikern selbst gelernt, dass es für mich in dieser “Sportart” wenig zu holen und noch viel weniger zu erleben gibt. Sie haben sich bei mir als die gelebte Konsumierbarkeit wohlportionierter Bergabenteuer eingebrannt.

Das Fast-Food der Vertikale

Was mich beschäftigt…

Ein Klettersteig ist für mich eine gute Möglichkeit alleine und relativ unverbindlich ein wenig Höhenluft zu schnuppern – er kann einen auch an Orte und in Perspektiven bringen, die man sonst ohne gröberen Materialaufwand und Wissensaufbau nicht erreichen würde. An dieser Stelle enden die positiven Merkmale für meinen Geschmack. Denn genau der Wissensaufbau und die Eigenverantwortung, von dem der Klettersteig per Definition befreit, ist der Grund, warum Bergsport für mich interessant bleibt und es auch immer bleiben wird. Nirgends sonst gibt man so viel Verantwortung ab, wie im Klettersteig. Selbst ein Wanderer am Wank beweist hinsichtlich der zahlreichen Möglichkeiten in der Wegwahl mehr Geschick und Eigeninitiative.

Der namensgebende Finger im Zustieg

Fehlt im Klettersteig ein Meter Stahlseil, so ist der Betreiber Schuld und je nach Absurdität des Geländes, in das man sich ganz selbstverständlich manövriert hat besteht nur die Option des wenig trivialen oder sicheren Rückwegs über den (Sport-)Klettersteig. Sichere Rückzugs-, Ausweich- und Bergetechniken, die man im Alpinklettern ganz selbstverständlich parat hat, existieren hier nicht. Der Klettersteig ist eine Einbahnstraße, um deren Ernst die meisten Begeher nicht Bescheid zu wissen scheinen. Das Äquivalent zu vielen Sportklettersteigen wäre eine Mehrseillänge, von der ich weiß, dass beinahe kein Rückzug möglich ist und ich auch keine Möglichkeiten der mobilen Absicherung habe. Das heißt – volles Vertrauen in das Material vor Ort und in das körperliche Können, durch die Wand zu kommen. So etwas habe ich noch nicht gemacht – aus guten Gründen.

Ein Klettersteig ist ferner für mich kein Ort, um am Fels oder gar am Limit zu klettern. Umso überraschter bin ich, dass sich die puristische Ansicht “das Metall sei nur zum Sichern aber nicht zum Festhalten da” und als exaktes Gegenstück zum dynamischen Kletterseil zu betrachten hartnäckig hält. Betrachtet man den Sturzraum und die Funktion eines Klettersteigsets, kommt man schnell dahinter, wie irre diese Ansicht ist. Auch hätte man feststellen müssen, dass der Fels “unter” dem Klettersteig in keiner Weise mit der darüber gespannten Steiganlage korreliert. Ich kann durch mit geschickter Wegwahl durch Schrofengelände im IV. Grad durchaus eine “D/E” Passage spannen und eine nicht frei kletterbare Platte als “A/B” Steig versichern. Solche gefährlichen Mythen halten sich nicht nur – sie verbreiten sich wie ein Lauffeuer. Denn in keiner anderen Disziplin wird man so oft von der Seite angequatscht und belehrt. Ungefragt, unreflektiert – und oft von Menschen, die hier in einer eigentlich offensichtlichen “No-Fall-Zone” ans Limit ihrer Armkraft gehen und sich dabei pudelwohl fühlen.

So bin ich bereits in einem “B” Klettersteig angeplärrt worden, was mir eigentlich einfällt ungesichert unterwegs zu sein – von einer Person die ihr Klettersteigset am Gurt kurzgeschlossen hat und den Klettersteig ziemlich wackelig mit einem Arm des Sets begeht und damit unwissentlich ebenso ungesichert unterwegs ist wie ich Antichrist. Einzelfall möchte man hoffen. Standart meine ich. Leider.

Zustieg

Mich hätte nicht überrascht, am Eingang zum Fingersteig einen Türsteher zu treffen, der mir erzählt, dass der Steig heute leider schon geschlossen hat und ich doch morgen wiederkommen soll. So weit ist es zum Glück noch nicht gekommen. Stattdessen rausche ich im Sonnenuntergang an der Rohrkopfhütte vorbei mit Vorfreude auf das, was ein Klettersteig kann: feine Tiefblicke für schnelle Alleingänge. Oder einen fixen Zustieg zu eigentlichen Touren. Der Seeben-Klettersteig ist so ein Kandidat. Den Fingersteig bin ich nun auch schon einige Male gegangen, die heutige Begehung ist die schönste und durch die Tageszeit bedingt natürlich einsamste.

Aufschwung am Finger (C/D)

Über eine steile Klammerwand geht es einige Meter hinauf. Auch wenn Sportklettersteige oft durch relativ unsinnige Wegführungen möglichst kräftige Züge provozieren wollen – das Wändchen lässt sich quasi ohne Kraftaufwand steigen. Schnell verlasse ich die langen Schatten des Waldes und komme über den Baumkronen in das letzte Abendlicht.

Gehgelände und Notabstieg (A)

Ein kleiner Abstieg vermittelt eine Umgehung des namensgebenden Fingers, der selbst gar nicht erstiegen wird. Dafür wäre Kletterausrüstung notwendig – ein paar hübsche Routen gibt es hier schon. Über etwas plattig-brüchiges Schrofengelände erreicht man schon die “Headwall” die auf den Täfelekopf führt – einen wenig markanten Vorsprung im Tegelbergmassiv.

Aufschwung am Täfelekopf (D)

Die Schlüsselstellen sind dann ein kleiner Überhang aus dem es mangels Tritte einen kurzen Bouldermove (oder ganz vui Bizeps, was im Klettersteig ja bekanntlich immer hilft) braucht. Danach führt eine hübsche, längere und anhaltend steile Wand auf ein kurzes Unterbrechungsband. Dann geht es einfacher und ansteigend an eine luftige aber bestens mit Klammern entschärfte Kante, die ich im goldenen Licht erreiche.

Gipfel

Der Rest ist Formsache – wenige Meter einfache Querung führen unter ein paar Latschen entlang auf das unscheinbare Gipfelplateau. Der Sonnenuntergang, der bereits beim Einstieg im vollen Gange war, hält immer noch an. Der ist heute entweder länger als sonst oder ich hab mich einigermaßen flott bewegt. Mangels Stau, Kassenhäuschen und Diskussionen über den richtigen “Kletterstil” vermutlich letzteres.

Abstieg

Über die Piste geht es wieder ins Tal – das Abendessen ruft. Der Sonnenuntergang will immer noch nicht aufhören. Ein malerischer Abend mit ein paar luftigen Metern Klettersteig in absoluter Einsamkeit. So könnte es immer sein. Ich hoffe, dass der kleine Ausflug ins obligatorische Ferrata-Bashing den Eindruck nicht trübt – der Fingersteig war heute ein perfekter und szenischer Abendausflug. Aber die Schönheit dieser kurzen Begehung besteht eben leider auch genau daraus, dass sie wenig mit dem üblichen Erlebnis “Klettersteig” gemein hatte. Und dann ist ja vielleicht auch erwähnenswert, warum die Auswahl an Tourenberichten in dieser Kategorie sehr klein ausfällt, obgleich ich eigentlich schon alles mit Rang und Namen in dieser Disziplin zusammengewandert hab. Ehrlich erwähnenswerte Tage waren das nur selten.

Irgendwie kommt mir die Fast-Food-Analogie von vorher sehr passend vor. Ich hab gesündigt, ich war im Restaurant zur goldenen Möwe und hab mich einmal vollgestopft. Eigentlich habe ich etwas “großes” gemacht. Einen schweren, steilen Klettersteig – so sagt es die Werbung. Satt geworden bin ich dabei nicht. Vielleicht nächstes Mal doch lieber wieder Wank.

Der Finger – bereits im Abstieg vor dem glühenden Himmel

Schwierigkeit, Versicherung und Material

Der Fingersteig führt für meinen Geschmack aber tatsächlich ganz elegant durch eine tolle Landschaft und besteht im wesentlichen aus zwei Aufschwüngen und etwas Gehgelände dazwischen. Das luftige Eck im oberen Teil ist eine coole und fotogene Einzelstelle und auch die verschiedenen Blickwinkel auf den kühnen Finger sind hübsch.

Der Steig ist gut versichert und “modern” eingerichtet – ich bin im Klettersteig-Business aber zu wenig drinnen, um das jetzt wirklich mit Mehrwert einordnen zu können und betrachte – wie oben erwähnt – einen Sturz als keine Option. Man liest im Netz, dass die D-Stellen sehr hart sind – es wird sogar vor dem Steig gewarnt. Auch hier fehlt mir komplett der Bezug, was eine solche Schwierigkeit ausmacht. Der kleine Überhang kann einem bestimmt Nerven und Armkraft rauben, wenn man versucht ihn via Bizeps zu rupfen. Ist man hier bereits durch, wird man auch mit dem anschließenden Steilstück keine Freuden haben. Ich persönlich finde, dass man speziell diesen Steig beinahe ohne nennenswerte Armkraft bewältigen kann – das setzt aber einen Blick für Tritte und Gewichtsverlagerungen heraus, den man im Klettersteig wohl kaum trainiert. Die Aussage ist also mit Vorsicht zu genießen – im Zweifel haben die Leute recht, die meinen der Steig wäre knüppelhart und brandgefährlich.

Zusammenfassung

So “schön” wie ein Klettersteig eben sein kann. Heute aber besonders farbenfroh.

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